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VfGH vom 03.03.2003, G348/02

VfGH vom 03.03.2003, G348/02

Sammlungsnummer

16820

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung, auch nicht durch Aspekte der Verwaltungsökonomie, für die Beschränkung der Lehrlingsfreifahrt auf gesetzlich anerkannte Ausbildungsverhältnisse; Vorhersehbarkeit der Anwesenheit des Lehrlings im Betrieb auch bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen; kein unzumutbarer Aufwand

Spruch

Das Wort "gesetzlich" im ersten Satz des § 30j Abs 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, in der Fassung BGBl. Nr. 311/1992, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B1699/01 eine auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom anhängig. Mit diesem Bescheid wurde der Beschwerdeführerin, einer Ordinationshilfe bei Zahnärzten in Ausbildung, gemäß § 30h Abs 2 iVm § 30l Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der Folge: FLAG) die Rückzahlung des von der Republik Vsterreich (gemeint: Bund) für Lehrlingsfreifahrten geleisteten Fahrpreisersatzes aufgetragen, da sie in keinem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis stünde. In der Lehrberufsliste, BGBl. 268/1975, in der hier relevanten Fassung BGBl. II 101/2001, scheine der Lehrberuf einer Ordinationshilfe bei Zahnärzten nämlich nicht auf.

1.2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Wortes "gesetzlich" im ersten Satz des § 30j Abs 2 FLAG, BGBl. 376/1967, idF BGBl. 311/1992, entstanden. Der Gerichtshof hat daher mit Beschluß vom , B1699/01, von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der eben genannten Bestimmung eingeleitet.

2. Zur Rechtslage:

§ 30j Abs 2 erster Satz FLAG, idF BGBl. 311/1992, bestimmt folgendes (das in Prüfung gezogene Wort ist hervorgehoben):

"Der Fahrpreisersatz darf nur für Lehrlinge in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis geleistet werden, die eine betriebliche Ausbildungsstätte im Bundesgebiet oder im grenznahen Gebiet im Ausland besuchen und für die Familienbeihilfe bezogen wird."

Nach dem ersten Absatz dieser Bestimmung wird der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen ermächtigt, mit Verkehrsunternehmen des öffentlichen Verkehrs Verträge abzuschließen, wonach der Bund diesen Unternehmen - unter bestimmten, näher genannten Voraussetzungen - die im Tarif jeweils vorgesehenen Fahrpreise für die Beförderung der Lehrlinge zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte ersetzt.

§ 30h Abs 2 iVm § 30l FLAG normiert, daß ein Lehrling den von der "Republik Österreich" geleisteten Fahrpreis zu ersetzen hat, wenn er die "Lehrlingsfreifahrt" durch unwahre Angaben erlangt hat oder weiter in Anspruch genommen hat, obwohl die Voraussetzungen weggefallen sind.

Unter "gesetzlich anerkanntem Lehrverhältnis" sind u.a. die im Berufsausbildungsgesetz geregelten Lehrverhältnisse zu verstehen. Gemäß § 1 Berufsausbildungsgesetz sind Lehrlinge Personen, die auf Grund eines Lehrvertrages zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes bei einem Lehrberechtigten fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet werden. § 7 Berufsausbildungsgesetz bestimmt, daß der Bundesminister (nunmehr) für Wirtschaft und Arbeit mit Verordnung eine Lehrberufsliste zu erlassen hat, was mit BGBl. 268/1975 (in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung BGBl. II 101/2001) geschehen ist.

3.1. In seinem Prüfungsbeschluß vom , B1699/01, stützte sich der Verfassungsgerichtshof zunächst auf das hg. Erkenntnis VfSlg. 13.890/1994, mit dem das Wort "gesetzlich" in § 5 Abs 1 litb FLAG, idF BGBl. 550/1979, als verfassungswidrig aufgehoben worden ist. Nach § 5 Abs 1 leg.cit. bestand kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten und selbst Einkünfte in bestimmter Höhe bezogen. Gemäß § 5 Abs 1 litb leg.cit. hatten bei der Ermittlung der Einkünfte des Kindes Entschädigungen aus einem "gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis" außer Betracht zu bleiben.

Den Verfassungsgerichtshof hatten in dem vorzitierten Erkenntnis - im wesentlichen - folgende Bedenken zur Aufhebung veranlaßt:

"Nach der im Beschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahme des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, an dessen Einschätzung zu zweifeln kein Grund besteht, ist das in Rede stehende Ausbildungsverhältnis zum Vermessungshilfstechniker insgesamt und besonders auch unter dem Gesichtspunkt der Entgelthöhe einer Ausbildung in einem gesetzlichen Lehrberuf gleichzuhalten. Der Beruf des Vermessungshilfstechnikers ist - wie die übrigens schon seit 1976 bestehende kollektivvertragliche Regelung zeigt - auch nicht bloß ein vom Gesetz zu vernachlässigender Sonderfall. Gewiß kann der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen; das Ausmaß der dabei hinzunehmenden ungleichen Auswirkung einer generellen Norm hängt allerdings nicht nur vom Grad der Schwierigkeiten ab, die eine nach den verschiedenen Sachverhalten differenzierende Lösung der Vollziehung bereiten würde, sondern auch vom Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen (VfSlg. 8871/1980, 11.615/1988). Vor dem Hintergrund der Möglichkeit, den Lehrberuf Vermessungshilfstechniker vorzusehen oder die (oberste) Verwaltungsbehörde zur Feststellung der Gleichwertigkeit kollektivvertragsrechtlich geregelter Ausbildungsverhältnisse zu ermächtigen, und angesichts der empfindlichen Auswirkung der aus ihnen erzielten Einkünfte auf den Anspruch auf Familienbeihilfe kann eine grundlose Ausnahme offenkundig vorhandener Ausbildungsverhältnisse aus dem Katalog der beihilfenunschädlichen Einkunftsquellen jedoch keinen Bestand haben.

Wie schon der Prüfungsbeschluß einräumt, kann der Gesetzgeber die Gewährung von Förderungsleistungen aus inhaltlichen oder verwaltungstechnischen Gründen - zwecks leichterer Handhabung durch die Behörde - durchaus auf bestimmte Ausbildungsgänge einschränken. Gibt es aber gleichwertige Ausbildungsverhältnisse, auf deren Regelung der Gesetzgeber (in Verbindung mit dem Verordnungsgeber) nur verzichtet, weil die Berufsgruppe auf der Grundlage kollektivvertragsrechtlicher Regelungen oder privatautonomer Gestaltung ohnedies einen unter dem Gesichtspunkt des Förderungszweckes gleichwertigen Ausbildungsgang eingerichtet hat, so läßt sich eine strenge Beschränkung auf 'gesetzlich' anerkannte Arbeitsverhältnisse nicht mehr rechtfertigen. Es ist dann auch auf solche Ausbildungsverhältnisse Bedacht zu nehmen.

Zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit genügt es jedoch, das Wort 'gesetzlich' in § 5 Abs 1 litb FLAG aufzuheben. Einer Anerkennung kollektivvertraglich geregelter Ausbildungsverhältnisse steht offenkundig nur das Wort 'gesetzlich' im Wege. Denn das Kollektivvertragsgesetz enthält keine als Anerkennung von Ausbildungsverhältnissen deutbaren Regelungen. Solche enthält vielmehr nur das der Ausführung durch Verordnungen bedürftige Berufsausbildungsgesetz (und weitere ähnliche, hier nicht in Betracht kommende Gesetze). Andererseits kann unter einem anerkannten Ausbildungsverhältnis dem Gesetzeszweck entsprechend nicht jedes privatrechtlich zulässige, sondern nur ein durch generelle Normen geregeltes verstanden werden. Die Aufhebung hat sich daher auf das im Weg stehende Wort zu beschränken."

3.2. Wörtlich führte der Verfassungsgerichtshof - nach Wiedergabe der in VfSlg. 13.890/1994 angeführten Bedenken - in seinem Prüfungsbeschluß vom , B1699/01, folgendes aus:

"3.3. Diese Bedenken dürften auch gegen die Verfassungsmäßigkeit des Wortes 'gesetzlich' in § 30j Abs 2 erster Satz FLAG 1967 sprechen. Gewiß steht dem Gesetzgeber bei der Gewährung familienbezogener Leistungen ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu. Räumt er aber Ansprüche auf solche (materiell ins Gewicht fallende) Förderungsleistungen ein, dann muß die Abgrenzung der Leistungsadressaten nach sachlichen Kriterien vorgenommen werden. Nun kann der Verfassungsgerichtshof wenigstens vorderhand nicht erkennen, was es rechtfertigen könnte, die Lehrlingsfreifahrt auf gesetzlich geregelte Lehrverhältnisse einzuschränken, die kollektivvertraglich vorgesehenen hingegen auszunehmen, zeigt doch die Beschwerdeführerin richtig auf, daß die dreijährige Ausbildung zur Ordinationshilfe ebenfalls im dualen System - praktische Arbeit bei einem Zahnarzt und theoretische Ausbildung durch Besuch einschlägiger Kurse - erfolgt. Daß in solchen Fällen möglicherweise die Lehrlingsfreifahrt keine Ergänzung zur Schülerfreifahrt darstellt (weil keine Berufsschulpflicht besteht), dürfte es - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - für sich allein nicht rechtfertigen, eine Förderung der Fahrt zur Ausbildungsstätte auf gesetzlich anerkannte Lehrverhältnisse zu beschränken. Wie die belangte Behörde nämlich selbst feststellt, sind Lehrlings- (d.h. die Fahrt zur Ausbildungsstätte) und Schülerfreifahrten (die Fahrt zur Schule) getrennt geregelt. Es ist dem Gerichtshof daher nicht einsichtig, welche sachlichen Gründe es rechtfertigen könnten, daß die Fahrt zur Ausbildungsstätte nur bei gesetzlich anerkannten Lehrverhältnissen gefördert wird.

Ebensowenig kann der Gerichtshof vorläufig erkennen, daß die fragliche Beschränkung durch verwaltungsökonomische Erwägungen gerechtfertigt werden könnte, ist doch zumindest vorderhand nicht einsichtig, warum eine verwaltungsökonomische Abwicklung der Lehrlingsfreifahrt nur im Zusammenhang mit der Berufsschulpflicht denkbar sein sollte."

4. Die Bundesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren auf Grund ihres Beschlusses vom eine Äußerung, in der sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt und beantragt, die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung stellt sie den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten bestimmen, um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

4.1. Die Bundesregierung weist zunächst darauf hin, daß die Einführung der Freifahrt für Lehrlinge (durch BGBl. 311/1992) auch bezüglich der Fahrten zur Arbeitsstätte im Zusammenhang mit der bereits bestehenden Freifahrt für Lehrlinge als Berufsschüler zu sehen sei. Während einem Berufsschüler schon zuvor Freifahrt für die Fahrten zur Berufsschule zugekommen sei, sollte er nunmehr auch für Fahrten zur betrieblichen Ausbildungsstätte in den Genuß dieser Förderung kommen.

Bei der Vergünstigung gemäß § 30j FLAG handle es sich nicht um eine undifferenzierte Geldleistung, die an das Vorliegen eines gesetzlich anerkannten Lehrverhältnisses anknüpfe; vielmehr werde eine kostenlose Sachleistung - die freie Beförderung von der Wohnung zur betrieblichen Ausbildungsstätte - zur Verfügung gestellt. Der Bund übernehme bestimmte Aufwendungen, die der Begünstigte ansonsten selber tragen müßte. Anknüpfungspunkt sei dabei die Notwendigkeit, Fahrten zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte zurückzulegen. Die Gewährung einer derartigen Förderung erfordere ein transparentes Abgrenzungskriterium. Dabei müßten die förderungswürdigen Sachverhalte von allen anderen in nachvollziehbarer Weise abgegrenzt werden. Gleichzeitig müsse sichergestellt sein, daß eine Förderung nur bei einem tatsächlichen Bedarf gewährt werde.

4.2. Nur durch das Abstellen auf das Vorliegen eines gesetzlich anerkannten Lehrverhältnisses könne nach Ansicht der Bundesregierung diesen Erfordernissen in einer handhabbaren Weise Rechnung getragen werden. Ein Lehrling, der in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis stehe, unterliege einer gesetzlichen Berufsschulpflicht, wobei die Unterrichtszeit in der Berufsschule auf die Arbeitszeit anzurechnen sei. Diese gesetzliche Regelung sowohl der betrieblichen als auch der schulischen Ausbildung führe dazu, daß bei einem in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis stehenden Lehrling eine Pflicht zur regelmäßigen Anwesenheit an der betrieblichen Ausbildungsstätte - ohne eine aufwendige Prüfung im Einzelfall vornehmen zu müssen - angenommen werden könne.

Weiter führt die Bundesregierung wörtlich folgendes aus:

"Demgegenüber ist der Beruf des(r) Zahnarztassistenten(in) derzeit gesetzlich nicht geregelt. Die theoretische und praktische Ausbildung erfolgt nach den entsprechenden Regelungen im Kollektivvertrag, wobei die theoretische Ausbildung durch Absolvierung von Kursen und die praktische Ausbildung durch Beschäftigung als Auszubildende(r) bei einem Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde oder an einer zahnärztlichen Universitätsklinik erfolgt (§8 des Kollektivvertrages). Die theoretischen Ausbildungskurse, die von diversen Institutionen angeboten werden, schwanken zwischen 120 und 216 Stunden; von der Bundesfachgruppe für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde wurden für den zweisemestrigen Kurs mindestens 160 Stunden vorgeschrieben. Infolge der unterschiedlichen theoretischen Ausbildungsmodelle kann auch eine regelmäßige Anwesenheit an der betrieblichen Ausbildungsstätte sowie insbesondere ihr konkretes Ausmaß nicht generell vorhergesehen werden."

4.3. Um eine Freifahrt zu erlangen, müsse der Lehrling angeben, welche konkrete Strecke er zwischen Wohnung und betrieblicher Ausbildungsstätte zurückzulegen habe. Der Lehrbetrieb müsse den Besuch der Ausbildungsstätte durch den Lehrling - unter Angabe der Wochentage und der für den Berufsschulbesuch vorgegebenen Zeiten - bestätigen.

Wörtlich führt die Bundesregierung folgendes aus:

"Wenn eine Regelung über die theoretische bzw. praktische Ausbildung fehlt bzw. eine Vielzahl an - voneinander abweichenden - Ausbildungsmodellen vorliegt, ist es für den Lehrbetrieb kaum möglich, im vorhinein die zeitliche Anwesenheit an der Ausbildungsstätte zu bestätigen. Vor allem aber sind die Angaben im Antrag für die bearbeitende Stelle nur schwer nachvollziehbar und kontrollierbar, da sie eben nicht davon ausgehen kann, dass durch eine gesetzliche Regelung eine entsprechende Anwesenheit an der betrieblichen Ausbildungsstätte gewährleistet ist, wodurch wiederum der (konkrete) Bedarf für die Lehrlingsfreifahrt gegeben ist. Bei gesetzlich anerkannten Lehrlingen, die einer bundesweit einheitlich geregelten Berufsschul- und spezifischen Ausbildungspflicht unterliegen, kann die Notwendigkeit, regelmäßig Fahrten zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte zurückzulegen - und somit das Vorliegen der primären Voraussetzung für die Förderung gemäß § 30j FLAG - hingegen ohne Weiteres bejaht werden."

Eine Einbeziehung von nach Berufsgruppen individuell geregelten Ausbildungsgängen, bei denen die theoretische Ausbildung in Form von Kursen, Seminaren oder Praktika in unterschiedlichem Ausmaß bzw. in variabler Aufteilung erfolge und bei denen daher auch die Notwendigkeit von Fahrten zur betrieblichen Ausbildungsstätte nicht generell vorhergesehen werden könne, sondern im Einzelfall geprüft werden müsse, würde einen erheblichen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Daher erweise sich eine inhaltliche Begrenzung der Vergünstigung auf Lehrverhältnisse, für die klare gesetzliche Vorgaben wie insbesondere eine gesetzliche Berufsschulpflicht bestünden, aus Gründen der Verwaltungsökonomie und der Transparenz bei der Gewährung der Förderung als notwendig.

4.4. Für die Vergünstigung nach § 30j FLAG werde nicht allein darauf abgestellt, ob im Einzelfall die inhaltlichen Ausbildungsvoraussetzungen bei einer nicht gesetzlich geregelten Ausbildung mit denen eines gesetzlich anerkannten Lehrverhältnisses vergleichbar seien. Für die Lehrlingsfreifahrt sei zusätzlich die objektive Feststellbarkeit und Nachvollziehbarkeit eines konkret erforderlichen Bedarfes, der wiederum von der gesetzlichen Reglementierung (auch) der theoretischen Ausbildung abhängig sei, maßgeblich. Es sei daher nicht unsachlich, wenn die Freifahrt gemäß § 30j FLAG zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte auch auf die nach dem dualen System organisierte Lehrlingsausbildung, bei der eine gesetzliche Berufsschulpflicht nach dem Schulpflichtrecht bestehe, abstelle.

Die getroffene sachliche Differenzierung bei der Lehrlingsfreifahrt erfülle somit die Absicht des Gesetzgebers, eine transparente und verwaltungsökonomische Regelung zu schaffen, die auch bei allen Betroffenen für die notwendige Rechtssicherheit in der Anwendung sorge.

5. Die Beschwerdeführerin im Anlaßfall replizierte auf die Äußerung der Bundesregierung und argumentierte insbesondere, daß auf Grund der Vergleichbarkeit von gesetzlich und kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen bei letzteren kein erhöhter Verwaltungsaufwand bei der Ausstellung für Freifahrausweise vorliegen könne.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, daß die vorläufige Annahme des Gerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden, unzutreffend wäre. Da auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Auch die vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die in Prüfung gezogene Norm haben sich als zutreffend erwiesen und konnten von den Argumenten der Bundesregierung nicht zerstreut werden.

2.1. Die Freifahrt für Lehrlinge wurde mit BGBl. 311/1992 eingeführt. In den Erläuterungen (465 BlgNR, 18. GP, 6) wird dies wie folgt begründet:

"Für ordentliche Schüler, die eine öffentliche Schule besuchen, wird zur Entlastung von den Fahrtkosten für den regelmäßigen Schulweg die Schülerfreifahrt oder die Schulfahrtbeihilfe gewährt. Soweit Lehrlinge als Berufsschüler die Berufsschule besuchen, wird ihnen ebenfalls die Schülerfreifahrt ermöglicht oder den Eltern die Schulfahrtbeihilfe gezahlt. Nicht erfaßt sind derzeit die Fahrten der Lehrlinge zur Arbeitsstätte. Im Rahmen des Familienlastenausgleichs soll daher den Lehrlingen eine Freifahrt zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte ermöglicht werden."

Eine zwingende Koppelung der Lehrlingsfreifahrt an die Schülerfreifahrt kann daraus nicht abgeleitet werden. Mag auch die Lehrlingsfreifahrt als Ergänzung zur Schülerfreifahrt konzipiert gewesen sein, so sind Schüler- und Lehrlingsfreifahrt doch - wie auch die Bundesregierung bestätigt - getrennt geregelt. Voraussetzung für die Erlangung der Lehrlingsfreifahrt ist gemäß § 30j Abs 2 FLAG, daß der Lehrling in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis steht, die von ihm besuchte betriebliche Ausbildungsstätte im Bundesgebiet oder grenznahen Gebiet im Ausland liegt und für den Lehrling Familienbeihilfe bezogen wird. Der Besuch der Berufsschule ist somit keine Voraussetzung für die Erlangung der Lehrlingsfreifahrt. Die Berufsschulpflicht ist auch keineswegs so ausgestaltet, daß jeder Lehrling während der gesamten Zeit seiner praktischen Ausbildung automatisch und zwingend die Berufsschule besuchen muß. So kann beispielsweise im Rahmen einer Vorlehre bereits die erste Schulstufe der Berufsschule abgeschlossen werden, wobei diese Berufsschulzeit auf die Ausbildungszeit in der Berufsschule anzurechnen ist (§8b Abs 4 Berufsausbildungsgesetz iVm § 3 Abs 3 der Verordnung BGBl. II 194/2001).

2.2. Die Bundesregierung macht zur Verteidigung der in Prüfung gezogenen Vorschrift in erster Linie (sinngemäß) geltend, daß nur für Lehrlinge in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis Berufsschulpflicht bestehe und daher nur für diese gesetzlich gewährleistet sei, daß sie sich außerhalb der für den Berufsschulbesuch vorgesehenen Zeiten in der betrieblichen Ausbildungsstätte aufhielten. Bei anderen Lehrlingen sei hingegen nicht vorhersehbar bzw. von seiten der Behörden nur schwer nachprüfbar, wann diese sich an der betrieblichen Ausbildungsstätte bzw. bei diversen Kursen, Seminaren oder Praktika befänden.

Der Bundesregierung ist Recht zu geben, daß bei der Beurteilung der Sachlichkeit einer Regelung administrative oder verwaltungsökonomische Erwägungen eine Rolle spielen können, um gesetzliche Differenzierungen zu rechtfertigen (vgl. auch VfSlg. 13.890/1994). Der Gerichtshof stimmt der Bundesregierung auch darin bei, daß die Gewährung einer Förderung nach Art der Lehrlingsfreifahrt die objektive Feststellbarkeit und Nachvollziehbarkeit eines konkret erforderlichen Bedarfes verlangt. Er vermag aber nicht zu sehen, daß die administrativen Schwierigkeiten einer solchen Kontrolle bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen um so viel größer sind als bei gesetzlich geregelten, daß im ersteren Fall - trotz vergleichbarer (niedriger) Einkommensverhältnisse - die vollständige Versagung der Freifahrt gerechtfertigt wäre.

Richtig ist, daß gemäß § 20 Schulpflichtgesetz für "alle Lehrlinge im Sinne des Berufsausbildungsgesetzes" Berufsschulpflicht besteht. Der Lehrberechtigte hat dem Lehrling die zum Besuch der Berufsschule erforderliche Zeit freizugeben und ihn zum regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten (§9 Abs 5 Berufsausbildungsgesetz). Dem steht bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen eine Pflicht zur theoretischen Ausbildung gegenüber, die ihrerseits im Kollektivvertrag geregelt ist. Es ist nun nicht einsichtig, weshalb es bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen nicht ebenfalls vorhersehbar ist, zu welchen Zeiten sich der Lehrling im Betrieb aufhalten wird. Der (von der Bundesregierung geltend gemachte) Umstand, daß im Bereich kollektivvertraglich geregelter Lehrverhältnisse verschiedene Ausbildungsmodelle denkbar sind, ändert ja nichts daran (und die Angaben in der Replik der Beschwerdeführerin bestätigen dies), daß in bezug auf ein konkret zu beurteilendes Lehrverhältnis Art und Umfang der theoretischen Ausbildung feststehen und daher auch im vorhinein Klarheit über jene Zeiten besteht, in denen der Lehrling im Betrieb anwesend bzw. wegen der theoretischen Ausbildung abwesend sein wird. Demnach ist aber der Lehrherr im Rahmen eines kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnisses genauso in der Lage, die Zeiten der Anwesenheit im Betrieb auf dem Antragsformular für die Ausstellung eines Freifahrausweises zu bestätigen, wie dies der Lehrherr im Rahmen eines gesetzlichen Lehrverhältnisses tut. Daß sich für die Kontrolltätigkeit der Behörde ins Gewicht fallende Unterschiede ergeben, kann der Gerichtshof nicht erkennen, ist doch die gesetzliche Regelung der Berufsschulpflicht für sich allein auch nicht geeignet, der Behörde ein Bild von den konkreten Zeiten der Anwesenheit des Lehrlings im Betrieb zu verschaffen.

Da bei gesetzlich anerkannten Lehrverhältnissen - sofern Berufsschule und Betrieb nicht in derselben Zone liegen - zwei verschiedene Freifahrausweise ausgestellt werden, nämlich einer für die Schülerfreifahrt (für die Tage, die der Lehrling in der Berufsschule verbringt) und einer für die Lehrlingsfreifahrt (für die Tage, die er im Betrieb verbringt), ist kein Grund zu sehen, warum es unmöglich oder mit unzumutbarem Aufwand verbunden wäre, auch bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen einen Freifahrausweis (lediglich) für jene Tage auszustellen, die der Lehrling - laut Bestätigung des Lehrherrn - in seinem Betrieb zu verbringen hat.

2.3. Zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit genügt es - was auch die Bundesregierung ausdrücklich bejaht -, das Wort "gesetzlich" in § 30j Abs 2 FLAG aufzuheben, da nur dieses Wort der Berücksichtigung kollektivvertraglich geregelter Lehrverhältnisse entgegensteht, andererseits aber gewährleistet ist, daß nur ein durch generelle Normen geregeltes - und in diesem Sinn "anerkanntes" - Lehrverhältnis von der Regelung des § 30j Abs 2 leg.cit. umfaßt wird.

3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen, weshalb das Wort "gesetzlich" im ersten Satz des § 30j Abs 2 FLAG, BGBl. 376/1967, idF BGBl. 311/1992, als verfassungswidrig aufzuheben war.

4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG. Die Setzung einer Frist soll es ermöglichen, bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsjahres entweder legistische Vorkehrungen zu treffen oder die administrativen Voraussetzungen für die Ausdehnung der Freifahrt zu schaffen.

5. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz

B-VG.

6. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.