VfGH vom 26.02.2002, G351/01

VfGH vom 26.02.2002, G351/01

Sammlungsnummer

16445

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit von Schwellenwertregelungen im Bundesvergabegesetz 1997 mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

I. 1. Die Wortfolgen


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"dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt" in § 5 Abs 1 Bundesvergabegesetz 1997, BGBl. I 56,


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"dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen Euro beträgt" in § 6 Abs 1 Bundesvergabegesetz 1997 idF BGBl. I 80/1999,


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"dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt" in § 7 Abs 1 Bundesvergabegesetz 1997 idF BGBl. I 80/1999 sowie


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", wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 400 000 Euro," in § 9 Abs 1 Z 1 Bundesvergabegesetz 1997 idF BGBl. I 80/1999

werden als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B806/00 eine Beschwerde des Bundes gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) vom anhängig. Mit diesem Bescheid wird im Verfahren zur Vergabe der gemäß § 13 AlSAG durchzuführenden Verdachtsflächenuntersuchung "Ehemaliges TKV-Areal" in Altheim, das vom Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Abteilung Umweltschutz, für den Landeshauptmann von Oberösterreich in Vertretung für den Bund ausgeschrieben wurde, unter anderem die Entscheidung des Auftraggebers, "kein Verfahren nach dem BVergG durchzuführen und insbesondere keine Bekanntmachung im Amtsblatt der EG zu veröffentlichen, gemäß § 117 Abs 1 BVergG für nichtig erklärt". Nach Ansicht des BVA sei der Auftrag als Teillos mehrerer gleichartiger Dienstleistungsaufträge anzusehen, deren Wert gemäß § 7 Abs 3 Bundesvergabegesetz (BVergG) 1997 zusammenzurechnen gewesen wäre. Auf diesem Weg wäre der maßgebliche Schwellenwert von 130 000 Sonderziehungsrechten (SZR) in § 7 Abs 1 BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999 überschritten worden, was die Zuständigkeit des BVA zur Erlassung des angefochtenen Bescheides begründe.

b) In der Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt.

c) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

2. a) Zur Zahl B69/01 ist beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde anhängig, die sich gegen einen Bescheid des BVA vom richtet. Mit diesem Bescheid wird betreffend ein Vergabeverfahren des Bundes zur Lieferung und Installation eines Film- und Printprozessors für das Landesgendarmeriekommando Oberösterreich, das mangels Überschreitens des für Lieferaufträge gemäß § 5 Abs 1 BVergG 1997 maßgeblichen Schwellenwertes gemäß den Bestimmungen der ÖNORM A 2050 durchgeführt wurde, festgestellt, daß wegen eines Verstoßes gegen das BVergG der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei. Das BVA begründet seine Zuständigkeit zur Erlassung des angefochtenen Bescheides damit, daß der Auftraggeber nach "umsichtiger und sachkundiger Schätzung des Auftragswertes und sorgfältiger Prüfung des Marktsegments" einen höheren Auftragswert hätte veranschlagen müssen und das Vergabeverfahren so in den sachlichen Geltungsbereich des BVergG gefallen wäre.

b) In der gegen diesen Bescheid vom Bund erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gerügt: Das BVA wäre zur Erlassung der bekämpften Entscheidung nicht zuständig gewesen, da der maßgebliche Schwellenwert für Lieferaufträge in § 5 Abs 1 BVergG 1997 (130 000 SZR) nicht überschritten worden sei.

c) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

Eine mitbeteiligte Partei hat eine als Gegenschrift bezeichnete Äußerung erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und beantragte, die Beschwerde als unbegründet ab-, allenfalls zurückzuweisen. Der Bund hat auf diese Äußerung repliziert.

3. a) Zur Zahl B107/01 ist beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde anhängig, die sich gegen einen Bescheid des BVA vom richtet, mit dem ein Nachprüfungsantrag des Beschwerdeführers "gemäß §§6 Abs 1 iVm 113 Abs 3 BVergG mangels Zuständigkeit des Bundesvergabeamts zurückgewiesen" wird. Diesem Nachprüfungsverfahren liegt ein Vergabeverfahren des Abwasserverbandes Karnische Region zugrunde, mit dem im offenen Verfahren die Baumeisterarbeiten betreffend die Kanalverlegung "ABA Gitschtal, Bauabschnitt BA 07 Weißbriach und Randgebiete" öffentlich ausgeschrieben wurden. Begründet wird die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags damit, daß die Gesamtherstellungskosten für das gegenständliche Bauvorhaben den Schwellenwert des § 6 Abs 1 BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999 in der Höhe von € 5 Millionen nicht erreichen würden und der in Rede stehende Bauabschnitt mangels funktionalen und technischen Zusammenhangs mit den anderen Bauabschnitten auch nicht als einzelnes Baulos (§6 Abs 2 BVergG) eines größeren Bauvorhabens angesehen werden könne.

b) Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides.

c) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

Der auftraggebende Abwasserverband hat eine als Gegenschrift bezeichnete Äußerung erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und beantragte, der Beschwerde "keine Folge zu geben und den Beschwerdeführer in den Kostenersatz zu verfällen".

4. a) Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B390/01 eine Beschwerde anhängig, die sich gegen einen Bescheid des BVA vom richtet, mit dem im Vergabeverfahren der Österreichischen Bundesbahnen "Eulofenbrücken 1+2, Teilerneuerung der Lager und des Mittelpfeilers sowie Erneuerung der Stahltragwerke" die Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Nichtigerklärung der Entscheidung, ein Verhandlungsverfahren durchzuführen, sowie eine einstweilige Verfügung zu erlassen, mangels Zuständigkeit zurückgewiesen wurden, da der geschätzte Auftragswert den für Bauaufträge in § 6 Abs 1 BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999 normierten Schwellenwert nicht übersteige.

b) In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in Rechten wegen als verfassungswidrig erachteter Bestimmungen des BVergG gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt.

c) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

Die dem Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogene Auftraggeberin hat eine Äußerung abgegeben, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

5. a) Die beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl B1133/01 protokollierte Beschwerde richtet sich schließlich gegen einen Bescheid des BVA vom , mit dem im Vergabeverfahren "Betreuungs- und Koordinierungsleistungen für das Umweltverträglichkeitsverfahren sowie die Erstellung der Einreichplanung für die Errichtung eines Parallelpistensystems" des Auftraggebers Flughafen Wien AG unter anderem dem Antrag einer Bietergemeinschaft festzustellen, daß wegen eines Verstoßes gegen das BVergG oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, stattgegeben wurde und der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Feststellung, daß die antragstellende Bietergemeinschaft auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte, abgewiesen wurde. Seine Zuständigkeit und die Anwendbarkeit des BVergG auf das gegenständliche Vergabeverfahren hatte das BVA unter Hinweis darauf bejaht, daß der hiefür maßgebliche, in § 9 Abs 1 Z 1 BVergG festgelegte Schwellenwert von € 400.000,-- überschritten werde.

b) In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung der in § 9 Abs 1 Z 1 BVergG idF BGBl. I 80/1999 normierten, als verfassungswidrig erachteten Schwellenwertregelung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt.

c) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

Dem Verfahren als mitbeteiligte Parteien hinzugezogene Bieter haben eine als Gegenschrift bezeichnete Äußerung erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentraten und beantragten, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. Die in Prüfung gezogenen Wortfolgen des BVergG 1997 stehen in folgendem normativen Zusammenhang:

1. a) Das BVergG 1997 enthält gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bau- (einschließlich sogenannten Baukonzessions-)Aufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Für die Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte bestimmt § 13 BVergG 1997 in der für alle in Rede stehenden Vergabeverfahren maßgeblichen Fassung BGBl. I 56/1997 unter anderem:

"(1) Unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte haben die in § 11 Abs 1 Z 1 bis 4 genannten Auftraggeber die Bestimmungen der ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom , Anlage zur Allgemeinen Bundesvergabeverordnung - ABVV, BGBl Nr. 17/1994, bei der Vergabe von Aufträgen anzuwenden, soweit ihr Inhalt nicht gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen Regelungen - abgesehen von den Bestimmungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes - oder den auf Grund des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen widerspricht.

(2) Abs 1 gilt nicht für Dienstleistungaufträge gemäß Anhang IV und für Aufträge, die ein Auftraggeber zum Zweck der Durchführung einer in § 84 Abs 2 beschriebenen Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vergibt.

..."

Der unter der Rubrik "Erweiterung des Rechtsschutzbereiches" stehende § 14 BVergG 1997 in der zitierten Fassung bestimmt weiters auszugsweise:

"(1) Die Bundesregierung kann mit Verordnung das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles dieses Bundesgesetzes für in § 11 Abs 1 Z 1 bis 4 genannte Auftraggeber auch unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte für bindend erklären, wenn dies im Interesse des Wettbewerbes, des Rechtsschutzes von Bewerbern oder Bietern und im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise bei der Vergabe von Aufträgen zweckmäßig ist und folgende Auftragswerte nicht unterschritten werden:


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1.
bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gemäß §§1 und 3 eine Million Schilling ohne Umsatzsteuer,


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2.
bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß § 2 Abs 1 Z 2 und 3 und Abs 3 sowie § 11 Abs 3 14 Millionen
Schilling ohne Umsatzsteuer,


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3.
bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß § 2 Abs 1 Z 1 sieben Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer.

(2) Die Erweiterung gemäß Abs 1 gilt nicht für Dienstleistungsaufträge gemäß Anhang IV und für Aufträge, die ein Auftraggeber zum Zweck der Durchführung einer in § 84 Abs 2 beschriebenen Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vergibt.

(3) Bis zur Erlassung einer Verordnung der Bundesregierung gemäß Abs 1 kann jeder Bundesminister für seinen Wirkungsbereich eine solche Verordnung erlassen."

Das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG 1997 enthält Regelungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz durch die Bundes-Vergabekontrollkommission und das BVA sowie zivilrechtliche Bestimmungen. Die in den bezogenen Ziffern des § 11 Abs 1 genannten öffentlichen Auftraggeber sind der Bund, bestimmte Einrichtungen des Bundes, bestimmte rechnungshofkontrollpflichtige Unternehmungen sowie die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Zusammengefaßt ergibt sich folgendes Bild: Für Vergaben unterhalb bestimmter Schwellenwerte (§§5 bis 8 BVergG) gelten - mit Ausnahme nicht prioritärer Dienstleistungen und Vergaben in den Sektorenbereichen - grundsätzlich die Verfahrensanordnungen der ÖNORM A 2050; zur Durchsetzung sich daraus ableitender Rechte können die Bundesregierung bzw. subsidiär einzelne Bundesminister mittels Verordnungen den im Gesetz primär nur für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte konzipierten vergabespezifischen Rechtsschutz erstrecken. Bezüglich des Sektorenbereiches gelten die gesetzlichen Bestimmungen über das einzuhaltende Vergabeverfahren nur zum Teil (§84 Abs 1 BVergG) und nur oberhalb der Schwellenwerte (§9 BVergG). Für Sektorenvergaben, die diese Werte nicht erreichen, bestehen weder eigene außenwirksame gesetzliche Regelungen noch ist vorgesehen, daß die für Aufträge oberhalb des Schwellenwertes geltenden Bestimmungen durch (Erstreckungs-)Verordnung für anwendbar erklärt werden können; konsequenterweise stehen für Bewerber/Bieter in solchen Vergabeverfahren auch die vergabespezifischen Rechtsschutzinstrumentarien nicht zur Verfügung.

b) Eine Erstreckungsverordnung im Sinne des § 14 BVergG 1997 erließ der (damalige) Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Wirkung ab (BGBl. II 35/2000). Ihr unterliegen Bauleistungen im Bereich dieses Bundesministeriums (nunmehr: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit), solange bestimmte Auftragswerte nicht unterschritten werden.

c) Hinsichtlich der in den oben unter Pkt. I.1. bis 5. bezogenen Verfahren vergebenen Arten von Aufträgen normiert das BVergG unterschiedlich hohe Schwellenwerte; die maßgeblichen Bestimmungen (, die in der in Prüfung genommenen Fassung wiedergegeben und deren in Prüfung genommenen Teile jeweils hervorgehoben sind,) lauten:

"§5. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Lieferaufträgen durch die in Anhang V genannten Auftraggeber dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt. Im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung gilt dies nur für Lieferaufträge betreffend Waren, die in Anhang VI enthalten sind."

"§6. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen Euro beträgt."

"§7. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen durch die in Anhang V genannten Auftraggeber dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt. Im übrigen gilt dieses Bundesgesetz für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200 000 Euro beträgt."

"§9. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen

1. im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 400 000 Euro, sowie

..."

2. a) Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Prüfungsbeschluß vorläufig davon ausgegangen, daß die Beschwerden zulässig sind und daß er bei ihrer Behandlung jeweils eine der in Prüfung gezogenen Bestimmungen anzuwenden hätte: Das BVA hat in den den vorliegenden Anlaßbeschwerden zugrundeliegenden Nachprüfungsverfahren zur Beurteilung der Anträge die bei der Schilderung der Verfahren (vgl. oben Pkt. I.1. bis 5.) jeweils genannten Bestimmungen über die Schwellenwerte angewendet und daraus seine Zuständigkeit angenommen oder verneint. Der Verfassungsgerichtshof ging daher davon aus, daß die in Prüfung gezogenen Vorschriften präjudiziell im Sinne des Art 140 Abs 1 B-VG sein dürften.

Diesen Annahmen ist die Bundesregierung nicht entgegengetreten.

b) In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die in Prüfung gezogenen Schwellenwertregelungen zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führen. Er führte dazu aus:

"In seinem Erkenntnis G110,111/99 vom hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß die Schwellenwertregelung des § 3 Abs 1 Bundesvergabegesetz, BGBl. 462/1993, durch die die in diesem Gesetz normierten Vergabeverfahrensregelungen und die vergabespezifischen Rechtsschutzinstrumentarien auf Aufträge beschränkt wurden, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag überstiegen, dem Gleichheitsgrundsatz widersprochen hat: Eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß der Gesetzgeber im Bereich unterhalb der in dieser Bestimmung normierten Schwellenwerte auf eine außenwirksame Regelung, die den Bietern und Bewerbern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellte, gänzlich verzichtete und die Bewerber und Bieter damit generell vom vergabespezifischen Rechtsschutz ausschloß, war nicht erkennbar. In diesem Sinne entschied der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis G43/00 vom auch hinsichtlich der Schwellenwertregelung im sog. Sektorenbereich.

Aufbauend auf dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G10/01, seine Bedenken gegenüber dem Schwellenwertsystem auch auf das BVergG 1997, BGBl. I 56/1997, erstreckt, das zwar (wenn auch unter bestimmten Einschränkungen, die etwa Vergaben in den sog. geschützten Sektoren betreffen) für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte eine verbindliche Geltung der ÖNORM A 2050 anordnet, zur effektiven Durchsetzung daraus abgeleiteter Rechte den im Oberschwellenbereich als notwendig erachteten vergabespezifischen Rechtsschutz aber nicht zur Verfügung stellt. Auch für dieses - im Vergleich zum BVergG 1993 also modifizierte - Schwellenwertsystem des BVergG 1997 könne eine sachliche Rechtfertigung nicht gefunden werden.

Der Verfassungsgerichtshof sieht vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen, weshalb er beschlossen hat, die im Spruch genannten Wortfolgen in Prüfung zu ziehen. Bei der Abgrenzung der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen hat sich der Verfassungsgerichtshof von den bereits in den zitierten Vorentscheidungen zum Ausdruck gebrachten Erwägungen leiten lassen."

3. Die Bundesregierung teilte mit Schriftsatz vom mit, daß sie beschlossen habe, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen. Für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen stellte sie den Antrag, eine Frist für das Außerkrafttreten von sechs Monaten zu bestimmen, "um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen".

5. Weiters haben mitbeteiligte Parteien zweier Anlaßverfahren Äußerungen erstattet.

III. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs erweisen sich auch als begründet.

1. Es wurde nichts vorgebracht noch ist etwas hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerdeverfahren und der Präjudizialität der jeweils in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Auch der Hinweis eines der Beteiligten, der Sitz der angenommenen Rechtswidrigkeit liege in der Nichterlassung einer "Rechtsschutz-Erstreckungsverordnung", ändert nichts daran, daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen von der belangten Behörde angewendet wurden und daher präjudiziell sind. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Durch die hinsichtlich einzelner Wortfolgen in Prüfung genommenen Bestimmungen wird der gesamte im 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG vorgesehene Rechtsschutz auf den Bereich oberhalb der (jeweiligen) Schwellenwerte beschränkt. Dies ist - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G10/01, ausführlich dargelegt hat - verfassungswidrig (vgl. weiters die grundlegenden Entscheidungen vom , G110,111/99, und vom , G43/00, sowie VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998). Es ist nämlich sachlich nicht zu rechtfertigen, die Kontrolle der Einhaltung der (im Vergleich zu den Oberschwellenwertregelungen zulässigerweise vereinfachten) Vergabevorschriften der ÖNORM A 2050 aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen. Ob es - wie dies einer der Beteiligten meint - zulässig wäre, Schwellenwertregelungen im Kontrollverfahren nach Zuschlagserteilung vorzusehen, war in diesem Verfahren nicht zu erörtern, da die in Prüfung stehenden Vorschriften Vergaben unterhalb der Schwellenwerte insgesamt, also auch hinsichtlich des vergabespezifischen Rechtsschutzes vor Zuschlagserteilung, vom Rechtsschutz ausnehmen, den das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG 1997 ansonsten vorsieht.

Da sich die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sohin als zutreffend erwiesen haben, waren die in Prüfung gezogenen Wortfolgen wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben. Zur genaueren Begründung verweist der Gerichtshof auf die zitierten Vorentscheidungen.

IV. Da derzeit eine Neuordnung des Bundesvergaberechtes in Vorbereitung ist und der Bundesverfassungsgesetzgeber davon ausgeht, daß diese mit in Wirksamkeit treten soll (vgl. § 128 Abs 8 BVergG 1997), sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, bei Bestimmung der gemäß Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG gesetzten Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis zum Ablauf des zu bestimmen. Damit ist der Verfassungsgerichtshof auch dem Ersuchen der Bundesregierung um Setzung einer sechsmonatigen Frist nachgekommen, in der die erforderlichen legistischen Vorbereitungsarbeiten zu einer gesetzlichen Neuordnung abgeschlossen werden können.

V. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG.

VI. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.