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VfGH vom 20.06.1991, G332/90

VfGH vom 20.06.1991, G332/90

Sammlungsnummer

12763

Leitsatz

Neuerliche Aufhebung des § 71 Abs 5 MOG idF der MarktordnungsG-Nov 1988; stets zwingend gleiche Sanktion für die Verwirklichung von Tatbeständen stark verschiedenen Unrechtsgehaltes sachlich nicht gerechtfertigt

Spruch

I. § 71 Abs 5 Marktordnungsgesetz 1985 - MOG, BGBl. Nr. 210 idF der Z 73 des Artikels II der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 330, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

II. Im übrigen werden die Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1074/90, B1079/90, B1259/90 und B1260/90 vier Beschwerdeverfahren anhängig, mit denen die Beschwerdeführer jeweils Bescheide des Geschäftsführers des Milchwirtschaftsfonds bekämpfen, deren erster Spruchpunkt etwa folgendermaßen lautet (im folgenden wird der Spruch des zu B1074/90 und B1079/90 bekämpften Bescheides wiedergegeben):

"Gemäß § 71 Abs 5 Z 2 Marktordnungsgesetz (MOG 1985, BGBl. Nr.

210/1985 i.d.F. BGBl. Nr. 330/1988) werden die Begünstigungen, die

sich aus der Zustimmung des Milchwirtschaftsfonds zur Aufnahme von

Almen in die von der Molkereigenossenschaft ... zu führende

Almliste ergeben, für die Dauer vom bis für folgende Almen entzogen:

in St. Wolfgang: Grabner Sepp-Alm (Nr. 10 des Bescheides

Zl. Ia/Dr.A./r. vom )

in St. Wolfgang: Lippenalm (Nr. 5 des Bescheides

Zl. Ia/Dr.A./r. vom )"

In den beiden weiteren Spruchpunkten wird eine "Almliste" festgelegt, in der "alle Almen in der ab geltenden Fassung angeführt (sind), für die eine Zustimmung des Milchwirtschaftsfonds zur Aufnahme in die von der (zuständigen) Molkereigenossenschaft zu führende Almliste vorliegt". Weiters wird jeweils festgestellt, daß für die von der Molkereigenossenschaft von diesen Almen übernommenen Mengen an Milch und Erzeugnissen aus Milch ein zusätzlicher Absatzförderungsbeitrag und eine Abhofpauschale so lange nicht zu entrichten ist, als alle Voraussetzungen des § 71 Abs 3 bis 6 MOG eingehalten werden, es wird eine Anzahl dieser Voraussetzungen aufgeführt und überdies festgestellt, daß durch diese Bescheide jeweils ein früher ergangener Bescheid des Milchwirtschaftsfonds abgeändert wird.

Nach der Begründung dieser Bescheide habe das Ermittlungsverfahren jeweils ergeben, daß der Beschwerdeführer als auf der Alm erzeugt deklarierte Milch nicht entsprechend den Bestimmungen des § 71 MOG erzeugt bzw. geliefert habe, weswegen nach § 71 Abs 5 MOG idF der MOG-Novelle 1988, BGBl. 330, die Begünstigung aus der Almanerkennung für die Dauer von drei Wirtschaftsjahren durch Bescheid zu entziehen sei.

2. Unter anderem aus Anlaß dieser vier Beschwerdeverfahren hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom gemäß Art 140 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit folgender gesetzlicher Bestimmungen eingeleitet:

a) ArtII Z 3 und 5 bis 8 sowie ArtIII und IV Abs 2 des Bundesgesetzes vom , mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1985), BGBl. Nr. 291;

b) ArtII Z 8 bis 27 sowie ArtIII Abs 3 bis 6 und ArtV bis VIII, jeweils des Abschnittes I des Bundesgesetzes vom über Änderungen des Marktordnungsgesetzes 1985 (Marktordnungsgesetz-Novelle 1986) und des Bundesfinanzgesetzes 1986, BGBl. Nr. 183;

c) ArtII Z 7 bis 9 und 11 bis 27 sowie ArtIII mit Ausnahme der Verfassungsbestimmungen, ArtIV mit Ausnahme der Verfassungsbestimmung und ArtV des Bundesgesetzes vom , mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1987), BGBl. Nr. 138;

d) ArtII Z 17 und 18 des Abschnittes I des Bundesgesetzes vom über Änderungen des Marktordnungsgesetzes 1985 (2. Marktordnungsgesetz-Novelle 1987) und über Maßnahmen betreffend Isoglucose, BGBl. Nr. 324; und

e) ArtII Z 70 bis 89 sowie ArtV, VI und IX des Bundesgesetzes vom , mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. Nr. 330.

Das aus Anlaß der Beschwerden B1074/90 und B1079/90 eingeleitete Verfahren wurde zu G332-341/90 protokolliert, das aus

Anlaß des Beschwerdeverfahrens B1259/90 zu G91-95/91 und das aus

Anlaß des Beschwerdeverfahrens B1260/90 zu G96-100/91.

Zur Begründung seiner Bedenken wies der Verfassungsgerichtshof einerseits auf seinen Beschluß vom , B573/90, hin, mit dem er sämtliche der genannten Bestimmungen in Prüfung gezogen hatte, andererseits äußerte er das Bedenken, daß § 71 Abs 5 MOG 1985, BGBl. 210 idF BGBl. 330/1988 (das ist die Z 73 des ArtII der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 330) aus den gleichen Gründen verfassungswidrig sein dürfte, wie er sie im Erkenntnis vom , G237-240/89, ausgeführt hatte, mit dem § 71 Abs 5 MOG 1985 in der Fassung der Marktordnungsgesetz-Novellen 1985, BGBl. 291 und 1987, BGBl. 138 aufgehoben worden war.

3. Mit Erkenntnis vom , G227-231/90 ua., hat der Verfassungsgerichtshof in aus Anlaß anderer Beschwerden (darunter die oben erwähnte, zu B573/90 protokollierte) eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren einen Teil der in Prüfung gezogenen Bestimmungen aufgehoben, im übrigen die Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt, worauf im folgenden noch einzugehen sein wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Verfahren hat nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerdeverfahren sprechen würde.

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat sämtliche die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft betreffenden Bestimmungen des Marktordnungsgesetzes seit der Marktordnungsgesetz-Novelle 1985, BGBl. 291, unter der Annahme in Prüfung gezogen, daß alle diese Bestimmungen miteinander in untrennbarem Zusammenhang stünden.

Im bereits genannten Erkenntnis vom , G227-231/90, ist der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gekommen, daß diese Annahme nicht zutrifft (vgl. IV.2. dieses Erkenntnisses). Er stellte fest, daß sich die Bestimmungen der genannten Marktordnungsgesetz-Novellen über die Höhe der Einzelrichtmenge und ihre Veränderung, gegen die sich die Bedenken richteten, von den übrigen Bestimmungen über die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft trennen lassen.

Der Verfassungsgerichtshof beschränkte daher das Gesetzesprüfungsverfahren auf folgende Bestimmungen:

ArtII Z 5 und 6 sowie ArtIII und ArtIV Abs 2 der Marktordnungsgesetz-Novelle 1985, BGBl. 291;

ArtII Z 13 bis 15 und 18 sowie ArtIII Abs 3 bis 6, ArtV, ArtVI und ArtVIII der Marktordnungsgesetz-Novelle 1986, BGBl. 183;

ArtII Z 12 bis 14 und 15, soweit sich letztere auf § 73 Abs 7 bezieht, und Z 17 bis 19 sowie ArtIII Abs 4 und Abs 6, ArtIV Abs 1, 2, 4 und 5 sowie ArtV der Marktordnungsgesetz-Novelle 1987, BGBl. 138; und

ArtII Z 74 bis 76, 78, 83 und 84 sowie ArtV der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 330.

Betreffend die übrigen Bestimmungen stellte der Verfassungsgerichtshof die Gesetzesprüfungsverfahren ein.

b) In den dem vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren zugrundeliegenden Anlaßverfahren geht es um die "Aberkennung einer Almeigenschaft" gemäß § 71 Abs 5 MOG idF BGBl. 330/1988, sodaß es ausgeschlossen ist, daß für dieses Verfahren die Bestimmungen über die Höhe der Einzelrichtmenge und ihre Veränderung präjudiziell sind. Der Verfassungsgerichtshof zog diese Bestimmungen im vorliegenden Verfahren nur deswegen in Prüfung, weil er im Hinblick auf seine Bedenken sämtliche Bestimmungen über die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft für untrennbar hielt.

Da diese Voraussetzung wie dargelegt nicht zutrifft, sind die vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen, soweit sie nicht § 71 Abs 5 MOG idF der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 330 (also die Z 73 des ArtII dieser Novelle), betreffen.

3. Die vom Verfassungsgerichtshof ausschließlich gegen § 71 Abs 5 MOG geäußerten Bedenken treffen hingegen zu:

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mit Erkenntnis vom , G237-240/89, § 71 Abs 5 MOG idF vor der Novelle BGBl. 330/1988 (das war in der Fassung der Novellen BGBl. 291/1985 und 138/1987) deswegen als verfassungswidrig aufgehoben, weil diese Bestimmung insofern gegen das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot verstieß, als sie unabhängig vom Unrechtsgehalt des durch sie sanktionierten Verstoßes eine gravierende Sanktion vorsah, und zwar eine für die Verwirklichung von Tatbeständen stark verschiedenen Unrechtsgehaltes stets zwingend gleiche Sanktion.

§ 71 Abs 5 in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. 330/1988 ist gegenüber der vorangegangenen Fassung im hier relevanten Zusammenhang nicht verändert. Er ist daher aus den gleichen Gründen, wie sie im genannten Erkenntnis vom , G237-240/89, dargelegt sind, verfassungswidrig und somit aufzuheben.

4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen.

Fundstelle(n):
MAAAE-27227