VfGH vom 01.03.2019, G380/2018
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch eine Bestimmung des Sbg BaupolizeiG betreffend den Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn und Eigentümern angrenzender Hauptversorgungseinrichtungen bei nachträglicher Bewilligung konsenslos errichteter Anlagen nach Ablauf von fünf Jahren; Anregung eines baupolizeilichen Verfahrens, Beschleunigung nachträglicher Bewilligungsverfahren und Vermeidung nachbarschaftlicher Rechtsstreitigkeiten vermögen den Ausschluss der Parteistellung sachlich nicht zu rechtfertigen
Spruch
I.§7 Abs 10 Salzburger Baupolizeigesetz 1997, Sbg LGBl Nr 40/1997 (Wiederverlautbarung), in der Fassung Sbg LGBl Nr 96/2017 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II.Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
III.Der Landeshauptmann von Salzburg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Salzburg verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1.Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E2616/2018 eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1.Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr 641/18, EZ 441, KG Aigen I. Die Liegenschaft des Beschwerdeführers grenzt unmittelbar an das Grundstück Nr 641/1, EZ 440, KG Aigen I.
1.2.Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg den Eigentümern des Grundstückes Nr 641/1 die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Zubaus gemäß § 9 Abs 1 iVm § 10 Sbg Baupolizeigesetz 1997 (BauPolG) und gewährte die Abstandsnachsicht nach § 25 Abs 8 Sbg Bebauungsgrundlagengesetz (BGG). Der Beschwerdeführer erteilte im Vorfeld seine Zustimmung zur baulichen Maßnahme gemäß § 25 Abs 7a Sbg BGG.
1.3.Die Vollendung des Bauvorhabens am Grundstück Nr 641/1 wurde der zuständigen Behörde am angezeigt. Die – in den Jahren 2008 und 2009 – am Grundstück Nr 641/1 vorgenommenen Baumaßnahmen wurden jedoch abweichend von dem der Bewilligung vom zugrunde liegenden Einreichplan und unter Nichteinhaltung der Mindestabstände ausgeführt.
1.4.Am stellten die Eigentümer des Grundstückes Nr 641/1 einen Antrag auf nachträgliche Baubewilligung einerseits und einen Antrag auf Abstandsnachsicht andererseits. Mit Bescheid vom wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg den Antrag auf Abstandsnachsicht nach § 25 Abs 8 Sbg BGG ab und versagte die baubehördliche Bewilligung gemäß § 9 Abs 1 Z 3 Sbg BauPolG. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bewilligungswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Salzburg.
1.5.Im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Salzburg erhob der Beschwerdeführer (im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof) am Einwendungen gegen die beantragte Erteilung der nachträglichen Baubewilligung und Abstandsnachsicht.
1.6.Mit Erkenntnis vom erteilte das Landesverwaltungsgericht Salzburg die Abstandsnachsicht nach § 25 Abs 8 Sbg BGG und gewährte die baubehördliche Bewilligung in Bezug auf den "Zubau 02" sowie die Baumaßnahmen am Haupthaus am Grundstück Nr 641/1. Betreffend die Bauteile "Zubau 01" und das Nebengebäude erteilte das Landesverwaltungsgericht Salzburg die Abstandsnachsicht gemäß § 25 Abs 8 Sbg BGG nicht und versagte die Baubewilligung.
Die vom Beschwerdeführer (im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof) im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Salzburg erhobenen Einwendungen wies das Gericht wegen fehlender Parteistellung gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG (im Hinblick auf das Baubewilligungsverfahren) und gemäß § 25 Abs 8 vierter Satz Sbg BGG iVm § 7 Abs 10 Sbg BauPolG (im Hinblick auf das Verfahren über die Abstandsnachsicht) zurück. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg begründete dies damit, dass der "Zubau 02" zum Hauptgebäude in der bestehenden Form im Jahr 2008/2009 baulich gestaltet worden sei. Zum Zeitpunkt des Einlangens des Ansuchens um nachträgliche Bewilligung im November 2015 sei die in § 7 Abs 10 Sbg BauPolG idF LGBl 96/2017 vorgesehene Frist von fünf Jahren bereits abgelaufen gewesen, weshalb den Nachbarn im Verfahren keine Parteistellung zukomme.
2.Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs 10 Sbg BauPolG, Sbg LGBl 40/1997 (Wiederverlautbarung), idF Sbg LGBl 96/2017 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die hiemit in Prüfung gezogene Bestimmung folgende Bedenken:
3.1. Die Bestimmung über den Ausschluss der Parteistellung bei nachträglichen Baubewilligungsverfahren gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG könnte unsachlich sein und aus diesem Grund gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art 2 StGG und Art 7 B-VG verstoßen.
3.1.1. Dem Gesetzgeber sind durch den Gleichheitsgrundsatz insofern inhaltliche Schranken gesetzt, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001) sowie sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen (vgl VfSlg 8169/1977, 15.590/1999, 18.269/2007).
Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Bestimmung Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert (zB VfSlg 15.274/1998, 15.581/1999, 16.103/2001). Es ist der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers überlassen, ob und inwieweit er diesen Personen rechtlichen Schutz gewährt, die durch den einer anderen Person gegenüber ergangenen verwaltungsbehördlichen Bescheid in ihren Interessen betroffen sind. Die Gestaltungsfreiheit ist verfassungsrechtlich lediglich dadurch begrenzt, dass das die Parteirechte bestimmende Gesetz dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot unterliegt (VfSlg 14.512/1996 mwN; 19.617/2012; ).
3.1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat das vorläufige Bedenken, dass der Aus-schluss der Parteistellung von Nachbarn und Eigentümern von Hauptversor-gungseinrichtungen bei konsenslos oder konsenswidrig errichteten Anlagen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vollendung der Errichtung der Anlage gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes sachlich nicht gerechtfertigt sein dürfte. Es scheint vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur gesetzlichen Sanierung baurechtlich konsenslos errichteter Bauten (vgl insb. VfSlg 14.681/1996, 14.763/1997, 15.441/1999, 16.901/2003, 17.211/2004, 17.402/2004) sowie zur Differenzierung zwischen der Parteistellung bei bewilligungs- und anzeigepflichtigen Bauvorhaben (vgl VfSlg 16.983/2003, 16.982/2003) keinen im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes hinreichend sachlichen Grund dafür zu geben, dass die Wahrung der Interessen von Nachbarn in einem Verfahren über die nachträgliche Bewilligung eines konsenslos errichteten Baues vom Landesgesetzgeber nicht in gleicher Weise gewährleistet wird wie bei Nachbarn von Personen, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung konsensgemäß bauen. Aus Sicht des Bewilligungswerbers bewirkt die Regelung des § 7 Abs 10 Sbg BauPolG insofern eine Besserstellung desjenigen, der einen Bau konsenslos errichtet hat, als Nachbarn in einem nachträglichen Bewilligungsverfahren nach fünf Jahren ab Vollendung der Bautätigkeit als Parteien nicht (mehr) einzubeziehen sind.
Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grundlage der Materialien zu § 7 Abs 10 Sbg BauPolG vorläufig davon aus, der Ausschluss der Parteistellung hätte ausschließlich den Hintergrund, dass die Interessen von Nachbarn von bewilligungs-los oder konsenswidrig erbauten Anlagen nach einem bestimmten Zeitablauf nicht mehr als schutzwürdig erachtet werden. Der Ausschluss der Parteirechte gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG bei Bestand der Anlage seit (nunmehr) mindestens fünf Jahren scheint das Ziel zu verfolgen, die Verfahrensführung über die nachträgliche Bewilligung konsenslos erbauter Anlagen zu beschleunigen.
Ausweislich der Materialien zum Baurechtsreformgesetz 1996, LGBl 39/1997, (wiederverlautbart mit LGBl 40/1997), mit dem die Einschränkung der Parteirechte der Nachbarn bei nachträglichen Bewilligungsverfahren von konsenslos errichteten Anlagen in das Salzburger Baupolizeigesetz eingeführt wurde, begründet der Landesgesetzgeber diese Einschränkung damit, dass Parteien dann keine Parteistellung mehr haben sollten, wenn Schwarzbauten bereits seit (in der Fassung LGBl 39/1997) mindestens dreißig Jahren bestünden. Auf Grund des langjährigen Bestandes und Zeitverlaufes erscheine keine Schutzwürdigkeit mehr gegeben, zumal in aller Regel der Bestand der baulichen Anlagen bekannt gewesen und 'irgendwie auch akzeptiert' worden sei (RV 69 BlgLT [Sbg.] 11. GP). Es sei die Sorgfaltspflicht jedes Grundeigentümers, sich um seine Angelegenheiten bei Zeiten zu kümmern und dann, wenn Mangelhaftigkeiten hervorkommen und erkannt werden, die dafür vorgesehenen Möglichkeiten auch wahrzunehmen (RV 56 BlgLT [Sbg.] 12. GP, mit der die Frist in § 7 Abs 10 Sbg BauPolG von dreißig auf zwanzig Jahre herabgesetzt wurde).
In den Materialien zur Novelle LGBl 96/2017, mit der die Frist über den Ausschluss der Parteirechte gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG von zwanzig auf fünf Jahre herabgesetzt wurde, findet sich der Hinweis auf das Projekt 'Deregulierung konkret'. Die Herabsetzung führe zur Vermeidung komplexer Verfahren in allen Instanzen. Die Bewilligungspflicht und der damit verbundene Auftrag an die Behörden, die Bewilligungsfähigkeit in jede Richtung zu prüfen, werde durch die Herabsetzung nicht berührt (RV 36 BlgLT [Sbg.] 15. GP, 6).
Anders als dies die Materialien offenbar voraussetzen, scheint jedoch für Personen im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit zu bestehen, konsenswidrige Baumaßnahmen (am Nachbargrund) zu relevieren. Lediglich im Hinblick auf die Einhaltung von Mindestabständen dürfte § 16 Abs 6 Sbg BauPolG Nachbarn (iSd § 7 Abs 1 Z 1 Sbg BauPolG) ein – zeitlich auf fünf Jahre begrenztes – subjektives (Antrags-)Recht auf behördliche Maßnahmen gewähren (vgl Giese, Salzburger Baurecht², 2018, § 7 BauPolG, Rz 51). Nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes dürfte die Regelung des § 16 Abs 6 Sbg BauPolG nicht ausreichen, um die Sachlichkeit des Ausschlusses der Parteistellung von Nachbarn in sämtlichen nachträglichen Bewilligungsverfahren fünf Jahre nach Vollendung der konsenslosen Baumaßnahme gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG zu begründen.
3.2. Es ist für den Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht erkennbar, dass der Ausschluss der Parteirechte der Nachbarn von konsenslos oder konsenswidrig errichteten Bauten gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG dem Sachlichkeitsgebot entspricht."
3.Die Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:
"II. Zu den Bedenken des Verfassungsgerichtshofs:
1. Der Verfassungsgerichtshof hegt das Bedenken, dass die Regelung des § 7 Abs 10 des Salzburger Baupolizeigesetzes 1997 (in der Folge kurz: sbg BauPolG), aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes sachlich nicht gerechtfertigt sein dürfte. Aus Sicht des Bewilligungswerbers bewirke – so der Verfassungsgerichtshof – die Regelung des § 7 Abs 10 sbg BauPolG insofern eine Besserstellung desjenigen, der einen Bau konsenslos errichtet hat, als Nachbarn in einem nachträglichen Bewilligungsverfahren nach fünf Jahren ab Vollendung der Bautätigkeit als Parteien nicht (mehr) einzubeziehen sind.
Eine solche Besserstellung wird bestritten. Sie läge aus Sicht der Salzburger Landesregierung für einen Bewilligungswerber nur dann vor, wenn die Baubehörde in Verfahren zur Erteilung einer nachträglichen Bewilligung von baulichen Anlagen nachbarrechtliche Interessen nicht in gleicher Weise zu wahren hätte wie in einem 'ordentlichen' Verfahren. Dies ist aber nicht der Fall, wie der Anlassfall zeigt: Denn erstens müssen Ansuchen um Baubewilligung, dem (wie im Anlassfall) § 25 Abs 3 des Salzburger Bebauungsgrundlagengesetzes (in der Folge kurz: BGG) über die Mindestabstände entgegensteht, nach der Rspr des VwGH abgewiesen werden, wenn eine durch eigenen Bescheid zuzulassende Ausnahme gemäß § 25 Abs 8 BGG nicht vorliegt (vgl zB ), und zwar unabhängig davon, ob die Baubewilligung dafür vom Bewilligungswerber im Vorhinein oder im Nachhinein beantragt worden ist. Und zweitens dürfen nach der stRspr des VwGH zu § 25 Abs 8 BGG die mit der Einhaltung der Mindestabstände verbundenen Nachteile, selbst dann nicht auf den Nachbarn überwälzt werden, wenn eine Zustimmung des Nachbarn vorläge (vgl ua ; , 2009/06/0161). Eine solche Zustimmung wäre im Verfahren also unbeachtlich, woraus ersichtlich ist, dass die einschlägigen baurechtlichen Bestimmungen einen 'objektiven Nachbarschaftsschutz' gewährleisten, welcher von Amts wegen wahrzunehmen ist. § 7 Abs 10 BauPolG 1997 verschafft dem Bewilligungswerber in Bezug auf die beantragte (nachträgliche) Bewilligung eines Bauvorhabens materiell sohin keinen Vorteil.
2. Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grundlage der Materialien zu § 7 Abs 10 sbg BauPolG ferner davon aus, dass der Ausschluss der Parteistellung ausschließlich den Hintergrund hätte, dass die Interessen von Nachbarn von bewilligungslos oder konsenswidrig erbauten Anlagen nach einem bestimmten Zeitablauf nicht mehr als schutzwürdig erachtet werden und der Ausschluss dieser Parteirechte das Ziel zu verfolgen scheint, die Verfahrensführung über die nachträgliche Bewilligung konsenslos erbauter Anlagen zu beschleunigen.
Dazu ist zum einen auszuführen, dass nach der Rspr des Verfassungsgerichtshofs verwaltungsökonomische Erwägungen selbst für den gänzlichen Ausschluss von Parteirechten ein durchaus anerkennenswertes Motiv sein können (vgl ua VfSlg 14.512/1996), im Gegenstand aber gar kein gänzlicher Ausschluss von nachbarlichen Parteirechten im baubehördlichen Bewilligungsverfahren erfolgt, sondern diese für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren nach Vollendung der baulichen Maßnahme weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung stehen.
Und zweitens geht die Salzburger Landesregierung davon aus, dass – nachdem es nach der stRspr des Verfassungsgerichtshofs der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers überlassen ist, ob überhaupt und, wenn ja, inwieweit er Personen rechtlichen Schutz gewährt, die durch den einer anderen Person gegenüber ergangenen verwaltungsbehördlichen Bescheid in ihren Interessen betroffen sind (zB VfSlg 15.581/1999, 16.103/2001) – es (auch) im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegen dürfte, die Einräumung und Ausübung nachbarlicher Parteirechte zeitlich zu beschränken. Dabei geht es nicht darum, die Interessen von Nachbarn von bewilligungslos oder konsenswidrig erbauten Anlagen nach einem bestimmten Zeitablauf nicht mehr als schutzwürdig zu erachten, sondern (neben verwaltungsökonomischen Aspekten) vor allem um Gesichtspunkte des nachbarlichen Rechtsfriedens, welcher ein hohes Gut darstellt und zweifellos im öffentlichen Interesse liegt. Je länger die Vollendung des bewilligungslos bzw konsenswidrig errichteten Baus zurückliegt, desto stärker rückt aus Sicht der Salzburger Landesregierung das öffentliche Interesse 'nachbarlicher Rechtsfrieden' in den Vordergrund. Fünf Jahre sind aus Sicht der Salzburger Landesregierung hier ein adäquater Zeitraum für einen angemessenen Ausgleich der im Gegenstand widerstreitenden Interessen.
3. Schließlich begründet der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken damit, dass für Personen im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 sbg BauPolG nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit bestehe, konsenswidrige Baumaßnahmen (am Nachbargrund) zu relevieren. Lediglich im Hinblick auf die Einhaltung von Mindestabständen dürfte § 16 Abs 6 sbg BauPolG Nachbarn ein – zeitlich auf fünf Jahre begrenztes – subjektives (Antrags-)Recht auf behördliche Maßnahmen gewähren. Diese Regelung dürfte aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes nicht ausreichen, um die Sachlichkeit des Ausschlusses der Parteistellung nach § 7 Abs 10 sbg BauPolG zu begründen.
Dazu geht die Salzburger Landesregierung davon aus, dass baupolizeiliche Maßnahmen zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegen und es keine Verfassungsnorm gibt, die Nachbarn die Einräumung eines Rechtsanspruchs auf Relevierung konsenswidriger Baumaßnahmen (am Nachbargrund) garantieren würde. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter scheidet im Zusammenhang als Maßstab für den Gesetzgeber aus (vgl ua VfSlg 3.085/1956, 6.808/1972, 8.279/1978, 9.451/1982, 10.605/1985). Auch aus Art 6 EMRK lässt sich kein Rechtsanspruch der Nachbarn auf Erlassung eines Beseitigungsauftrages ableiten (EGMR , Emsenhuber, Appl 54536/00). Und auch das rechtsstaatliche Prinzip gebietet keine bestimmte Ausgestaltung der Parteienrechte (VfSlg 8.279/1978, 15.123/1998, 15.581/1999).
Wenn nun darüber hinausgehend § 16 Abs 6 sbg BauPolG Nachbarn ein – zeitlich auf fünf Jahre begrenztes – subjektives (Antrags-)Recht im Hinblick auf die Einhaltung von Mindestabständen einräumt, erfolgt dies vor dem Hintergrund, dass dem Gesetzgeber nach der stRspr des Verfassungsgerichtshofs aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der den Nachbarn zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechte zukommt (vgl ua VfSlg 15.093/1998) und er insbesondere nicht gehalten ist, Beteiligten Parteistellung einzuräumen, deren Interessen nicht oder nur geringfügig berührt werden (vgl ua VfSlg 12.465/1990). Aus Sicht der Salzburger Landesregierung verstößt der Gesetzgeber daher nicht gegen das aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot, wenn er differenzierend nach der Schwere der Interessensbeeinträchtigung aus der Reihe von subjektiv-öffentlichen Rechten nur das besonders wichtig erscheinende und ein vordringliches Interesse des Nachbarn darstellende Recht auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen herausgreift und festlegt, dass nur bei Verletzung dieses Rechts (durch welches wie bei sonst keinem die Belichtungs- und Besonnungsverhältnisse auf dem Nachbargrundstück unmittelbar und erheblich beeinflusst werden) durch eine unzulässig vorgenommene Bauführung dem Nachbarn das Recht auf Einleitung und Durchführung eines Verfahrens nach § 16 Abs 1 bis 4 sbg BauPolG zukommen soll (vgl RV Nr 4 BlgLT, 8 GP, 4. Sess, zu § 16 sbg BauPolG)."
4.Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg erstattete eine Äußerung, in der er den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:
"In den Materialien zur Novelle des Baupolizeigesetzes 1997 vom wurde in den Erläuterungen ausgeführt, dass die beabsichtigte Änderung der Bestimmung des § 7 Abs 10 BauPolG (und in einem auch der Bestimmung des § 16 Abs 6 BauPolG) 'der Umsetzung eines Vorschlages aus dem Projekt 'Deregulierung konkret' dient. Die mit der Herabsetzung der Frist verbundene Einschränkung der Mitwirkungsrechte der Nachbarn [f]ührt zu keiner nennenswerten nachbarrechtlichen Schlechterstellung, wohl aber zur Vermeidung komplexer Verfahren in allen Instanzen. Die Bewilligungspflicht und der damit verbundene[…] Auftrag an die Behörden, die Bewilligungsfähigkeit in jede[…] Richtung zu prüfen, werden dadurch nicht berührt.
Die Vermeidung komplexer Verfahren bezieht sich wohl in erster Linie auf (nachträgliche) Bauverfahren, welche aufgrund von Bauführungen abweichend vom erteilten Baukonsens nachträgliche Ausnahmegenehmigungsverfahren gemäß § 25 Abs 8 Bebauungsgrundlagengesetz (BGG) von den Bestimmungen des § 25 Abs 3 BGG hervorrufen. Aufgrund der sehr restriktiven Auslegung und Judikatur zu dieser Bestimmung, insbesondere zum Begriff der unbilligen Härte, können solche Bauverfahren aufgrund von Nachbareinwendungen jahrelang nicht rechtskonform abgeschlossen werden. Dies auch oft dann, wenn Nachbarn erst nach Fertigstellung eines Baues in einem nachträglichen Baubewilligungsverfahren von ihrer Parteistellung und ihrer Rechtsposition erfahren. Dies [f]ührt zu entsprechend langen Verfahrensdauern, letztlich zu Rechtsunsicherheit und zu Problemen auch für befugte Planverfasser Einreichunterlagen im Sinne der Bestimmungen der § 4 und § 5 BauPolG ordnungsgemäß (Darstellung des konsensgemäßen Altbestandes) zu erstellen.
Aus Sicht der Vollziehung hat die nun [in] Prüfung unterzogene Norm auch die entsprechenden Erleichterungen für den Vollzug [ge]bracht. Wie gerade das dem Gesetzesprüfungsverfahren zugrunde liegende Bauverfahren zeigt, wurde die Prüfung des nachträglichen Baubewilligungsverfahrens im Sinne der geltenden gesetzlichen Bestimmungen durch die Baubehörde I. Instanz gewissenhaft durchgeführt, weswegen auch zum Schutz der Nachbarn die beantragte Baubewilligung in einem mit den beantragten Ausnahmeverfahren gemäß § 25 Abs 8 BGG abgewiesen worden sind."
5.Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat von der eingeräumten Möglichkeit, eine Äußerung zu erstatten, keinen Gebrauch gemacht.
II.Rechtslage
§7 und § 16 des Salzburger Baupolizeigesetzes 1997 (BauPolG), Sbg LGBl 40/1997 (Wiederverlautbarung), idF Sbg LGBl 96/2017 lauten wie folgt (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):
"Parteien
§7
(1) Parteien im Bewilligungsverfahren sind der Bewilligungswerber und außerdem
1. als Nachbarn
a) bei den im § 2 Abs 1 Z 1 angeführten baulichen Maßnahmen die Eigentümer jener Grundstücke, die von den Fronten des Baues nicht weiter entfernt sind, als die nach § 25 Abs 3 BGG maßgebenden Höhen der Fronten betragen. Bei oberirdischen Bauten mit einem umbauten Raum von über 300 m3 haben jedenfalls auch alle Eigentümer von Grundstücken, die von den Fronten des Baues weniger als 15 m entfernt sind, Parteistellung. Bei unterirdischen Bauten oder solchen Teilen von Bauten haben die Eigentümer jener Grundstücke Parteistellung, die von den Außenwänden weniger als zwei Meter entfernt sind;
b) bei den im § 2 Abs 1 Z 5 angeführten baulichen Maßnahmen die in lita angeführten Personen, soferne die Zweckänderung die im § 9 Abs 1 Z 1 und 2 angeführten raumordnungs- und baurechtlichen Voraussetzungen berühren kann;
c) bei den im § 2 Abs 1 Z 7 angeführten baulichen Maßnahmen die Eigentümer der an die einzufriedende Seite des Bauplatzes angrenzenden und nicht weiter als Mauerhöhe entfernten Grundstücke sowie die Straßenerhalter öffentlicher Verkehrsflächen, die von der Einfriedung nicht weiter als deren Höhe entfernt liegen;
d) bei den im § 2 Abs 1 Z 7a angeführten baulichen Maßnahmen die Eigentümer jener Grundstücke, die von der geplanten Mauer nicht weiter als das Doppelte ihrer höchsten Höhe entfernt sind;
e) bei den im § 2 Abs 1 Z 8 angeführten baulichen Maßnahmen sinngemäß die in lita bezeichneten Grundstückseigentümer;
f) bei den im § 2 Abs 1 Z 9 angeführten baulichen Maßnahmen die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke;
2. die Eigentümer der Hauptversorgungseinrichtungen, die oder deren Sicherheitsabstand durch die geplante bauliche Maßnahme unmittelbar erfaßt werden.
3.die Gemeinde bei Verfahren, die durch Verordnung der Landesregierung auf Grund des § 16 Abs 5 der Salzburger Gemeindeordnung 1994 auf staatliche Behörden des Landes übertragen worden sind; sie ist berechtigt, die Einhaltung der von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen der Raumordnung und der Wahrung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes geltend zu machen und Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht sowie Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
(1a) Der Eigentümer des Grundstückes, auf dem die bauliche Maßnahme geplant ist, hat im Bewilligungsverfahren das Recht auf Akteneinsicht (§17 AVG).
(2) Parteien im Verfahren zur Bewilligung von Vorarbeiten (§6) und der Inanspruchnahme fremder Liegenschaften (§14) sind außer dem Bewilligungswerber die zur Duldung Verpflichteten.
(3) Partei in einem Verfahren zur Verlängerung der Frist gemäß § 9 Abs 7 ist der Bauherr.
(4) Partei im Verfahren zur Erlassung behördlicher Vorkehrungen gemäß § 13 ist der Bauherr (Bewilligungswerber), gegebenenfalls der Bauführer.
(5) Partei in einem Verfahren gemäß § 16 ist der vorgesehene Adressat des baupolizeilichen Auftrages. In einem wegen Verstoßes gegen eine Bestimmung betreffend Abstände zu den Grenzen des Bauplatzes oder zu anderen Bauten auf Antrag des Nachbarn eingeleiteten Verfahren gemäß § 16 Abs 1 bis 4 ist auch der dadurch in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzte Nachbar Partei.
(5a) Partei im Überprüfungsverfahren gemäß § 17 ist der Bauherr.
(6) Partei im Verfahren zur Erlassung von Aufträgen gemäß § 19 Abs 3 sowie § 20 ist der Eigentümer der baulichen Anlage.
(7) Partei in einem Verfahren gemäß § 2 Abs 1 Z 6 und § 21 ist außer dem Grundeigentümer und allfälligen Baurechtsberechtigten (im Sinn des Baurechtsgesetzes, RGBl Nr 86/1912, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl Nr 258/1990) der Eigentümer der baulichen Anlage sowie der Bewilligungswerber oder der vorgesehene Adressat des baupolizeilichen Auftrages, bei der Herstellung ordnungsgemäßer Abflußverhältnisse gemäß § 21 Abs 3 auch der Antragsteller.
(8) Partei im Verfahren zur Erlassung eines Abbruchauftrages gemäß § 9 Abs 2 ist der Grundeigentümer und, wenn dieser nicht auch Eigentümer des von einem allfälligen solchen Abbruchauftrag betroffenen Baues oder Bauteiles ist, der Eigentümer (Baurechtseigentümer) desselben.
(9) Wenn die im Abs 1 Z 1 und 2 genannten Personen im Hinblick auf ihre subjektiv-öffentlichen Rechte (§9 Abs 1 Z 5 und 6) der baulichen Maßnahme unwiderruflich zustimmen, haben sie keine Parteistellung im weiteren Verfahren. Für die Zustimmung ist ein Formular zu verwenden, dessen näherer Inhalt von der Landesregierung durch Verordnung festzulegen ist. Das Formular hat jedenfalls den Hinweis auf die mit der Zustimmung verbundenen Rechtsfolgen zu enthalten. Außerdem müssen die Pläne von den zustimmenden Personen unterfertigt sein.
(10) Im Verfahren zur Erteilung einer nachträglichen Bewilligung von baulichen Anlagen, die ohne Bewilligung ausgeführt worden sind oder deren Bewilligung nachträglich aufgehoben worden ist, haben die im Abs 1 Z 1 und 2 genannten Personen keine Parteistellung, wenn die bauliche Anlage fünf oder mehr Jahre ab Vollendung der baulichen Maßnahme, bei Bauten ab Aufnahme der auch nur teilweisen Benützung besteht. Dies gilt sinngemäß in Verfahren gemäß § 16 Abs 1 bis 4 für den nach Abs 5 letzter Satz sonst Parteistellung genießenden Nachbarn.
[…]
Folgen der bescheidwidrigen oder nicht
bewilligten Ausführung baulicher Maßnahmen
§16
(1) Stellt die Baubehörde fest, daß die Ausführung einer baulichen Maßnahme nicht dem Inhalt der Bewilligung (Baukonsens) einschließlich der auf die bauliche Maßnahme bezughabenden baurechtlichen Vorschriften, der Pläne und technischen Beschreibung entsprechend erfolgt, so hat sie die Einstellung der Ausführung der baulichen Maßnahme zu verfügen, es sei denn, daß die Abweichung geringfügig ist. Eine Abweichung vom Inhalt der Bewilligung ist jedenfalls dann nicht mehr als geringfügig anzusehen, wenn hiedurch die in den raumordnungs- oder baurechtlichen Vorschriften enthaltenen Bestimmungen verletzt werden oder für die Änderung selbst eine Bewilligungspflicht besteht. Die Einstellung ist unter Anordnung der notwendigen Sicherungsmaßnahmen unmittelbar gegenüber den mit der Ausführung der baulichen Maßnahme beschäftigten Personen ohne vorausgehendes Verfahren mit sofortiger Wirkung zu verfügen und erforderlichenfalls durch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt auf Gefahr und Kosten des Bauherrn und des Bauführers sicherzustellen. Sie wird unwirksam, wenn die Baubehörde die Einstellung nicht innerhalb einer Woche nach der Einstellungsverfügung durch Bescheid aufrecht erhält. Beschwerden dagegen haben keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Baubehörde hat die Einstellung der Ausführung der baulichen Maßnahme auch dann und insolange zu verfügen, als
1. keine Bewilligung vorliegt, oder die erteilte Bewilligung nachträglich aufgehoben wurde oder nicht rechtskräftig ist, es sei denn, es handelt sich im letzten Fall um Arbeiten nach § 12 Abs 2;
2. die bauliche Maßnahme nicht durch eine hiezu befugte Person (§11) ausgeführt bzw überwacht wird;
3. die im Bewilligungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht erfüllt werden;
4. baubehördlichen Anordnungen im Sinn des § 13 nicht entsprochen wird;
5. sie in einem Gebiet, für das eine Bausperre gemäß § 21 ROG 2009 gilt, ohne die gemäß dem Abs 2 der zitierten Bestimmung erforderliche besondere Bewilligung ausgeführt wird. Abs 1 dritter bis fünfter Satz findet Anwendung.
(3) Ist eine bauliche Anlage ohne Bewilligung ausgeführt oder ist ihre Bewilligung nachträglich aufgehoben worden, so hat die Baubehörde dem Eigentümer und allenfalls auch dem Veranlasser aufzutragen, die bauliche Anlage binnen einer angemessenen Frist zu beseitigen. Wird ein Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung gestellt, darf eine Vollstreckung des Beseitigungsauftrages nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden. Bei Versagung der nachträglichen Bewilligung beginnt die Frist zur Beseitigung ab Rechtskraft des Versagungsbescheides neu zu laufen.
(4) Die Bestimmung des Abs 3 gilt hinsichtlich des unzulässig Hergestellten sinngemäß, wenn die Ausführung aufgrund einer baubehördlichen Bewilligung erfolgt, von deren Inhalt aber nicht nur geringfügig abweicht. Der Beseitigungsauftrag ist diesfalls an den Bauherrn bzw den Eigentümer der baulichen Anlage zu richten.
(5) Geringfügige Abweichungen der Ausführung der baulichen Anlage vom Inhalt der Bewilligung sind von der Baubehörde nachträglich zu genehmigen. Hinsichtlich solcher Abweichungen kann die Baubehörde die Vorlage der erforderlichen Pläne und Unterlagen (§§4 und 5) verlangen. Bei Bauten, die unter § 17 Abs 4 fallen, kann die Genehmigung über Antrag im Überprüfungsbescheid erteilt werden.
(6) Wird durch eine bescheidwidrige oder nicht bewilligte Ausführung einer baulichen Maßnahme gegen eine Bestimmung betreffend Abstände zu der Grenze des Bauplatzes oder zu anderen Bauten verstoßen, so steht dem hiedurch in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzten Nachbarn das Recht der Antragstellung auf behördliche Maßnahmen nach Abs 1 bis 4 zu. Dies gilt nicht, wenn die bauliche Anlage fünf oder mehr Jahre ab Vollendung der baulichen Maßnahme, bei Bauten ab Aufnahme der auch nur teilweisen Benützung besteht. Der Antrag hat solche Gründe zu enthalten, die einen Verstoß gegen Abstandsbestimmungen als wahrscheinlich erkennen lassen.
(7) Dem Abweichen vom Baukonsens ist das Abweichen von im Zeitpunkt des Bauansuchens geltenden baurechtlichen Vorschriften gleichzuhalten, soweit es nicht vom Baukonsens erfasst ist. Für derartige, geringfügige Abweichungen genügt die Angabe in der Bestätigung gemäß § 17 Abs 2 Z 1."
III.Erwägungen
1.Zur Zulässigkeit
Im Verfahren sind keine Prozesshindernisse hervorgekommen. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher – wie auch die Salzburger Landesregierung einräumt –zulässig.
2.In der Sache
Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:
2.1.Nach Auffassung der Salzburger Landesregierung bewirkte der Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn und Eigentümern von Hauptversorgungseinrichtungen iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG nach Ablauf von fünf Jahren ab Vollendung bzw Benützung der baulichen Anlage gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG keine Schlechterstellung dieser Personen im nachträglichen Baubewilligungsverfahren gegenüber dem "ordentlichen" Baubewilligungsverfahren. Die Einhaltung der baurechtlichen Bestimmungen sei von der Behörde in einem nachträglichen Baubewilligungsverfahren – unabhängig von der Parteistellung der Nachbarn – von Amts wegen zu wahren. Damit werde auch den Interessen der Nachbarn und Eigentümer angrenzender Hauptversorgungseinrichtungen Rechnung getragen. Die baurechtlichen Bestimmungen gewährleisteten einen von der Parteistellung unabhängigen "objektiven Nachbarschaftsschutz".
Weiter bringt die Salzburger Landesregierung zu den vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz geäußerten Bedenken – auf das Wesentliche zusammengefasst – vor, die in Prüfung gezogene Bestimmung sei aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Der Ausschluss der Parteistellung nach Ablauf von fünf Jahren nach Vollendung bzw Benützung der konsenslos oder konsenswidrig vorgenommenen Baumaßnahme bzw errichteten Anlage gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG verfolge die im öffentlichen Interesse gelegenen Ziele der Verwaltungsökonomie und der Sicherung des "nachbarlichen Rechtsfriedens". Der Schutz des nachbarlichen Rechtsfriedens sei umso gewichtiger, je länger die Vollendung des bewilligungslos oder konsenswidrig errichteten Baus zurückliege. Der Zeitraum von fünf Jahren ab Vollendung der Baumaßnahme gemäß § 7 Abs 10 erster Satz Sbg BauPolG stelle nach Rechtsauffassung der Salzburger Landesregierung eine adäquate Zeitspanne dar, wodurch die "im Gegenstand widerstreitenden Interessen" ausgeglichen würden.
2.2.Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes garantiert keine verfassungsrechtliche Bestimmung Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang (zB VfSlg 15.274/1998, 15.581/1999, 16.103/2001). Der Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn und Eigentümern iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG im Falle der nachträglichen Bewilligung konsenslos oder konsenswidrig vorgenommener Baumaßnahmen gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG bedarf aber im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes einer sachlichen Rechtfertigung (vgl insbesondere auch VfSlg 16.982/2003, 16.983/2003).
Für die Sachlichkeit des § 7 Abs 10 Sbg BauPolG sprechende Gründe liegen nicht vor:
2.2.1.Der Umstand, dass die Baubehörde in einem Verfahren über die Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung die Einhaltung der baurechtlichen Bestimmungen von Amts wegen in gleicher Weise zu wahren habe wie in einem "ordentlichen" Baubewilligungsverfahren, vermag den Ausschluss der Parteistellung gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG nicht zu rechtfertigen. Die behördliche Pflicht zur Berücksichtigung dem Bewilligungsansuchen entgegenstehender Interessen ändert nichts daran, dass § 7 Abs 10 Sbg BauPolG Nachbarn und Eigentümern von Hauptversorgungseinrichtungen die ihnen ansonsten in Bewilligungsverfahren gemäß § 7 Abs 1 Sbg BauPolG zukommende Stellung als Partei entzieht: Nachbarn und Eigentümern angrenzender Hauptversorgungseinrichtungen kommt in Verfahren betreffend die nachträgliche Bewilligung konsenslos oder konsenswidrig errichteter Anlagen nach Ablauf von fünf Jahren ab Vollendung bzw Benützung der Anlage kein Mitspracherecht als Partei (mehr) zu.
2.2.2.Die in den Materialien zu § 7 Abs 10 Sbg BauPolG angenommene Möglichkeit des Nachbarn oder Eigentümers von Hauptversorgungseinrichtungen iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG, zeitgerecht selbstständig einen Rechtsbehelf gegen konsenslos oder konsenswidrig vorgenommene Baumaßnahmen am benachbarten Grund "wahrzunehmen" (RV 56 BlgLT [Sbg.] 12. GP; siehe auch RV 69 BlgLT [Sbg.] 11. GP), besteht nach dem Sbg Baupolizeigesetz in dieser umfassenden Hinsicht nicht. § 16 Abs 6 Sbg BauPolG räumt Nachbarn iSd § 7 Abs 1 Z 1 Sbg BauPolG ausschließlich ein subjektives (Antrags-)Recht auf behördliche Maßnahmen im Falle eines Verstoßes gegen Abstandsbestimmungen ein. In allen anderen Fällen bescheidwidriger oder nicht bewilligter Ausführungen einer baulichen Maßnahme ist es Nachbarn und Eigentümern iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG nicht möglich, die Einhaltung ihrer subjektiven Nachbarrechte – beispielsweise betreffend bautechnische Bestimmungen gemäß § 7a Sbg BauPolG oder die Höhe der Bauten am benachbarten Grundstück gemäß § 25 Abs 1 Sbg BGG – selbstständig zu relevieren und zu verfolgen.
2.2.3.Die Möglichkeit von Nachbarn und Eigentümern von Hauptversorgungseinrichtungen iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG, ein baupolizeiliches Verfahren bei der Behörde anzuregen, reicht zur Begründung des Ausschlusses der Parteistellung in nachträglichen Baubewilligungsverfahren nach fünf Jahren ab Vollendung der konsenslosen oder konsenswidrigen Baumaßnahme nicht aus. Es handelt sich bei der Möglichkeit zur Anregung eines behördlichen Verfahrens um keinen Rechtsbehelf zur Wahrung der Interessen des Nachbarn oder Eigentümers angrenzender Hauptversorgungseinrichtungen (vgl idS bereits VfSlg 16.983/2003). Hinzu kommt, dass konsenslos oder konsenswidrig vorgenommene Baumaßnahmen – anders als Abstandsgrenzen – für den betroffenen Nachbarn oder Eigentümer angrenzender Hauptversorgungseinrichtungen nicht in jedem Fall erkennbar (oder überprüfbar) sind.
2.2.4.Das von der Salzburger Landesregierung sowie dem Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg ins Treffen geführte Ziel der Regelung des § 7 Abs 10 Sbg BauPolG, nachträgliche Baubewilligungsverfahren zu beschleunigen, vermag die Sachlichkeit der Regelung ebenso wenig zu begründen. Selbst wenn – wie die Salzburger Landesregierung sowie der Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg offenbar meinen – der Ausschluss der Parteistellung gemäß § 7 Abs 10 Sbg BauPolG tatsächlich eine Verfahrensbeschleunigung bewirken könnte, ist die Bestimmung (auch) im Lichte dieses Ziels unsachlich: Diesfalls würde § 7 Abs 10 Sbg BauPolG den Bauwerber gerade dazu "einladen", mit der Bewilligung des Bauvorhabens nach Errichtung zuzuwarten, um so nach fünf Jahren ab Vollendung der baulichen Maßnahme die Mitsprache von Nachbarn bzw Eigentümern von Hauptversorgungseinrichtungen im nachträglichen Bewilligungsverfahren zu umgehen.
Gleiches gilt für das von der Salzburger Landesregierung zudem genannte Ziel der Sicherung des "nachbarlichen Rechtsfriedens". Es ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie der in § 7 Abs 10 Sbg BauPolG vorgesehene Entfall der Parteistellung des Nachbarn und des Eigentümers iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG Nachbarschaftsstreitigkeiten vermeiden soll. Den von einer baulichen Maßnahme in seinen subjektiven Rechten Betroffenen von der Teilnahme am Bewilligungsverfahren auszuschließen, stellt kein taugliches Mittel zur Vermeidung von Nachbarschaftsstreitigkeiten dar.
2.2.5.Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Auffassung, es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, dass der Gesetzgeber Nachbarn von Personen, die sich rechtswidrig verhielten, indem sie konsenswidrig oder konsenslos Baumaßnahmen vornahmen, im Hinblick auf deren prozessuale Stellung in einem (nachträglichen) Bewilligungsverfahren schlechter stellt als Nachbarn von Personen, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung rechtmäßig vorab eine Bewilligung einholen (vgl betreffend die nachträgliche Bewilligung von Schwarzbauten VfSlg 14.681/1996, 14.763/1997, 15.441/1999, 16.901/2003, 17.211/2004, 17.402/2004).
Es liegen daher keine sachlichen Gründe vor, die es rechtfertigen, dass § 7 Abs 10 Sbg BauPolG Nachbarn und Eigentümer von Hauptversorgungseinrichtungen iSd § 7 Abs 1 Z 1 und Z 2 Sbg BauPolG von der Stellung als Partei in einem nachträglichen Baubewilligungsverfahren nach Ablauf von fünf Jahren ab Vollendung bzw Benützung der Anlage ausschließt.
2.3.Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen.
2.4.Zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die dargelegten Bedenken nicht bestehen, genügte die Aufhebung des § 7 Abs 10 erster Satz Sbg BauPolG. Der verbleibende (letzte) Satz des § 7 Abs 10 Sbg BauPolG wäre jedoch ein unverständlicher Torso, weshalb der gesamte § 7 Abs 10 Sbg BauPolG wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben ist.
IV.Ergebnis
1.§7 Abs 10 Sbg BauPolG, Sbg LGBl 40/1997 (Wiederverlautbarung), idF Sbg LGBl 96/2017 ist als verfassungswidrig aufzuheben.
2.Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
3.Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 litf Sbg Landes-VerlautbarungsG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2019:G380.2018 |
Schlagworte: | Baurecht, Parteistellung Baurecht, Nachbarrechte, Baubewilligung, Rechte subjektive öffentliche, VfGH / Prüfungsumfang |
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