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VfGH vom 29.06.1990, g325/89

VfGH vom 29.06.1990, g325/89

Sammlungsnummer

12418

Leitsatz

Zulässigkeit des Antrags einer Genossenschaftsbank auf Aufhebung einer Wortfolge in § 107 Abs 2 AktienG; keine sachliche Rechtfertigung der Beschränkung der im zweiten Satz des § 107 Abs 2 AktienG normierten Wirkung der Hinterlegung von Aktien auf Banken in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft; Wettbewerbsvorteil für Banken in der Rechtsform von Aktiengesellschaften

Spruch

Die Wortfolge "in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenen" im zweiten Satz des § 107 Abs 2 Aktiengesetz 1965, BGBl. Nr. 98, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Im Rahmen der Vorschriften über die Einberufung der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft (§§105 ff) bestimmt das Aktiengesetz 1965, BGBl. 98, daß zwischen dem Tag der letzten Veröffentlichung der Einberufung und dem Tag der Hauptversammlung ein Zeitraum von mindestens vierzehn Tagen liegen muß (§107 Abs 1), diese Frist aber dann, wenn die Satzung die Ausübung des Stimmrechts davon abhängig macht, daß die Aktien bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Versammlung hinterlegt werden, so zu bemessen ist, daß für diese Hinterlegung mindestens vierzehn Tage frei bleiben (§107 Abs 2 Satz 1). Die Sätze 2 und 3 des § 107 Abs 2 fahren dann fort:

"In diesem Fall genügt die Hinterlegung bei einem Notar oder bei der Hauptniederlassung einer in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenen inländischen Bank. Wenn die Satzung es zuläßt, können in der Einberufung zur Hauptversammlung auch andere Unternehmen, die Bank- oder Sparkassengeschäfte betreiben (Kreditunternehmungen), als weitere Hinterlegungsstellen bestimmt werden."

Die antragstellende Bank ist eine registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung und betreibt Bankgeschäfte im Sinne des § 1 Kreditwesengesetz. Sie hat nach ihren Angaben mehr als tausend Kunden, die Inhaber von Aktien sind und diese bei ihr nach den Bestimmungen des Depotgesetzes in Verwahrung gegeben haben, und erachtet sich durch § 107 Abs 2 Satz 2 AktienG deshalb unmittelbar betroffen, weil sie dadurch von der Möglichkeit, als Hinterlegungsstelle für vorhandene oder künftige Kunden zu fungieren, ausgeschlossen sei, ohne selbst eine gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Entscheidung darüber erwirken zu können. Diese Gesetzesstelle sei gleichheitswidrig, weil sie Banken in der Rechtsform der Aktiengesellschaft bevorzuge, ohne daß das durch das öffentliche Interesse geboten oder durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre und so die Kunden zur Vermeidung von zusätzlichen Kosten einer Hinterlegung beim Notar oder einer bevorzugten Bank motiviert würden, die Depotgeschäfte gleich bei Banken in der Rechtsform der Aktiengesellschaft abzuwickeln, was den Wettbewerb verzerre. Die Wortfolge "einer in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenen" sei daher aufzuheben.

Die Bundesregierung hat sich nur zur Zulässigkeit des Antrages geäußert. Sie hält die antragstellende Bank für bloß wirtschaftlich betroffen. Aus der mangelnden rechtlichen Betroffenheit von Fahrzeugkäufern, auf welche die Unternehmer die erhöhte Umsatzsteuer überwälzen (VfSlg. 8292/1978), von Rechtsanwälten in bezug auf den Normalkostentarif für die Prozeßparteien (VfSlg. 8547/1979), von Gewerbebetreibenden durch Verkehrsvorschriften, welche die Zufahrt von Kunden erschweren (VfSlg. 8758/1980), von Nachbarn durch die Umwidmung eines Grundstücks (VfSlg. 9100/1981, 9136/1981) und Verbrauchern durch die Festlegung höchstzulässiger Verbraucherpreise (VfSlg. 9221/1981) schließt sie, daß es für die Antragslegitimation nicht genüge, wenn die bekämpfte Norm Rechtsfolgen nur für den Vertragspartner des Antragstellers enthält.

Zur Sache hat die Bundesregierung nicht Stellung bezogen.

II. Der Antrag ist mit Ausnahme des Wortes "einer" am Beginn der angegriffenen Wortfolge zulässig.

Die angegriffene Vorschrift legt fest, daß zur Ausübung des Stimmrechts im Falle eines Hinterlegungsgebotes in der Satzung die Hinterlegung bei einem Notar oder einer bestimmten Bank genügt. Damit wird zunächst eine Regelung im Verhältnis der Aktiengesellschaft zu ihren Aktionären getroffen. Zugleich wird damit aber auch die Fähigkeit der Notare und Banken festgelegt, Aktien mit der beschriebenen Wirkung in Verwahrung zu nehmen. Anders als die von der Bundesregierung bezogenen, in der bisherigen Rechtsprechung behandelten normativen Akte - die Erhöhung der Umsatzsteuer, die Erlassung eines Normalkostentarifs, das Verfügen eines Linksabbiegeverbots, die Widmung eines Grundstücks oder die Festlegung von höchstzulässigen Verbraucherpreisen - berührt diese Vorschrift die für die Hinterlegung in Betracht kommenden Rechtsträger nicht erst über ein tatsächliches Verhalten der zunächst angesprochenen Personen (Aktionäre und Aktiengesellschaften), sondern spricht sie von vornherein unmittelbar an, indem sie die Wirkung einer Hinterlegung bei ihnen festlegt. Daß eine solche Wirkung erst dann eintritt, wenn Aktionäre sich überhaupt zur Hinterlegung bei ihnen entschließen, unterscheidet ihre Betroffenheit nicht von jener anderer Adressaten von Normen über die Gestaltung von deren Rechtsbeziehungen zu möglichen Vertragspartnern (zB von der Betroffenheit des Verkäufers im Falle von Höchstpreisregelungen).

Der Antrag ist auch nicht etwa zu eng. Eine Beseitigung der angegriffenen Wortfolge verändert den Sinn der Vorschrift nicht derart, daß ihr die Aufhebung der gesamten Regelung über die Möglichkeit einer Hinterlegung bei Banken überhaupt vorgezogen werden müßte.

Der somit zulässige Antrag wirft allerdings einleitend nur der Wortfolge "in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenen" vor, sie diskriminiere die antragstellende Genossenschaftsbank. Er enthält gegen das im förmlichen Antrag offenbar irrtümlich miterfaßte Wort "einer ..." am Beginn der angegriffenen Wortfolge, dessen Entfernung aus § 107 Abs 2 den Rest sprachlich verstümmeln würde, keine Bedenken im Sinne des § 62 Abs 1 VerfGG. Insoweit ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen (vgl. zuletzt ).

III. Der Antrag ist im zulässigen Umfang begründet. Die Beschränkung der im zweiten Satz des § 107 Abs 2 AktienG normierten Wirkung der Hinterlegung von Aktien auf Banken in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft entbehrt der sachlichen Rechtfertigung und verstößt daher gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.

Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Aktiengesetz (301 BlgNR, 10. GP, 71) führen dazu folgendes aus (Hervorhebung im Original):

"Im Abs 2 wurde als gesetzliche Hinterlegungsstelle anstelle der bisherigen Wertpapiersammelbank, wie bisher neben den Notaren, der besonderen rechtlichen Bedeutung dieser Funktion entsprechend, die gegebenenfalls auch eine besondere Erfahrung und Vertrautheit mit den aktienrechtlichen Problemen erfordert, nunmehr auch die in nahezu allen Bundesländern zur Verfügung stehende Hauptniederlassung einer Bank-Aktiengesellschaft bestimmt. Anderen, auch ausländischen, Kreditunternehmungen kann die gleiche Funktion durch die Satzung übertragen werden. Es ist dadurch die Spezialisierung einzelner Kreditunternehmungen auf die Probleme einer bestimmten Gesellschaft ermöglicht und erleichtert."

Warum die Verwahrung einer nach § 107 Abs 2 AktienG hinterlegten Aktie eine besondere Erfahrung und Vertrautheit mit aktienrechtlichen Problemen erfordern soll, die nur bei Aktiengesellschaften gesichert wäre, kann der Verfassungsgerichtshof nicht erkennen. Es mag - hier nicht zu erörternde - Gründe geben, gewisse Geschäfte nur Banken in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft zu erlauben (vgl. B1562/88 vom ). Die Verwahrung von Wertpapieren (das Depotgeschäft) ist aber nicht auf bestimmte Banken beschränkt. Die Kenntnis der mit der Verwahrung dieser Wertpapiere jeweils verbundenen Probleme ist den Banken daher auch allgemein zu unterstellen. Es ist nichts erkennbar, was es rechtfertigen könnte, die erforderliche Erfahrung und Vertrautheit mit den aktienrechtlichen Problemen nur bei Banken in der Rechtsform von Aktiengesellschaften zu vermuten (die ihrerseits einschlägige Satzungsbestimmungen gar nicht haben müssen).

Es ist aber auch offenkundig, daß die angegriffene Bevorzugung von Banken in der Rechtsform von Aktiengesellschaften diesen einen nicht unbeträchtlichen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.

Die in Prüfung stehende Wortfolge ist daher wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.

Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG. Die Frist für das Außerkrafttreten soll verhindern, daß Aktiengesellschaften plötzlich die Hinterlegung bei jeder Bank hinnehmen müssen, obwohl der Gesetzgeber es vielleicht der Satzung überläßt, den Kreis der Hinterlegungsstellen kleiner zu halten.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).