VfGH vom 28.09.1995, g40/95

VfGH vom 28.09.1995, g40/95

Sammlungsnummer

14264

Leitsatz

Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Etappenregelung für das Inkrafttreten der Witwerpension in ArtII Abs 9 4. BSVG-Nov idF ArtIV Abs 1 8. BSVG-Nov unter Hinweis auf E v , G125/93 ua.

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Beschluß vom zog das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen den von ihm am gestellten und beim Verfassungsgerichtshof zu G222/94 anhängigen Antrag auf Aufhebung des ArtII Abs 8 der 36. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 282/1981 idF des ArtV Abs 1 der 40. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 484/1984, zurück.

Unter einem stellte es den vorliegenden Antrag, ArtII Abs 9 der 4. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 284/1981 idF des ArtIV Abs 1 der 8. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 486/1984, als verfassungswidrig aufzuheben.

Begründend wurde vorgebracht, daß mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom dem Kläger ab nach seiner am verstorbenen Ehefrau eine monatliche Witwerpension von S 948,30 zuerkannt worden sei. Dieser Betrag entspreche zwei Dritteln des sich unter Anwendung der entsprechenden Bemessungsbestimmungen ergebenden Betrages an Witwenpension. Im gegenständlichen Sozialrechtsverfahren begehre der Kläger die Zuerkennung einer Witwerpension in voller Höhe mit der Begründung, daß die etappenweise Anpassung der Witwerpension an die Witwenpension gleichheits- und somit verfassungswidrig sei. Mit dem angefochtenen Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom sei das Klagebegehren unter Hinweis auf die geltende Gesetzeslage abgewiesen worden.

Gegen diese Entscheidung richte sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Außerdem rege der Berufungswerber an, das Berufungsgericht möge beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung näher bezeichneter Gesetzesvorschriften stellen.

Mit Beschluß vom habe das Berufungsgericht beim Verfassungsgerichtshof die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens beantragt, dabei jedoch übersehen, daß auf die verfahrensgegenständliche Witwerpension nicht die in diesem Beschluß als verfassungswidrig bezeichneten Übergangsbestimmungen der 36. und 40. ASVG-Novelle anzuwenden seien, sondern die gleichlautende Regelung der 4. und 8. BSVG-Novelle. Es werde daher zugleich mit der Zurückziehung des ersten Antrages begehrt, die anzuwendende Bestimmung des ArtII Abs 9 der 4. BSVG-Novelle idF des ArtIV Abs 1 der 8. BSVG-Novelle als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Gegen diese Bestimmung, derzufolge die Witwerpension ab zu einem Drittel, ab zu zwei Drittel und ab in voller Höhe gebührt, hegt das antragstellende Gericht zunächst das Bedenken, daß die solcherart vom Gesetzgeber gewählte Etappenlösung ein bedenkliches Unterlaufen der vom Verfassungsgesetzgeber in Art 140 Abs 5 B-VG eingeräumten Jahresfrist für die Sanierung verfassungswidriger Bestimmungen darstelle. Die vom Gesetzgeber - nach Aufhebung der im § 259 Abs 1 ASVG idF des ArtXIV Z 5 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 280/1978 normierten unterschiedlichen Voraussetzungen für die Ansprüche auf Witwen- und auf Witwerpension durch das Erkenntnis VfSlg. 8871/1980 - zwar binnen Jahresfrist vorgenommene Neuregelung, die aber erst langfristig zu einem gleichheitsgemäßen Ergebnis führe, widerspreche dem Gleichheitssatz. Außerdem verletze die österreichische Witwerpensionsübergangsregelung, wie der UN-Ausschuß für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom , Beschwerde Nr. 415/1990, festgestellt habe, das Recht auf Gleichheit gemäß Art 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Für Österreich ergebe sich aus dieser Entscheidung die Notwendigkeit, die letzten ausschließlich geschlechtsspezifischen Unterschiede im Pensionsgesetz unverzüglich zu eliminieren. Außerdem bewirke die auf lange Zeit hinausgeschobene Etappenregelung auch eine sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung von Witwern, je nachdem, in welche Etappe ihr Stichtag auf Witwerpension fällt.

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie darauf verweist, daß die vom antragstellenden Oberlandesgericht Linz gegen die von ihm bekämpften Gesetzesbestimmungen vorgebrachten Bedenken jenen Bedenken entsprechen, die von seiten des Obersten Gerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Linz gegen ArtII Abs 8 der 36. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 282/1981 idF des ArtV Abs 1 der 40. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 484/1984, vorgebracht worden seien, welche der Verfassungsgerichtshof jedoch in seinem Erkenntnis vom , G125/93-11, G162/94-6, G167/94-6, G217/94-6 und G288/94-6, als unzutreffend erachtet habe. Da nichts vorgebracht worden sei und da auch keine Gründe ersichtlich seien, warum der Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Etappenregelung im BSVG zu einem anderen Ergebnis kommen sollte als bei der Beurteilung der - inhaltsgleichen und denselben Regelungszweck verfolgenden - Etappenregelung in ArtII Abs 8 der 36. ASVG-Novelle idF des ArtV Abs 1 der 40. ASVG-Novelle, werde der Antrag gestellt, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß die angefochtene Vorschrift nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist.

3. ArtII Abs 9 der 4. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 284/1981, und ArtIV Abs 1 der 8. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 486/1984, lauten wie folgt:

"Artikel II

Übergangsbestimmungen

...

(9) Der unter Anwendung der im Abs 6 bezeichneten Bestimmungen zu bemessende Betrag einer Witwerpension gemäß § 127 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes in der Fassung des ArtI Z 9 gebührt unter Bedachtnahme auf § 46 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes ab zu einem Drittel, ab zu zwei Drittel und ab in voller Höhe. Die Teilung erstreckt sich verhältnismäßig auf den als Grundbetrag und den als Steigerungsbetrag geltenden Betrag.

(10) ...

..."

"Artikel IV

Schlußbestimmungen

(1) Im ArtII Abs 9 der 4. Novelle zum Bauern-Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 284/1981, hat der erste Satz zu lauten:

'Der unter Anwendung der im Abs 8 bezeichneten Bestimmungen zu bemessende Betrag einer Witwerpension gemäß § 127 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes in der Fassung des ArtI Z 9 gebührt unter Bedachtnahme auf § 46 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes ab zu einem Drittel, ab zu zwei Drittel und ab in voller Höhe.'

(2) ...

..."

4. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Zur Zulässigkeit:

Es ist offenkundig, daß das antragstellende Gericht die angefochtene Vorschrift bei Erledigung des bei ihm anhängigen Rechtsmittelverfahrens anzuwenden hat. Auch im Verfahren sind keine Prozeßhindernisse hervorgekommen. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

4.2. In der Sache selbst:

Der Antrag ist nicht begründet.

Die Bundesregierung ist mit ihrer Auffassung im Recht, daß die den verfahrensgegenständlichen Antrag stützenden Bedenken denjenigen entsprechen, über welche der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G125/93-11 ua., abgesprochen hat. In der Begründung dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof insbesondere ausgeführt:

"... Mit der angegriffenen Bestimmung wurde die ursprünglich in der 36. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 282/1981, getroffene Etappenregelung dermaßen verändert, daß der Anspruch auf zwei Drittel der Witwenpension nicht wie ursprünglich vorgesehen mit , sondern erst mit und die volle Pension nicht wie ursprünglich mit , sondern erst mit dem entsteht.

... Die antragstellenden Gerichte meinen, daß Bedenken aus der Sicht des Gleichheitsgebotes bestünden, wenn eine Übergangsregelung, als welche die angefochtene Bestimmung zu werten sei, einen dermaßen langen Zeitraum zum Inkrafttreten der neuen Regelung vorsehe, daß von einer zügigen Anpassung der Rechtslage nicht mehr gesprochen werden könne. Wenn eine Etappenregelung so verzögert werde, daß die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands erst 15 Jahre nach Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes eintrete, sei sie schon deshalb verfassungswidrig. Mit dem Hinausschieben des Eintrittes der einzelnen Phasen bei einer bereits getroffenen Etappenlösung bewirke der Gesetzgeber, daß für viel weniger Personen als die an sich Anspruchsberechtigten die dem Gleichheitssatz entsprechende Lösung eintrete; eine Budgetentlastung bilde dafür keine ausreichende Rechtfertigung.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß es sich um Bedenken handelt, mit denen sich der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 12691/1991 zu befassen hatte, die er aber nicht geteilt hat. Schon damals war die nunmehr neuerlich angegriffene Bestimmung mit dem Vorwurf bekämpft worden, daß ein später eingetretener Finanzbedarf nicht hinreiche, eine bereits getroffene Etappenlösung zu ändern.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mit Erkenntnis vom , B1436/88 (= VfSlg. 12180/1989), es ging um die vom Gesetzgeber etappenweise in Angriff genommene Anpassung des Witwerversorgungsgenusses an den der Witwe, klargestellt, daß unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel eine exakte Festlegung des zeitlichen Ausmaßes von Etappen der Natur der Sache nach nicht möglich ist. Demnach müsse dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum zugebilligt werden; nur dessen offenkundige Überschreitung bedeute einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot. Mit dem Erkenntnis VfSlg. 12691/1991 sagte der Verfassungsgerichtshof sodann weiters aus, daß dieser dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen eingeräumte Gestaltungsspielraum mit der die etappenweise Angleichung verfügenden Änderung durch die nun neuerlich angegriffene Bestimmung nicht überschritten sei. In den nunmehrigen Anträgen wird mit dem Vorwurf, daß bei der angegriffenen Übergangsregelung von einer zügigen Anpassung der Rechtslage nicht mehr gesprochen werden könne, somit eine Gleichheitswidrigkeit behauptet, die bereits mit Erkenntnis VfSlg. 12691/1991 als nicht bestehend festgestellt wurde. Über diese Bedenken ist somit rechtskräftig abgesprochen worden, sodaß insofern auf die Vorbringen der antragstellenden Gerichte nicht weiter einzugehen ist.

... Die anfechtenden Gerichte behaupten weiters, die angefochtene Regelung bewirke eine sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung von Witwern, je nachdem, in welche Etappe ihr Stichtag auf Witwerpension falle.

Damit wird aber eine Folgewirkung als Bedenken geltend gemacht, die sich zwangsläufig aus der, verfassungsrechtlich als unbedenklich erkannten, Etappenlösung ergibt. Selbst wenn man das Vorbringen der antragstellenden Gerichte als neues Bedenken werten könnte, über das nicht mit den bereits zitierten Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes abgesprochen wurde, ergibt sich aus den Erkenntnissen VfSlg. 12180/1989 und 12691/1991, daß in Wahrheit nicht ein Bedenken gegen die Etappenlösung, sondern nur ein Ergebnis der bereits als unbedenklich erkannten Etappenregelung aufgezeigt wird und damit eine Folge, die jeder Stichtagsregelung innewohnt. Implizit ist auf diese Auswirkungen der Rechtslage jedoch bereits in den genannten Vorerkenntnissen Bedacht genommen worden.

... Als Bedenken wird schließlich geltend gemacht, daß die stufenweise Anpassung der Witwerpension durch die angegriffene Regelung völkerrechtlichen Verpflichtungen der Republik Österreich widerspreche. Der UN-Ausschuß für Menschenrechte habe mit Entscheidung vom eine Verletzung des Art 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der in Österreich am in Kraft getreten ist, festgestellt.

Mit diesem Vorbringen wird jedoch übergangen, daß der Weltpakt, auf den sich die antragstellenden Gerichte berufen und der zudem im Sinne des Art 50 Abs 2 B-VG durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, lediglich Gesetzesrang aufweist. Er vermag daher keinen Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung von Gesetzen zu bilden; ebensowenig sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt oder berechtigt, im Hinblick auf eine Regelung völkerrechtlichen Ursprungs seine Rechtsprechung zu ändern. Daran ändert nichts, daß Österreich das Fakultativprotokoll zum internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte ratifiziert und die Zuständigkeit des Ausschusses für Menschenrechte zur Behandlung von Individualbeschwerden anerkannt hat. Denn hieraus könnten nur völkerrechtliche Verpflichtungen resultieren; selbst dies wird aber von der Bundesregierung unter Hinweis auf Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, Kommentar, Engel-Verlag, 1989, S. 756, und die dort zitierte Literatur bestritten. Der Verfassungsgerichtshof braucht dieser Frage jedoch nicht weiter nachzugehen. Denn selbst dann, wenn das Bestehen einer völkerrechtlichen Verpflichtung zu bejahen wäre, könnte dies nur bedeuten, daß die Republik Österreich als Völkerrechtssubjekt Maßnahmen zu setzen hat, um eine bestimmte Auffassung des UN-Ausschusses für Menschenrechte innerstaatlich zum Tragen zu bringen. Eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes, über Verletzungen des Völkerrechts zu erkennen, besteht jedoch nicht, da Art 145 B-VG mangels Erlassung des darin vorgesehenen Bundesgesetzes noch nicht wirksam ist (vgl. VfSlg. 2586/1953, 2680/1954)."

Die wiedergegebenen Erwägungen betrafen Bedenken, die sich mit den verfahrensgegenständlichen inhaltlich decken. Die Bedenken richteten sich gegen ArtII Abs 8 der 36. ASVG-Novelle idF des ArtV Abs 1 der 40. ASVG-Novelle, und damit gegen eine Vorschrift, die der hier angefochtenen Bestimmung des ArtII Abs 9 der 4. BSVG-Novelle idF des ArtIV Abs 1 der 8. BSVG-Novelle völlig entspricht, ja mit ihr praktisch wortgleich ist. Es ist im Verfahren auch sonst nichts hervorgekommen, das der Übertragbarkeit dieser Erwägungen auf den vorliegenden Fall entgegenstehen würde.

Der Antrag war daher abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.