VfGH vom 17.03.1988, g38/88
Sammlungsnummer
11667
Leitsatz
Präjudizialität von Normen, die die Behörde nach Aufhebung eines Bescheides wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm anzuwenden hätte; Qualifizierung selbständiger ehemaliger rechtsdeutscher Verordnung als Gesetz; Überprüfbarkeit der (verfassungskonformen) Einordnung abgabengesetzlicher Bestimmungen in das (wiedereingeführte) System des F-VG 1948 im Einzelfall anhand des Inhalts der Finanzverfassung
Zur bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens - Beteiligung der Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes; Abgabenerfindungsrecht der Länder - für den Bereich der Bundesabgaben taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen im § 6; keine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe Gesetz über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom , DRGBl. I, S 253 idF BGBl. 587/1983; Verordnung des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom , DRGBl. I, S 691; Gleichartigkeit von Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer verfassungswidrig
Spruch
Das Gesetz über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom , DRGBl. I, S. 253, in der Fassung des BG BGBl. 587/1983, sowie die V des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom , DRGBl. I, S. 691, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der VfGH hat am aus Anlaß von 25 bei ihm anhängigen Beschwerden beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom , DRGBl. I, S. 253, in der Fassung des BG BGBl. 587/1983, sowie der V des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom , DRGBl. I, S. 691, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Diesem Beschluß lag folgendes zugrunde:
Die Beschwerden in den 25 Anlaßfällen wurden gegen Bescheide von Finanzlandesdirektionen erhoben, mit welchen letztinstanzlich gemäß § 240 Abs 3 BAO gestellte Anträge auf Rückerstattung der Aufsichtsratsabgabe abgewiesen bzw. im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer die entrichtete Aufsichtsratsabgabe nicht auf die Einkommensteuer angerechnet wurde.
Die bf. Aufsichtsratsmitglieder behaupten in erster Linie, durch die Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt worden zu sein und beantragen die Aufhebung der angefochtenen 25 Bescheide.
Die jeweils belangten Finanzlandesdirektionen haben in weitgehend gleichlautenden - Gegenschriften die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide verteidigt.
2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in welcher sie den Antrag stellt, der VfGH wolle aussprechen, daß § 3 des Gesetzes vom nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist und das Gesetzesprüfungsverfahren im übrigen einstellen. Für den Fall, daß der VfGH die Auffassung der Bundesregierung zur Frage der Präjudizialität nicht teilt, stellt die Bundesregierung den Antrag, der VfGH wolle aussprechen, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind.
II. Die Rechtslage:
1.a) Das Gesetz vom lautet wie folgt:
"Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hierdurch verkündet wird:
§1
(1) Mitglieder des Aufsichtsrats (Verwaltungsrats) von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und sonstigen Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Personenvereinigungen des privaten und des öffentlichen Rechts, bei denen die Gesellschafter nicht als Unternehmer
(Mitunternehmer) anzusehen sind, unterliegen mit Vergütungen jeder Art, die ihnen von den genannten Unternehmungen für die Überwachung der Geschäftsführung nach dem gewährt werden (Aufsichtsratsvergütungen), einer Abgabe in Höhe von zehn vom Hundert (Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder).
(2) Die Abgabe wird nicht erhoben, wenn die Vergütung für das einzelne Aufsichtsratsmitglied den Jahresbetrag von hundert Reichsmark nicht übersteigt.
§2
Die Abgabe wird im Steuerabzugsverfahren erhoben. Die V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom (Reichsgesetzbl. I S. 155) findet Anwendung.
§3
Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder fließt ausschließlich dem Reich zu.
Berlin, .
Der Reichskanzler
Adolf Hitler
Der Reichsminister der Finanzen
Graf Schwerin von Krosigk".
b) Die V des Reichsministers der Finanzen vom hat folgenden Wortlaut:
"Zur Durchführung des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom (Reichsgesetzbl. I S. 253) in der Fassung der Vorschriften im § 3 und im § 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom (Reichsgesetzbl. I S. 283) und zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes vom (Reichsgesetzbl. I S. 297) wird auf Grund der §§12 und 13 der Reichsabgabenordnung hierdurch verordnet:
§1
(1) Inländische Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und sonstige Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Personenvereinigungen des privaten und des öffentlichen Rechts, bei denen die Gesellschafter nicht als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen sind, und ähnliche Unternehmen haben von Vergütungen jeder Art, die sie an die zur Überwachung der Geschäftsführung bestimmten Personen, insbesondere an Mitglieder des Aufsichtsrats, des Grubenvorstands, des Gewerkschaftsrats, des Verwaltungsrats (Aufsichtsratsmitglieder) gewähren (Aufsichtsratsvergütungen), einen Steuerabzug in Höhe der im § 3 bezeichneten Hundertsätze für Rechnung des Aufsichtsratsmitglieds vorzunehmen.
(2) Inländisch sind solche Unternehmen, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben.
(3) Ein Steuerabzug nach dieser V ist nicht vorzunehmen, wenn die Vergütung für das einzelne Aufsichtsratsmitglied den Jahresbetrag von einhundert Reichsmark nicht übersteigt.
§2
(1) Dem Steuerabzug unterliegt der volle Betrag der Aufsichtsratsvergütungen ohne jeden Abzug. Werden Reisekosten (Tagegelder und Fahrtauslagen) besonders gewährt, so gehören sie zu den Aufsichtsratsvergütungen nur insoweit, als sie die tatsächlichen Auslagen übersteigen.
(2) Die Aufsichtsratsvergütungen unterliegen dem Steuerabzug ohne Rücksicht darauf, ob das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, sie an eine andere Stelle abzuführen.
§3
(1) Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern wird durch den Steuerabzug nur die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder erhoben. Der Steuerabzug beträgt:
20 vom Hundert der Aufsichtsratsvergütung,
wenn der Empfänger die Steuer trägt,
25 vom Hundert des an das Aufsichtsratsmitglied
tatsächlich ausgezahlten Betrags, wenn das Unternehmen die Steuer übernimmt.
(2) Bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern wird durch den Steuerabzug neben der Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder auch Einkommensteuer erhoben.
Der Steuerabzug beträgt:
28 vom Hundert der Aufsichtsratsvergütung,
wenn der Empfänger die Steuern trägt,
38,88 vom Hundert des an das Aufsichtsratsmitglied
tatsächlich ausgezahlten Betrags, wenn das Unternehmen die Steuern übernimmt.
§4
Steuerschuldner ist beim Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen das Aufsichtsratsmitglied. Das Unternehmen haftet aber dem Reich für die Einbehaltung und Abführung der Steuern. Das Aufsichtsratsmitglied
(Steuerschuldner) wird nur in Anspruch genommen,
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1. | wenn das Unternehmen die Aufsichtsratsvergütung nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat, oder |
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2. | wenn das Aufsichtsratsmitglied weiß, daß das Unternehmen die einbehaltenen Steuern nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat (§5 Absatz 3), und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt. |
§5
(1) Das Unternehmen hat den Steuerabzug in dem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem die Aufsichtsratsvergütung dem Aufsichtsratsmitglied zufließt. Das Unternehmen hat den Steuerabzug auch dann vorzunehmen, wenn das Aufsichtsratsmitglied die Aufsichtsratsvergütung nicht einfordert.
(2) Das Unternehmen hat dem für seine Einkommensbesteuerung zuständigen Finanzamt innerhalb einer Woche nach dem Zeitpunkt, in dem die Aufsichtsratsvergütung dem Aufsichtsratsmitglied zugeflossen ist, eine Anmeldung nach dem beigefügten Muster zu übersenden. Die Anmeldung muß von einem zur Vertretung des Unternehmens Berechtigten unterschrieben sein. Vordrucke zu Anmeldungen werden den Unternehmen auf Antrag vom Finanzamt kostenlos geliefert.
(3) Das Unternehmen hat die einbehaltenen Steuern unter der Bezeichnung "Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen" innerhalb der im Absatz 2 bezeichneten Frist an das Finanzamt (Finanzkasse) abzuführen.
§6
(1) Das Unternehmen hat die Aufsichtsratsvergütungen besonders aufzuzeichnen. Aus den Aufzeichnungen müssen ersichtlich sein: Name und Wohnung des Aufsichtsratsmitglieds, Höhe der Aufsichtsratsvergütung, Tag, an dem die Vergütung dem Aufsichtsratsmitglied zugeflossen ist, Höhe der einbehaltenen Steuern und Zeitpunkt der Abführung der Steuern.
(2) Bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer und bei örtlichen Prüfungen (Betriebsprüfung, Lohnsteueraußenprüfung usw.), die bei den Unternehmen vorgenommen werden, ist auch zu prüfen, ob der Steuerabzug ordnungsmäßig vorgenommen ist und die einbehaltenen Steuern richtig und rechtzeitig abgeführt worden sind.
§7
(1) Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder ist bei unbeschränkt und bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern durch den Steuerabzug abgegolten.
(2) Die Einkommensteuer für die Aufsichtsratsvergütung ist bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern abgegolten, wenn die von dem einzelnen Unternehmen an das beschränkt steuerpflichtige Aufsichtsratsmitglied gezahlte Aufsichtsratsvergütung im Kalenderjahr den Betrag von 5 300 Reichsmark nicht erreicht. Andernfalls ist das Aufsichtsratsmitglied zur Einkommensteuer zu veranlagen.
§8
(1) Im Fall der Veranlagung des Aufsichtsratsmitglieds zur Einkommensteuer wird bei der Ermittlung der Einkünfte die um die einbehaltene Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder gekürzte Vergütung angesetzt. Das ist bei unbeschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern der tatsächlich ausgezahlte Betrag, bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern der tatsächlich ausgezahlte Betrag zuzüglich 11,11 vom Hundert.
(2) Bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern wird die durch Steuerabzug einbehaltene Einkommensteuer (§3 Absatz 2) auf die veranlagte Einkommensteuerschuld angerechnet. Die anzurechnende Einkommensteuer beträgt:
8 vom Hundert der Aufsichtsratsvergütung, wenn das
Aufsichtsratsmitglied die Steuer trägt,
11,11 vom Hundert des an das Aufsichtsratsmitglied
ausgezahlten Betrags, wenn das Unternehmen die Steuer übernommen hat.
(3) Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder wird weder bei unbeschränkt noch bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern auf die Einkommensteuerschuld angerechnet.
§9
(1) Diese V tritt im Altreichsgebiet an die Stelle der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom (Reichsgesetzbl. I S. 161). Sie gilt für die Aufsichtsratsvergütungen, die den Aufsichtsratsmitgliedern von Unternehmen, deren Geschäftsleitung oder Sitz sich im Altreichsgebiet befindet, nach dem zufließen.
(2) Die Inkraftsetzung dieser V für das Land Österreich und für die sudetendeutschen Gebiete bleibt vorbehalten.
Berlin,
Der Reichsminister der Finanzen
In Vertretung
Reinhardt".
2. Der Steuersatz wurde mit Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom , DRGBl. I, S. 283, von 10 auf 20 v. H. erhöht. In der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom wird in Erweiterung des Kreises der steuerpflichtigen Personen neben den inländischen Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften usw. auch "ähnlichen Unternehmen" vorgeschrieben, von Vergütungen jeder Art, die sie an die zur Überwachung der Geschäftsführung bestimmten Personen, insbesondere an Mitglieder des Aufsichtsrates, des Grubenvorstandes, des Gewerkschaftsrates, des Verwaltungsrates (Aufsichtsratsmitglieder) gewähren, einen Steuerabzug für Rechnung der Aufsichtsratsmitglieder vorzunehmen. Nach § 3 Abs 1 dieser V betrug der Steuerabzug 20 v. H. der Aufsichtsratsvergütung, wenn der Empfänger die Steuer trägt, 25 v. H. des an das Aufsichtsratsmitglied tatsächlich ausgezahlten Betrages, wenn das Unternehmen die Steuer übernimmt.
Im BG vom , BGBl. 109, wurde der Steuersatz für die Abgabe von 20 auf 30 v. H. erhöht. Die letzte Erhöhung des Steuersatzes auf nunmehr 45 v. H. erfolgte durch das BG vom , BGBl. 587.
III. Zu den Prozeßvoraussetzungen:
1. Der VfGH hat in seinem Beschluß auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens vom zu diesem Thema ausgeführt:
"Die genannten Gesetze und die V gingen durch das österreichische Rechts-Überleitungsgesetz, StGBl. 6/1945, und das sogenannte steuerliche Weitergeltungsgesetz, StGBl. 12/1945, in den österreichischen Rechtsbestand über. Der in einigen Beschwerden herangezogene ideologische Zusammenhang der gesetzlichen Regelung der Aufsichtsratsabgabe mit der schließlich im Aktiengesetz 1937 durchgeführten Verankerung des "Grundsatzes des Führertums, der im scharfen Gegensatz zu dem demokratischen Masse- und Mehrheitsprinzip steht" (Hinweis auf Schlegelberger-Quassowski, Aktiengesetz, 1937, 2. Auflage, § 70 Tz 1), würde - falls er bestünde - als solcher jedenfalls (noch) nicht bewirken, daß die Vorschriften über die Besteuerung von Aufsichtsratsvergütungen - weil im Sinne des § 1 Abs 1 Rechts-Überleitungsgesetz typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthaltend - nicht Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden hätten.
...
Der VwGH hat in seiner Judikatur zur Weitergeltung der nunmehr in Prüfung gezogenen Vorschriften aus dem Dritten Reich hinsichtlich der V vom darauf hingewiesen, daß die dem Reichsminister der Finanzen eingeräumte Verordnungsbefugnis weitaus umfangreicher gewesen sei, als sie einem österreichischen Bundesminister in Art 18 Abs 2 B-VG eingeräumt ist. Insbesondere hätte der Reichsminister der Finanzen gemäß § 12 Abs 1 AO. nicht bloß zur Durchführung, sondern auch zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Gesetze Rechtsverordnungen erlassen können (s. VwSlg. 2885 F/1963).
Der VfGH geht ebenfalls von dieser Prämisse aus und zieht daraus die - vorläufige - Schlußfolgerung, daß die genannte - gesetzesergänzende - V im Rang eines BG Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden hat (zur Qualifizierung selbständiger ehemaliger reichsdeutscher Verordnungen als Gesetz s. VfSlg. 5800/1968, S. 578 und die dort angeführte Vorjudikatur).
Der VfGH geht weiters vorläufig davon aus, daß er bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bescheide über die Rückerstattung der Aufsichtsratsabgabe und die nichtvorgenommene Anrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer die Vorschriften des Gesetzes vom in der nunmehr geltenden Fassung sowie jene der V vom anzuwenden haben wird, sodaß diese Vorschriften - schon auf Grund ihres weitgehend untrennbaren Zusammenhanges - insgesamt präjudiziell sein dürften."
2. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts vorgebracht worden und auch nichts hervorgekommen, was diese Annahmen des VfGH widerlegt hätte.
Ergänzend ist lediglich folgendes festzuhalten:
Zu der im Gesetzesprüfungsverfahren von einem Beteiligten vorgebrachten Auffassung, den Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe sei durch spätere (österreichische) finanzverfassungsgesetzliche Regelungen derogiert worden, genügt der Hinweis, daß - selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde - Invalidation, aber nicht Derogation vorläge.
Die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen ist - abgesehen von ihrem engen Zusammenhang hinsichtlich aller Anlaßfälle deshalb gegeben, weil auch in den die Nichtanrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer betreffenden Fällen nach Wegfall des Anrechnungsverbotes (§8 Abs 3 der V vom ) die übrigen Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe anzuwenden wären (vgl. hiezu die Ausführungen über die Präjudizialität von Normen, welche die Behörde nach Aufhebung eines Bescheides wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm anzuwenden hätte in VfSlg. 10617/1985, S. 362).
Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.
IV. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des VfGH:
Der Gerichtshof hat seine Bedenken im Beschluß vom wie folgt begründet:
"Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 (S. 99) ausgesprochen, daß § 6 F-VG die Form einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer von demselben Besteuerungsgegenstand erhobenen gemeinschaftlichen Bundesabgabe nicht vorsieht; eine solche Abgabenform scheint auch dann verfassungswidrig zu sein, wenn - anders als im Fall des Erkenntnisses VfSlg. 7995/1977 die Qualifikation als ausschließliche Bundesabgabe nicht (nur) in dem betreffenden Abgabengesetz, sondern (auch) im FAG enthalten ist. Da es sich bei der Aufsichtsratsabgabe um eine ausschließliche Bundesabgabe (§6 Z 1 FAG 1985) und bei der Einkommensteuer um eine gemeinschaftliche Bundesabgabe (§7 Abs 1 FAG 1985) handelt, ist also zu prüfen, ob diese beiden Abgaben gleichartig sind.
Vergütungen im Sinne des § 1 Abs 1 des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom sowie im Sinne des § 1 Abs 1 der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom sind zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 22 Abs 1 Z 2 EStG.
Der in den genannten Vorschriften vom und vom festgelegte Besteuerungsgegenstand (Aufsichtsratsvergütungen) ist somit ein Ausschnitt der Einkünfte iSd EStG. Besteuerungsgegenstand ist im einen Fall das Einkommen als Gesamtbetrag der Einkünfte, im anderen Fall ein Teil eben dieser Einkünfte. Der Steuergegenstand der Einkommensteuer ist somit ohne Zweifel weiter als der der Aufsichtsratsabgabe. Das ändert nichts daran, daß hinsichtlich des von der Aufsichtsratsabgabe erfaßten Steuergegenstandes Identität mit einem Ausschnitt des von der Einkommensteuer erfaßten Gegenstandes besteht. Auch der Kreis der Steuerpflichtigen ist in beiden Fällen identisch: Schuldner der Aufsichtsratsabgabe ist auch wenn diese Steuer von der Gesellschaft übernommen wird - das Mitglied des Aufsichtsrates selbst; eben dieses ist aber auch mit seinen Vergütungen aus der Aufsichtsratstätigkeit Schuldner der Einkommensteuer.
Bemessungsgrundlage der Aufsichtsratsabgabe ist der volle Betrag der Aufsichtsratsvergütungen ohne jeden Abzug, jedoch werden besonders gewährte Reisekosten nur insoweit zu den Aufsichtsratsvergütungen gezählt, als sie die tatsächlichen Auslagen übersteigen (§2 Abs 1 der V vom ). Der Einkommensbesteuerung werden hingegen die Einkünfte nach Abzug der Betriebsausgaben unterworfen. Dieser Unterschied scheint jedoch im vorliegenden Fall nicht entscheidend ins Gewicht zu fallen, wenn man berücksichtigt, daß - abgesehen von den Reisekosten - nennenswerte Betriebsausgaben mit der Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitgliedes regelmäßig nicht verbunden sein dürften und der Ersatz der tatsächlichen Reisekosten ohnehin nicht zur Bemessungsgrundlage der Aufsichtsratsabgabe zählt. Darüber hinaus ist eine Bruttobesteuerung dieser Art auch sonst dem Einkommensteuerrecht nicht fremd: Sowohl der Abzug von Kapitalertragsteuer als auch der besondere Steuerabzug von beschränkt Steuerpflichtigen wird vom vollen Betrag der Vergütungen vorgenommen, ohne daß dies etwas am Charakter dieser Abzüge als Einkommensbesteuerung ändern würde.
Die (denkbaren) Unterschiede in der Bemessungsgrundlage scheinen somit im vorliegenden Fall nicht gravierend ins Gewicht zu fallen. Sie werden insbesondere aufgewogen durch andere Umstände, die auf eine qualifizierte Gleichartigkeit beider Steuern hindeuten: Die Aufsichtsratsabgabe ist von Anfang an nicht als eigene Sachsteuer sondern zunächst als Zuschlag zur Einkommensteuer eingeführt worden (V des Reichspräsidenten vom zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen, DRGBl. I. S. 517). Hensel (Steuerrecht, 3. Aufl. Berlin 1933) führt dazu aus (S. 255): "Während der Krisenzeit hat das Reich die Einkommensteuer durch mehrere Zuschläge weiter ausgebaut, ... Es sind dies die Zuschläge zum Einkommen über 8.000 RM, zur Einkommensteuer der Ledigen, der Aufsichtsratsmitglieder, die Krisensteuer für Veranlagte und die Abgabe zur Arbeitslosenhilfe. Mit geringen Veränderungen knüpfen alle diese Abgaben unmittelbar an die durch das Einkommensteuergesetz festgelegten Merkmale an". In der Fußnote 2 zu diesen Ausführungen wird darauf hingewiesen, daß das Reich die Steuerzuschläge für Aufsichtsratsmitglieder mit der Hauptsteuer technisch vereinigt hat, daß der Gesetzgeber aber ausdrücklich davon Abstand genommen hat, die Hauptsteuer mit ihren Zuschlägen vollständig zu einer einzigen Steuer zu verschmelzen, weil er sich die Möglichkeit offen halten möchte, diese Zuschläge als eine typische Krisenerscheinung mit Besserung der Wirtschafts- und Finanzlage abzubauen.
Der Zuschlagscharakter der Aufsichtsratsabgabe kommt historisch auch deutlich durch den Umstand zum Ausdruck, daß die erstmalige Regelung des Steuerabzuges von Aufsichtsratsvergütungen in einer V (vom , RStBl. S. 265) getroffen wurde, die sich auf § 88a EStG 1925 stützte, auf eine Vorschrift somit, die den Reichsminister der Finanzen ermächtigte zu bestimmen, inwieweit bei anderen Einkünften (!) als bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und Kapitalerträgen die (Einkommen-)Steuer im Abzugsverfahren zu erheben ist. Nachträglich wurde die Anwendbarkeit dieser V durch das Gesetz über die Aufsichtsratsabgabe bestätigt (vgl. zu dieser Entwicklung Blümich - Falk, EStG 7. Aufl. Berlin/Frankfurt 1955 S. 1239).
Im "Kommentar zum EStG" von Mrozek - Peters, 4. Aufl. Köln, Stand Ende 1943, wird die Erhebung der Aufsichtsratsabgabe überhaupt als besondere (und zusätzliche) Erhebungsform der Einkommensteuer angesehen (§18 Anm.27).
Bezeichnenderweise erfolgte auch die schrittweise Beseitigung der Aufsichtsratsabgabe in der Bundesrepublik Deutschland zunächst durch eine Eingliederung in das EStG (vgl. Blümich - Falk, aaO S. 1240).
Die Aufsichtsratsabgabe scheint nach dem Gesagten historisch und systematisch ein Zuschlag zur Einkommensteuer zu sein.
Hinzuzufügen ist, daß Unterschieden in der Erhebungsform - wie der VfGH im Erkenntnis vom , B371/85, zum Ausdruck gebracht hat, in welchem er an Hand der in der Judikatur zu § 6 F-VG entwickelten Kriterien (s. VfSlg. 4398/1963) eine vergleichende Betrachtung der Zinsertragsteuer und der Einkommensteuer vorgenommen hat - lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt, zumal es der Gesetzgeber ansonsten in der Hand hätte, durch die Wahl einer anderen Einhebungsform die Gleichartigkeit einer Abgabe zu verhindern (vgl. in diesem Zusammenhang Werner Doralt, "Zinsertragsteuer verfassungswidrig?", RdW 1984/2, S. 57 und Lechner, "Nach ZEST-Erkenntnis: Auch Aufsichtsratsabgabe besondere Erhebungsform der Einkommensteuer?", ÖStZ 1986 S. 108).
Es scheint also die - für die Beurteilung der Gleichartigkeit von Abgaben maßgebliche (s. VfSlg. 4398/1963, S. 185 und 5995/1969, S. 438) - Rechtslage mit jener im Verhältnis zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer identisch zu sein, welche den VfGH im Erkenntnis vom , B371/85, zur Schlußfolgerung geführt hat, daß die Zinsertragsteuer in Wahrheit nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt. Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, daß die für die Zinsertragsteuer maßgeblichen Argumente auf die Aufsichtsratsabgabe ebenfalls zutreffen (s. Ruppe, "Entwicklungen und Tendenzen im Österr. Steuerrecht" in: Steuerberater-Jahrbuch 1983/84 S. 55, Pokorny, "Durchbrechung des Grundsatzes der Einmalbesteuerung (Zinsertragsteuer, Aufsichtsratsabgabe, Gewerbesteuer)", ÖStZ 1986 S. 304, sowie Lechner, a.a.O. S. 107).
Jedenfalls scheinen keine Abweichungen zwischen Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer vorzuliegen, welche das von der Judikatur geforderte Gesamtbild der wesentlichen Gleichartigkeit (s. VfSlg. 4398/1963, S. 186) beeinträchtigen würden.
Daraus dürfte sich ergeben, daß die Aufsichtsratsabgabe im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zu § 6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, 7995/1977) dieser Verfassungsbestimmung widerspricht.
An diesen Bedenken scheint der Einwand nichts ändern zu können, das F-VG 1948 und das FAG 1948 seien vom Nationalrat am selben Tag () beschlossen worden, im FAG 1948 sei die Aufsichtsratsabgabe ausdrücklich als ausschließliche Bundesabgabe (§2 Z 1) und die Einkommensteuer ausdrücklich als gemeinschaftliche Bundesabgabe (§3) angeführt, was den Schluß zulasse, daß damit die beiden Abgabenformen verfassungskonform seien (Hinweis auf die Versteinerungstheorie).
Hiezu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß dann, wenn der Verfassungsgesetzgeber und der einfache Gesetzgeber gleichzeitig Regelungen erlassen, der Verfassungsgesetzgeber nicht an eine bereits bestehende Rechtslage anknüpft. Weiters darf hiebei nicht außer Betracht gelassen werden, daß der Verfassungsgesetzgeber und der einfache Gesetzgeber nicht identisch sind; so könnte der einfache Gesetzgeber - auch am selben Tag - eine Regelung beschließen, welche nicht die Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers gefunden hätte. Es scheint daher nicht ohne weiteres zulässig zu sein (sofern aus den Materialien oder aus anderen Umständen nicht das Gegenteil hervorgeht), einfachgesetzliche Bestimmungen mit der Begründung gleichsam verfassungsrechtlich unangreifbar zu machen, der Verfassungsgesetzgeber sei anläßlich einer gleichzeitig erfolgten Beschlußfassung bereits von dieser (einfachgesetzlichen) Rechtslage ausgegangen.
Der VfGH verweist im gegebenen Zusammenhang auf sein hier zwar nicht unmittelbar vergleichbares, aber doch einen ähnlichen Gedankengang enthaltendes - Erkenntnis VfSlg. 8027/1977 betreffend den Inhalt der Verfassungsbestimmung im Zivildienstgesetz gegenüber der einfachgesetzlichen Ausgestaltung im selben Gesetz (S. 224)."
V. Die Äußerung der Bundesregierung:
"1. In seinem auf Art 140 B-VG gestützten Beschluß zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Betreff genannten Gesetze kommt der VfGH zum Schluß, daß 'keine Abweichungen zwischen Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer vorzuliegen (scheinen), welche das von der Judikatur geforderte Gesamtbild der wesentlichen Gleichartigkeit (s. VfSlg. 4398/1963, S. 186) beeinträchtigen würden. Daraus dürfte sich ergeben, daß die Aufsichtsratsabgabe im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zu § 6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, 7995/1977) dieser Verfassungsbestimmung widerspricht.'
Der VfGH geht nämlich im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 7995/1977 davon aus, daß § 6 F-VG 1948 eine taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen vorsieht und das Verbot an den einfachen Gesetzgeber enthält, Abgabenformen vorzusehen, die in dieser Aufzählung nicht enthalten sind. Daraus ergibt sich nach Ansicht des VfGH die Unzulässigkeit der Erhebung sowohl einer ausschließlichen (Aufsichtsratsabgabe) als auch einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe (Einkommensteuer) von demselben Besteuerungsgegenstand.
2. Im Hinblick darauf, daß die Bedenken des VfGH im wesentlichen auf die Normierung einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer von demselben Besteuerungsgegenstand erhobenen gemeinschaftlichen Bundesabgabe bezogen sind, weist die Bundesregierung darauf hin, daß nach ihrer Einschätzung der Sitz der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit - im Kontext der in Prüfung gezogenen Bestimmungen - ausschließlich in § 3 des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder, dRGBl. 1934 I S 253, ('Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder fließt ausschließlich dem Reich zu.') zu suchen wäre.
3.a) Nach Ansicht der Bundesregierung ist § 6 F-VG 1948 aber auch anders deutbar. Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 dieses Verbot daraus abgeleitet, daß die Aufzählung der Abgabenformen in § 6 F-VG 1948 taxativ sei. Dieser Schluß scheint allerdings nicht zwingend: Aus der Nichterwähnung des Besteuerungsgegenstandes im § 6 Z 1 und Z 2 lita F-VG 1948 könnte nämlich ebenso abgeleitet werden, daß der Finanz-Verfassungsgesetzgeber zur Erhebung einer gemeinschaftlichen und einer ausschließlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand keine Aussage treffen wollte und dies damit zulässig sei.
b) Es scheint auch die These nicht zutreffend zu sein, daß die Anordnung einer ausschließlichen Bundesabgabe und einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand gegen die taxative Aufzählung der Abgabenformen in § 6 F-VG 1948 verstößt. Ein derartiger Verstoß würde nämlich nur dann vorliegen, wenn ein und dieselbe Abgabe sowohl zur gemeinschaftlichen als auch zur ausschließlichen Bundesabgabe erklärt würde. In diesem Fall ließe sich diese (neue) Abgabenform tatsächlich nicht mehr eindeutig in den Abgabenformenkatalog des § 6 F-VG 1948 einordnen. Wenn aber der Bundesgesetzgeber etwa eine Kraftfahrzeugsteuer (vgl. VfSlg. 7995/1977) vorsieht und sie zur gemeinschaftlichen Bundesabgabe erklärt und daneben von demselben Besteuerungsgegenstand eine Bundeskraftfahrzeugsteuer erhebt und diese zu einer ausschließlichen Bundesabgabe erklärt, wird nicht gegen die taxative Aufzählung der verschiedenen Abgabenformen verstoßen, da die Kraftfahrzeugsteuer eindeutig und ausschließlich unter die Kategorie 'gemeinschaftliche Bundesabgabe', die Bundeskraftfahrzeugsteuer hingegen unter die Kategorie 'ausschließliche Bundesabgabe' subsumierbar ist. Dasselbe gilt aber auch für die im gegenständlichen Verfahren relevante Einkommensteuer auf Aufsichtsratsvergütungen gemäß § 22 Abs 1 Z 2 EStG 1972, die gemäß § 7 Abs 1 FAG 1985 eine 'gemeinschaftliche Bundesabgabe' ist, und die Aufsichtsratsabgabe gemäß dem im Gegenstand genannten BG, die gemäß § 6 Z 1 FAG 1985 eine 'ausschließliche Bundesabgabe' ist.
c) Sinn des § 6 F-VG 1948 ist - dies wird auch im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 betont - die Regelung des Wirkungsbereiches des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Abgabenwesens, indem insbesondere die gegenseitigen Befugnisse dieser Gebietskörperschaften voneinander abgegrenzt werden. Maßgebendes Kriterium für die Einteilung der Abgabenformen ist die Ertragshoheit. An dieses Kriterium anknüpfend sollen die Kompetenzen (vgl. 510 BlgNR V.GP, S. 10: '... ein Finanz-Verfassungsgesetz, das im wesentlichen dazu bestimmt ist, die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Finanzwesens abzugrenzen, ...') verteilt werden. Nach dem herkommlichen Verständnis der österreichischen Kompetenzverteilung ist es aber nicht denkbar, daß zur Regelung einer bestimmten Abgabenform keine der Gebietskörperschaften zuständig sei. Alle Gesetzgebungszuständigkeiten sind nämlich lückenlos entweder auf den Bund oder auf die Länder aufgeteilt. Hieraus folgt, daß es eine Zuständigkeit zur Regelung einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe geben muß, wobei es keiner weiteren Begründung bedarf (vgl. § 7 Abs 1 F-VG 1948), daß diese Zuständigkeit nicht bei den Ländern liegen kann. Es ist jedenfalls offensichtlich kein Anliegen des § 6 F-VG 1948 generelle Aussagen über die Art des Besteuerungsgegenstandes zu machen und etwa die Normierung einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand zu verbieten.
Bestünde eine solche Verbotsvorschrift, so hätte sie jedenfalls keinen unmittelbar einleuchtenden Sinn. Es ist nämlich weder eine rechtspolitische noch eine wirtschafts- oder finanzpolitische Rechtfertigung dafür zu finden, daß der Bund und die Länder eine gleichartige Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand erheben dürfen (vgl. § 6 Z 2 litc F-VG 1948; ähnliches gilt gemäß § 6 Z 4 litc F-VG 1948 im Verhältnis zwischen Ländern und Gemeinden), der Bund selbst aber keine Abgaben von demselben Besteuerungsgegenstand vorsehen darf.
d) Die Bundesregierung sieht sich veranlaßt, auch die Annahme, bei § 6 F-VG 1948 handle es sich um eine taxative Aufzählung der Abgabenformen in dem Sinne, daß es keine Überschneidungen zwischen den genannten Abgabentypen geben dürfe, in Frage zu stellen. Die 'Stammabgabe des Bundes' gemäß § 6 Z 2 litb F-VG 1948 ist nämlich immer auch eine ausschließliche Bundesabgabe oder eine gemeinschaftliche Bundesabgabe. Dies läßt sich aus § 8 Abs 3 F-VG 1948 ('Neben Bundesabgaben dürfen Zuschläge ...) in Verbindung mit der in § 7 Abs 1 enthaltenen Definition '... Bundesabgaben, das sind die ausschließlichen Bundesabgaben, die gemeinschaftlichen Bundesabgaben, ...' ableiten. So gesehen spricht aber § 6 F-VG 1948 nicht dagegen, daß der Bund eine ausschließliche und eine gemeinschaftliche Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand erhebt. Jedenfalls ergibt sich aus den zitierten Bestimmungen deutlich, daß es im System des § 6 F-VG 1948 sehr wohl zu Überschneidungen von Abgabenformen kommt.
4. Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich nach Ansicht der Bundesregierung, daß der Wortlaut des § 6 F-VG 1948 keine Aussage über die Unzulässigkeit der Erhebung einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe und einer ausschließlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand enthält.
Es muß daher auch untersucht werden, zu welchem Ergebnis die in Pkt. 3 des dg. Unterbrechungsbeschlusses angestellten Überlegungen führen. Für eine Auslegung des § 6 F-VG 1948 mit Hilfe des gleichzeitig erlassenen FAG 1948 sprechen jedenfalls folgende Gründe:
a) Im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 erachtet es der VfGH für zulässig, daß die in Frage stehenden Worte, die auch im § 6 Abs 2 F-VG 1922 enthalten waren, im Sinne des gleichzeitig mit dem F-VG 1922 erlassenen Abgabenteilungsgesetzes ausgelegt werden.
Tragende Überlegung des VfGH in diesem Erkenntnis ist:
'Da zu dieser Zeit der Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG als
Kompetenzgrundlage noch nicht wirksam war, also auch in
den Angelegenheiten der gemeinschaftlichen
Bundesabgaben
keine Kompetenzgrundlage für die Gesetzgebung des
Bundes
abgeben konnte, muß angenommen werden, daß der
Nationalrat die Regelungen des Abgabenteilungsgesetzes
als von den Kompetenzbestimmungen des
Finanz-Verfassungsgesetzes umfaßt erachtete. Es kann
nicht angenommen werden, daß der Nationalrat eine
einfachgesetzliche Regelung ohne Bedachtnahme auf die
am
selben Tag beschlossene Kompetenzregelung erlassen hat
(vgl. VfSlg. 5978/1969, S. 368). Demnach kann die im
Abgabenteilungsgesetz (§2) getroffene Regelung der
Aufteilung der Erträgnisse gemeinschaftlicher Abgaben
auf die einzelnen Gemeinden nach dem (später so
genannten) abgestuften Bevölkerungsschlüssel ihre
Kompetenzgrundlage nur im Zusammenhang der Bestimmungen
des § 6 Abs 1 und des § 6 Abs 2 litb des
Finanz-Verfassungsgesetzes (1922) gehabt haben. ... Hat
aber die im Abgabenteilungsgesetz getroffene Regelung
des abgestuften Bevölkerungsschlüssels - ... -
kompetenzrechtlich ihre Grundlage im
Finanz-Verfassungsgesetz (1922) gehabt, so trifft dies
auch für die Regelung dieses Schlüssels im FAG 1973 in
bezug auf das F-VG 1948 zu, ohne daß auf Art 10 Abs 1
Z 4 B-VG zurückgegriffen werden müßte.'
b) Auch in der Literatur wird bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Zulässigkeit einer solchen Kompetenzinterpretation angenommen: So vertritt KORINEK, Das Stadterneuerungsgesetz, in : KORINEK-FROTZ-WIMMER, Rechtsfragen der Stadterneuerung (1974) 18 f, im Zusammenhang mit der Auslegung des 1974 eingeführten Kompetenztatbestandes 'Assanierung' in Art 11 Abs 1 Z 4 (heute: Z 5) B-VG die Auffassung, daß der 1974 neu in die Verfassung eingeführte Kompetenztatbestand 'Assanierung' nach dem Inhalt des gleichzeitig beschlossenen Stadterneuerungsgesetzes auszulegen sei.
c) SCHWARZER, Der Einsatz des kommunalen
Finanzausgleichs als Instrument der regionalen Wirtschaftspolitik aus wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sicht (I), ÖZW 1982, 114f, übt zwar Kritik an der Methode des VfGH im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981, hält sie aber grundsätzlich für vertretbar:
'Ein enger legistischer Zusammenhang zwischen Kompetenz- und Ausführungsvorschrift, die parlamentarische Behandlung beider Gesetze als 'Paket' und ein parlamentarischer Konsens bezüglich des einfachen Gesetzes, der zur Erlassung im Verfassungsrang ausreicht, wären Anhaltspunkte für die Vermutung, daß ein vom Verfassungsgesetzgeber verwendeter Begriff mit dem in den einfachgesetzlichen Vorschriften näher konkretisierten korrespondierenden Begriff deckungsgleich ist.'
Alle diese Voraussetzungen treffen aber im vorliegenden Fall zu:
Zunächst geht es auch hier - wie im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 - um die Auslegung des F-VG 1948. Die Finanz-Verfassungsgesetze stehen seit 1922 in der Ausgestaltung der Kompetenzregelung ohne Zweifel immer in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen konkreten Durchführungsgesetz. So findet sich in den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum F-VG 1948 (510 BlgNR V. GP, S 10) folgende Aussage:
'Entsprechend dem früheren österreichischen System soll der Finanzausgleich wieder durch zwei Gesetze geregelt werden - ein Finanz-Verfassungsgesetz, das im wesentlichen dazu bestimmt ist, die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Finanzwesens abzugrenzen, und ein einfaches BG, das gewissermaßen als Ausführungsgesetz zum Finanz-Verfassungsgesetz die tatsächliche Ausgestaltung der finanziellen Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den übrigen Gebietskörperschaften zu enthalten hätte.'
Sowohl im Jahr 1948 als auch im Jahr 1922 brachte das F-VG eine völlige Neueinführung finanzverfassungsrechtlicher Regelungen. In diesem Sinne ist etwa in der genannten Regierungsvorlage (S 9) folgendes zu lesen:
'Die Wiederherstellung der Einheit des Staates und der Umstand, daß dermalen doch schon ein gewisser Überblick über den Finanzbedarf aller Gebietskörperschaften und die Möglichkeiten seiner Bedeckung gegeben ist, lassen es gerechtfertigt erscheinen, für die Zeit ab 1948 den Versuch einer grundsätzlichen Neuregelung zu machen.'
Es ist also zum einen zu bejahen, daß zwischen dem F-VG 1948 und dem FAG 1948 ein enger legistischer Zusammenhang bestanden hat, zum anderen, daß es sich bei dem F-VG 1948 um eine Neueinführung finanzverfassungsrechtlicher Regelungen gehandelt hat. Zudem erfolgte die parlamentarische Behandlung beider Gesetze gemeinsam. Die Regierungsvorlagen wurden zugleich dem Nationalrat vorgelegt, die Entwürfe wurden vom Finanz- und Budgetausschuß gemeinsam beraten und ein gemeinsamer Bericht erstellt (531 BlgNR V.GP). Der Nationalrat beriet die beiden Gesetze gemeinsam (vgl. 74. Sitzung des NR, V.GP, StPNR, S 2120ff) und beschloß sie (mit dem zur Erlassung eines Verfassungsgesetzes notwendigen Konsens) in unmittelbar aufeinanderfolgenden Beschlüssen.
d) Das FAG 1948 hat aber in zwei Fällen eine ausschließliche und eine gemeinschaftliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand vorgesehen, die jeweils in gleichartiger Weise erhoben werden sollten. Es waren dies die Körperschaftsteuer als ausschließliche Bundesabgabe gemäß § 2 Abs 1 FAG 1948 und die Kapitalertragsteuer als gemeinschaftliche Bundesabgabe gemäß § 3 Abs 1 FAG 1948 sowie die Aufsichtsratsabgabe als ausschließliche Bundesabgabe und die veranlagte Einkommensteuer in bezug auf Aufsichtsratsvergütungen als gemeinschaftliche Bundesabgabe. Eine Deutung des § 6 F-VG 1948 im Hinblick auf diese einfachgesetzliche Rechtslage ergibt ohne Zweifel, daß die Erhebung einer gemeinschaftlichen und einer ausschließlichen Bundesabgabe finanzverfassungsrechtlich zulässig ist.
5. Dieses Ergebnis wird noch durch folgende Überlegungen gestützt:
a) Aus den Materialien zum F-VG 1948 ergibt sich, daß die Regelung des Finanzausgleiches aus den Jahren 1922 bis 1938 wieder eingeführt werden sollte (510 BlgNR V. GP, S 10: 'Diese Regelung soll im wesentlichen auf die Regelung des Finanzausgleichs zurückgreifen, die sich in Österreich in der Zeit von 1922 - 1938 bewährt hat und die der wiederhergestellten föderalistischen Organisationsform des Staates angepaßt ist.'). Auch der VfGH hat im bereits zitierten Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 bei der Auslegung des F-VG 1948 auf die gleichlautenden Regelungen des F-VG 1922 mit der Begründung zurückgegriffen, daß zur Ermittlung des Inhaltes der maßgeblichen Kompetenzbestimmungen zu untersuchen sei, welche rechtliche Prägung diese im Zeitpunkt ihrer Einführung in die Verfassungsordnung hatten. Das heißt aber, daß es für die Interpretation der hier einschlägigen Bestimmung des F-VG 1948 von großer Bedeutung ist, ob auf dem Boden des F-VG 1922 neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand auch eine auschließliche Bundesabgabe erhoben werden konnte.
b) Das F-VG 1922 enthält keine ausdrückliche Regelung über die Zulässigkeit (oder Unzulässigkeit) der Erhebung einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe und einer ausschließlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand. § 2 F-VG 1922 schließt es ausdrücklich aus, daß neben ausschließlichen Bundesabgaben gleichartige Abgaben und Zuschläge der Länder und Gemeinden erhoben werden. Das Verhältnis von ausschließlichen Bundesabgaben zu den im § 3 lita F-VG 1922 geregelten gemeinschaftlichen Bundesabgaben wird dagegen in § 2 F-VG 1922 nicht geregelt. Dies läßt den Schluß zu, daß die Erhebung einer ausschließlichen und einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand zulässig war. Andernfalls hätte nämlich der Verfassungsgesetzgeber 1922 auch dies ausdrücklich ausgeschlossen.
c) Auch bei der Auslegung des F-VG 1922 scheint eine Auslegung im Zusammenhalt mit dem gleichzeitig erlassenen Abgabenteilungsgesetz (BGBl. Nr. 125/1922) aus folgenden Gründen zulässig:
Bei den in den §§1 bis 4 F-VG 1922 enthaltenen Kompetenzbestimmungen handelte es sich um völlig neues Recht. Der Finanzverfassungsgesetzgeber stand 1922 - ebenso wie 1948 - vor der Tatsache, daß eine einfachgesetzliche Regelung, an die er hätte 'anknüpfen' können, nicht vorhanden war. Eine umfassend gesetzlich geregelte Abgabenteilung hat es vor dem F-VG 1922 (ebenso wie vor dem F-VG 1948) nicht gegeben. Begriffe, wie 'gemeinschaftliche Bundesabgabe' und 'gleichartige Abgaben', waren in der Rechtsordnung vor dem F-VG 1922 nicht enthalten, so daß sie nur anhand des gleichzeitig behandelten Abgabenteilungsgesetzes interpretierbar sind. Dabei treffen die von SCHWARZER für eine Verfassungsauslegung mit Hilfe von einfachgesetzlichen Regelungen geforderten Voraussetzungen für das Verhältnis von F-VG 1922 und Abgabenteilungsgesetz zu:
a.a. Beide Gesetzesentwürfe
wurden gleichzeitig
erarbeitet und den
Vorberatungen,
insbesondere mit Länder-
und Gemeindevertretern,
unterzogen (vgl. 487
BlgNR I. GP, S 15 und 488
BlgNR I. GP, S 13).
b.b. Die Entwürfe zum F-VG
1922
und zum
Abgabenteilungsgesetz
wurden im Finanz- und
Budgetausschuß gemeinsam
beraten (vgl. 780 BlgNR
I. GP) und im Nationalrat
in der 93. Sitzung (stPNR
I. GP, S 3181 bis 3203)
und in der 94. Sitzung
(stPNR I. GP, S 3209 f)
gemeinsam behandelt und
beschlossen.
c.c. Beide Gesetze fanden die
Zustimmung aller drei im
Nationalrat vertretenen
Parteien.
Auch das Abgabenteilungsgesetz aus dem Jahr 1922 sah eine ausschließliche Bundesabgabe und eine gemeinschaftliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand vor, nämlich die 'im Abzugswege erhobene Rentensteuer', die gemäß § 1 des Abgabenteilungsgesetzes zur ausschließlichen Bundesabgabe erklärt war, und die 'Einkommensteuer', die gemäß § 2 des Abgabenteilungsgesetzes als gemeinschaftliche Bundesabgabe vorgesehen war.
Die 'im Abzugswege erhobene Rentensteuer' ergab sich aus den §§124 bis 126 des Personalsteuergesetzes, BGBl. Nr. 275/1921, die 'Einkommensteuer' war in den §§153 ff des Personalsteuergesetzes geregelt. Gemäß § 169 Z 1 leg.cit. zählten zum - auch der Einkommensteuer unterliegenden - Kapitalvermögen ua. 'alle der Rentensteuer unterworfenen Bezüge (§§124 bis 126)". Neben demselben Besteuerungsgegenstand war auch die Erhebung (im Sinne der Erkenntnisse VfSlg. 3024/1956, 5357/1966) dieser beiden Abgaben gleichartig, da sowohl die 'Rentensteuer' (§131 des Personalsteuergesetzes) als auch die 'Einkommensteuer' (§172 des Personalsteuergesetzes) nach Anteilen am erzielten Einkommen bemessen wurden. In beiden Fällen erhob der Bund die Abgabe. Daraus folgt aber, daß auch das F-VG 1922 eine ausschließliche Bundesabgabe und eine gemeinschaftliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand zugelassen hat.
Dies wird auch durch die folgende Überlegung in den Materialien bekräftigt:
Die §§1 bis 4 des F-VG 1922 sollten vor allem das ungeordnete Zugreifen verschiedener Steuerautoritäten (also Bund, Länder und Gemeinden) auf dieselben Steuerquellen und -objekte (etwa im Wege des in den Erläuterungen und in den Stenographischen Protokollen der Debatten im Nationalrat erwähnten 'Umlagesystems') verhindern. Dieses Regelungsziel sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (487 BlgNR I. GP, S 11) jedoch nicht durch einen Katalog von ausschließlichen Abgaben erreicht werden. Vielmehr sollte ein geordnetes Nebeneinander von Abgabenformen (hinsichtlich derselben Besteuerungsgegenstände) der verschiedenen Gebietskörperschaften zulässig sein, wobei im wesentlichen der einfachen Bundesgesetzgebung die Steuerung des Tätigwerdens der verschiednen normsetzenden Autoritäten obliegen sollte. Das F-VG 1922 wählte daher einen Mittelweg, 'wie er durch den gegenwärtigen Zustand unseres Abgabenwesens, ...vorgeschrieben ist (487 BlgNR I. GP S 11). Was der damalige Verfassungsgesetzgeber unter dem 'gegenwärtigen Zustand unseres Abgabenwesens' gemeint hat, wird durch folgende Passage in den Erläuterungen deutlicher:
'Das Durchführungsgesetz soll die konkrete Regelung enthalten, wie sie sich unter den gegenwärtigen Umständen angepaßt der gegenwärtigen Abgabengesetzgebung und der gegenwärtigen Verteilung des Ausgabenwesens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden als erforderlich erweist.' (487 BlgNR I. GP, S 10)
Dieses Durchführungsgesetz hat - wie bereits erwähnt eine gemeinschaftliche Bundesabgabe und eine ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand vorgesehen. Diese Bezugnahme des Finanz-Verfassungsgesetzgebers 1922 auf den 'gegenwärtigen Zustand' ist durchaus in die Richtung deutbar, daß der Finanz-Verfassungsgesetzgeber offenbar auch das schon vor dem Inkrafttreten des F-VG 1922 bestehende Nebeneinander einer ausschließlichen Bundesabgabe und einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand, die in bezug auf die Einkommen- und Abzugsrentensteuer bestanden hat (vgl. BG über einige Bestimmungen zur vorläufigen Ordnung des finanziellen Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, BGBl. Nr. 646/1921, in Verbindung mit der V betreffend das Ausmaß der im § 1 des Gesetzes vom , BGBl. Nr. 646, geregelten Vorschüsse auf die Abgabenertragsanteile der Länder und Gemeinden, BGBl. Nr. 715/1921; zum Charakter der Abzugsrentensteuer als ausschließliche Bundesabgabe: vgl. PFAUNDLER, Der Finanzausgleich in Österreich, 1927, 148 f), akzeptiert hat."
VI. Der VfGH hat in der Sache erwogen:
1. Die Bundesregierung greift in ihrer Äußerung und mit ihrem Vorbringen in der Verhandlung vor dem VfGH das Ergebnis des Erkenntnisses VfSlg. 7995/1977 an, wonach § 6 F-VG eine taxative Aufzählung sämtlicher zulässiger Abgabenformen enthält, was bewirkt, daß der Bund neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe keine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand vorsehen darf. Der VfGH sieht aber keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
Im ersten Schritt ihrer Argumentation bringt die Bundesregierung vor, für sich betrachtet entspräche sowohl die betreffende ausschließliche als auch die gemeinschaftliche Bundesabgabe jeweils einer Abgabenform des § 6 F-VG. Diesem (bereits seinerzeit von der Bundesregierung geäußerten) Argument ist der VfGH schon im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 nicht gefolgt. Es liegt im Wesen der gleichartigen Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand (§6 Z 2 litc, Z 4 litc F-VG), daß jede der beiden einander gleichartigen Abgaben für sich betrachtet einer der anderen Abgabenformen entspricht. Aus der Tatsache, daß die Finanzverfassung die Kombination gleichartiger Abgaben nur im Verhältnis Bund - Länder (Gemeinden) bzw. Länder Gemeinden vorsieht, läßt sich schließen, daß der Verfassungsgesetzgeber andere Kombinationen nicht zulassen wollte.
Die Bundesregierung meint nun aber, § 6 F-VG habe lediglich die Aufgabe, die Befugnisse von Bund und Ländern gegeneinander abzugrenzen, nicht aber Schranken für den Bund innerhalb seines Bereiches vorzusehen. Es sei also denkbar, daß § 6 F-VG zwar die Kombination von gleichartigen Bundes- und Landes(Gemeinde)abgaben (abschließend) regle, nicht aber die von mehreren Bundesabgaben.
Dem ist folgendes entgegenzuhalten:
Der VfGH hat in seiner bisherigen Judikatur wiederholt entschieden, daß die im FAG aufgezählten ausschließlichen Landes(Gemeinde)abgaben auch im Fall ihrer Gleichartigkeit mit Bundesabgaben verfassungsrechtlich unbedenklich sind, weil durch die Anführung ausschließlicher Landes(Gemeinde)abgaben im FAG den Ländern die nach § 8 Abs 3 F-VG erforderliche Ermächtigung zur Erhebung dieser Abgaben erteilt wurde (zuletzt VfSlg. 9804/1983 zum Tiroler Getränkesteuergesetz). Die Zulässigkeit einer solchen Überschneidung im Abgabengegenstand ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Der VfGH hat in ständiger Judikatur die Auffassung vertreten, daß den Ländern finanzverfassungsrechtlich die Befugnis eingeräumt ist, in den Schranken des F-VG neue Steuern zu erheben (Abgabenerfindungsrecht; vgl. VfSlg. 3742/1960; 5859/1968; 9804/1983). Eine wesentliche Grenze dieses Abgabenerfindungsrechtes liegt dort, wo die neue Abgabe einer bestehenden Bundesabgabe gleichartig ist. In diesem Fall bedarf die Steuererhebung einer bundesgesetzlichen Ermächtigung, wie sich aus § 8 Abs 3 F-VG ergibt.
Wenn nun aber die Finanzverfassung den Ländern ermöglicht, mit Einverständnis des Bundesgesetzgebers weitere gleichartige Abgaben einzuführen (und überdies nicht gleichartige Abgaben zu erfinden, vgl. auch hiezu das Erk. VfSlg. 9804/1983), dann ist daraus noch nicht der Schluß zu ziehen, daß auch der Bund - über die ihm in der Finanzverfassung ohnehin eingeräumten weitgehenden Möglichkeiten hinaus - gleichartige Bundesabgaben kombinieren kann.
Der Bund hat es zwar angesichts der ihm im § 7 Abs 1 und 2 F-VG eingeräumten Befugnisse in der Hand, das von ihm gewünschte Ergebnis auf andere Weise herbeizuführen, indem er etwa die betreffende ausschließliche Bundesabgabe in die gemeinschaftliche Bundesabgabe einbezieht und den Anteil, den er sich daraus zuwendet, erhöht. Dies kann der Bund in verfassungskonformer Weise nur tun, wenn er im Sinne der das Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 tragenden Überlegungen gemäß § 4 F-VG vorgeht und die Ertragshoheit über die Abgaben im Sinne des § 6 F-VG zwischen Bund und Ländern entsprechend der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung insgesamt bedenkt und dementsprechend regelt. Es ist daher unter dem Aspekt der von der Finanzverfassung besorgten bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens durchaus sinnvoll, wenn die Finanzverfassung eine klare Gliederung der Abgaben vorsieht, weil dann deutlich wird, in welchem Ausmaß die einzelnen Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes beteiligt werden. Diese Übersichtlichkeit ginge verloren, wenn es dem Bund über die ohnedies bestehenden Möglichkeiten hinaus gestattet wäre, alle möglichen Kombinationen von Steuerformen zu erfinden.
Der VfGH meint daher, wie schon in VfSlg. 7995/1977 ausgedrückt, daß § 6 F-VG für den Bereich der Bundesabgaben eine taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen enthält und daher neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe eine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand nicht vorgesehen werden darf.
2. Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht das Vorbringen der Bundesregierung, bereits beim Wirksamwerden der Finanzverfassung 1948 (ebenso wie beim Wirksamwerden der Finanzverfassung 1922) habe das gleichzeitig in Kraft getretene einfache Gesetz eine Kombination solcher Abgabenformen vorgesehen.
Soweit die Bundesregierung (und in der Verhandlung die beteiligten Behörden) auf dem Boden der Finanzverfassung 1922 argumentierten, sind sie schon deswegen nicht im Recht, weil § 14 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1922, BGBl. 124 als Übergangsbestimmung ausdrücklich vorsah, daß Bundes- oder Landesgesetze oder einzelne Bestimmungen solcher Gesetze, die mit dem Finanzverfassungsgesetz im Widerspruch stehen, binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des F-VG außer Wirksamkeit zu setzen sind. (Für den Fall, daß dies nicht geschah, regelte diese Übergangsbestimmung die Möglichkeit der Anfechtung dieser gesetzlichen Bestimmungen beim VfGH.) Der Verfassungsgesetzgeber rechnete also sehr wohl damit, daß die von ihm vorgefundene (oder gleichzeitig in Kraft gesetzte) einfache Gesetzeslage mit dem eingeführten finanzverfassungsgesetzlichen System zum Teil in Widerspruch stand, hat diese also keinesfalls als durch die neue Verfassungslage saniert verstanden.
Eine vergleichbare Übergangsbestimmung findet sich im F-VG 1948 nicht. Die Problematik war aber bei diesem die gleiche:
Eine große Anzahl abgabengesetzlicher Bestimmungen verschiedener (auch fremder) Rechtskreise war in ein wieder eingeführtes finanzverfassungsgesetzliches System einzuordnen. Nach dem Konzept der österreichischen Finanzverfassung geschah dies durch eine umfangreiche Wechselwirkung von verfassungsgesetzlichen und einfachgesetzlichen Bestimmungen.
Es ist hiebei durchaus denkbar, daß im Einzelfall die einfachgesetzliche Rechtslage mit der Verfassungslage nicht in Einklang steht.
Auch wenn der VfGH in der von der Bundesregierung zitierten Judikatur (VfSlg. 5978/1969, 9280/1981) zum Ausdruck gebracht hat, es könne nicht angenommen werden, daß der Nationalrat eine einfachgesetzliche Regelung ohne Bedachtnahme auf die am selben Tag beschlossene Kompetenzregelung erlassen hat, kann daraus nicht geschlossen werden, daß eine unter solchen Voraussetzungen ergangene Gesetzeslage unter allen Umständen verfassungskonform und damit - wie der VfGH im Unterbrechungsbeschluß vom zum Ausdruck gebracht hat - "gleichsam verfassungsrechtlich unanfechtbar" ist. Aus einem Detail des einfachen Gesetzes (zB der Anführung der Aufsichtsratsabgabe als ausschließliche Bundesabgabe im FAG 1948) können keinesfalls Schlußfolgerungen gezogen werden, die den aus der Finanzverfassung selbst deutbaren Inhalt der Finanzverfassung in Frage stellen. Vielmehr ist hier der Schluß zu ziehen, daß der Finanzausgleichsgesetzgeber des Jahres 1948 einer unrichtigen Einschätzung unterlegen ist, ob die Aufsichtsratsabgabe mit der Einkommensteuer gleichartig ist. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Gleichartigkeit von Abgaben keineswegs von vornherein auf der Hand liegt und daß deren Beurteilung sowie die dabei anzustellende vergleichende Betrachtung oft weitgehende Überlegungen erfordert, über deren Resultat durchaus verschiedene Meinungen auftreten können (vgl. zu den gesamten Erwägungen in Pkt. 1. und 2. die gleichlautenden Ausführungen zur Zinsertragsteuer im Erk. VfSlg. 11666/1988).
3. Die Bundesregierung hat gegen die Ausführungen zur Gleichartigkeit von Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer im Unterbrechungsbeschluß vom nichts vorgebracht; aus den Ausführungen zu Pkt. 4.d ihrer Äußerung ist vielmehr zu entnehmen, daß die Bundesregierung ebenfalls von der Gleichartigkeit dieser Abgaben im Sinne der Rechtsprechung des VfGH (die sie allerdings als solche für unrichtig hält) ausgeht. Auch sonst ist im Gesetzesprüfungsverfahren nichts hervorgekommen, was die Bedenken des VfGH zerstreut hätte.
Bereits in seinem Beschluß auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens vom hat der VfGH darauf hingewiesen, daß Vergütungen im Sinne des § 1 Abs 1 des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom sowie im Sinne des § 1 Abs 1 der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 22 Abs 1 Z 2 EStG sind. Der in den genannten Vorschriften vom und vom festgelegte Besteuerungsgegenstand (Aufsichtsratsvergütungen) ist somit ein Ausschnitt der Einkünfte im Sinne des EStG. Die Aufsichtsratsabgabe ist historisch und systematisch ein Zuschlag zur Einkommensteuer. Die für die Beurteilung der Gleichartigkeit der Aufsichtsratsabgabe mit der Einkommensteuer maßgebliche Rechtslage ist weitgehend mit jener im Verhältnis zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer identisch, welche den VfGH im Erk. VfSlg. 10827/1986, zur Schlußfolgerung geführt hat, daß die Zinsertragsteuer in Wahrheit nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt. Jedenfalls liegen keine Abweichungen zwischen Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer vor, welche das von der Judikatur des VfGH geforderte Gesamtbild der wesentlichen Gleichartigkeit beeinträchtigen würden, wobei Unterschieden in der Erhebungsform lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt.
Zur näheren Begründung dieser - hier in zusammenfassender Weise erfolgten - Feststellungen sei auf die Ausführungen im oben unter Pkt. IV. wiedergegebenen sowie auf die dort zitierte Judikatur und Literatur verwiesen.
VII. Es ist daher auszusprechen, daß die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen als verfassungswidrig aufgehoben werden.
Da diese Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in der in Prüfung gezogenen Regelung als Gesamtheit hat, ist - entgegen der von der Bundesregierung in ihrer Äußerung unter Pkt. 2. vertretenen Auffassung - das Gesetz insgesamt als verfassungswidrig aufzuheben.
Die übrigen Aussprüche beruhen auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG.
Fundstelle(n):
NAAAE-27377