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VfGH vom 26.02.2002, G350/01

VfGH vom 26.02.2002, G350/01

Sammlungsnummer

16444

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit von Schwellenwertregelungen mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

1. § 5 Abs 1 lita des Tiroler Vergabegesetzes 1998, LGBl. für Tirol Nr. 17, idF LGBl. Nr. 76/1999 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

2. Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1128/01 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (im folgenden: UVS) anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

a) Mit Eingabe vom richtete die nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführende Gesellschaft an den UVS einen Antrag auf Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung und auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend ein von einer Tiroler Gemeinde im offenen Verfahren ausgeschriebenes Bauvorhaben, nämlich die Errichtung einer zweigeschoßigen Tiefgarage.

b) Mit Bescheid vom wies der UVS diesen Antrag - gestützt auf § 5 des Tiroler Vergabegesetzes 1998, LGBl. 17 idF LGBl. 76/1999, iVm § 6 Abs 1 des Bundesvergabegesetzes 1997 - zurück, weil der antragsgegenständliche Bauauftrag den in § 6 Abs 1 BVergG 1997 festgelegten Schwellenwert von € 5 Mio (= S 68.801.500,--) bei weitem nicht erreiche und der UVS daher mangels Erreichen dieses Schwellenwertes sachlich zur Behandlung des gestellten Nachprüfungsantrages unzuständig sei. (Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde im Hinblick darauf keiner gesonderten Erledigung zugeführt, daß der UVS seine Entscheidung über die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags innerhalb der für die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vorgesehenen Entscheidungsfrist von einer Woche getroffen habe.)

c) Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK insbesondere wegen Anwendung eines für verfassungswidrig erachteten Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

d) Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und, ohne auf das Beschwerdevorbringen einzugehen, die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Beschwerde beantragt.

2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs 1 lita des Tiroler Vergabegesetzes 1998 idF LGBl. 76/1999 entstanden, durch den in Form einer statischen Verweisung auf das

1. Hauptstück des 1. Teiles des Bundesvergabegesetzes 1997 idF BGBl. I 120/1999 unter anderem der vergabespezifische Rechtsschutz bei der Vergabe von Bauaufträgen auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt. Er hat daher beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung, welche im folgenden normativen Zusammenhang steht, von Amts wegen zu prüfen.

a) Das Tiroler Vergabegesetz 1998 regelt zufolge seines § 1 die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch öffentliche (in § 2 aufgezählte) Auftraggeber (darunter die Gemeinden in Tirol) nach Maßgabe der nach § 5 anzuwendenden Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes (BVergG) 1997, BGBl. I 56 idF BGBl. I 120/1999.

§ 5 Tiroler Vergabegesetz idF der für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Fassung LGBl. 76/1999 lautet (die in Prüfung stehende Bestimmung ist hervorgehoben):

"§5

Anwendung bundesgesetzlicher Bestimmungen

(1) Auf die Vergabe von Aufträgen sind folgende Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 sinngemäß anzuwenden:

a) das 1. Hauptstück des 1. Teiles,

b) der 2. Teil mit Ausnahme des § 34,

c) der 3. Teil mit Ausnahme der §§59 Abs 3, 64 zweiter Satz und 86 sowie mit der Maßgabe, dass

1. die in § 61 Abs 3 genannten Bekanntmachungen im Boten für Tirol zu veröffentlichen sind und § 61 Abs 4 hinsichtlich des Boten für Tirol gilt,

2. die Auftraggeber die in den §§65, 66 Abs 1 und 98 Abs 4 genannten Unterlagen an die Landesregierung zur Weiterleitung an den zuständigen Bundesminister zu übermitteln haben,

3. in § 84 Abs 1 an die Stelle des 1. und 4. Teiles des Bundesvergabegesetzes 1997 der 1. und 2. Teil dieses Gesetzes treten und

4. die in § 93 Abs 1 Z. 4 vorgesehene Mitteilung an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten entfällt.

(2) Die Befugnisse, die in den nach Abs 1 anzuwendenden Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 der Bundesregierung eingeräumt sind, kommen der Landesregierung zu."

Das 1. Hauptstück des 1. Teiles, der 2. und der 3. Teil des damit verwiesenen BVergG 1997 idF BGBl. I 120/1999 enthalten Regelungen über den sachlichen Geltungsbereich (1. Teil, 1. Hauptstück, §§1-10) sowie allgemeine (2. Teil) und besondere (3. Teil) Regeln über das bei der Vergabe von Aufträgen einzuhaltende Verfahren.

Der durch § 5 Abs 1 lita Tiroler Vergabegesetz unter anderem verwiesene § 6 Abs 1 BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999 lautet:

"Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen Euro beträgt."

Hinsichtlich des Rechtsschutzes bestimmt das Tiroler Vergabegesetz 1998 in seinem 2. Teil, daß Vergaben von Aufträgen nach diesem Gesetz der Nachprüfung durch den UVS unterliegen, der bis zur Zuschlagserteilung zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der im § 2 genannten Auftraggeber sowie nach Zuschlagserteilung zur Feststellung, ob der Zuschlag rechtmäßig dem Bestbieter erteilt wurde, berufen ist.

§ 4 des Tiroler Vergabegesetzes ermächtigt die Tiroler Landesregierung durch Verordnung zu bestimmen, daß der 2. und 3. Teil des BVergG 1997 sowie der 2. Teil des Tiroler Vergabegesetzes auf die Vergabe von Aufträgen auch unterhalb der in den §§5 bis 8 des BVergG 1997 festgelegten Schwellenwerte unter näher bezeichneten Voraussetzungen anzuwenden ist.

Eine derartige Verordnung hat die Tiroler Landesregierung jedoch nicht erlassen.

b) In seinem Einleitungsbeschluß vom ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig ist und er bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung genommene Bestimmung des § 5 Abs 1 lita Tiroler Vergabegesetz bei der Beurteilung, ob der UVS seine Zuständigkeit zu Recht verneint hat, anzuwenden hätte, zumal das Erreichen des Schwellenwertes von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich verneint wurde.

In der Sache hegte er das Bedenken, daß die sogenannte Schwellenwertregelung, wie sie im Tiroler Vergabegesetz in Form der Verweisung auf das 1. Hauptstück des 1. Teiles des BVergG 1997 für Bauaufträge enthalten ist, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führt, und führte dazu aus:

"Daß die Einräumung eines besonderen vergaberechtlichen Rechtsschutzes nur für Aufträge vorgesehen ist, die bestimmte Schwellenwerte übersteigen, hat der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom , G110,111/99, vom , G43/00, und insbesondere vom , G10/01, betreffend das Bundesvergabegesetz als dem Gleichheitsgrundsatz widersprechend erkannt. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß der Gesetzgeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich verzichtet und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell ausgeschlossen hat, sei nicht erkennbar.

Der Verfassungsgerichtshof sieht vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen, daß der gänzliche Verzicht auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz angesichts des Mangels geeigneter zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen - vielfach keinen Aufschub duldenden - vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen, zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die drei oben zitierten Erkenntnisse verwiesen."

3. Die Tiroler Landesregierung teilte mit Schriftsatz vom mit, daß angesichts der Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes zu den Schwellenwerten im Bundesvergabegesetz 1997 von der Erstattung einer Äußerung abgesehen wird.

II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich auch als begründet.

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Beschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung im Anlaßverfahren zweifeln ließe, und auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben.

2. In der Sache bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seiner schon mehrfach vertretenen Auffassung ( G110,111/99; , G43/00, und , G10/01; vgl. auch VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998), daß es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenwertbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf diese Erkenntnisse verwiesen.

Da sich sohin die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen haben, war die in Prüfung gezogene Bestimmung, welche auch durch die Verfassungsbestimmung des § 126a BVergG 1997 idF BGBl. I 125/2000 im Hinblick auf deren rückwirkende Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof (Erk. vom , G12/00 ua.) nicht gedeckt ist, wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.

3. a) Bei Bestimmung der gemäß Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG gesetzten Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung ging der Verfassungsgerichtshof zum einen davon aus, daß dem Gesetzgeber angesichts der Entscheidung vom , G110,111/99, die Verfassungswidrigkeit des Verweises auf die Schwellenwertregelung seit mehr als einem Jahr bekannt sein mußte; andererseits war zu bedenken, daß sich der Verweis auf das gesamte 1. Hauptstück des 1. Teiles des BVergG 1997 (das nicht bloß die Schwellenwertregelung, sondern auch Legaldefinitionen enthält) bezieht. Schließlich ließ sich der Gerichtshof aber auch von der Erwägung leiten, daß es dem Tiroler Landesgesetzgeber möglich bleiben soll, die Regelung des Anwendungsbereiches und des je einzuhaltenden Vergabeverfahrens durch Verweisung auf eine - verfassungskonforme - Bundesregelung vorzunehmen. Da derzeit eine Neuordnung des Bundesvergaberechtes in Vorbereitung ist und der Bundesverfassungsgesetzgeber davon ausgeht, daß diese mit in Wirksamkeit treten soll (vgl. § 128 Abs 8 BVergG 1997), sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis zum Ablauf des zu bestimmen.

b) Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz

B-VG.

c) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.