VfGH vom 16.10.2004, g35/04
Sammlungsnummer
17347
Leitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Wiener Landesvergabegesetz vorgesehenen Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der Gemeinde Wien durch den Vergabekontrollsenat (VKS) als Landesorgan; Unzulässigkeit der Einrichtung eines Rechtsmittels in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches an ein Verwaltungsorgan außerhalb der Gemeinde; Gemeinderat verfassungsgesetzlich als oberstes Organ der Gemeinde eingerichtet; doppelte Bindung des Gesetzgebers bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht; Konvalidation der geprüften Bestimmung mit Erlassung einer verfassungsrechtlichen Sonderregelung
Spruch
§ 2 Abs 1 Z 2 des Oberösterreichischen Vergabegesetzes, LGBl. für das Land Oberösterreich Nr. 59/1994, idF LGBl. Nr. 45/2000 war bis zum Ablauf des verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann von Oberösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B685/02 ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Oberösterreich (UVS) anhängig, mit dem im Berufungsweg mehrere Bescheide der Oberösterreichischen Landesregierung (OöLReg) als erstinstanzlicher Nachprüfungsbehörde betreffend ein von den Stadtgemeinden Linz, Wels und Steyr durchgeführtes Vergabeverfahren aufgehoben wurden.
2. Bei Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Z 2 des § 2 Abs 1 des Oberösterreichischen Vergabegesetzes (OöVergG), LGBl. 59/1994, idF LGBl. 45/2000 entstanden. Da diese Bestimmung in ihrem normativen Zusammenhang mit dem Einleitungssatz des ersten Absatzes des § 2 in Verbindung mit jenen Bestimmungen des vierten Teiles des Gesetzes, die das Nachprüfungsverfahren durch die OöLReg bzw. den UVS regeln, die Nachprüfungsbehörde mit der Zuständigkeit auszustatten schien, Vergabeentscheidungen der Gemeinden des Landes Oberösterreich zu kontrollieren, und der Verfassungsgerichtshof eine derartige Regelung (vor In-Kraft-Treten des Art 4 Abs 1 des BG BGBl. I 99/2002) für verfassungsrechtlich bedenklich hielt, hat er mit Beschluss vom von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet.
3. Die vom Verfassungsgerichtshof zu beurteilende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Das - mittlerweile außer Kraft getretene (vgl. § 20 Abs 1 Oö. VergabenachprüfungsG, LGBl. 153/2002), für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides aber weiterhin maßgebliche - OöVergG enthielt gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche, im § 2 Abs 1 OöVergG aufgezählte Auftraggeber - darunter gemäß Z 2 auch die Gemeinden.
Der unter dem Titel "Persönlicher Geltungsbereich" stehende '2 Abs 1 OöVergG bestimmte in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. 45/2000 (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):
"(1) Dieses Landesgesetz gilt für die Vergabe von Aufträgen durch folgende öffentliche Auftraggeber:
1. das Land,
2. die Gemeinden,
3. die Gemeindeverbände,
4. Einrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und
a) die überwiegend vom Land, von Gemeinden oder Gemeindeverbänden oder von anderen Einrichtungen im Sinn dieser Bestimmung finanziert werden, oder
b) die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Land, Gemeinden, Gemeindeverbände oder andere Einrichtungen im Sinn dieser Bestimmung unterliegen, oder
c) deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Land, von Gemeinden, von Gemeindeverbänden oder von anderen Einrichtungen im Sinn dieser Bestimmung ernannt worden sind,
5. die Energie AG Oberösterreich und die nach dem Oö. Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz, LGBl. Nr. 20/1999, in der jeweils geltenden Fassung konzessionierten Elektrizitätsversorgungsunternehmen."
In seinem vierten Teil traf das OöVergG Bestimmungen über den Rechtsschutz: Das I. Hauptstück (§§58 bis 62b) hatte das so genannte Nachprüfungsverfahren zum Gegenstand, das II. Hauptstück (§§63 bis 67) traf zivilrechtliche Bestimmungen.
Zur Entscheidung über Anträge von Unternehmen, die ein Interesse am Abschluss eines dem OöVergG unterliegenden Vertrages behaupteten, berief § 58 Abs 2 die OöLReg als Nachprüfungsbehörde und sah gegen deren Entscheidungen die Berufung an den UVS des Landes Oberösterreich vor.
Gemäß § 61 OöVergG oblag dabei der OöLReg als Nachprüfungsbehörde erster Instanz die Zuständigkeit, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene Entscheidung eines Auftraggebers für nichtig zu erklären bzw. - nach Zuschlagserteilung - festzustellen, ob eine behauptete Rechtsverletzung vorliegt und deswegen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde.
Für den Zeitraum 1. September bis , also nach Erlassung des angefochtenen Bescheides, ordnet(e) die (bundesverfassungsgesetzliche) Bestimmung des Art 4 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 Folgendes an:
"(1) Die für die Durchführung der Nachprüfungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden können gesetzlich auch zur Kontrolle der in Art 19 Abs 1 [erg.: B-VG] bezeichneten obersten Organe der Vollziehung, der Gemeinden und Gemeindeverbände und von Privaten berufen werden.
(2) Abs 1 tritt mit in Kraft und mit Ablauf des außer Kraft."
[Gleichsinnig bestimmt nunmehr Art 14b Abs 6 B-VG:
"(6) Die für die Durchführung der Nachprüfungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden können gesetzlich auch zur Kontrolle der in Art 19 Abs 1 bezeichneten obersten Organe der Vollziehung, der Gemeinden und der Gemeindeverbände und von Privaten berufen werden."
Diese Vorschrift trat gemäß Art 151 Abs 27 B-VG mit in Kraft.]
4. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluss von der Präjudizialität der in Prüfung genommenen Bestimmung aus, da sich der UVS bei Erlassung des im Anlassverfahren bekämpften Bescheides genauso wie die in erster Instanz eingeschrittene OöLReg auf die Bestimmungen des § 2 Abs 1 Z 2 im Zusammenhalt mit § 58 Abs 2 OöVergG gestützt hatte.
5. Seine Bedenken legte der Verfassungsgerichtshof wie folgt dar:
"Die in Prüfung gezogene Bestimmung beruft in Verbindung mit § 58 Abs 2 die OöLReg zur Kontrolle von (Vergabe-)Entscheidungen der Gemeinden Oberösterreichs, die von diesen gemäß Art 116 Abs 2 und Art 118 Abs 2 B-VG im eigenen Wirkungsbereich getroffen werden. Gegen Entscheidungen der OöLReg besteht ein Rechtszug an den UVS des Landes Oberösterreich.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 13.304/1992 unter Hinweis auf Art 118 Abs 5 B-VG ausführte, sind alle Gemeindeorgane für die Erfüllung ihrer im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Aufgaben dem Gemeinderat verantwortlich, sodass der Gemeinderat 'damit in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde ... ein den übrigen Gemeindeorganen vorgesetztes Organ [ist]; diese sind daher insoweit dem Gemeinderat gegenüber weisungsgebunden'. Unter Berufung auf den Verwaltungsgerichtshof (VwSlg. 12.123 A/1986 und , 89/02/0042) folgerte der Verfassungsgerichtshof demgemäß aus Art 118 Abs 5 B-VG, 'dass der Gemeinderat - in seiner Eigenschaft als einziges unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ der Gemeinde (Art117 Abs 1 lita B-VG) - das oberste Organ der Gemeinde zu sein hat'.
Ferner ergibt sich aus Art 118 Abs 4 B-VG, dass die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches von der Gemeinde 'unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen' sind. Der Verfassungsgerichtshof hat deshalb in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.320/2001 eine gesetzliche Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben, mit der 'entgegen Art 118 Abs 4 B-VG Entscheidungen über Rechtsmittel in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde an eine Behörde außerhalb der Gemeinde' (dort unmittelbar an den UVS) übertragen wurden.
Im vorliegenden Fall hegt der Verfassungsgerichtshof nun das Bedenken, dass es Art 118 Abs 5 B-VG widersprechen dürfte, im eigenen Wirkungsbereich getroffene Entscheidungen des Gemeinderates einer Kontrolle durch die OöLReg (und in weiterer Folge durch den UVS) mit der Konsequenz einer allfälligen Aufhebung dieser Entscheidungen (vgl. schon VfSlg. 15.578/1999) zu unterwerfen. Eine solche Kontrolle dürfte auch in Widerspruch zu den geschilderten Vorgaben des Art 118 Abs 4 B-VG stehen. Der Gerichtshof hegt damit im Ergebnis jene Bedenken, die ihn auch veranlasst haben, eine entsprechende Geltungsbereichsbestimmung des Wiener Landesvergabegesetzes, LGBl. 36/1995 idF 50/2000, als verfassungswidrig zu qualifizieren, weil dort der als Kollegialbehörde richterlichen Einschlags gemäß Art 133 Z 4 B-VG eingerichtete Vergabekontrollsenat wider Art 118 Abs 4 und 5 B-VG auch Entscheidungen des Gemeinderates mit der allfälligen Konsequenz ihrer Nichtigerklärung zu kontrollieren hatte ().
An der Verfassungswidrigkeit einer solchen Kontrolle dürfte es nichts ändern, wenn anstatt einer Kollegialbehörde gemäß Art 133 Z 4 B-VG die Landesregierung als Nachprüfungsbehörde instituiert wird. Das Wesen der Vergabekontrolle dürfte auch ihre Qualifikation als Mittel bloß aufsichtsbehördlicher Tätigkeit gemäß Art 119a B-VG ausschließen; im Übrigen erschiene in einem solchen Fall auch der Rechtszug an den UVS verfassungswidrig, als Art 119a Abs 9 B-VG das Recht der betroffenen Gemeinde normiert, gegen Bescheide der Aufsichtsbehörde (unmittelbar) Beschwerde an den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof zu führen."
6. Die OöLReg erstattete eine Äußerung, in der sie diesen Bedenken wie folgt zu begegnen suchte:
"Die 'Entscheidungen' von Gemeindeorganen, die durch die in Prüfung gezogene gesetzliche Bestimmung (zusammen mit den Bestimmungen des seinerzeitigen Oö. Vergabegesetzes über das Nachprüfungsverfahren) einer 'Nachprüfung' durch die Landesregierung und dem in zweiter Instanz zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat unterworfen wurden, sind zweifelsfrei dem Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung zuzurechnen (VfSlg. 14.891/1997). Der Gemeinde ist zwar gemäß Artikel 118 Abs 2 i.V.m. mit Artikel 116 Abs 2 B-VG die Besorgung der Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung im eigenen Wirkungsbereich garantiert, jedoch ist sie bei der Besorgung ihrer Geschäfte an die 'Schranken der allgemeinen Bundes- und Landesgesetze' gebunden. Die Gemeinden dürfen daher als Teilnehmer am rechtsgeschäftlichen Verkehr keinem 'Sonderrecht', das sie im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern begünstigt oder benachteiligt, unterstellt werden. Zu den im Artikel 116 Abs 2 B-VG angesprochenen 'allgemeinen Bundes- und Landesgesetzen' gehören nach Auffassung der Oö. Landesregierung auch die vergaberechtlichen Vorschriften, die ja nicht nur 'klassische' öffentliche Auftraggeber, sondern auch private Auftraggeber, die bestimmte Tätigkeiten unter bestimmten Bedingungen ausüben, erfassen. Die Bindung der Gemeinde an das jeweils geltende Vergaberecht ist insofern nicht anders zu beurteilen als etwa die Geltung der gewerberechtlichen Vorschriften für eine gewerbliche Betätigung. Aus diesem Grund begegnet nach Auffassung der Oö. Landesregierung die Unterwerfung der Gemeinden unter die Regelungen des Oö. Vergabegesetzes per se keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Als verfassungswidrig wird nach der Judikatur zum Wiener Landesvergabegesetz und zum Steiermärkischen Vergabegesetz 1998 ( bzw. , G106/03) angesehen, dass entgegen Artikel 118 Abs 4 B-VG die Vergabekontrollbehörden dazu berufen waren, 'die in den einzelnen Schritten des (Vergabe-)Verfahrens nach außen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen selbst zu beurteilen ... und gegebenenfalls aufzuheben'. Die Vergabekontrollbehörde sei 'deshalb gleich einem Rechtsmittelorgan mit der Kontrolle von Entscheidungen der Gemeindeorgane, unter Umständen auch des Gemeinderates, betraut'.
Wie der Hinweis auf VfSlg. 15.578/1999 verdeutlicht, steht dahinter die Vorstellung, dass immer dann, wenn die Nachprüfung einer angefochtenen Entscheidung des Auftraggebers zum Ergebnis führt, dass die Entscheidung rechtswidrig war, diese aufzuheben ist. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass die Vergabekontrollinstanzen nicht in allen Fällen dazu berufen sind, als rechtswidrig erkannte Entscheidungen des Auftraggebers aufzuheben: Vielmehr kam gemäß § 61 Abs 4 Oö. Vergabegesetz (und den analogen Bestimmungen der anderen Landesvergabegesetze und des Bundesvergabegesetzes 1997) nach erfolgter Zuschlagserteilung eine Aufhebung bzw. Nichtigerklärung der Entscheidung des Auftraggebers nicht mehr in Betracht. Damit dürften jedenfalls die Zuständigkeiten der Landesregierung bzw. des Unabhängigen Verwaltungssenates im Nachprüfungsverfahren nach erfolgter Zuschlagserteilung von den im Prüfungsbeschluss aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht erfasst sein.
In seinem Erkenntnis betreffend das Wiener Landesvergabegesetz G53-55/03 hält der Verfassungsgerichtshof fest, dass im konkreten Fall eine den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechende gesetzliche Regelung eines Tätigwerdens des Verfassungsgesetzgebers bedurft hätte. Damit scheint sich der Gerichtshof von jenem Verständnis des Grundsatzes der doppelten Bindung zu entfernen, das berücksichtigt, ob geltendes innerstaatliches Verfassungsrecht die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zu 'inhibieren' geeignet ist (für den Bereich des Vergaberechts beginnend mit VfSlg. 15.106). Wenn der Gerichtshof nunmehr die Auffassung vertritt, dass ein verfassungsrechtliches Hindernis für die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht durch den Verfassungsgesetzgeber zu beseitigen ist, führt dies nicht nur zu den von Öhlinger (in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rn. 78 zum EU-Beitritts-B-VG) aufgezeigten rechtspolitisch problematischen Konsequenzen, sondern darüber hinaus zu einer Verabsolutierung des Grundsatzes der doppelten Bindung: Der Verfassungsgesetzgeber ist grundsätzlich immer in der Lage (und nach dem im Erkenntnis G53-55/03 vertretenen Verständnis auch immer verpflichtet), einen Widerspruch zwischen den gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungserfordernissen und dem österreichischen Verfassungsrecht zu beseitigen. Für eine Berücksichtigung der Eignung innerstaatlichen Verfassungsrechts, die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zu 'inhibieren', bliebe kein Raum mehr.
Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass sich das nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes notwendige Zusammenspiel zwischen dem einfachen Landesgesetzgeber und dem (Bundes-)Verfassungsgesetzgeber in der Praxis um einiges komplizierter gestaltet als das Zusammenwirken des Bundesverfassungsgesetzgebers mit dem einfachen Bundesgesetzgeber.
In den vorstehend erwähnten Gesetzesprüfungsverfahren betreffend das Wiener Landesvergabegesetz und das Steiermärkische Vergabegesetz 1998 waren Konstruktionen zu beurteilen, die als Nachprüfungsbehörden nach Artikel 133 Z. 4 B-VG konstruierte Vergabekontrollsenate vorsahen. Das Oö. Vergabegesetz sah demgegenüber einen zweigliedrigen Instanzenzug mit der Landesregierung in erster und dem Unabhängigen Verwaltungssenat in zweiter Instanz vor. Anders als bei den nach Artikel 133 Z. 4 B-VG zusammengesetzten Vergabekontrollinstanzen sind beim Unabhängigen Verwaltungssenat nach Auffassung der Oö. Landesregierung dessen spezifische Funktion im Rahmen des Systems zur Wahrung der aus Artikel 6 EMRK erfließenden Rechte und die damit im Zusammenhang stehende Aufgabenzuweisung gemäß Artikel 129a Abs 1 Z. 3 B-VG zu berücksichtigen."
7. a) Der im Anlassverfahren belangte UVS hat ebenfalls eine Äußerung erstattet, in der er die Ansicht vertritt, dass die geprüfte Bestimmung nicht verfassungswidrig gewesen sei. Insoweit jene Äußerung als zum Thema des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens erstattet verstanden werden kann, verweist der UVS darauf, dass aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen eine umfassende gerichtsförmige Kontrolle der gesamten öffentlichen Auftragsvergabe erfolgen müsse:
"Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts kann daher die Notwendigkeit, unter Heranziehung der ohnehin gerade dafür geschaffenen Ermächtigungsklausel des Art 129a Abs 1 Z. 3 B-VG lediglich für einen spezifischen Bereich die UVS als gerichtsförmige Kontrollinstanz vorsehen, nicht durch innerstaatliches Gemeindeorganisationsrecht gehindert sein.
...
Wenn ... europarechtliche Vorschriften eine gerichtsförmige Kontrolle der gesamten öffentlichen und damit auch der gemeindlichen Auftragsvergabe gebieten, dann ist sohin wohl auch Art 119a Abs 9 B-VG nunmehr darin teleologisch zu reduzieren [Verweis auf Grof, in:
Machachek-Pahr-Stadler, Grund-und Menschenrechte in Österreich, Bd. II, 1992, 67 f.], dass für diesen Bereich die Oö. Landesregierung eben nicht als eine Aufsichtsbehörde im klassischen Sinn, sondern vielmehr als eine 'Grundinstanz' i.S.d. Art 2 Abs 8 der Allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie zu fungieren hatte."
b) Die im Anlassfall beschwerdeführende Gesellschaft hat ebenfalls eine Äußerung erstattet: Sie schließt sich im Ergebnis der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes an, dass im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides eine Kontrolle von Auftragsvergaben im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden durch außergemeindliche Organe im Hinblick auf Art 118 Abs 4 und 5 B-VG verfassungsrechtlich ausgeschlossen war. Die beschwerdeführende Gesellschaft vertritt aber die Ansicht, dass eine allein durch die OöLReg ausgeübte Vergabekontrolle als aufsichtsbehördliche Tätigkeit iSd Art 119a B-VG zu qualifizieren sei und begründet dies näher. Als verfassungswidrig erweise sich ihrer Ansicht nach deshalb (nur) der in § 58 Abs 2 OöVergG vorgesehene Instanzenzug von der OöLReg an den UVS.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Keine der Verfahrensparteien ist den vorläufigen Annahmen entgegengetreten, dass die Anlassbeschwerde zulässig ist und der Verfassungsgerichtshof bei ihrer Beurteilung die in Prüfung stehende Bestimmung anzuwenden hätte. Da auch sonst nichts hervorgekommen ist, was einer meritorischen Erledigung hindernd entgegenstünde, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. In der Sache bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seinen schon mehrfach dargelegten Bedenken (vgl. erst zuletzt ): Auch die im Verfahren erstatteten Äußerungen ändern nichts an der Auffassung des Gerichtshofes, dass es Art 118 Abs 5 B-VG widerspricht, wenn im eigenen Wirkungsbereich getroffene Vergabeentscheidungen der Gemeinde einer Kontrolle durch die Oberösterreichische Landesregierung als erstinstanzlicher Nachprüfungsbehörde und in weiterer Folge durch den UVS mit der Konsequenz einer allfälligen Aufhebung dieser Entscheidungen (VfSlg. 15.578/1999) unterworfen werden. Eine solche Kontrolle steht auch in Widerspruch dazu, dass die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches von der Gemeinde "unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen" sind (Art118 Abs 4 B-VG).
Dagegen verhilft es auch nichts, wenn der UVS in seiner Äußerung auf die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Art 2 Abs 8 der sog. Rechtsmittel-RL 89/665/EWG hinweist. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass ein österreichisches Gesetz, mit dem eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift ausgeführt und in österreichisches Recht umgesetzt wird, rechtlich doppelt bedingt ist: Der Gesetzgeber bleibt nämlich bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden, "als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird". Der Gesetzgeber unterliegt in diesen Fällen also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen.
Zu den Ausführungen der OöLReg zum Grundsatz der doppelten Bindung ist Folgendes zu bemerken: Stehen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts verfassungsrechtliche Bestimmungen entgegen, so kann eine gemeinschaftsrechtskonforme Regelung meist durch Unangewendet-sein-Lassen einer Verfassungsnorm erreicht werden (VfSlg. 15.427/1999 - Telekom Control-Kommission). Würde hingegen das bloße Unangewendet-sein-Lassen einer Verfassungsnorm keine gemeinschaftsrechtskonforme Lösung ermöglichen, so hat der Verfassungsgesetzgeber tätig zu werden (; vgl. auch Korinek, Die doppelte Bedingtheit von gemeinschaftsrechts-ausführenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften, in: FS Öhlinger, 2004, 131 ff., insb. 139).
Der Verfassungsgerichtshof kann aber auch nicht die Auffassung der im Anlassverfahren beschwerdeführenden Gesellschaft teilen, wonach nur der vorgesehene Instanzenzug von der OöLReg als Nachprüfungsbehörde zum UVS verfassungswidrig wäre, weil eine von der OöLReg ausgeübte Nachprüfung als verfassungsrechtlich zulässige aufsichtsbehördliche Tätigkeit iSd Art 119a B-VG zu qualifizieren wäre. Nicht nur stünde einer (allein) durch die OöLReg ausgeübten Nachprüfung vergaberechtlicher Entscheidungen Art 6 EMRK entgegen (vgl. Thienel, ÖZW 1993, 3, 66/FN 17); auch das Wesen der im OöVergG - in Ausführung gemeinschaftsrechtlicher Anforderungen - geregelten Vergabekontrolle ist per se mit dem verfassungsrechtlichen Konzept einer aufsichtbehördlichen Tätigkeit nicht vereinbar: Anders als in einem Aufsichtsverfahren geht es bei der Vergabekontrolle um die Durchsetzung der individuellen Rechtspositionen von interessierten Bewerbern/Bietern, denen durch eine behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, samt der Gewährung provisorialen Rechtsschutzes durch die Erlassung einstweiliger Verfügungen. Bei Zutreffen der von Bietern erhobenen Vorwürfe besteht ein Rechtsanspruch auf Nichtigerklärung der betreffenden Entscheidung des Auftraggebers. Demgegenüber könnte eine Aufsichtsbeschwerde verfassungsrechtlich nicht mehr als eine Anregung darstellen, die zuständige Aufsichtsbehörde möge von ihrer Befugnis zur Aufsichtsführung von Amts wegen Gebrauch machen (vgl. VfSlg. 3892/1961). Auch die Einräumung eines (nicht zuletzt gemeinschaftsrechtlich gebotenen) meritorischen Erledigungsanspruchs stünde dazu in Widerspruch. Dass der oberösterreichische Vergabegesetzgeber mit der Schaffung des Nachprüfungsrechts eben gerade kein Aufsichtsmittel schaffen wollte, zeigt der vorgesehene Instanzenzug zum UVS und der Umstand, dass er damit offenkundig Gemeinschaftsrechtswidriges normiert hätte: Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die OöLReg kein Gericht iS des Art 2 Abs 8 der Rechtsmittel-RL 89/665/EWG ist.
3. Das OöVergG ist gemäß § 20 Abs 1 des Oö. Vergabenachprüfungsgesetzes, LGBl. 153/2002, mit außer Kraft getreten. Die wegen Widerspruchs zu Art 118 Abs 4 und 5 B-VG als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung ist zuvor hinsichtlich der Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der Gemeinden Oberösterreichs konvalidiert, weil der Bundesverfassungsgesetzgeber mit Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 (für den Zeitraum vom 1. September bis ) eine entsprechende Sonderregelung erlassen hat (vgl. oben I.3.). Da jedoch Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 erst mit in Kraft getreten ist und rückwirkend, also für die Zeit vor In-Kraft-Treten dieser bundesverfassungsgesetzlichen Bestimmung Konvalidation nicht eingetreten ist, war auszusprechen, dass die geprüfte Bestimmung bis zum Ablauf des verfassungswidrig war.
Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Oberösterreich zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Fundstelle(n):
VAAAE-27276