VfGH vom 23.10.1980, g38/80
Sammlungsnummer
8945
Leitsatz
Vbg. Jagdgesetz; § 60 Abs 5 wegen Widerspruchs zu Art 11 Abs 2 B-VG verfassungswidrig
Spruch
§60 Abs 5 des Jagdgesetzes, Vbg. LGBl. 5/1948, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Landeshauptmann von Vbg. ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Beim VfGH ist zu B193/76 das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Berufungsbescheid der Vbg. Landesregierung vom anhängig, zu dessen Inhalt und Vorgeschichte folgendes festzuhalten ist:
Das Bezirksgericht Bludenz erkannte den beschwerdeführenden Beteiligten mit Urteil vom der Übertretung des Diebstahls als Mitschuldiger nach §§5, 460 StG schuldig und verhängte über ihn eine Arreststrafe. Der dagegen erhobenen Berufung des Beteiligten gab das Landesgericht Feldkirch mit Urteil vom teilweise, und zwar dahin Folge, daß der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe für eine Probezeit vorläufig aufgeschoben wurde; im übrigen blieb das Rechtsmittel ohne Erfolg.
Aus Anlaß dieser strafgerichtlichen Verurteilung entzog die Bezirkshauptmannschaft Bludenz dem Beteiligten unter Bezugnahme auf § 60 Abs 3 und 4 des (Vbg.) Jagdgesetzes, Vbg. LGBl. 5/1948 idF der Nov. LGBl. 9/1975, (im folgenden: JG) die Landesjagdkarte für die Dauer von vier Jahren und sprach gemäß Abs 5 dieses Paragraphen gleichzeitig aus, daß dem Beteiligten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine allenfalls erhobene Berufung jegliche Jagdausübung verboten ist. Der Beteiligte ergriff Berufung, die sich sowohl gegen den Entzug der Jagdkarte als auch gegen den letzterwähnten Ausspruch richtete. Mit dem schon genannten Berufungsbescheid wies die Landesregierung dieses Rechtsmittel ab und bestätigte den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz.
2. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der VfGH gemäß Art 140 Abs 1 B-VG aufgrund noch darzustellender Überlegungen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des Abs 5 im § 60 JG ein, der folgendermaßen lautet:
"§60
(1) Die Jagdkarte muß von der Bezirksverwaltungsbehörde versagt werden:
1. Personen, welche die Voraussetzungen des § 59a Abs 1 nicht erfüllen,
2. Kindern und Jugendlichen (§20 Abs 1 Jugendschutzgesetz),
3. Personen, die entmündigt oder trunksüchtig sind,
4. Personen, die wegen Verleitung eines Jagdaufsehers zur Verletzung seiner Dienstpflicht (§100 Abs. 2), Ziff. 1. schuldig befunden wurden,
5. Personen, die wegen eines Verbrechens, wegen eines Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens durch unvorsichtige Gebarung mit Schußwaffen, mit Munition oder anderen Explosivstoffen, oder wegen einer Übertretung des Diebstahles, der Diebstahlsteilnehmung, des Betruges, der Veruntreuung oder der Untreue schuldig erkannt wurden,
6. Personen, welche die Jagd beharrlich unwaidmännisch ausüben,
7. Jagdaufsehern, die ihre Dienstpflicht gröblich verletzen.
(2) Die Jagdkarte kann von der Bezirksverwaltungsbehörde versagt werden:
1. Personen, die wegen einer vorsätzlich begangenen Übertretung des Jagdgesetzes schuldig erkannt wurden,
2. Personen, die wenigstens dreimal innerhalb fünf Jahren wegen fahrlässig begangener Übertretung des Jagdgesetzes schuldig erkannt wurden,
3. Personen, über deren Vermögen das Konkurs- oder Ausgleichsverfahren eröffnet wurde,
4. Personen, die wegen einer Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens durch unvorsichtige Gebarung mit Schußwaffen, Munition oder anderen Explosivstoffen schuldig erkannt wurden.
(3) Wenn nach der Ausstellung der Jagdkarte in der Person des Inhabers einer der in Abs. 1) angeführten Versagungsgründe eintritt oder bekannt wird, muß, wenn einer der in Abs. 2) angeführten Gründe eintritt oder bekannt wird, kann die Jagdkarte ohne Rückstellung der für sie bezahlten Verwaltungsabgabe und Stempelgebühren von der Bezirksverwaltungsbehörde entzogen werden.
(4) Die Versagung oder der Entzug der Jagdkarte sind auszusprechen:
1. in den Fällen des Abs 1, Ziffer 1 - 3, für die Dauer der obwaltenden Umstände;
2. in Fällen des Abs 1, Ziffer 4 - 7, für die Dauer von 3 - 10 Jahren;
3. in den Fällen des Abs 2, Ziffer 1, 2 und 4, für die Dauer von 1 bis 3 Jahren;
4. in den Fällen des Abs 2 Ziffer 3, für die Dauer von 2 bis 5 Jahren. In den Fällen gerichtlicher Verurteilung beginnt die Frist mit dem Tage zu laufen, an dem die Strafe verbüßt oder nachgesehen oder als verbüßt oder als erlassen gilt.
(5) Im Bescheid über den Entzug der Jagdkarte hat die Bezirksverwaltungsbehörde auszusprechen, daß dem Betroffenen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine allenfalls erhobene Berufung jegliche Jagdausübung verboten ist."
3. Die Vbg. Landesregierung sah von einer Äußerung ab.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die Vbg. Landesregierung stellte in ihrer im Anlaßverfahren erstatteten Gegenschrift die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung gegen den am zugestellten Berufungsbescheid im Hinblick darauf in Frage, daß das von der Kanzlei des VfGH auf den Beschwerdeausfertigungen vermerkte Datum der Postaufgabe von 19. auf richtiggestellt worden war. Hiezu ist jedoch festzuhalten, daß diese Richtigstellung aufgrund der Erhebung des richtigen Postaufgabedatums beim betreffenden Postamt vorgenommen worden war. Die Beschwerde wurde unter Wahrung der in § 82 Abs 1 VerfGG festgelegten sechswöchigen Beschwerdefrist erhoben und ist, da im Beschwerdeverfahren auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.
b) Der VfGH hätte sohin im anhängigen Beschwerdeverfahren eine Sachentscheidung zu treffen und hiebei § 60 Abs 5 des Jagdgesetzes anzuwenden. Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen im eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren liegen vor.
2. a) Im Einleitungsbeschluß ging der VfGH von der Vorschrift des § 64 Abs 2 AVG aus, die in ihrem ersten Satz bestimmt, daß die Behörde die aufschiebende Wirkung (einer Berufung) ausschließen kann, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzuge dringend geboten ist. Er nahm vorläufig an, daß die im Abs 5 des § 60 JG getroffene Regelung von der eben wiedergegebenen Vorschrift abweicht und insofern in deren normativen Bereich eingreift; dies unter der Voraussetzung, daß ein Ausspruch gemäß § 60 Abs 5 JG einen solchen nach § 64 Abs 2 AVG von vornherein ausschließe. Die Annahme könnte (insbesondere) damit begründet werden, daß § 64 Abs 2 AVG in Ansehung eines Bescheides mit verschiedenen Rechtswirkungen auch bloß partiell angewendet werden könne und ihm durch § 60 Abs 5 JG insoweit ein Teil seines Anwendungsbereiches genommen werde. Gehe man hingegen von der gegenteiligen Auffassung aus, daß § 64 Abs 2 AVG nicht differenziert handhabbar sei, so läge eine umfangsmäßige Einschränkung der Wirkungen dieser Vorschrift vor.
b) Der VfGH muß zunächst festhalten, daß die Frage, ob ein Ausspruch nach § 60 Abs 5 JG einen solchen nach § 64 Abs 2 AVG ausschließt, hier ohne Belang ist. Selbst wenn man sie nämlich verneint, bleibt zu beachten, daß bei alleiniger Handhabung des § 60 Abs 5 JG einer erhobenen Berufung zwar bloß in einem Teilbereich, aber doch in grundsätzlich gleicher Weise eine sonst eintretende Wirkung genommen wird wie im Falle eines Ausspruchs nach § 64 Abs 2 AVG. Diese Überlegung zeigt, daß es ferner belanglos ist, ob § 64 Abs 2 AVG in Ansehung eines Bescheides mit verschiedenen Rechtswirkungen auch bloß partiell gehandhabt werden kann oder ob diese Bestimmung nicht differenziert anwendbar ist; § 60 Abs 5 JG greift jedenfalls in den normativen Bereich des § 64 Abs 2 AVG ein.
3. a) Im Prüfungsbeschluß nahm der VfGH weiters vorläufig an, daß der Landesgesetzgeber zum Zeitpunkt der Erlassung des Abs 5 im § 60 JG im Hinblick auf die damals geltende Fassung des Art 11 Abs 2 B-VG keinesfalls die Befugnis hatte, eine Regelung zu treffen, die inhaltlich in den vom Bundesgesetzgeber in Anspruch genommenen Bereich der Bedarfsgesetzgebung fiel. Dies führe zur weiteren Frage, ob grundsätzlich infolge der Neufassung des Art 11 Abs 2 B-VG durch die B-VG-Nov. 1974, BGBl. 444, demzufolge nunmehr (auch) der Landesgesetzgeber eine abweichende Regelung treffen darf, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich ist, eine Sanierung des § 60 Abs 5 JG habe eintreten können (etwa in der Art, wie sie der VfGH in Ansehung der den Ländern bis zur Änderung des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG durch das BVG BGBl. 27/1969 fehlenden Zuständigkeit auf dem Gebiete des Grundstücksverkehrs für Ausländer angenommen habe - s. VfSlg. 6259/1970).
b) Der VfGH vermeint, daß beide Annahmen zutreffen.
Daß dem Landesgesetzgeber - im Gegensatz zum Bundesgesetzgeber - nach der Verfassungsrechtslage vor der B-VG-Nov. 1974 die Befugnis fehlte, eine Regelung zu treffen, die inhaltlich in den vom Bundesgesetzgeber in Anspruch genommenen Bereich der Bedarfsgesetzgebung fiel, bedarf aufgrund der bisherigen Rechtsprechung keiner weiteren Erörterung (s. etwa VfSlg. 3061/1956 oder 6842/1972).
Das Fehlen von Übergangsvorschriften zum neugefaßten Art 11 Abs 2 in der B-VG-Nov. 1974 läßt die Absicht des Verfassungsgesetzgebers erschließen, in den von ihm vorgefundenen einfachgesetzlichen Rechtsbestand bloß im geringstmöglichen Ausmaß einzugreifen. Der Verfassungsgesetzgeber ging jedenfalls von der Auffassung aus, daß einerseits gemäß der früheren Verfassungsrechtslage rechtens erlassene, nach der Novellierung aber nicht mehr zulässige Vorschriften des Bundesgesetzgebers nicht berührt werden, anderseits aber bei der früheren Verfassungsrechtslage verwehrte, nach der nunmehrigen jedoch zulässige Regelungen des Landesgesetzgebers saniert sein sollen. Dem Verfassungsgesetzgeber ist es nämlich ebensowenig zusinnbar, inhaltlich der Neufassung des Art 11 Abs 2 B-VG nicht entsprechende bundesgesetzliche Vorschriften pauschal der Derogation zuzuführen oder sie mit Verfassungswidrigkeit zu belasten, also Rechtsunsicherheit in einem weiten Bereich zu schaffen, wie einen gleichartigen Effekt bei nicht gemäß der früheren Verfassungsrechtslage erlassenen, nunmehr jedoch zulässigen landesgesetzlichen Vorschriften im Ergebnis deshalb herbeizuführen, weil sie vom nunmehr regelungsbefugten Landesgesetzgeber nicht ausdrücklich saniert wurden.
4. a) Im Einleitungsbeschluß warf der VfGH schließlich die Frage auf, ob im Falle der grundsätzlichen Sanierung eine solche konkret, nämlich im Hinblick auf das in Art 11 Abs 2 B-VG enthaltene Kriterium ("wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind") eingetreten ist. Hiebei werde zu untersuchen sein, ob - wie die Regierungsvorlage zur nachmaligen B-VG-Nov. 1974 meine (182 BlgNR XIII GP, S 16) - zur Auslegung des Wortes "erforderlich" auf die bisherige Rechtsprechung des VfGH zu Art 15 Abs 9 B-VG zurückgegriffen werden könne, gemäß der (iS des Art 15 Abs 9 B-VG) erforderliche Bestimmungen nur dann vorliegen, wenn sie für die Regelung unerläßlich sind (s. dazu zB VfSlg. 6343/1970). Verstünde man Art 11 Abs 2 B-VG in diesem Sinne, so wäre das Gegebensein des hier umschriebenen Kriteriums wohl schon im Hinblick auf den sehr weiten Anwendungsbereich des Abs 5 im § 60 JG zu verneinen, der sich sogar auf die (anscheinend in das freie Ermessen der Behörde gestellten) Fälle des Abs 2 Z 1 bis 4 dieses Paragraphen erstrecke.
b) Der VfGH hält auch an diesen zuletzt geäußerten Annahmen fest.
Aus den Materialien ergibt sich, daß die sprachlich in ihrer Deutlichkeit kaum mehr überbietbare Parallelität zwischen Art 11 Abs 2 und Art 15 Abs 9 B-VG gerade zu dem Zweck herbeigeführt wurde, um aus der Rechtsprechung des VfGH zu Art 15 Abs 9 B-VG auch für den neugefaßten Art 11 Abs 2 B-VG ein handhabbares Kriterium zu gewinnen.
Daß § 60 Abs 5 JG eine für den Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers unerläßliche Regelung beinhaltet, trifft keineswegs zu. Denn Abs 5 im § 60 leg. cit. umfaßt im Hinblick auf Abs 2 Z 1 bis 4 und Abs 3 dieses Paragraphen in der Tat Fälle, in denen der Entzug der Jagdkarte in Handhabung des der Behörde eingeräumten freien Ermessens erfolgt (s. die in Abs 3 enthaltene Gegenüberstellung der Entzugsgründe gemäß Abs 1 mit denen gemäß Abs 2). Hält der Gesetzgeber jedoch eine Maßnahme nicht für so dringend geboten, daß er sie der Behörde zwingend zur Pflicht macht, so geht es nicht an, dennoch die im § 60 Abs 5 JG liegende Vorwegnahme ihrer wesentlichsten Wirkung als unerläßlich zu werten.
Bei diesem Ergebnis kann es auf sich beruhen, wie die geprüfte Gesetzesbestimmung in Ansehung jenes Anwendungsbereiches verfassungsrechtlich zu beurteilen wäre, der ihr in Ansehung der in § 60 Abs 3 JG festgelegten Entzugsgründe nach Abs 1 dieses Paragraphen zukommt.
5. § 60 Abs 5 des Jagdgesetzes war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.