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VfGH vom 11.12.1997, G347/97

VfGH vom 11.12.1997, G347/97

Sammlungsnummer

15059

Leitsatz

Aufhebung einer Wortfolge im RundfunkG betreffend die Vergabe von Belangsendezeit an Interessenverbände wegen Widerspruchs zum Legalitätsprinzip; keine hinreichende Konkretisierung der dem privatautonomen Handeln des Kuratoriums des ORF gezogenen Schranken

Spruch

Die Wortfolge "und an Interessenverbände" im ersten Satz des § 5 Abs 1 des Rundfunkgesetzes, BGBl. Nr. 379/1984, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind acht (siehe auch Pkt. I.1.2.) auf Art 144 B-VG gestützte, zu B2470/96, B 3205-3209/96, B3348/96 und B587/97 protokollierte Beschwerden gegen Bescheide der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes (im folgenden: RFK) anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Mit den bekämpften Bescheiden der RFK wurde der jeweiligen Beschwerde gegen die Abweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Belangsendezeit gemäß § 5 Abs 1 iVm. § 8 Abs 1 Z 11 des Rundfunkgesetzes, BGBl. 379/1984 (im folgenden: RFG), durch das Kuratorium des Österreichischen Rundfunks keine Folge gegeben.

1.1.1. Begründet wurden die zu B2470/96 und B 3205-3209/96 von den Österreichischen Kinderfreunden - Bundesorganisation bzw. Greenpeace Österreich, dem Tierschutzverein Vier Pfoten, der Umweltschutzorganisation Global 2000, dem World Wide Fund For Nature Österreich und dem VCÖ Verkehrsclub Österreich bekämpften Entscheidungen im wesentlichen damit, der ORF habe diese Sendezeit nach § 5 Abs 1 RFG kostenlos zur Verfügung zu stellen. Im Hinblick darauf sei es ihm weder zumutbar noch dem Gesetzgeber zusinnbar, diese Gesetzesstelle in die Richtung auszulegen, juristischen Personen, die bereits Zugang zu kostenlosen Belangsendungen (sei es über eine im Nationalrat vertretene politische Partei, sei es über andere Interessenverbände) hätten, zusätzlich kostenlose Belangsendezeit einzuräumen.

1.1.2. Der vom Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touringclub zu B3348/96 bekämpfte Bescheid stützt sich in erster Linie darauf, unter "Interessenverband" im Sinne des § 5 Abs 1 RFG sei eine auf Dauer angelegte Vereinigung von Personen, Gruppen, Unternehmen oder Institutionen zur organisierten Propagierung und Vertretung von Interessen zu verstehen, die nicht alle Bevölkerungsteile gleichermaßen betreffen und nur einen Ausschnitt aus den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesamtinteressen der Vertretenen darstellen, gegenüber der Öffentlichkeit, politischen Parteien, staatlichen Einrichtungen und allenfalls anderen konkurrierenden Interessenverbänden und die solchermaßen Einfluß auf die staatliche Willensbildung zu nehmen versuche. Regelmäßiges Kennzeichen sei die auf Dauerhaftigkeit ihrer Betätigung gerichtete Einrichtung auf der Grundlage demokratischrechtsstaatlicher organisatorischer Strukturen.

Interessenverbände ergänzten die Einrichtungen der pluralistischen Demokratie (Hinweis auf Weber/Steinberg/Purtscher, Staatslexikon, Herder, Freiburg-Basel-Wien, S. 594/Vff). Da § 5 Abs 3 RFG im Gegensatz zu Abs 1 (, der für Belangsendungsberechtigte kostenlose Sendezeit statuiere,) Sendezeiten für kommerzielle Werbung gegen Bezahlung vorsehe, seien Verbände, die zwar Interessen vertreten, daneben aber auch wirtschaftliche Ziele verfolgten, indem sie etwa Dienstleistungen oder Waren nach (gewinnorientierten) wirtschaftlichen Gesichtspunkten anbieten und verkaufen, keine Interessenverbände nach § 5 Abs 1 RFG mit dem Anspruch auf Belangsendezeit. Diese müßten nämlich in Wahrnehmung gewichtiger übergreifender und gemeinsamer Anliegen und Interessen ihrer Mitglieder weitaus überwiegend ideelle Ziele verfolgen. Die Teilnahme am Wirtschaftsleben als gewichtiger Konkurrent vieler Wirtschaftstreibender aus den verschiedensten Sparten führe einen Antragsteller, mag er diese Tätigkeit auch über eine 100%ige Tochtergesellschaft ausüben, "aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten heraus".

1.1.3. Der von der Klimabündnis Österreich gemeinnützige Förderungs- und Beratungs GmbH zu B587/97 angefochtene Bescheid wird damit begründet, unter "Interessenverband" im Sinne des § 5 Abs 1 RFG sei "eine auf Dauer angelegte Vereinigung von Personen, Gruppen, Unternehmen oder Institutionen zur organisierten Propagierung und Vertretung von Interessen, die nicht alle Bevölkerungsteile gleichmäßig betreffen und nur einen Ausschnitt aus den Gesamtinteressen der Vertreter darstellen, gegenüber der Öffentlichkeit, politischen Parteien, staatlichen Einrichtungen und allenfalls andere gegenläufige Interessen vertretenden Verbänden zu verstehen, die Einfluß auf die staatliche Willensbildung zu nehmen sucht." Da die Mitglieder der Beschwerdeführerin Gebietskörperschaften seien, vertrete die Beschwerdeführerin nur staatliche Interessen und scheide sohin aus dem Kreis der berechtigten Interessenverbände aus.

1.2. Mit der zu B667/97 bekämpften Entscheidung der RFK wurde das Begehren des Umweltdachverbandes ÖGNU auf Beibehaltung des ihm ursprünglich zugeteilten bzw. auf Zuteilung eines höheren Ausmaßes an Belangsendezeit im Hinblick auf die zwischenzeitig erfolgte Erweiterung des Kreises von Belangsendezeitberechtigten abgewiesen.

2. Dagegen richten sich die gemäß Art 144 Abs 1 B-VG

erhobenen Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen jeweils die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und an Interessenverbände" in § 5 Abs 1 RFG von Amts wegen zu prüfen; diese Bestimmung (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben) lautet:

"§5. (1) Der Österreichische Rundfunk hat einen Teil seiner Sendezeit an die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien und an Interessenverbände zu vergeben. Dieser Teil darf je Programm 1 vH der Sendezeit nicht überschreiten und ist auf die Bewerber um die Zuteilung dieser Sendezeit entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben aufzuteilen. Der Österreichische Rundfunk hat die Veröffentlichung einer Belangsendung im Hörfunk oder im Fernsehen davon abhängig zu machen, daß ihm ein Bevollmächtigter genannt wird."

3.1. Der Verfassungsgerichtshof nahm im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung an, daß in seiner bisherigen Rechtsprechung die Frage, ob neben beruflichen Interessenvertretungen auch andere Interessenverbände, und wenn ja welche, Anspruch auf Zuerkennung von Belangsendezeit zukomme, offen zu sein scheine. Gerade vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung, insbesondere aber aus dem Blickwinkel der vorliegenden Beschwerdeverfahren hege der Verfassungsgerichtshof vorläufig Bedenken gegen die in Prüfung genommene gesetzliche Anordnung im Hinblick auf Art 18 B-VG. Denn weder der Gesetzestext noch die Materialien zum RFG (s. 544 BlgNR 10. GP, AB 877 BlgNR 10. GP, AB 142 BlgNR 11. GP, RV 2 BlgNR 15. GP, AB 743 BlgNR 15. GP) dürften verläßliche Kriterien dafür erkennen lassen, was im Sinne des § 5 Abs 1 leg.cit. unter "Interessenverbänden" zu verstehen sei. Dies dürfte umso schwerer wiegen, als die Abgrenzung des Kreises jener Interessenverbände, an welche (zusammen mit den im Nationalrat vertretenen politischen Parteien) gemäß § 5 Abs 1 RFG die mit 1 vH der Sendezeit begrenzte Belangsendezeit zu vergeben sei, eine Frage von ganz erheblicher rechtlicher und politischer Bedeutung darstelle.

Das Gesetz dürfte aber nicht nur nicht hinreichend determinieren, was unter "Interessenverbänden" zu verstehen sei. Vielmehr dürfte es insbesondere auch keine Bestimmungsgründe für die - angesichts der nur in gesetzlich beschränktem Ausmaß zu vergebenden Belangsendezeiten notwendige - Auswahl für den Fall erkennen lassen, daß sich eine Vielzahl von - möglicherweise dem Grunde nach in Betracht kommenden - Interessenverbänden um Sendezeit bewerben würde. Folglich dürfte nicht nur die dem ORF auferlegte Pflicht nicht hinreichend konkretisiert sein und es daher das Kuratorium des ORF in der Hand haben, eine beliebige Auswahl aus den an sich belangsendezeitberechtigten "Interessenverbänden" zu treffen, sondern es dürfte damit auch der RFK kein dem Art 18 B-VG entsprechender Kontrollmaßstab zur Verfügung stehen.

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Prüfungsbeschluß dargelegten Bedenken entgegenhält:

"I.

... Die Entscheidung, an welche Interessenverbände im Sinne der zitierten Gesetzesstelle Sendezeit zu vergeben ist, trifft das Kuratorium gemäß § 8 Abs 1 Z 11 RFG. Das Kuratorium handelt dabei - wie auch sonst (vgl. VfSlg. 7716/1975) - im Rahmen der Privatautonomie. Das Handeln des Kuratoriums ist somit nicht als Akt der hoheitlichen Vollziehung zu qualifizieren. Die verfassungsrechtlich angeordnete, aus der Gesetzesbindung der Vollziehung gemäß Art 18 Abs 1 und 2 B-VG abgeleitete Determinierungspflicht des Gesetzgebers besteht jedoch nur im Hinblick auf das Handeln der hoheitlichen Verwaltung (VfSlg. 7593/1975, 7716/1975, 7717/1975, 8320/1978, 10948/1986, 11924/1988). Da aber die Vergabe von Sendezeit gemäß § 5 Abs 1 Rundfunkgesetz einen Akt der Privatautonomie darstellt, ist diese das Handeln des Kuratoriums bestimmende Norm somit nicht am Determinierungsgebot des Art 18 B-VG zu messen.

Der Verfassungsgerichtshof scheint im Prüfungsbeschluß die Auffassung zu vertreten, daß eine durch Art 18 Abs 1 B-VG bestimmte Determinierungsverpflichtung für den Rundfunkgesetzgeber deswegen anzunehmen sei, da der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes ein entsprechender gesetzlicher Kontrollmaßstab zur Verfügung stehen müsse. Nach § 27 Abs 1 RFG entscheidet die Kommission über die Verletzung von Bestimmungen des Rundfunkgesetzes. Die gemäß § 29 Abs 1 RFG von der Kommission getroffenen Entscheidungen, ob und durch welchen Sachverhalt eine Bestimmung des Rundfunkgesetzes verletzt worden ist, sind unbestrittenermaßen als Akte der hoheitlichen Vollziehung zu qualifizieren. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß das Rundfunkgesetz, soferne dieses Anordnungen für die im Rahmen der Privatautonomie handelnden Organe des ORF enthält, dem Determinierungsgebot des Art 18 B-VG zu entsprechen hat. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur (vgl. die oben zitierten Erkenntnisse) vertritt, ist das Gesetz für die Organe des ORF nicht Bedingung, sondern lediglich Schranke ihres Handelns. Demzufolge wurden die meisten Bestimmungen des Rundfunkgesetzes (insbesonders auch § 5 leg.cit.) auch nicht als eine Handlungsermächtigung an Organe der staatlichen Verwaltung im Sinne des Art 18 B-VG erlassen, sondern vielmehr als eine infolge des ArtI Abs 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (im folgenden: BVG-Rundfunk) erforderliche Ausgestaltung für die Rundfunktätigkeit des ORF. Die Gesetze bilden somit für den ORF insofern 'bloß den Rahmen seiner Tätigkeit, als er dann gesetzwidrig handelt, wenn er sich über diese Grenze hinwegsetzt. Innerhalb des Rahmens kann sich der ORF jedoch frei bewegen; für sein Handeln benötigt er keine inhaltliche Ermächtigung' (Korinek/Rose-Kaan, Rechtsprobleme um die 'ORF-Nachlese', ÖZW 1981, 67).

Unbestritten ist, daß Art 18 B-VG für die gesetzliche Determinierung der Rundfunkkommission insoferne von Bedeutung ist, als verfassungsrechtlich eine genaue gesetzliche Grundlage der Einrichtung des Vollzugsorgans, des Aufgabenbereichs, sowie des Verfahrens gefordert sind (vgl. in diesem Sinn die §§25 ff RFG). Demgegenüber ist eine an den Anforderungen des Art 18 B-VG zu messende inhaltliche Ausgestaltung des den Prüfungsgegenstand der Rundfunkkommission bildenden Rundfunkgesetzes verfassungsrechtlich nicht geboten. Auch die Gerichtsbarkeit, der die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Handelns im Rahmen der Privatautonomie übertragen ist, ist von verfassungswegen zwar unbestrittenermaßen an das Legalitätsgebot gebunden, doch kann sich die entsprechende Verpflichtung des Gesetzgebers hinsichtlich einer rechtsstaatlich gebotenen Determinierung der Vollziehung nur auf die Organisation des Vollzugsorgans, die Regelung der Zuständigkeit und des Verfahrens beziehen. Hingegen ist die 'inhaltliche Kontrolle der privatautonom getroffenen Rechtsgestaltung bloß eine Kontrolle auf Einhaltung dieser Rahmenordnung, aber keine Kontrolle der privatautonomen Willensentscheidung selbst', wobei 'die inhaltliche Determinierung des Richters primär durch die privatautonomen Rechtsakte erfolgt' (Korinek-Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 78). Ein Verständnis des Legalitätsprinzips dergestalt, daß die privatautonome Rahmenordnung, welche lediglich den Prüfungsgegenstand eines zur Rechtskontrolle berufenen Vollzugsorganes bildet, selbst dem Determinierungsgebot des Art 18 B-VG zu entsprechen hätte, wäre vielmehr mit der in Lehre und Judikatur anerkannten Auffassung unverein, wonach das Legalitätsprinzip nicht für die Privatwirtschaftsverwaltung gilt.

Von dieser Rechtsauffassung ist offensichtlich auch der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 7716/1975 ausgegangen: Der Verfassungsgerichtshof hatte gegen die Bestimmung des § 13 Abs 1 Z 3 RFG idF BGBl. Nr. 397/1974 (welche wie nach der geltenden Rechtslage, die Voraussetzungen für leitende Funktionen im ORF normiert)

'keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere nicht wegen mangelnder Determinierung. Das Kuratorium handelt hier - wie auch sonst - im Rahmen der Privatautonomie ...; Art 18 B-VG ist daher hier nicht anzuwenden. Für die Organe des ORF ist - anders als für Behörden - das Gesetz also nicht Voraussetzung sondern Schranke ihres Handelns. Nur soweit das Gesetz das Kuratorium bindet, kann eine - von der Kommission festzustellende - Gesetzesverletzung vorliegen. Die Kommission ist keine Instanz über den Organen des ORF; sie hat lediglich eine - eingeschränkte - Rechtsaufsicht auszuüben. Setzt das Gesetz dem Verhalten des Kuratoriums einen weiten Rahmen, so kann das Gesetz nicht verletzt werden, wenn sich das Kuratorium in diesem weiten Rahmen bewegt; eine Gesetzesverletzung läge nur dann vor, wenn das Kuratorium diese Grenze überstiege. Aufgabe der Kommission ist es festzustellen, ob diese - hier weitgezogenen - Schranken überschritten wurden.'

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß die vom Verfassungsgerichtshof erwogenen Bedenken im Hinblick auf Art 18 B-VG unberechtigt sind. Die Bundesregierung verkennt dabei nicht, daß, wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 10948/1986 zum Ausdruck gebracht hat, eine verfassungswidrige Handhabung des Rundfunkgesetzes durch den ORF im Wege einer Beschwerde eines Bescheids der Rundfunkkommission, in welchem die gerügte Rechtsverletzung verneint wird, durch den Verfassungsgerichtshof aufgegriffen werden kann. An dem Ergebnis, daß das Rundfunkgesetz, soferne es als bloße Schranke privatautonomer Rechtsgestaltung der Organe des ORF dient, nicht am Determinierungsgebot des Art 18 B-VG zu messen ist, ändert dies jedoch nichts.

II.

Unbeschadet dessen weist die Bundesregierung darauf hin, daß bei der Ermittlung des Inhalts einer gesetzlichen Regelung alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen sind. Erst wenn auch nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden noch nicht beurteilt werden kann, was im Einzelfall rechtens sein soll, verletzt die Regelung Art 18 B-VG (VfSlg. 8395/1978). Welche Interessenverbände belangsendezeitberechtigt sind, überläßt das Rundfunkgesetz keineswegs in beliebiger Weise dem Kuratorium des ORF, sondern determiniert die Zuteilungsentscheidung durch die Wortfolge 'entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben'. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 12001/1989 aussprach, kommt in dieser Formulierung ein 'klarer und unmißverständlicher Wortlaut des Gesetzes' zum Ausdruck. Das Gesetz regle - so dieses Erkenntnis - in § 5 Abs 1 Satz 2 RFG das Verhalten des Österreichischen Rundfunks bindend.

Erscheint somit die Anordnung des § 5 Abs 1 Satz 2 RFG, welche die im nunmehrigen Prüfungsbeschluß inkriminierte Wortfolge enthält, bereits 'klar und unmißverständlich', so ist im weiteren auch dem Bedenken des Verfassungsgerichtshofs, das Kuratorium des ORF könnte eine beliebige Auswahl aus den belangsendezeitberechtigten Interessenverbänden treffen, folgendes entgegenzuhalten:

Gemäß § 5 Abs 1 leg. cit. erster Satz hat der Österreichische Rundfunk einen Teil seiner Sendezeit nicht nur an Interessenverbände sondern auch an die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien zu vergeben. In diesem Zusammenhang verweist Buchner (Der Belangsendungsanspruch von Interessenverbänden, RfR 1989, 29 ff) - nach Auffassung der Bundesregierung zu recht - darauf, daß eine verfassungskonforme Interpretation des § 5 Abs 1 RFG dazu führen muß, einen schrankenlosen Zugang von Interessenverbänden zu Belangsendezeiten gerade nicht anzunehmen:

Hat nämlich der Gesetzgeber - verfassungskonform (VfSlg. 11572/1987) - den Zugang der politischen Parteien auf die im Nationalrat vertretenen Parteien beschränkt, so erscheint es schon im Hinblick auf den Gleichheitssatz geboten, auch als 'Interessenverbände' nur solche mit einer bestimmten Größenordnung zu verstehen. So wie bei den Parteien auf die Repräsentanz im Nationalrat abgestellt und damit die Abgrenzung anhand der politischen Realität vorgenommen wird, muß auch für Interessenvertretungen angenommen werden, daß sie nur dann belangsendungsberechtigt sind, wenn sie im politischen Leben, bei der Gesetzgebung und Vollziehung eine substantielle Bedeutung erlangt haben.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß die Auswahl der berechtigten Interessenverbände den Organen des ORF keineswegs in deren Belieben gestellt ist, sondern diese bei der Auswahlentscheidung durch die Kriterien des § 5 Abs 1 RFG, die sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung und der geschilderten verfassungskonformen Interpretation ergeben, gebunden sind. Daß eine diesbezügliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns der Organe des ORF durch die Rundfunkkommission - vor allem aber auch durch den Verfassungsgerichtshof - am Maßstab des § 5 Abs 1 RFG und der inkriminierten Wortfolge möglich und dabei auch vom Kuratorium bzw. der Kommission gehandhabte Willkür aufgreifbar ist, hat der Verfassungsgerichtshof im bereits zitierten Erkenntnis VfSlg. 12002/1989 deutlich zum Ausdruck gebracht. Daß das Kuratorium bei der Auswahlentscheidung unter dem Kreis der an sich berechtigten Interessenverbände einen gewissen Spielraum hat, wird nicht verkannt. Doch auch dieser Spielraum ermächtigt nicht zu 'beliebiger' Auswahl: Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 10948/1986 ausgeführt hat (und dabei den für die Vergabe von Werbesendungen maßgeblichen § 5 Abs 3 RFG als 'vergleichsweise' dürftige Regelung des Gesetzes - nämlich im Vergleich zu Abs 1 - bezeichnete), ist bei der Auswahlentscheidung für Interessenverbände zu beachten, 'daß diese unter den Bewerbern entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben - also objektiv und unparteilich, die Meinungsvielfalt beachtend, aber auch ausgewogene Programme gestaltend - aufzuteilen sind.' Für die Auswahlentscheidung sind somit die in ArtI Abs 2 BVG-Rundfunk niedergelegten und in § 2 Abs 2 RFG ausgestalteten Kriterien bestimmend.

Die Bundesregierung weist abschließend darauf hin, daß das Kuratorium des ORF eine Novellierung der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung angeregt hat. Dem Gesetzgeber obliegt es im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes, eine allfällige Einschränkung des Kreises der Belangsendeberechtigten herbeizuführen und damit die aufgrund der bisherigen Rechtslage bestehende relativ weite Verpflichtung für den ORF zur Einräumung von Sendezeit an Interessenverbände (wie dies in VfSlg. 12002/1989 zum Ausdruck kam) einzuschränken. Der bisher weitgezogene gesetzliche Rahmen vermag aber die Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Wortfolge nicht zu belegen."

Abschließend stellte die Bundesregierung die Anträge, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß die Wortfolge "und an Interessenverbände" in § 5 Abs 1 RFG, BGBl. Nr. 379/1984, nicht als verfassungswidrig aufzuheben sei, und für den Fall der Aufhebung gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. § 35 VerfGG 1953 verbundenen Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

A. Zur Zulässigkeit.

Im Verfahren ist weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen, daß die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerden und über die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Wortfolge unzutreffend wären.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

B. In der Sache.

Die in den Prüfungsbeschlüssen des Verfassungsgerichtshofes aufgeworfenen Bedenken konnten nicht zerstreut werden und erweisen sich als berechtigt.

1. Zwar weist die Äußerung der Bundesregierung zutreffend auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hin, nach welcher das Handeln des Kuratoriums nicht als Akt der hoheitlichen Vollziehung zu qualifizieren ist; vielmehr handelt das Kuratorium nach dem RFG ganz allgemein im Rahmen der Privatautonomie (vgl. insbes. VfSlg. 7716/1975, ferner VfSlg. 8320/1978, 10948/1986).

Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung fest, vermag aber der daraus abgeleiteten Auffassung der Bundesregierung nicht zu folgen, da die Vergabe von Sendezeit gemäß § 5 Abs 1 RFG einen Akt der Privatautonomie darstelle, sei diese "das Handeln des Kuratoriums bestimmende Norm .... nicht am Determinierungsgebot des Art 18 B-VG zu messen".

Denn bei § 5 Abs 1 RFG handelt es sich um eine die Privatautonomie des ORF einschränkende Regelung; solche Regelungen hatten und haben aber uneingeschränkt den Anforderungen des Art 18 Abs 1 und 2 B-VG zu entsprechen. Anderes kann auch dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 7716/1975 nicht entnommen werden. Damals bestanden gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Regelungen, insbesondere auch gegen § 13 Abs 1 RFG betreffend die Anstellungserfordernisse für bestimmte Positionen beim ORF keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Seiten 416 und 419 der Amtlichen Sammlung, 2. Halbjahr 1975). Es heißt dort, die RFK habe mit ihrer Begründung lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß die im § 13 Abs 1 Z 3 RFG enthaltenen Begriffe den Organen des ORF "viel Freiraum für die Rechtskonkretisierung lassen; einen Freiraum, der personal- und unternehmenspolitische Überlegungen des Kuratoriums zuläßt". Das Kuratorium handle hier im Rahmen der Privatautonomie, sodaß es für dieses Handeln keiner gesetzlichen Grundlage bedürfe. Für die Organe des ORF sei - anders als für Behörden - das Gesetz nicht Voraussetzung, sondern Schranke ihres Handelns. Nicht kann also daraus abgeleitet werden, daß hinsichtlich der Festlegung der Schranken für diese Privatautonomie Art 18 B-VG auch nicht anzuwenden wäre.

Die Vergabe von Sendezeiten an Interessenverbände durch das Kuratorium des ORF erfolgt im Rahmen der Privatautonomie. Die Festlegung von Schranken in Gestalt einer Verpflichtung des Kuratoriums des ORF zur Vergabe von Sendezeit für Belangsendungen bedarf gemäß Art 18 Abs 1 und 2 B-VG im Hinblick darauf, daß es sich dabei um eine Frage von ganz erheblicher rechtlicher und politischer Bedeutung handelt, entsprechend klarer und deutlicher gesetzlicher Anordnungen. Denn einerseits kommt hier das Verfassungsgebot des ArtI Abs 2 des BVG über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, BGBl. 396/1974, zum Tragen, daß die dort vorgesehenen bundesgesetzlichen Festlegungen insbesondere auch Bestimmungen zu enthalten haben, die die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt gewährleisten. Andererseits werden durch die Vergabe von Sendezeiten beachtliche Chancen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und zur Teilnahme am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß eingeräumt. Angesichts der evidenten Bedeutung für das gesamte staatliche, gesellschaftliche und politische Leben, namentlich auch unter Bedachtnahme auf die Meinungsäußerungsfreiheit, unterliegen solche, die Privatautonomie beschränkende gesetzliche Regelungen uneingeschränkt den strengen Anforderungen des Art 18 Abs 1 und 2

B-VG.

2. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung ist auch bei Ausschöpfung aller zur Ermittlung des Inhalts zur Verfügung stehenden Interpretationsmethoden (VfSlg. 8395/1978, 11499/1987, 13785/1994, ua. Zlen., , V67/96) nicht verläßlich zu beurteilen, was § 5 Abs 1 RFG anordnet. Zwar hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12001/1989 auf den "klaren und unmißverständlichen Wortlaut" des § 5 Abs 1 RFG abgestellt. Diese Aussage bezog sich aber eindeutig erkennbar und entgegen der insofern unzutreffenden Formulierung in der Äußerung der Bundesregierung nur darauf, daß nach dem Gesetzeswortlaut - entgegen der Begründung des damals angefochtenen Bescheides - nicht nur Verbände zuzulassen sind, die "erheblichen Einfluß auf die allgemeine Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Österreich" erlangt haben; von einem solchen, ganz besondere Voraussetzungen normierenden Zulassungskriterium könne überhaupt nicht die Rede sein; erst bei Ausmessung der Sendezeit sei auf deren Bedeutung im öffentlichen Leben abzustellen. Insoweit bleibt der Verfassungsgerichtshof bei dieser offenkundig zutreffenden Auffassung.

Nichts weiteres - und das betrifft die in den nunmehrigen Prüfungsbeschlüssen aufgeworfenen Bedenken - findet sich im genannten Erkenntnis zur Frage, was denn alles unter Interessenverbänden zu verstehen ist und nach welchen Kriterien mit Blick auf die inzwischen eingetretene Entwicklung eine sich als notwendig erweisende Auswahl aus Interessenverbänden, die eine Zuteilung von Sendezeit begehren, erfolgen könnte.

Unter dieser Voraussetzung erweist sich aber zunächst die (unter Berufung auf Buchner, Der Belangsendungsanspruch von Interessenverbänden, RfR 1989, 29 ff. vertretene) Auffassung in der Äußerung der Bundesregierung als verfehlt, eine verfassungskonforme Interpretation des § 5 Abs 1 RFG müsse dazu führen, einen schrankenlosen Zugang von Interessenverbänden zu Belangsendezeiten gerade nicht anzunehmen; habe nämlich der Gesetzgeber - verfassungskonform (VfSlg. 11572/1987) - den Zugang der politischen Parteien auf die im Nationalrat vertretenen Parteien beschränkt, so erscheine es schon im Hinblick auf den Gleichheitssatz geboten, auch als "Interessenverbände" nur solche mit einer bestimmten Größenordnung zu verstehen. So wie bei den Parteien auf die Repräsentanz im Nationalrat abgestellt und damit die Abgrenzung "anhand der politischen Realität" vorgenommen werde, müsse auch für Interessenvertretungen angenommen werden, daß sie nur dann belangsendungsberechtigt sind, wenn sie im politischen Leben, bei der Gesetzgebung und Vollziehung eine substantielle Bedeutung erlangt hätten.

Der - insoferne - ganz eindeutige Wortlaut läßt aber, wie schon dargetan, eine solche Bedachtnahme nicht bei der Entscheidung der Frage zu, ob Sendezeiten zu vergeben sind, sondern erst beim zweiten Schritt, wenn es darum geht, wieviel Sendezeit an sie (nämlich "entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben") zu vergeben ist. Dieser ins Auge gefaßte Weg einer verfassungskonformen Interpretation kann wegen des klar dagegen sprechenden Wortlautes nicht beschritten werden.

3. Geht man in Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesregierung davon aus, daß nach § 5 Abs 1 RFG nicht nur an berufliche, sondern auch an alle anderen "Interessenverbände" Sendezeit zu vergeben ist, gibt es keine verläßlichen Kriterien dafür, was überhaupt unter Interessenverbänden i.S. der zitierten Vorschrift zu verstehen ist. Bei einem Bestand von nahezu 100.000 Vereinen in Österreich gibt es allein aus diesem Spektrum viele hunderte, die verschiedensten Interessen repräsentierenden Sendezeit-Kandidaten. Zu diesen treten jene, die öffentlichrechtlich organisiert sind. Das wiegt umso schwerer, als die Abgrenzung des Kreises jener Interessenverbände, an welche (zusammen mit den im Nationalrat vertretenen politischen Parteien) gemäß § 5 Abs 1 RFG die mit 1 vH der Sendezeit begrenzte Belangsendezeit zu vergeben ist, wie dargetan, eine Frage von ganz erheblicher rechtlicher und politischer Bedeutung darstellt.

Dazu kommt, daß dem RFG insgesamt nicht nur nicht zu entnehmen ist, was unter "Interessenverbänden" zu verstehen ist. Vielmehr läßt dieses, insbesondere auch dessen § 5 Abs 1 RFG auch keine Bestimmungsgründe für die - angesichts der nur in gesetzlich beschränktem Ausmaß zu vergebenden Belangsendezeiten notwendige - Auswahl für den Fall erkennen, daß sich eine Vielzahl von - dem Grunde nach in Betracht kommenden - Interessenverbänden um Sendezeit bewirbt. Auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof seitens des Vertreters der Bundesregierung zur Diskussion gestellten Kriterien


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-
Anzahl der Mitglieder,
-
faktische Bedeutung im gesellschaftlichen Leben,
-
"ideelle Bedeutung" und
-
nicht nur auf "regionale Wirkungsbereiche" beschränkt, vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Das zweitgenannte Kriterium ist hier deshalb nicht brauchbar, weil, wie dargetan, nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht für das Ob, sondern für das Ausmaß der zuzubilligenden Sendezeit beachtlich. Jedenfalls aber sind diese Kriterien deshalb außer Betracht zu lassen, weil sie - abgesehen davon, daß auch weitere Kriterien in Betracht zu ziehen wären - weder ausdrücklich im RFG verankert noch aus ihm ableitbar sind.

Deshalb sind die dem privatautonomen Handeln des Kuratoriums des ORF gezogenen Schranken nicht hinreichend konkretisiert und es hat es daher das Kuratorium des ORF in der Hand, eine beliebige Auswahl aus den an sich belangsendezeitberechtigten "Interessenverbänden" zu treffen. Diese weitgehend undeutliche Schrankenziehung widerspricht dem Legalitätsgebot des Art 18

B-VG.

3.1. Die in Prüfung genommene Wortfolge war deshalb wegen Widerspruchs zum Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 und 2 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.

3.2. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung sowie die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesvorschrift beruhen auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 B-VG.