VfGH vom 17.06.2022, G379/2021
Leitsatz
Aufhebung von Wortfolgen des GehaltsG 1956 betreffend die unterschiedliche Überstundenvergütung für in Voll- oder Teilauslastung tätige Richter im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden; 100%-iger (anstelle des tagsüber geltenden 50%-igen) – Überstundenzuschlag wegen der "Mehrbelastung" für vollausgelastete Richter gegenüber dem für Nachtstunden nicht erhöhten (auch tagsüber geltenden) 25%-igen Überstundenzuschlag für – vor außerordentlichen beruflichen Belastungen geschützte – teilausgelastete Richter sachlich nicht gerechtfertigt
Spruch
I.1. Die Wortfolgen "gemäß §49 Abs4 BDG 1979" sowie "und 2. für Überstun-den gemäß §49 Abs5 BDG 1979 25%" in §16 Abs4 Bundesgesetz vom 29. Feber 1956 über die Bezüge der Bundesbeamten (Gehaltsgesetz 1956 – GehG), BGBl Nr 54/1956, idF BGBl I Nr 96/2007 werden als verfas-sungswidrig aufgehoben.
2.Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
3.Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
II.Die übrigen Bestimmungen des §16 Abs4 Bundesgesetz vom 29. Feber 1956 über die Bezüge der Bundesbeamten (Gehaltsgesetz 1956 – GehG), BGBl Nr 54/1956, idF BGBl I Nr 96/2007 sowie §49 Abs5 Bundes-gesetz vom über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 – BDG 1979), BGBl Nr 333/1979, idF BGBl I Nr 96/2007 werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E3024/2021 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Die Beschwerdeführerin in dem zu E3024/2021 protokollierten Verfahren steht als Richterin (Landesgericht Wiener Neustadt) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Bescheid vom wurde die regelmäßige Dienstzeit der Beschwerdeführerin ab auf "50 v.H." herabgesetzt (sogenannte "Teilauslastung"). Mit Bescheid vom wurde diese Teilauslastung antragsgemäß ab dem auf "75 v.H." erhöht. In einem näher bestimmten Zeitraum war die Beschwerdeführerin zur Rufbereitschaft eingeteilt und wurde während dieser Rufbereitschaft zur Dienstverrichtung herangezogen.
Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin die Abrechnung der während der Rufbereitschaft erbrachten Überstundenleistungen durch Erlassung eines Feststellungsbescheides. Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in dem in Rede stehenden Zeitraum im Rahmen der Rufbereitschaft insgesamt 10,92 tatsächlich geleistete Überstunden erbracht hat, die auch ausbezahlt wurden.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Beschwerdeführerin hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – "nicht Folge gegeben" (Spruchpunkt A). Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht betreffend den Anspruch der Beschwerdeführerin zusammengefasst aus, dass §16 Abs4 Gehaltsgesetz 1956 (im Folgenden: GehG) iVm §49 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (im Folgenden: BDG 1979) "analog" anzuwenden sei. Auf Grundlage dieser Bestimmungen stehe der Beschwerdeführerin eine besoldungsrechtliche Abgeltung für ihre zusätzliche Dienstleistung zu. Zum Anspruch der Beschwerdeführerin der Höhe nach führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführerin für ihre Mehrdienstleistungen, die sie im Rahmen der Rufbereitschaft erbracht habe, nach den genannten Bestimmungen ein Zuschlag iHv 25% zustehe. Die Beschwerdeführerin habe insgesamt 10,92 Stunden an Mehrdienstleistungen erbracht, die entsprechend zur Auszahlung gelangt seien.
Gegen diese Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin die zur Zahl E3024/2021 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde.
2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §16 Abs4 GehG iVm §49 Abs5 BDG 1979 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"5.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist dem Gesetzgeber bei der Regelung des Dienst- und Besoldungsrechtes der öffentlich Bediensteten durch den Gleichheitsgrundsatz ein verhältnismäßig weiter Gestaltungsspielraum offen gelassen; er ist lediglich gehalten, das Dienst- und Besoldungsrecht (sowie Pensionsrecht) derart zu gestalten, dass es im Großen und Ganzen in einem angemessenen Verhältnis zu den öffentlich Bediensteten obliegenden Dienstpflichten steht (vgl etwa VfSlg 11.193/1986, 12.154/1989, 16.176/2001, 19.255/2010; ). Insbesondere liegt die Art der Gestaltung des Gehaltsschemas der Beamten und des Entlohnungsschemas der Vertragsbediensteten in der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, sofern er mit seiner Regelung nicht gegen das – sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergebende – Sachlichkeitsgebot verstößt (vgl VfSlg 9607/1983, 16.176/2001, 18.934/2009 und 20.108/2016).
5.2. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Regelarbeitszeit bei Richtern in Vollauslastung bzw bei Richtern in Teilauslastung (in der Regel) nicht während der Nachtstunden (22.00 bis 6.00 Uhr) zu leisten ist. Im Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft dürften Fälle eintreten, in denen Überstunden auch während der Nachtzeit anfallen. Der Verfassungsgerichtshof geht außerdem vorläufig davon aus, dass Überstunden im Rahmen der Rufbereitschaft auch von Richterinnen in Teilauslastung (zB nach §23 Abs10 MSchG) tatsächlich (zum Teil auch in der Nacht) geleistet werden.
5.3. Der Gesetzgeber dürfte für den Anwendungsbereich des ersten Abschnitts des GehG vorsehen, dass für Überstunden, die Personen in Vollauslastung in der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) erbringen, im Gegensatz zu einem 50%-igen Zuschlag außerhalb der Nachtzeit ein erhöhter Zuschlag von 100% zusteht (§16 Abs4 GehG). Demgegenüber dürfte für Überstunden von Personen in Teilauslastung (bis zur Erreichung der regelmäßigen Wochendienstzeit) unabhängig davon, ob die Überstunden außerhalb oder während der Nachtzeit geleistet werden, pauschal ein einheitlicher Überstundenzuschlag (von 25%) vorgesehen sein. Vor diesem Hintergrund hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass keine sachliche Rechtfertigung dafür bestehen dürfte, dass, wenn ein besonderer Zuschlag für Überstunden in der Nachtzeit vorgesehen ist, ein solcher nur bei Vollauslastung, nicht hingegen bei Teilauslastung (bis zur Erreichung der regelmäßigen Wochendienstzeit) zusteht.
Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu prüfen sein, ob diese – vorläufig als unsachlich angenommene – Differenzierung allenfalls damit gerechtfertigt werden könnte, dass eine Überstunde in der Nachtzeit für eine Person in Vollauslastung eine verhältnismäßig stärkere Belastung darstellen könnte als für eine Person in Teilauslastung bis zur Erreichung der regelmäßigen Wochendienstzeit.
5.4. Der Verfassungsgerichtshof sieht daher vorerst keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass nach §16 Abs4 GehG iVm §49 Abs5 BDG 1979 Personen in Vollauslastung für Überstunden während der Nachtzeit im Vergleich zu Leistungen außerhalb der Nachtzeit einen höheren Zuschlag erhalten, hingegen bei Personen in Teilauslastung (zumindest bis zur Erreichung einer Vollauslastung) im Hinblick auf den Überstundenzuschlag nicht differenziert wird, ob sie Überstunden während der Nachtzeit oder außerhalb der Nachtzeit erbringen."
4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken – nach Darstellung und Erläuterung der Rechtslage und Ausführungen zur Zulässigkeit der Beschwerde sowie zur Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung – in der Sache wie folgt entgegentritt:
"III. In der Sache:
[…]
3. Die Bundesregierung teilt die vom Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die Überstundenzuschläge während der Nachtzeit geäußerten vorläufigen Bedenken nicht:
3.1. […]
3.2. […] [D]ie in Prüfung gezogene Bestimmung des §16 Abs4 Z1 GehG [nimmt] hinsichtlich der Vergütung von Überstunden eine Differenzierung dahin vor, ob die Überstunden außerhalb oder während der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) geleistet wurden und gewährt für Überstunden außerhalb der Nachtzeit einen Zuschlag von 50 Prozent und während der Nachtzeit einen erhöhten Zuschlag von 100 Prozent. §16 Abs4 Z2 GehG sieht für Teilzeitbeschäftigte bis zur Erreichung der regelmäßigen Wochendienstzeit einen allgemeinen Überstundenzuschlag von 25 Prozent vor, unabhängig davon, zu welcher Tages- oder Nachtzeit die Überstunden geleistet wurden.
3.3. Der höhere Zuschlag für Dienstleistungen während der Nachtzeit, die über die regelmäßige Wochendienstzeit gemäß §48 Abs2 bzw 6 BDG 1979 hinausgehen, stellt in erster Linie auf die insgesamt im Durchrechnungszeitraum eingetretene zeitliche Belastung ab. Der Gesetzgeber hat somit im Rahmen seines Gestaltungsspielraums bei der Regelung der Abgeltung für Dienstleistungen in der Nachtzeit auf das Ausmaß der insgesamt gegebenen zeitlichen Belastung abgestellt und entschieden, einen erhöhten Zuschlag für Nachtdienstleistungen für jene Fälle vorzusehen, in denen die regelmäßige Wochendienstzeit gemäß §48 Abs2 oder 6 BDG 1979 im Kalendervierteljahr überschritten wird.
3.4. Dienstleistungen während der Nachtzeit führen – bei Teilbeschäftigten wie auch bei Vollbeschäftigten – daher zu keinerlei zusätzlicher Abgeltung in Form von Überstundenzuschlägen, wenn sie nicht über die jeweilige regelmäßige Dienstzeit hinausgehen oder innerhalb desselben Kalendervierteljahres im Verhältnis 1:1 in Freizeit ausgeglichen werden können (§49 Abs2 und 3 BDG 1979).
3.5. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (RV 296 BlgNR XXIII. GP 3 f.) sollte die Rechtslage hinsichtlich der Leistung von Mehrarbeit durch Teilzeitbeschäftigte im Bundesdienst an jene der Privatwirtschaft im Hinblick auf die Novelle des Arbeitszeitgesetzes – AZG, BGBl I Nr 61/2007, angeglichen werden. Wenngleich ein erhöhter Nachtzuschlag im AZG nicht vorgesehen ist, sind vergleichbare Bestimmungen in diversen Kollektivverträgen durchaus enthalten. So sieht etwa der KV-Handelsangestellte eine Vergütung von Überstunden in der Zeit von 20.00 bis 6.00 Uhr mit einem Zuschlag von 100 Prozent anstelle von 50 Prozent vor, wobei […] bei Teilzeitbeschäftigten Überstunden erst vorliegen, wenn das Ausmaß der für die Vollzeitbeschäftigten festgesetzten täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit überschritten wird (Abschnitt 2, Punkt 2.4 iVm Punkt 1.4 KV-Handelsangestellte). Auch im Banken-KV wird eine 'Überstundenleistung' mit einer über die Normalwochenarbeitszeit von 38,5h hinausgehenden Arbeitsleistung definiert und wird ausschließlich für solche ein erhöhter Nachtarbeitszuschlag von 100 Prozent in der Zeit von 20.00 bis 6:00 Uhr gewährt (vgl §26 Abs1 und 3 iVm §25 Banken-KV). Entsprechende Bestimmungen finden sich auch in §47 des Kollektivvertrags des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger.
3.6. Die in Prüfung gezogene Bestimmung des §16 Abs4 [GehG] in Verbindung mit §49 Abs5 BDG 1979 stellt damit nach Ansicht der Bundesregierung auch hinsichtlich der Überstundenzuschläge während der Nachtzeit unter der Voraussetzung des Überschreitens der wöchentlichen Normalarbeitszeit keinen Sonderfall dar, sondern bewegt sich im Rahmen des der Gesetzgebung zustehenden Gestaltungsspielraums. Die Bundesregierung gibt in diesem Zusammenhang zu [b]edenken, dass eine Aufhebung des §16 Abs4 GehG auch im Hinblick auf die obenstehenden Ausführungen weitreichende Auswirkungen auf die Privatwirtschaft hätte.
3.7. Die im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes aufgeworfene Frage, ob eine Überstunde in der Nachtzeit für eine vollzeitbeschäftigte Person eine verhältnismäßig stärkere Belastung darstellen könnte als für Teilauslastungsbeschäftigte bis zur Erreichung der regelmäßigen Wochendienstzeit, ist nach Ansicht der Bundesregierung insoweit zu bejahen, als letzteren grundsätzlich mehr Zeit für eine ausreichende Erholung zur Verfügung steht. Hierbei wird nicht außer Acht gelassen, dass die tatsächliche Belastung durch die Heranziehung zu Mehrdienstleistungen während der Nachtzeit wesentlich von den individuellen persönlichen Umständen des jeweiligen Bediensteten abhängt. Eine Berücksichtigung der individuellen Umstände findet jedoch in der Regel bereits durch die Gewährung einer Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit statt und Teilzeitbedienstete werden bereits insbesondere dadurch geschützt, dass sie gemäß §50c Abs3 BDG 1979 nur im Ausnahmefall für Mehrdienstleistungen herangezogen werden können.
[…]
5. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind und die Gesetzgebung ihren – im Dienst- und Besoldungsrecht weiten – Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat."
5. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie – nach Darstellung der Bedenken des Verfassungsgerichtshofes – diese im Wesentlichen teilt und hiezu in der Sache ergänzend ausführt:
"2.0 Zum vorliegenden Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot
2.1 […]
2.2 Gemäß §16 Abs4 GehG in Verbindung mit §49 Abs5 BDG 1979 beträgt der Zuschlag für 'Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung' gemäß §23 Abs10 MSchG, soweit dabei die regelmäßige Wochendienstzeit nach §48 Abs2 BDG 1979 nicht überschritten wird, 25% der Grundvergütung. §23 Abs11 MSchG normiert für Richteramtsanwärterinnen und Richterinnen, dass für sie §15h Abs1 leg cit mit der Maßgabe anzuwenden sei, dass ein Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung längstens bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahres oder einem späteren Schuleintritt des Kindes bestehen würde. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass es sich bei Richtern mit einem Anspruch auf Teilauslastung um Personen mit (zumindest) einem Kind im Volksschulalter oder darunter handelt.
2.3 Personen in Teilauslastung mit kleinen Kindern verfügen nicht über mehr Freizeit als Personen in Vollauslastung, sondern nehmen in der Zeit, in der sie ansonsten beruflich tätig wären, Betreuungsaufgaben für ihre Kinder wahr, womit erhebliche Einkommenseinbußen sowie pensionsrechtliche Nachteile verbunden sind. Diese gravierenden Nachteile werden nicht [in] Kauf genommen, damit 'mehr Zeit für eine ausreichende Erholung zur Verfügung steht'[…], sondern weil es schlichtweg nicht anders möglich ist. Die Betreuungsintensität von Kleinkindern bis zum Volksschulalter ist relativ hoch und fordernd, was der Gesetzgeber insofern auch anerkennt, als bis dahin ein Anspruch auf eine Teilauslastung besteht.
2.4 Die Erbringung von Leistungen im Rahmen der Rufbereitschaft und des Journaldienstes zählt zu den sensibelsten Tätigkeitsbereichen der strafrichterlichen Arbeit. Der Richter ist (ohne Vorlaufzeit) mit dringenden Fällen konfrontiert, er muss sich in kürzester Zeit mit sämtlichen Fakten auseinandersetzen und sofortige Maßnahmen bzw Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen (Verhängung der Untersuchungshaft und Bewilligung von Festnahmeanordnungen) treffen. Mehrdienstleistungen im Rahmen der Rufbereitschaft und des Journaldienstes werden – dies gilt für alle - zwischen 15:30 Uhr und 07:30 Uhr am folgenden Tag geleistet. Auch in dieser Zeit müssen Personen in Teilauslastung Betreuungspflichten wahrnehmen. Der betroffene Richter muss daher - in der Regel ohne Vorlaufzeit - sowohl untertags als auch in der Nacht eine (unter Umständen entgeltliche) sofort verfügbare Betreuungsperson organisieren, wobei auf eine verschärfte Situation für Alleinerziehende hingewiesen wird.
2.[5] Die diesbezüglichen Bedenken der Bundesregierung hinsichtlich einer 'unverhältnismäßigen Besserstellung' von Teilzeitbediensteten[…] entbehren jeder Grundlage. Sowohl Personen in Teilauslastung als auch in Vollauslastung erbringen ihre regelmäßige Wochendienstzeit 'zuschlagsfrei' und werden entsprechend entlohnt.
2.[6] Eine Überstunde (egal ob zur Tages- oder Nachtzeit) durch eine Person in Vollauslastung ist nicht als stärkere Belastung zu gewichten als jene einer Person in Teilauslastung, deren berufliche Belastung geringer sein mag, allerdings liegt gleichzeitig eine zusätzliche und vom Gesetzgeber anerkannte Belastung außerhalb der beruflichen Tätigkeit durch die Übernahme von Betreuungsleistung für (zumindest) ein Kleinkind vor. Die vorgenannte Differenzierung hinsichtlich der Höhe des Zuschlages ist daher unsachlich.
3.0 Zum Vorliegen eines Verstoßes gegen Unionsrecht
3.1 Es wird darauf hingewiesen, dass eine derartige Ungleichbehandlung zwischen Personen in Vollauslastung und jenen in Teilauslastung auch als unionsrechtswidrig einzustufen ist. […]
3.2 […]
3.3 […] 13,7% der Richter und Staatsanwälte [sind] Teilbeschäftigte (Teilauslastung) […], sohin rd 403 Personen, davon sind 31 Männer (2,2% von 1.376) und 372 Frauen (23,1 % von 1.562). Das bedeutet, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in Teilauslastung sohin knapp 8,3% Männer und 91,7% Frauen beträgt. Diese diskriminierenden Zuschläge belasten sohin fast ausschließlich Frauen die sich in Teilauslastung befinden. Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung nationaler Maßnahmen, die zwar neutral formuliert werden, tatsächlich aber prozentual viel mehr Frauen als Männer benachteiligen, entgegen, es sei denn, dass diese Maßnahmen durch objektive Kriterien gerechtfertigt sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes zu tun haben[…]. Diese objektiven Kriterien liegen nicht [vor]. Die Differenzierung bei den Zuschlägen für Mehrdienstleistungen stellt sohin eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes dar, die sachlich nicht zu rechtfertigen ist.
3.4 Journaldienste und Tätigkeiten im Rahmen der Rufbereitschaft werden zwischen 15:30 Uhr und 07:30 Uhr am folgenden Tag geleistet. Sohin in einem Zeitraum außerhalb der gerichtlichen Dienststunden in Strafsachen (auch bei einer Vollauslastung). Es gibt sohin keine sachliche Begründung hierfür, warum die Mehrdienstleistung - die ja aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Dienstgebers geleistet wird - durch eine Person in Teilauslastung unter Berücksichtigung ihrer Betreuungspflichten – die ja Voraussetzung für eine Teilauslastung gem §16 Abs4 Z2 [GehG] sind – unterschiedlich entlohnt wird. […]
3.5 Da bei Richtern keine Stundenaufzeichnungen geführt werden, sondern an deren Stelle die Voll- oder Teilauslastung tritt, haben Personen in Teilauslastung keine Chance auf eine angemessene Vergütung ihrer Leistung gemäß den Zuschlägen in §16 Abs.4 Z1 (50 bzw 100%). Unabhängig davon, ob eine Person in Teilauslastung genauso viel wie beispielsweise ein Richter mit einer 75%-igen Auslastung oder in Vollauslastung arbeitet, wird dies nicht berücksichtigt. […] Teilen sich beispielsweise zwei Richterinnen mit jeweils 50 % Auslastung eine Planstelle und sind diese von Montag bis Mittwoch mittags bzw von Mittwoch mittags bis Freitag abends tätig, bleibt es auch ohne Berücksichtigung, wenn die Journalstunden im Anschluss an einen vollen Arbeitstag zu leisten sind. Sie werden dennoch nur zur Hälfte bzw in der Nacht nur zu einem Viertel im Vergleich zu einer Person in Vollauslastung entlohnt.
3.6 Die gegenständlichen Bestimmungen sind auch unter Berücksichtigung des verhältnismäßig weiten Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers bei der Regelung des Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechtes der Beamten verfassungswidrig. Die Bedenken der Bundesregierung[…], wonach eine Aufhebung Auswirkungen auf die Privatwirtschaft haben würde[…], können wohl nicht als Rechtfertigung dafür dienen, dem Gleichheitsgrundsatz und dem Unionsrecht widersprechende und Frauen mittelbar diskriminierende Bestimmungen als Teil der Rechtsordnung zu akzeptieren."
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 29. Feber 1956 über die Bezüge der Bundesbeamten (Gehaltsgesetz 1956 – GehG), BGBl 54/1956, idF BGBl I 115/2021 lauten auszugsweise (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):
"Anwendungsbereich
§1. (1) Dieses Bundesgesetz findet auf alle Bundesbeamten des Dienststandes Anwendung.
(2) Soweit in diesem Bundesgesetz von Beamten gesprochen wird, sind darunter die Bundesbeamten des Dienststandes zu verstehen.
(3) Der Abschnitt I dieses Bundesgesetzes findet auf alle Beamten Anwendung, soweit nicht in den folgenden Abschnitten etwas anderes bestimmt ist.
Besoldungsrechtliche Einteilung der Beamten
§2. Die Bezüge der Beamten richten sich nach der Zugehörigkeit zu einer der folgenden Besoldungsgruppen:
[1. …]
2. Richteramtsanwärter, Richter und Staatsanwälte,
[3.–10 …]
[…]
Nebengebühren
§15. (1) Nebengebühren sind
1. die Überstundenvergütung (§16),
[2.–14. …]
[(2)–(8) …]
[…]
Überstundenvergütung
§16. (1) Dem Beamten gebührt für Überstunden,
1. die nicht in Freizeit oder
2. die gemäß §49 Abs4 Z3 oder Abs5 Z3 BDG 1979 im Verhältnis 1:1 in Freizeit ausgeglichen werden, eine Überstundenvergütung.
(2) Die Überstundenvergütung umfasst
1. im Fall des §49 Abs4 Z2 oder Abs5 Z2 BDG 1979 die Grundvergütung und den Überstundenzuschlag,
2. im Fall des §49 Abs4 Z3 oder Abs5 Z3 BDG 1979 den Überstundenzuschlag.
(3) Die Grundvergütung für die Überstunde ist durch die Teilung des die Bemessungsgrundlage bildenden Betrages durch die 4,33fache Anzahl der für den Beamten gemäß §48 Abs2 BDG 1979 geltenden Wochenstundenzahl zu ermitteln. Die Bemessungsgrundlage besteht aus dem Gehalt zuzüglich einer allfälligen im §15 Abs3 angeführten Zulage des Beamten.
(4) Der Überstundenzuschlag beträgt
1. für Überstunden gemäß §49 Abs4 BDG 1979
a) außerhalb der Nachtzeit 50%,
b) während der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) 100% und
2. für Überstunden gemäß §49 Abs5 BDG 1979 25%
der Grundvergütung.
(5) Die Überstundenvergütung gebührt bereits vor Ablauf der im §49 Abs8 BDG 1979 angeführten Frist, wenn feststeht, daß ein Freizeitausgleich bis zum Ablauf dieser Frist nicht möglich sein wird.
(6) Abrechnungszeitraum für die Überstundenvergütung ist das Kalendervierteljahr. Die im Kalendervierteljahr geleisteten Überstunden sind zusammenzuzählen. Für Bruchteile von Überstunden gemäß §49 Abs4 Z2 und 3 BDG 1979, die sich dabei ergeben, gebührt dem Beamten der verhältnismäßige Teil der Überstundenvergütung.
(7) Die Teilnahme an Empfängen und gesellschaftlichen Veranstaltungen begründet, auch wenn sie dienstlich notwendig ist, weder einen Anspruch auf Freizeitausgleich noch einen Anspruch auf Überstundenvergütung.
(8) Wären zusätzliche Dienstleistungen nach §23 Abs10 MSchG, nach §10 Abs12 VKG oder nach §50c Abs3 BDG 1979, mit denen die regelmäßige Wochendienstzeit nach §48 Abs2 oder 6 BDG 1979 überschritten wird, mit verschieden hohen Überstundenzuschlägen abzugelten, so sind zunächst jene Dienstleistungen abzugelten, für die die höheren Überstundenzuschläge gebühren.
(9) Der Zuschlag nach Abs4 Z2 gebührt nicht, wenn bei gleitender Dienstzeit die Wochendienstzeit innerhalb des Kalendervierteljahres im Durchschnitt nicht überschritten wird."
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 – BDG 1979), BGBl 333/1979, idF BGBl I 153/2020 lauten auszugsweise (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):
"Mehrdienstleistung
§49. (1) Der Beamte hat auf Anordnung über die im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden hinaus Dienst zu versehen (Mehrdienstleistung). Den auf Anordnung erbrachten Mehrdienstleistungen sind Mehrdienstleistungen gleichzuhalten, wenn
1. der Beamte einen zur Anordnung der Mehrdienstleistung Befugten nicht erreichen konnte,
2. die Mehrdienstleistung zur Abwehr eines Schadens unverzüglich notwendig war,
3. die Notwendigkeit der Mehrdienstleistung nicht auf Umstände zurückgeht, die von dem Beamten, der die Mehrdienstleistung erbracht hat, hätten vermieden werden können, und
4. der Beamte diese Mehrdienstleistung spätestens innerhalb einer Woche nach der Erbringung schriftlich meldet; ist der Beamte durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne sein Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten, so verlängert sie sich um die Dauer der Verhinderung.
(2) An Werktagen erbrachte Mehrdienstleistungen (ausgenommen jene nach §47a Z2 litb) sind nach Möglichkeit im selben Kalendervierteljahr im Verhältnis 1:1 in Freizeit auszugleichen. Mehrdienstleistungen außerhalb der Nachtzeit sind vor Mehrdienstleistungen in der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) auszugleichen. Mehrdienstleistungen an Sonn- und Feiertagen sind nicht durch Freizeit auszugleichen.
(3) Mehrdienstleistungen an Werktagen, die im betreffenden Kalendervierteljahr nicht durch Freizeit ausgeglichen sind, gelten mit Ablauf des Kalendervierteljahres als Überstunden. Mehrdienstleistungen an Sonn- und Feiertagen gelten in jedem Fall als Überstunden und sind nach besoldungsrechtlichen Vorschriften abzugelten.
(4) Werktagsüberstunden sind je nach Anordnung
1. im Verhältnis 1:1,5 in Freizeit auszugleichen oder
2. nach besoldungsrechtlichen Vorschriften abzugelten oder
3. im Verhältnis 1:1 in Freizeit auszugleichen und zusätzlich nach besoldungsrechtlichen Vorschriften abzugelten.
(5) Auf Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung nach §23 Abs10 MSchG, nach §10 Abs12 VKG und nach §50c Abs3 dieses Bundesgesetzes ist, soweit sie die regelmäßige Wochendienstzeit nach §48 Abs2 oder 6 nicht überschreiten, Abs4 nicht anzuwenden. Solche Werktagsüberstunden sind je nach Anordnung
1. im Verhältnis 1:1,25 in Freizeit auszugleichen oder
2. nach besoldungsrechtlichen Vorschriften abzugelten oder
3. im Verhältnis 1:1 in Freizeit auszugleichen und zusätzlich nach besoldungsrechtlichen Vorschriften abzugelten.
Soweit jedoch Zeiten einer solchen Dienstleistung die regelmäßige Wochendienstzeit nach §48 Abs2 oder 6 überschreiten, ist auf diese Abs4 anzuwenden.
(6) Dem Beamten ist bis zum Ende des auf das Kalendervierteljahr folgenden Kalendermonats mitzuteilen, auf welche Werktagsüberstunden welche Abgeltungsart des Abs4 angewendet wird.
(7) Werktagsüberstunden außerhalb der Nachtzeit sind vor Werktagsüberstunden in der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) auszugleichen.
(8) Ein Freizeitausgleich für Werktagsüberstunden ist bis zum Ende des sechsten auf das Kalendervierteljahr der Leistung folgenden Monats zulässig.
(9) Folgende Zeiten gelten jedenfalls nicht als Überstunden:
1. Zeiten einer vom Beamten angestrebten Einarbeitung von Dienstzeit (zB im Fall eines Diensttausches oder einer sonstigen angestrebten Verlegung der Zeit der Dienstleistung) und
2. Zeitguthaben aus der gleitenden Dienstzeit, soweit sie die im Gleitzeitdienstplan festgelegte Obergrenze für jeweils in den Folgezeitraum übertragbare Zeitguthaben nicht übersteigen.
Diese Zeiten sind, soweit dies nicht bereits erfolgt ist, ausschließlich im Verhältnis 1:1 in Freizeit abzugelten.
[…]
Dienstleistung während der Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit
§50c. [(1)–(2) …]
(3) Abgesehen vom Fall des Abs2 kann ein Beamter, dessen regelmäßige Wochendienstzeit nach den §§50a, 50b oder 50e herabgesetzt worden ist, über die für ihn maßgebende Wochendienstzeit hinaus zur Dienstleistung nur herangezogen werden, wenn die Dienstleistung zur Vermeidung eines Schadens unverzüglich notwendig ist und ein Bediensteter, dessen regelmäßige Wochendienstzeit nicht herabgesetzt ist, nicht zur Verfügung steht."
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes 1979 – MSchG, BGBl 221/1979, idF BGBl I 119/2021 lauten auszugsweise:
"Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung
§15h. (1) Die Dienstnehmerin hat einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung längstens bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahres oder einem späteren Schuleintritt des Kindes, wenn
1. das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt des Antritts der Teilzeitbeschäftigung ununterbrochen drei Jahre gedauert hat,
2. die Dienstnehmerin zu diesem Zeitpunkt in einem Betrieb (§34 Arbeitsverfassungsgesetz – ArbVG, BGBl Nr 22/1974) mit mehr als 20 Dienstnehmern und Dienstnehmerinnen beschäftigt ist und
3. die wöchentliche Normalarbeitszeit um mindestens 20 vH reduziert wird und zwölf Stunden nicht unterschreitet (Bandbreite).
Beginn, Dauer, Ausmaß und Lage der Teilzeitbeschäftigung sind mit dem Dienstgeber zu vereinbaren, wobei die betrieblichen Interessen und die Interessen der Dienstnehmerin zu berücksichtigen sind. Dienstnehmerinnen haben während eines Lehrverhältnisses keinen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung.
[(2)–(4) …]
[…]
Abschnitt 8
Sonderbestimmungen für Bedienstete in bestimmten Zweigen des öffentlichen Dienstes
[…]
§23. [(1)–(10a) …]
(11) §15h Abs1 ist auf Richteramtsanwärterinnen und Richterinnen mit der Maßgabe anzuwenden, dass sie Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung längstens bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahres oder einem späteren Schuleintritt des Kindes haben. Die Bestimmungen des §15h Abs1 betreffend Ausmaß der Teilzeitbeschäftigung und des §15j Abs5 und 6 sind auf Richteramtsanwärterinnen und Richterinnen mit folgenden Abweichungen anzuwenden:
1. An die Stelle der Teilzeitbeschäftigung tritt die Teilauslastung. Unter Teilauslastung ist eine Ermäßigung des regelmäßigen Dienstes bis auf die Hälfte zu verstehen.
2. Für die vorzeitige Beendigung einer Teilauslastung gilt §76c RStDG.
[(12)–(17) …]"
4. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter (Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz – RStDG), BGBl 305/1961, idF BGBl I 94/2021 lauten auszugsweise:
"Anwesenheit im Amte
§60. Der Richter hat seine Anwesenheit im Amte derart einzurichten, daß er seinen Amtspflichten ordnungsgemäß nachkommen kann.
[…]
Gehalt des Richters
§66. (1) Das Gehalt der Richterin oder des Richters wird durch die Gehaltsgruppe und in ihr durch die Gehaltsstufe bestimmt. […] [(2) …]
(3) Mit dem Gehalt sind alle mengenmäßigen und zeitlichen Mehrleistungen abgegolten. Ausgenommen sind bei Richtern der für Strafsachen zuständigen Gerichtshöfe erster Instanz Nebengebühren für Journaldienste, für Rufbereitschaft und für Dienstleistungen auf Grund einer Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft.
[(4)–(12) …]"
5. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 27. November 1896, womit Vorschriften über die Besetzung, innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte erlassen werden (Gerichtsorganisationsgesetz – GOG), RGBl. 217/1896, idF BGBl I 87/2021 lauten auszugsweise:
"§38. (1) Bei jedem für Strafsachen zuständigen Gerichtshof erster Instanz hat außerhalb der gerichtlichen Dienststunden jeweils ein Richter Rufbereitschaft zu leisten. Die Einteilung der Richter zur Rufbereitschaft hat der Personalsenat so vorzunehmen, daß eine möglichst gleichmäßige Heranziehung der Richter erfolgt. Die Einteilung kann von den betroffenen Richtern einvernehmlich gegen vorherige Meldung an den Präsidenten abgeändert werden.
(2) Während der Rufbereitschaft hat der Richter seinen Aufenthalt so zu wählen, daß er unter Verwendung der zur Verfügung stehenden technischen Kommunikationsmittel jederzeit erreichbar ist und binnen kürzester Zeit anstelle des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richters außerhalb der gerichtlichen Dienststunden in Strafsachen anfallende Amtshandlungen vornehmen kann, mit deren Durchführung nicht bis zum Beginn der nächsten gerichtlichen Dienststunden oder des nächsten Journaldienstes zugewartet werden kann.
(3) Der in Rufbereitschaft stehende Richter ist unter den Voraussetzungen des Abs2 auch für Amtshandlungen in Strafsachen zuständig, die in die Zuständigkeit der unterstellten Bezirksgerichte fallen.
§39. (1) Der Bundesminister für Justiz kann nach Maßgabe des durchschnittlichen Anfalls dringlicher Amtshandlungen in Strafsachen anordnen, daß bei einzelnen Gerichtshöfen erster Instanz während bestimmter Zeiträume anstelle der Rufbereitschaft Journaldienst zu leisten ist. Während des Journaldienstes hat der für den betreffenden Tag zur Rufbereitschaft eingeteilte Richter in den dafür bestimmten Amtsräumen des Gerichtshofes erster Instanz anwesend zu sein, sofern er nicht auf Grund einer Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft oder des Journaldienstes auswärtige Amtshandlungen durchzuführen hat."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:
2.1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist dem Gesetzgeber bei der Regelung des Dienst- und Besoldungsrechtes der öffentlich Bediensteten durch den Gleichheitsgrundsatz ein verhältnismäßig weiter Gestaltungsspielraum offen gelassen; er ist lediglich gehalten, das Dienst- und Besoldungsrecht (sowie Pensionsrecht) derart zu gestalten, dass es im Großen und Ganzen in einem angemessenen Verhältnis zu den öffentlich Bediensteten obliegenden Dienstpflichten steht (vgl etwa VfSlg 11.193/1986, 12.154/1989, 16.176/2001, 19.255/2010; ). Insbesondere liegt die Art der Gestaltung des Gehaltsschemas der Beamten und des Entlohnungsschemas der Vertragsbediensteten in der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, sofern er mit seiner Regelung nicht gegen das – sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergebende – Sachlichkeitsgebot verstößt (vgl VfSlg 9607/1983, 16.176/2001, 18.934/2009 und 20.108/2016).
2.1.2. Gemäß §66 Abs1 RStDG wird das Gehalt von Richtern durch die Gehaltsgruppe und im Rahmen dieser durch die Gehaltsstufe bestimmt. Das Gehalt von Richtern ist grundsätzlich als "All-in-Bezug" – mit dem alle mengenmäßigen und zeitlichen Mehrleistungen abgegolten werden – zu sehen. Nach §66 Abs3 RStDG stehen jedoch den für Strafsachen der Gerichtshöfe erster Instanz zuständigen Richtern – als Ausnahme von diesem Grundsatz – für Rufbereitschaft und Journaldienste sowie für die Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft Nebengebühren zu. Die Nebengebühren für Rufbereitschaft und Journaldienst sind pauschaliert (vgl dazu §17a GehG iVm §39 GOG [Journaldienstzulage] und §17b GehG iVm §38 GOG [Bereitschaftsentschädigung bei Rufbereitschaft]). Für die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft gebührt demgegenüber eine Überstundenvergütung, die sich nach §16 GehG bemisst. Die Höhe des in §16 Abs4 GehG normierten Überstundenzuschlags richtet sich danach, ob eine Person in Voll- oder Teilauslastung tätig ist. Während der Überstundenzuschlag bei Personen in Vollauslastung gemäß §16 Abs4 Z1 GehG iVm §49 Abs4 BDG 1979 außerhalb der Nachtzeit 50% und während der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) 100% beträgt, steht Personen in Teilauslastung gemäß §16 Abs4 Z2 GehG iVm §49 Abs5 BDG 1979 undifferenziert ein Überstundenzuschlag iHv 25% zu, sofern die regelmäßige Wochendienstzeit nicht überschritten wird.
Diese Rechtslage führt im Ergebnis dazu, dass Richter in Teilauslastung, die Überstunden durch die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden leisten, (bloß) einen Überstundenzuschlag iHv 25% bekommen, während Richter in Vollauslastung, die durch die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft Überstunden während der Nachtstunden leisten, einen gegenüber dem außerhalb der Nachtstunden zustehenden Überstundenzuschlag von 50% erhöhten Überstundenzuschlag iHv 100% erhalten. Der Ausgangspunkt der im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken ist somit die tatsächliche Inanspruchnahme teilausgelasteter Richter im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden.
Die Regelarbeitszeit bei Richtern sowohl in Voll- als auch in Teilauslastung ist (in der Regel) nicht während der Nachtstunden (22.00 bis 6.00 Uhr) zu leisten (vgl §60 RStDG). Im Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft treten aber Fälle ein, in denen Überstunden auch während der Nachtzeit anfallen können. Bei der tatsächlichen Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden handelt es sich folglich um eine besondere Form der Überstundenleistung außerhalb der gewöhnlich tagsüber zu leistenden Regelarbeitszeit von sowohl voll- als auch teilausgelasteten Richtern während einer ungünstigen Arbeitszeit (vgl , Jämställdhetsombudsmannen, Rz 40). Diese Abweichung von der gewöhnlich tagsüber zu leistenden Regelarbeitszeit bringt der Gesetzgeber auch insofern zum Ausdruck, als er – zumindest für Personen in Vollauslastung – in §16 Abs4 Z1 GehG eine Erhöhung des Überstundenzuschlags von 50% für Überstunden während der gewöhnlich tagsüber zu leistenden Regelarbeitszeit auf 100% für die Leistung von Überstunden während der Nachtzeit – sohin während der "Ausnahmezeit" – vorsieht. Die mit der Abweichung von der gewöhnlich tagsüber zu leistenden Regelarbeitszeit einhergehende und vom Gesetzgeber durch die Erhöhung des Überstundenzuschlags auch (implizit) anerkannte Belastung wird nach der bestehenden Rechtslage somit ausschließlich für vollausgelastete Personen abgegolten. Dies steht in einem Wertungswiderspruch dazu, dass für dieselbe Tätigkeit – nämlich die Erbringung von Überstunden außerhalb der gewöhnlich tagsüber zu leistenden Regelarbeitszeit während der Nachtstunden – für Teilausgelastete keine solche Erhöhung des Überstundenzuschlags eintritt. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass, wenn der Gesetzgeber – im Bereich des für die Richter anzuwendenden Beamtendienstrechts – für die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft während der ungünstigen Arbeitszeit in den Nachtstunden von 22.00 bis 6.00 Uhr speziell eine Erhöhung des Überstundenzuschlags von 50% auf 100% vorgesehen hat, eine solche nur bei Vollauslastung, nicht hingegen bei Teilauslastung (bis zur Erreichung der regelmäßigen Wochendienstzeit) zusteht (vgl in diesem Sinne zu Gemeindebediensteten in Tirol auch ; OLG Innsbruck , 13 Ra 12/21v).
Der Einwand der Bundesregierung, dass der höhere Zuschlag für Dienstleistungen während der Nachtzeit, die über die regelmäßige Wochendienstzeit hinausgehen, in erster Linie auf die insgesamt im Durchrechnungszeitraum eingetretene zeitliche Belastung abstellt und Dienstleistungen während der Nachtzeit sowohl bei Teilzeitbeschäftigten als auch bei Vollbeschäftigten zu keinerlei zusätzlicher Abgeltung in Form von Überstundenzuschlägen führen, wenn diese nicht über die jeweilige regelmäßige Dienstzeit hinausgehen oder innerhalb desselben Kalendervierteljahres im Verhältnis 1:1 in Freizeit ausgeglichen werden können (§49 Abs2 und 3 BDG 1979), führt zu keiner anderen Beurteilung. Durch den in §66 Abs3 RStDG bei Richtern geltenden "All-in-Bezug" gelten sowohl bei Voll- als auch bei Teilauslastung alle mengenmäßigen und zeitlichen Mehrleistungen als abgegolten, weshalb bei Richtern – anders als bei anderen Beamten, für die die regelmäßige Wochendienstzeit von 40 Stunden gemäß §48 Abs2 BDG 1979 (außer bei gesonderter Vereinbarung der Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit) gilt – im Regelfall keine Überschreitung der regelmäßigen Dienstzeit eintritt und konsequenterweise keine zuschlagsfähigen Überstunden entstehen können. Diesfalls können sich Überstunden bzw ein sich daraus ergebender Überstundenzuschlag gemäß §16 Abs4 GehG überhaupt nur im Ausnahmefall der Dienstleistungen während der tatsächlichen Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft ergeben – unabhängig davon, ob die regelmäßige Wochendienstzeit bereits überschritten ist oder nicht.
Dienstleistungen während der tatsächlichen Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft ist nicht nur immanent, dass sie regelmäßig auch in Abweichung von der gewöhnlich tagsüber zu leistenden Regelarbeitszeit während der Nachtzeiten (22.00 bis 6.00 Uhr) stattfinden, sondern dass sie – wie der vorliegende Fall zeigt und von der Bundesregierung auch nicht bestritten wurde – tatsächlich sowohl von vollausgelasteten als auch von teilausgelasteten Richtern – wenn auch bei diesen nur in engen Grenzen (zB §23 Abs10 MSchG) – durchzuführen sind (vgl §38 Abs1 GOG). Dem Einwand, dass die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden eine Person in Vollauslastung mehr belastet – wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung einwendet – kann vor dem Hintergrund des §23 Abs11 iVm §15h Abs1 MSchG (bzw korrespondierend gemäß §10 Abs13 VKG oder gemäß §50b Abs1 BDG 1979) nicht gefolgt werden, legt diese Bestimmung doch ein eigenes Regelungssystem für diese Personen fest, indem der Gesetzgeber sie zugunsten ihrer privaten Betreuungsverpflichtungen vor außerordentlichen beruflichen Belastungen schützen möchte; dies ergibt sich insbesondere aus §23 Abs10 MSchG (bzw korrespondierend §10 Abs12 VKG bzw §50c Abs3 BDG 1979), wonach Personen in Teilauslastung über die für sie maßgebende Wochendienstzeit hinaus zur Dienstleistung nur herangezogen werden dürfen, wenn die Dienstleistung zur Vermeidung eines Schadens unverzüglich notwendig ist und ein Bediensteter, dessen Wochendienstzeit nicht herabgesetzt ist, nicht zur Verfügung steht.
2.1.3. Das Regelungssystem, nach dem teilausgelastete Richter für Überstunden durch die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden bloß einen 25%-igen Überstundenzuschlag erhalten, sich der Überstundenzuschlag aber für vollausgelastete Richter für Überstunden durch die tatsächliche Inanspruchnahme im Rahmen der Rufbereitschaft während der Nachtstunden auf 100% erhöht, erweist sich aus den dargelegten Gründen als unsachlich.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 16.929/2003, 16.989/2003, 17.057/2003, 18.227/2007, 19.166/2010, 19.698/2012).
Zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken nicht bestehen, genügt es – ungeachtet einer anderen sachlichen gesetzlichen Regelung –, in §16 Abs4 GehG lediglich die Wortfolgen "gemäß §49 Abs4 BDG 1979" sowie "und 2. für Überstunden gemäß §49 Abs5 BDG 1979 25%" aufzuheben. Damit steht nach der bereinigten Rechtslage auch Richtern in Teilauslastung, die im Rahmen der Rufbereitschaft tatsächliche Dienstleistungen während der Nachtstunden (22.00 bis 6.00 Uhr) erbringen, ein gegenüber dem Überstundenzuschlag iHv 50% außerhalb der Nachtstunden erhöhter Überstundenzuschlag iHv 100% zu. Die vorläufigen verfassungsrechtlichen Bedenken auch gegen die Bestimmung des §49 Abs5 BDG 1979, der lediglich den Freizeitausgleich von Mehrdienstleistungen bei Beamten mit herabgesetzter Wochendienstzeit regelt, haben sich als nichtzutreffend herausgestellt.
IV. Ergebnis
1. Die Wortfolgen "gemäß §49 Abs4 BDG 1979" sowie "und 2. für Überstunden gemäß §49 Abs5 BDG 1979 25%" in §16 Abs4 Gehaltsgesetz 1956, BGBl 54/1956, idF BGBl I 96/2007 sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.
Die übrigen Bestimmungen des §16 Abs4 Gehaltsgesetz 1956, BGBl 54/1956, idF BGBl I 96/2007 sowie §49 Abs5 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl 333/1979, idF BGBl I 96/2007 sind nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz in Gesetzesprüfungsverfahren (vom – hier nicht gegebenen – Fall des §65a VfGG abgesehen) im VfGG nicht vorgesehen ist.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2022:G379.2021 |
Schlagworte: | Überstundenvergütung (Dienstrecht), Bezüge, Zulage, Richter |
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