VfGH vom 13.03.2002, G328/01

VfGH vom 13.03.2002, G328/01

Sammlungsnummer

16490

Leitsatz

Verstoß einer Bestimmung der Wr Abgabenordnung über die Unzulässigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf eines Jahres der versäumten Frist - selbst bei fristgerecht gestelltem Antrag - gegen den Gleichheitsgrundsatz

Spruch

§ 241 Abs 1 des Gesetzes betreffend allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden der Stadt Wien verwalteten Abgaben (Wiener Abgabenordnung - WAO), LGBl. für Wien Nr. 21/1962, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1765/00 eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

Mit einem am zur Post gegebenen Schreiben an den Magistrat der Stadt Wien beantragte der beschwerdeführende Fonds die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen zwei Bescheide des Magistrates der Stadt Wien vom betreffend die Abweisung eines Antrages auf Herabsetzung der Abwassergebühr sowie die Zurückweisung der Berufung gegen eine behauptetermaßen überhöhte Gebührenvorschreibung.

Dieser Wiedereinsetzungsantrag wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom als unzulässig zurückgewiesen. Begründend führte die Behörde dazu aus: Die beiden Bescheide vom seien dem - gegenüber der Abgabenbehörde ausgewiesenen - Vertreter des beschwerdeführenden Fonds nachweislich am zugestellt worden. Die Berufungsfrist habe somit am geendet. Ein allfälliger Antrag auf Wiedereinsetzung hätte daher spätestens am gestellt werden müssen. Da der vorliegende Antrag jedoch erst am zur Post gegeben worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem nunmehr beim Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheid der Abgabenberufungskommission vom abgewiesen. Begründend verweist die belangte Behörde iW auf § 241 Abs 1 Wiener Abgabenordnung - WAO, wonach eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf eines Jahres, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr zulässig sei.

1.2. In der eingangs erwähnten, gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in Rechten wegen Anwendung der als verfassungswidrig erachteten Bestimmung des § 241 Abs 1 WAO behauptet, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens in Bezug auf diese Bestimmung angeregt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlass dieser Beschwerde am beschlossen, gemäß Art 140 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 241 Abs 1 WAO einzuleiten.

2.2. § 241 WAO lautet wie folgt (der in Prüfung gezogene Absatz ist hervorgehoben):

"§241. (1) Nach Ablauf eines Jahres, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr zulässig.

(2) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages (§240 Abs 3) findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt."

2.3. In formeller Hinsicht ging der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss davon aus, dass die Beschwerde zulässig sei und er bei ihrer Erledigung die in Prüfung gezogene Rechtsvorschrift anzuwenden haben würde, zumal die belangte Behörde die bekämpfte Entscheidung im Wesentlichen damit begründet habe, dass der Beschwerdeführer den Wiedereinsetzungsantrag erst nach Ablauf der in '241 Abs 1 WAO normierten Jahresfrist gestellt habe und der Antrag "demnach nicht mehr zulässig" gewesen sei.

2.4. In der Sache äußerte der Verfassungsgerichtshof auf Grund der nachstehenden Überlegungen das Bedenken, dass der Wiener Landesgesetzgeber mit § 241 Abs 1 WAO eine dem Gleichheitsgrundsatz widersprechende Regelung getroffen habe.

Dem Wortlaut dieser Bestimmung zu Folge dürfte § 241 Abs 1 WAO die Zulässigkeit einer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verfügenden behördlichen Entscheidung als solche - und nicht bloß einen darauf gerichteten Antrag des Betroffenen - auf den Zeitraum eines Jahres, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, beschränken. Damit könne aber eine solche Entscheidung selbst in jenen Fällen von vornherein ausgeschlossen sein, in denen innerhalb dieser Frist zwar der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde, die Entscheidung darüber aber - aus welchen Gründen auch immer - unterblieben sei. Ausgehend davon könnte es jedoch von den verschiedensten Zufälligkeiten, insbesondere auch von manipulativen und vom Antragsteller nicht beeinflussbaren Umständen, abhängen, ob eine rechtzeitig beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand letztlich zulässig sei oder nicht, was mit dem aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot nicht mehr vereinbar sein dürfte.

2.5. Die im Gesetzesprüfungsverfahren zur Stellungnahme eingeladene Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie - unter Hinweis auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation der in Prüfung gezogenen Bestimmung - deren Verfassungsmäßigkeit behauptet. Im Wesentlichen führt die Wiener Landesregierung dazu Folgendes aus:

"Die Überschrift zu § 240 lautet 'Wiedereinsetzung in den vorigen Stand' und bezeichnet damit das nachfolgend geregelte Rechtsinstitut in umfassender Weise, ohne auf die sich in diesem vereinenden Elemente des 'Antrages auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand' und der 'Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand' (bzw. deren Versagung) abzustellen. Diesbezüglich ist der Ausdruck 'Wiedereinsetzung in den vorigen Stand' somit neutral. In den nachfolgenden Bestimmungen des § 240 sowie in § 242, aber auch in § 241 Abs 2 wird sodann genau zwischen dem jeweils angesprochenen Antrag der Partei und der Bewilligung durch die Behörde unterschieden. Dies in der Weise, dass die Kurzform 'Wiedereinsetzung' textlich stets in Verbindung zu den Worten (bzw. zu Ableitungen von diesen) 'Antrag' bzw. 'Bewilligung' gebracht werden, sodass stets klar zum Ausdruck kommt, welcher Rechtsakt jeweils konkret angesprochen ist.

Anders verhält es sich dagegen bei § 241 Abs 1 WAO, der als einzige Ausnahme in diesem Regelungsgefüge keine Beziehung der Bezeichnung 'Wiedereinsetzung in den vorigen Stand' zum Antrag der Partei oder zur Bewilligung (Ablehnung) durch die Behörde herstellt. Aus dem bloßen Wortlaut des § 241 Abs 1 WAO ist daher nicht erkennbar, ob damit dieser oder jene oder etwa beide angesprochen ist bzw. sind.

Somit lässt § 241 Abs 1 WAO, im Gegensatz zur (im Erkenntnis VfSlg. 7708/1975) angesprochenen Bestimmung der 24. Gehaltsgesetz-Novelle, nach dem Wortlaut mehrere Deutungen zu. Die in Prüfung gezogene Bestimmung gestattet es daher auch, diese nicht in dem vom Verfassungsgerichtshof dem Prüfbeschluss vorläufig zu Grunde gelegten Sinn auszulegen, sondern dahingehend, dass innerhalb der Frist von einem Jahr vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch beantragt werden kann, wohingegen für die Entscheidung der Behörde über diesen Antrag durch den § 241 Abs 1 WAO keine Fristsetzung vorgenommen wird. Nach dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer - soweit möglichen - verfassungskonformen Auslegung zuzuführen (vgl. VfSlg. 15.199) erscheint das zuletzt genannte Begriffsverständnis nach Auffassung der Wiener Landesregierung auch geboten.

Die Wiener Landesregierung vertritt daher die Auffassung, dass die gegenständliche Bestimmung verfassungskonform ist."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Im Verfahren ist weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen, dass die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes zur Zulässigkeit der Beschwerde und zur Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Rechtsvorschrift unzutreffend wären. Da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hatte im oben wiedergegebenen Prüfungsbeschluss keine Bedenken dagegen geäußert, dass § 241 Abs 1 WAO den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur innerhalb einer bestimmten Frist zulässt, sondern vielmehr dagegen, dass danach die Zulässigkeit einer eine solche Wiedereinsetzung verfügenden behördlichen Entscheidung selbst dann ausgeschlossen sein könnte, wenn der Antrag fristgerecht gestellt wurde, die Entscheidung darüber aber innerhalb Jahresfrist unterblieb. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was dieses Bedenken gegen eine derartige Regelung im Rahmen des Abgabenrechtes zerstreut hätte. Auch die Wiener Landesregierung bringt dagegen nichts vor, sondern versucht darzutun, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung verfassungskonform interpretiert werden könne. Eine solche Auslegung kommt aber auf Grund der folgenden Erwägungen nicht in Betracht:

Selbst wenn man nämlich der - recht eigenwilligen - Auffassung folgen wollte, dass innerhalb des Rechtsinstitutes der "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" zwischen den Elementen "des Antrages auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" und der "Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (bzw. deren Versagung)" zu unterscheiden sei, träfe die Behauptung, aus dem bloßen Wortlaut des § 241 Abs 1 WAO sei nicht erkennbar, ob damit bloß eines dieser Elemente oder etwa beide angesprochen ist bzw. sind, keinesfalls zu. Nach dem "bloßen Wortlaut" der in Prüfung gezogenen Bestimmung, die eben nicht in dieser Weise differenziert, sind dann nämlich - lege non distinguente - beide "Elemente", also auch die "Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (bzw. deren Versagung) erfasst. Auf Grund der selben Überlegung führt aber auch eine systematische Auslegung des § 241 Abs 1 WAO im Kontext der übrigen Regelungen der §§240 bis 242 WAO, die wie die Wiener Landesregierung selbst einräumt, durchwegs zwischen diesen beiden "Elementen" unterscheiden, zu keinem anderen Ergebnis.

Angesichts dessen kann auch dahingestellt bleiben, ob der hier vorliegende Fall mit jenem vergleichbar ist, der dem Erkenntnis VfSlg. 7708/1975 zu Grunde lag. Fest steht nämlich, dass angesichts des Ergebnisses sowohl der Wortinterpretation als auch der systematischen Auslegung der in Prüfung gezogenen Bestimmung für eine verfassungskonforme Auslegung kein Raum besteht (idS zur gleichlautenden Stammfassung des § 309 BAO vgl. zB Stoll, BAO-Kommentar, 2991; Lager, Bundesabgabenordnung, 122; Leitl, Die Rechtskraft und ihre Durchbrechung in der Bundesabgabenordnung und in den Abgabenvorschriften der österreichischen Bundesländer, Wien 1980, 96ff.).

3.3. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken haben sich somit als zutreffend erwiesen. § 241 Abs 1 WAO verstößt daher gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz und ist als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm. § 138 Abs 2 Z 7 der Wiener Stadtverfassung.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.