VfGH vom 11.12.2012, g32/12
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des Gebührengesetzes 1957 über den Kostenersatz für gebührenfrei ausgestellte Reisedokumente an Gemeinden mit Ausnahme von Wien; keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der Gemeinde Wien gegenüber den anderen passausstellenden Gemeinden im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewählte Anknüpfung an rechtliche Unterschiede
Spruch
I. Der letzte Satz des § 35 Abs 6 Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267, idF des Abgabenänderungsgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 76/2011, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Auf Grund ihres Beschlusses vom
stellt die Wiener Landesregierung den auf Art 140 B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge in § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 (in der Folge: GebG), BGBI. 267, in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 (in der Folge: AbgÄG 2011), BGBI. I 76/2011, den Klammerausdruck "(ohne Wien)" als verfassungswidrig aufheben. In eventu wird die Aufhebung des gesamten letzten Satzes des § 35 Abs 6 GebG, BGBI. 267, in der Fassung des AbgÄG 2011, BGBI. I 76/2011, beantragt.
1.1. Die Wiener Landesregierung begründet ihren
Antrag wie folgt (Zitat ohne die darin enthaltenen Hervorhebungen):
"Die hier in Rede stehende Bestimmung des § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 behandelt zwei Normadressaten, nämlich die Gemeinden außer Wien, die Reisepässe aus Anlass der Geburt eines Kindes ausstellen, und die Gemeinde Wien, die ebenfalls solche Reisepässe ausstellt, unterschiedlich, in dem sie den Gemeinden außer Wien einen Betrag in der Höhe der Produktionskosten je ausgestelltem Reisepass zuerkennt, der Gemeinde Wien hingegen nicht. Die Wiener Landesregierung ist der Auffassung, dass diese Ungleichbehandlung nicht durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt ist. Gründe hiefür sind nicht ersichtlich. Die einzige Rechtfertigung, die für die Ungleichbehandlung auffindbar ist, ist jene, die in den zitierten Erläuterungen zum Abgabenänderungsgesetz 2011 angeführt ist. Danach soll der Kostenersatz deshalb nur den Gemeinden ohne Wien zustehen, da diese Gemeinden eine Aufgabe hätten, die ansonsten von den Bezirkshauptmannschaften wahrzunehmen sei. Der Aufwand der Bezirkshauptmannschaften sei vom Land zu tragen. Da aber Wien als Land und Gemeinde nur eine einzige Gebietskörperschaft sei und nur einen einheitlichen Haushalt führe, wäre ein Kostenersatz an Wien als Gemeinde ein Mehraufwand, den sich zugleich Wien als Land erspare. Deshalb sei ein Kostenersatz an Wien nicht gerechtfertigt."
1.2. Zur Zuständigkeit für die Ausstellung von Reisepässen im Bundesland Wien führt die Wiener Landesregierung Folgendes aus (Zitat ohne die darin enthaltenen Hervorhebungen und Fußnoten):
"Das Passgesetz 1992 sah in der Stammfassung
BGBl. Nr. 839/1992 in § 16 Abs 1 Z 1 vor, dass die Ausstellung, die Verlängerung der Gültigkeitsdauer, die Erweiterung des Geltungsbereiches, die Änderung, die Entziehung und die Einschränkung von Reisepässen bei gewöhnlichen Reisepässen im Inland den Bezirksverwaltungsbehörden, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion dieser, im Ausland den Vertretungsbehörden, obliegen. Derzeit obliegt die Ausstellung der Reisepässe gemäß § 16 Abs 1 Z 1 Passgesetz 1992 in der Fassung des Gesetzes BGBl. I Nr. 135/2009 den Bezirksverwaltungsbehörden, im örtlichen Bereich einer Bundespolizeidirektion dem Bürgermeister, im Ausland den Vertretungsbehörden. Diese gegenüber der Stammfassung des Passgesetzes geänderte Rechtslage geht auf die Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 104/2002 zurück, die in ArtII Z 1 eine Änderung des § 16 Abs 1 Z 1 Passgesetz 1992 vorsieht. Durch diese Änderung wurde das Wort 'dieser' durch die Wortfolge 'dem Bürgermeister' ersetzt.
Bezogen auf die Argumente in den Erläuterungen zu
Art5 des Abgabenänderungsgesetzes 2011 bedeutet dies Folgendes:
Gemäß Art 109 B-VG geht im Land Wien in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung der Instanzenzug, soweit ein solcher nicht durch Bundesgesetz ausgeschlossen ist, vom Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde an den Bürgermeister als Landeshauptmann. Diese Bestimmung billigt dem Magistrat der Stadt Wien ausdrücklich Behördenqualität zu. Während sonst die Agenden der Bezirksverwaltung in Statutarstädten als Teil des übertragenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vom Bürgermeister zu besorgen sind, ist in Wien hiefür der Magistrat zuständig."
Der Magistrat der Stadt Wien sei somit weder nach der Stammfassung des Passgesetzes 1992 noch nach einer nachfolgenden Novelle zu diesem Gesetz - sohin zu keinem Zeitpunkt - als Bezirksverwaltungsbehörde für die Ausstellung von Reisepässen in Wien zuständig gewesen. Dem Land Wien sei daher ein durch eine Tätigkeit des Magistrats als Bezirksverwaltungsbehörde verursachter Aufwand für die Ausstellung von Reisepässen nie erwachsen. Damit könne sich das Land Wien einen solchen Aufwand auch nicht ersparen. Der in den Erläuterungen zum AbgÄG 2011 angeführte Grund für die beschriebene Ungleichbehandlung der Gemeinde Wien gegenüber den anderen passausstellenden Gemeinden liege daher nicht vor.
§35 Abs 6 letzter Satz GebG in der Fassung des AbgÄG 2011 sei daher wegen Verstoßes gegen Art 7 Abs 1 B-VG verfassungswidrig.
1.3. Die Wiener Landesregierung ist ferner der Auffassung, dass die Ausnahme der Gemeinde Wien aus dem Geltungsbereich des § 35 Abs 6 letzter Satz GebG in der Fassung des AbgÄG 2011 auch gegen § 4 F-VG 1948 verstößt, und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Gemeinde Wien bei den vor Erlassung der angefochtenen Regelung geführten Gesprächen zwischen dem Bund und dem Österreichischen Städtebund zu keinem Zeitpunkt beigezogen worden sei. Die in § 35 Abs 6 GebG verfügte Ausnahme Wiens sei nicht mit der Gemeinde Wien paktiert worden. Mit ArtII Z 1 der SPG-Novelle 2002, BGBl. I 104/2002, sei die Zuständigkeit zur Ausstellung von Reisepässen im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion auf den Bürgermeister übertragen worden. Soweit der Bürgermeister das Bundesgesetz betreffend das Passwesen für österreichische Staatsbürger (in der Folge: Passgesetz 1992) zu vollziehen habe, werde die Besorgung dieser Angelegenheiten der Bundesverwaltung von der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich wahrgenommen. Zur Beurteilung der Kostentragung seien daher jene Grundsätze anzuwenden, die der Verfassungsgerichtshof für die Fälle der mittelbaren Verwaltung bzw. des übertragenen Wirkungsbereiches entwickelt habe (unter Hinweis auf VfSlg. 17.958/2006). Wörtlich heißt es dazu:
"Für den Fall der mittelbaren Bundesverwaltung und für den hier vorliegenden Fall des Tätigwerdens einer Gemeindebehörde im Bereich der Sicherheitsverwaltung hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 9.507/1982 ausgesprochen, dass zu besorgende Staatsaufgaben der Gebietskörperschaften im Sinne des § 2 F-VG 1948 auch dann gegeben sind, wenn die Gebietskörperschaft von Rechts wegen gehalten ist, Angelegenheiten einer anderen Gebietskörperschaft für diese, nach deren Weisungen und unter deren Verantwortung zu führen. Die Kostentragungspflicht der besorgenden Gebietskörperschaft ist nach dieser Entscheidung in Fällen mittelbarer Verwaltung für den Personalaufwand und den Amtssachaufwand anzunehmen, nicht jedoch für jenen Sachaufwand, der mit der konkreten Tätigkeit der Behörde erst entsteht (konkreter Sachaufwand) und ebensowenig für den Zweckaufwand, also für jene Aufwendungen, die von vornherein unmittelbar für einen bestimmten Zweck gemacht werden.
Die Herstellungskosten für Reisedokumente werden
seitens des Bundesgesetzgebers nach den oben wiedergegebenen Erläuterungen zu Art 5 des Abgabenänderungsgesetzes 2011 als Amtssachaufwand angesehen. Dies geht aus jenen Ausführungen hervor, wonach der neben den Kosten für die Produktion der Reisedokumente bestehende sonstige Aufwand - das ist der Personal- und sonstige Amtssachaufwand - weiter von den ausstellenden Gemeinden zu tragen ist. Nach der Entscheidung VfSlg. 15.111/1998 ist die Frage, ob Amtssachaufwand oder konkreter Sachaufwand vorliegt, danach zu beurteilen, ob der Aufwand erst durch ein laufendes Verwaltungsverfahren ausgelöst wird oder unabhängig davon. Ist das Erste der Fall, liegt konkreter Sachaufwand vor. Die Wiener Landesregierung geht davon aus, dass der Aufwand für die Produktion von Reisedokumenten erst dann entsteht, wenn diese Dokumente aufgrund von Anträgen auf Ausstellung in konkreten Verwaltungsverfahren nachgefragt werden. Deshalb ist die Wiener Landesregierung der Auffassung, dass es sich bei diesem Aufwand um einen konkreten Sachaufwand handelt.
Der Verfassungsgerichtshof hat es im Erkenntnis
VfSlg. 17.958/2006 dahingestellt gelassen, ob der Aufwand für die Produktion und den Versand der so genannten Passrohlinge und der anderen Reisedokumente dem allgemeinen Amtssachaufwand zuzuordnen ist, der bei Fehlen einer abweichenden Kostentragungsregel von den Ländern und Gemeinden zu tragen wäre, oder ob es sich dabei um den so genannten konkreten Sachaufwand handelt, der nach der geschilderten Rechtsprechung - gemeint ist das Erkenntnis VfSlg. 9.507/1982 - vom Bund zu tragen wäre.
Würde es sich nun bei dem pauschalen Kostenersatz in § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 um eine Abgeltung von Kosten handeln, die nach § 2 F-VG von den Ländern und Gemeinden als allgemeiner Amtssachaufwand zu tragen wären, so wäre darin eine abweichende Kostentragungsregelung im Sinne von § 2 F-VG zu sehen. Wäre der pauschale Kostenersatz aber eine Abgeltung von Kosten, die als konkreter Sachaufwand vom Bund zu tragen wären, so würde es sich um eine bloße Kostenersatzregelung handeln.
Geht man davon aus, dass der pauschale Kostenersatz einen Ersatz des so genannten konkreten Sachaufwandes darstellt und § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 daher eine bloße Kostenersatzregelung ist, ergibt sich der Verstoß gegen § 4 F-VG aus folgenden Überlegungen:
Für jene Aufwandskategorien, für die nach der Entscheidung VfSlg. 9.507/1982 im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde keine Kostentragungspflicht der besorgenden Gebietskörperschaft anzunehmen ist, besteht eine Kostenersatzpflicht jener Gebietskörperschaft, der die aufwandsverursachende Aufgabe nach den Zuständigkeitsregeln des B-VG's zuzuordnen ist (VfSlgen. 16.739/2002, 16.992/2003). Im vorliegenden Fall vollzieht der Bürgermeister das Passgesetz 1992 im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde. Passwesen fällt gemäß Art 10 Abs 1 Z 3 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Die Pflicht zum Ersatz der Kosten für die Herstellung von Reisepässen als konkreten Sachaufwand trifft daher den Bund.
Aus der Entscheidung VfSlg. 12.505/1990 ergibt sich, dass ein sachgerechtes System des Finanzausgleiches schon im Vorfeld der Gesetzgebung eine Kooperation in Form von Beratungen zwischen den Gebietskörperschaften voraussetzt. Haben solche Verhandlungen zu einem Einvernehmen geführt, liegt ein den § 4 F-VG verletzender Fehler nur dann vor, wenn einzelne, nicht das Gesamtsystem berührende Bestimmungen zueinander in sachlich nicht rechtfertigbarem Widerspruch stehen, oder aber wenn Partner der Finanzausgleichsverhandlungen von völlig verfehlten Prämissen ausgingen oder die artikulierte Interessenlage eines Partners geradezu willkürlich ignoriert oder missachtet wurde. Diese Rechtsfolgen müssen umso mehr in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, wo Verhandlungen mit der Gemeinde Wien erst gar nicht stattgefunden haben.
Der Bundesgesetzgeber ersetzt den passausstellenden Gemeinden außer Wien mit dem pauschalen Kostenersatz gemäß § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 den für die Besorgung einer Aufgabe des Bundes - eben für die Vollziehung des Passwesens - anfallenden konkreten Sachaufwand. Deshalb handelt es sich bei dieser Bestimmung um eine finanzausgleichsrechtliche Regelung. Die unterschiedliche Behandlung der Gemeinde Wien gegenüber den anderen passausstellenden Gemeinden ist, wie bereits zur behaupteten Verletzung von Art 7 Abs 1 B-VG ausgeführt, sachlich nicht gerechtfertigt. Aus dem Blickwinkel von § 4 F-VG hat der Bundesgesetzgeber durch das Erlassen der gegenständlichen Regelung die Gemeinde Wien aber nicht bloß unsachlich behandelt, sondern ihre Interessen als Partner des Finanzausgleiches gänzlich außer Acht gelassen. Er hat daher das spezielle Sachlichkeitsgebot des § 4 F-VG verletzt. § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 ist somit auch aus diesem Grund verfassungswidrig."
1.4. Sollte der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis kommen, dass der pauschale Kostenersatz ein Ersatz für den sogenannten allgemeinen Amtssachaufwand sei und die angefochtene Regelung daher eine von § 2 F-VG 1948 abweichende Kostentragungsregel darstelle, liegt nach Ansicht der Wiener Landesregierung dennoch ein Verstoß gegen § 4 F-VG 1948 vor, den sie wie folgt begründet (Zitat ohne die darin enthaltenen Hervorhebungen und Fußnoten):
"Nach § 4 F-VG hat die in den §§2 und 3 vorgesehene finanzausgleichsrechtliche Regelung in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen und darauf Bedacht zu nehmen, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden.
Daraus ergibt sich, dass der zuständige Gesetzgeber bei der Erlassung einer Regelung gemäß § 2 F-VG von zwei Faktoren auszugehen hat, nämlich zum einen vom Finanzbedarf, der sich aus den Lasten ergibt, die mit der Besorgung der den einzelnen Gebietskörperschaften obliegenden Pflichtaufgaben verbunden sind; zum anderen sind die der jeweiligen Gebietskörperschaft zufließenden Einnahmen relevant (VfSlg. 12.505/1990). Vereinfacht gesprochen bedeutet dies:
Zuwendungen müssen sich an den Pflichten und Aufgaben orientieren, die einer Gebietskörperschaft auferlegt sind, Belastungen an ihrer Leistungsfähigkeit. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Zuwendung, weshalb als Maßstab der erste Parameter heranzuziehen ist.
§35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 schafft nun eine von der grundsätzlichen Kostentragungspflicht der Gemeinden abweichende Kostentragungsregel gemäß § 2 F-VG mit der Wirkung, dass der Gemeinde Wien die Kosten der Herstellung der Reisedokumente als einziger der passausstellenden Gemeinden nicht ersetzt werden.
Die Gemeinde Wien ist nun, was die Kosten für die Ausstellung eines Reisedokumentes pro Antragsteller und Antragstellerin anbelangt, in gleicher Weise betroffen wie die übrigen Gemeinden, die Reisedokumente im übertragenen Wirkungsbereich ausstellen. Durchschnittlich werden in Wien ca. 8.000 bis 10.000 Reisepässe pro Jahr ausgestellt, die unmittelbar durch die Geburt eines Kindes veranlasst sind. Im Jahr 2010 waren es mehr als 15.000 solcher Reisepässe. Dieser Aufwand verursacht Kosten in der Höhe von durchschnittlich EUR 250.000 pro Jahr.
Entsprechend dem in § 4 F-VG enthaltenen Gebot zur Berücksichtigung der Lasten der betroffenen Gebietskörperschaft hätte der Bundesgesetzgeber angesichts dieser tatsächlichen Belastung der Gemeinde Wien nicht zu einer Bewertung des Aufwandes für Wien mit 'null' kommen dürfen, sondern zu einer Kostentragung durch ihn in einer Höhe, die den von Wien getätigten Aufwand angemessen berücksichtigt. Der Bundesgesetzgeber ist dem Gebot nach einer adäquaten Berücksichtigung der Wien treffenden Lasten aber in keiner Weise nachgekommen. § 35 Abs 6 letzter Satz Gebührengesetz 1957 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2011 ist daher wegen Verstoß gegen § 4 F-VG verfassungswidrig."
1.5. Zum konkreten Anfechtungsumfang führt die Wiener Landesregierung abschließend noch aus, dass die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung des gesamten Klammerausdruckes "(ohne Wien)" im letzten Satz des § 35 Abs 6 GebG in der Fassung des AbgÄG 2011 beseitigt werden könne. Da auch die Auffassung vertreten werden könne, dass durch die Aufhebung der Wendung "(ohne Wien)" der verbleibende Satz nicht mehr dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen des Bundesgesetzgebers entspreche, wird in eventu beantragt, § 35 Abs 6 letzter Satz GebG in der Fassung des AbgÄG 2011 zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bundesregierung erstattete über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes eine Äußerung, in der sie den Bedenken der Wiener Landesregierung entgegentritt. Einleitend hält die Bundesregierung fest, dass die von der Wiener Landesregierung vorgenommene "getrennte Beurteilung" der Verfassungskonformität dem Verhältnis zwischen Art 7 B-VG und § 4 F-VG 1948, wie es von der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (beginnend mit VfSlg. 9280/1981) verstanden werde, widerspreche. § 4 F-VG 1948 werde nämlich als Konkretisierung des Gleichheitssatzes für das Gebiet des Finanzausgleiches angesehen, sodass die in § 4 F-VG 1948 normierten Kriterien der Aufgabenorientierung und Nichtüberschreitung der Leistungsfähigkeit den Maßstab für die Beurteilung bilden, ob eine finanzausgleichsrechtliche Regelung dem Art 7 B-VG genügt.
2.1. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die besondere Stellung Wiens als Land und Gemeinde eine unterschiedliche finanzausgleichsrechtliche Behandlung nicht nur rechtfertigt, sondern verlangt. Wörtlich wird dazu ausgeführt (Zitat ohne die darin enthaltenen Hervorhebungen):
"Das Bundes-Verfassungsgesetz geht davon aus, dass Land und Stadt Wien eine einzige Gebietskörperschaft sind (VfSlg. 10.933/1986). Für die Beurteilung, ob Wien im Vergleich zu anderen Gebietskörperschaften gleich behandelt wird, ist Wien daher konsequenterweise als einheitliche Gebietskörperschaft und deren Aufgaben- und Einnahmensituation in seiner Gesamtheit im Vergleich zu den anderen Ländern und Gemeinden zu beurteilen. Dass ein solcher Vergleich immer auch die sich aus der Stellung Wiens als Bundeshauptstadt und mit Abstand einwohnerstärkste Gemeinde und einzige Millionenstadt ergebende Sonderstellung, die sehr wohl von a priori einen Unterschied im Tatsächlichen darstellt, berücksichtigen muss, sei vorausgeschickt.
Auch unabhängig von dieser Sonderstellung Wiens rechtfertigt aber die in den Erläuterungen 1212 BIgNR XXIV. GP vorgebrachte Argumentation die Ausnahme Wiens vom Kostenersatz: Die Städte mit eigenem Statut (sowie Leoben und Schwechat) haben eine Aufgabe, die ansonsten von den Bezirkshauptmannschaften wahrzunehmen und deren Aufwand sohin vom Land zu tragen ist, während die verfassungsrechtliche Sonderstellung Wiens als Land und Gemeinde als eine einzige Gebietskörperschaft mit einem einheitlichen Haushalt demgegenüber dazu führt, dass ein Kostenersatz an Wien als Gemeinde für einen Mehraufwand, den sich zugleich Wien als Land erspart, nicht gerechtfertigt ist. Die unterschiedliche Behandlung Wiens im Vergleich zu den anderen Gemeinden erscheint daher geradezu geboten, weil sie die Gleichbehandlung Wiens im Vergleich zu den anderen Ländern gewährleistet und dieser Vergleich auf Länderebene gegenüber jenem auf Gemeindeebene (von welchem im gegenständlichen Fall nur die passausstellenden Gemeinden betroffen sind) der sachgerechtere ist.
[...] Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Aufwand, den eine Gebietskörperschaft zu tragen hat, finanzausgleichsrechtlich hinreichend berücksichtigt ist, kann nicht sein, ob dieser Aufwand dadurch entstanden ist, dass ein Aufwand für die Tätigkeiten des Magistrats entstanden ist, die der Bürgermeister im übertragenen Wirkungsbereich zu besorgen hat, oder durch die im Magistrat aufgrund dessen Behördenqualität zu besorgenden Aufgaben. Entscheidend kann vielmehr nur sein - und genau das bringen die Erläuterungen zum Abgabenänderungsgesetz 2011 zum Ausdruck -, dass in allen Ländern außer Wien die Aufgaben der passausstellenden Gemeinden einen zusätzlichen Aufwand der Gemeinden mit sich bringen, der - wären diese Gemeinden nicht mit dieser Aufgabe betraut - vom Land zu tragen wäre, dass aber in Wien aufgrund der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung Wiens diese Konstellation nicht gegeben ist und daher kein Kostenersatz gerechtfertigt ist."
2.2. Die Bundesregierung stimmt mit der Wiener Landesregierung darin überein, dass es unerheblich sei, ob die Produktionskosten von Reisepässen dem konkreten Sachaufwand oder dem Amtssachaufwand zugeordnet werden. Entscheidend sei lediglich, ob es gerechtfertigt sei, dass Wien diesen Aufwand zu tragen habe, während der Aufwand der anderen ausstellenden Gemeinden vom Bund getragen bzw. ersetzt werde.
Die Verhandlungen zwischen dem Bundesministerium für Finanzen und dem Österreichischen Städtebund im Vorfeld der nunmehr bekämpften Regelung seien zwar in der Tat ohne Beteiligung Wiens geführt worden, Wien hätte aber vor allem im Rahmen des Begutachtungsverfahrens Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. Vom Bundesministerium für Finanzen seien die Gründe, warum den Forderungen des Landes Wien nach einem Kostenersatz nicht entsprochen wurde, in Beantwortung der Stellungnahme des Landes Wien zum Begutachtungsentwurf mit Schreiben vom , Z BMF-111102/0019-II/3/2011, ausführlich dargelegt worden. Von einer Missachtung der Interessen Wiens könne in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden. Zu der in diesem Schreiben angedeuteten Diskussion über die Problematik der derzeitigen Berücksichtigung der zusätzlichen Aufgaben von Städten mit eigenem Statut ergänzt die Bundesregierung erläuternd Folgendes:
"Aufgrund der Vorgabe des § 4 F-VG 1948, den Finanzausgleich aufgabenorientiert zu regeln, sind die den Städten mit eigenem Statut überantworteten zusätzlichen Aufgaben bei der Regelung des Finanzausgleichs zu berücksichtigen. Dazu wird auf die richtungsweisenden Ausführungen in VfSlg. 10.633/1985 zur Frage der Berücksichtigung der zusätzlichen Aufgaben von Statutarstädten ohne Bundespolizeibehörden (konkret Krems an der Donau als Anlass für das damalige Verfahren sowie Waidhofen an der Ybbs) verwiesen, wonach § 4 F-VG 1948 zwar nicht zu einer (ausdrücklichen) Berücksichtigung jeder überdurchschnittlichen finanziellen Last im Finanzausgleichsgesetz zwingt, die eine einzelne Gemeinde oder eine Gruppe von Gemeinden trifft, dass aber jedenfalls dann, wenn bestimmte Gemeinden bzw. Gruppen von Gemeinden, die aufgrund der positiven Rechtsordnung als mit besonderen Agenden betraut definiert sind und die sich deshalb von anderen Gemeinden bzw. Gruppen von Gemeinden typischerweise durch eine höhere Kostenbelastung unterscheiden, der Finanzausgleichsgesetzgeber gemäß § 4 F-VG 1948 verhalten ist, für sie eine Regelung zu treffen.
Eine solche Gruppe von Gemeinden sind unzweifelhaft Städte mit eigenem Statut, denen im Vergleich zu anderen Gemeinden die zusätzlichen Aufgaben in ihrer Eigenschaft als Bezirksverwaltungsbehörde zukommen. Diese zusätzlichen Aufgaben werden im FAG 2008 in Form höherer Ertragsanteile (siehe § 9 Abs 10, 5 und 6 FAG 2008) und höheren Finanzzuweisungen (siehe § 21 Abs 11 Z 2 lita FAG 2008) berücksichtigt. [...]
Die Regelung von zusätzlichen Ertragsanteilen zu
Lasten des Gemeindeanteils führt nach Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen dazu, dass nicht die jeweils entlasteten Länder die höheren Einnahmen der Statutarstädte finanzieren, sondern die Gemeinden selbst. Vorgeschlagen wurde daher stattdessen eine Ausgleichszahlung ausschließlich zu Lasten des jeweils entlasteten Landes, wobei diese zusätzlichen Ausgaben der Länder in einem ersten Schritt durch eine insgesamt gleich hohe Umschichtung von den Ertragsanteilen der Gemeinden zu denen der Länder ausgeglichen hätten werden können. Letztlich fanden diese Überlegungen aber nicht Eingang in den Finanzausgleich ab 2008, da sie sowohl von den Ländern als auch den beiden Gemeindebünden abgelehnt wurden.
Von diesen Überlegungen für eine systemgerechte Behandlung der zusätzlichen Aufgaben von Städten mit eigenem Statut ausgehend hätte der im Jahr 2011 eingeführte Kostenersatz für die passausstellenden Gemeinden eigentlich zu Lasten des jeweiligen Landes erfolgen müssen. Angesichts der Ergebnisse der Diskussion zum Finanzausgleich ab 2008 wurde dies vom Bundesministerium für Finanzen aber gar nicht vorzuschlagen versucht, sondern wurde von vornherein ein Kostenersatz zu Lasten des Bundes vorgesehen. Zu bedenken ist dabei auch, dass die Höhe des Kostenersatzes (das Bundesministerium für Finanzen ging bei der Vorbereitung des Abgabenänderungsgesetzes[es] 2011 auf Basis einer Hochrechnung ausgehend von den geltend gemachten Forderungen der Gemeinden Graz, Villach und Klagenfurt von Auswirkungen in der Größenordnung von 50.000 Euro p.a. aus) angesichts der finanziellen Dimensionen des gesamten Finanzausgleichs nichts daran ändert, dass der paktierte Finanzausgleich trotz der dargestellten unterschiedlichen Auffassungen über eine systemkonforme Berücksichtigung der zusätzlichen Aufgaben der Städte mit eigenem Statut den Kriterien des § 4 F-VG 1948 entspricht."
Die Bundesregierung weist darauf hin, dass die Rechtslage vor dem Inkrafttreten einer bekämpften Kostentragungsbestimmung ebenfalls dem § 4 F-VG 1948 entsprochen habe. Der in § 14 TP9 GebG vorgesehene Kostenersatz sei als Pauschalregelung zu sehen, mit dem der Aufwand der ausstellenden Gebietskörperschaft insgesamt in pauschaler Form abgegolten werde. Dabei müsse es als ausreichend angesehen werden, dass der Gesamtaufwand der Gebietskörperschaft hinreichend berücksichtigt werde. Einen Kostenersatz für die Ausstellung von Reisepässen anlässlich von Geburten zu leisten oder nicht, liege im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraumes des Finanzausgleichsgesetzgebers.
2.3. Die Bundesregierung teilt auch nicht die Bedenken der Wiener Landesregierung hinsichtlich der fehlenden Aufgabenorientierung. Entscheidendes Kriterium sei vielmehr die Aufgabenverteilung, zumal die Leistungsfähigkeitsgrenze Wiens jedenfalls nicht davon abhänge, ob nur die betroffenen Gemeinden den Kostenersatz bekommen oder auch Wien. Der Bundesgesetzgeber habe nicht verkannt, dass auch Wien ein Aufwand für die Ausstellung von Reisepässen erwächst; er habe vielmehr diesen Aufwand mit dem Aufwand der anderen Länder und Gemeinden verglichen und sei zu dem Ergebnis gekommen, "dass ein Kostenersatz nur für die passausstellenden Gemeinden ohne Wien dem von § 4 F-VG 1948 vorgegebenen Kriterium der Aufgabenorientierung und dem Vergleich der Belastungen der Gebietskörperschaften durch deren Aufgaben weit mehr entspricht als ein Kostenersatz auch für Wien".
2.4. Zum Umfang der beantragten Aufhebung vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein vollständiger Kostenersatz für Wien zu einem Spannungsverhältnis zu § 4 F-VG 1948 führen würde, da den anderen Ländern ein solcher Kostenersatz nicht zustehen würde, weil die Aufgabenerfüllung zwischen dem Land und den Gemeinden geteilt ist und zugleich dem in den Erläuterungen zum AbgÄG 2011 "erkennbaren und ausgewiesenen gesetzgeberischen Willen des Bundesgesetzgebers widersprechen würde". Die Bundesregierung bekenne sich zum Ergebnis der Gespräche mit dem Österreichischen Städtebund, sodass die ersatzlose Aufhebung der gesamten Kostenersatzregelung des § 35 Abs 6 letzter Satz GebG, auch wenn dies für den Bund finanziell vorteilhaft wäre, für den Fall der Verfassungswidrigkeit der Regelung keine adäquate Lösung wäre. In jedem Fall wären nach Ansicht der Bundesregierung Beratungen mit den Finanzausgleichspartnern über die weitere Vorgangsweise erforderlich, "die aber nicht zwingend in einer Neuregelung der aufgehobenen Bestimmungen münden müssten".
II. Rechtslage
1. Die angefochtene Bestimmung des GebG in der Fassung des AbgÄG 2011, BGBl. I 76/2011, lautet (die aufgehobene Wortfolge ist hervorgehoben):
"§35.
(1) - (5) [...]
(6) Schriften, die unmittelbar durch die Geburt eines Kindes veranlasst sind (insbesondere Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis, Reisedokument), sofern sie innerhalb von zwei Jahren ab der Geburt ausgestellt werden, sind von den Stempelgebühren und den Verwaltungsabgaben des Bundes befreit; dies gilt auch für jene ausländischen Schriften, die in diesem Zusammenhang zum amtlichen Gebrauch vorgelegt werden. Die Befreiung ist auf Schriften gemäß § 14 Tarifpost 2 Abs 1 Z 3 sowie auf Reisedokumente gemäß § 14 Tarifpost 9 Abs 1 Z 4 und 4a nicht anzuwenden. Den Gemeinden (ohne Wien) steht je gebührenfrei ausgestelltem Reisedokument ein Betrag in Höhe der von der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH in Rechnung gestellten Produktionskosten zu."
Der letzte Satz dieser Bestimmung ist gemäß § 37 Abs 29 Z 1 GebG bereits am in Kraft getreten.
2. Die Erläuterungen zum AbgÄG 2011 (RV 1212 BlgNR 24. GP, 26 f.) führen zu § 35 Abs 6 GebG Folgendes aus:
"§35 Abs 6 enthält eine Befreiung für Schriften, die unmittelbar durch die Geburt eines Kindes veranlasst sind (insbesondere Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis, Reisedokument), von den Stempelgebühren und den Verwaltungsabgaben des Bundes, sodass in diesen Fällen den Ländern und Gemeinden, deren Behörden die Schriften ausstellen, auch kein Pauschalbetrag zusteht.
Denjenigen Gemeinden, die Reisedokumente ausstellen (das sind die Städte mit eigenem Statut sowie Schwechat und Leoben, siehe § 16 Abs 1 des Passgesetzes 1992), entstehen jedoch vergleichsweise hohe Kosten für die Produktion der Reisedokumente, sodass sie im Vergleich zu anderen Gemeinden einen zusätzlichen Aufwand zu tragen haben. Es ist daher gerechtfertigt, den betroffenen Gemeinden ohne Wien die Kosten der Produktion der Reisedokumente zu ersetzen. Dieser pauschale Kostenersatz umfasst die von der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH in Rechnung gestellten Produktionskosten (und zwar aller Positionen, aus denen sich die Rechnung zusammensetzt, wie Passbuch, Chip und Inlay, Personalisierung, Portogebühren und Umsatzsteuer).
Der sonstige Aufwand - das ist der Personal- und sonstige Amtssachaufwand - ist demgegenüber weiter von den ausstellenden Gemeinden zu tragen.
Diese ergänzte Kostenersatzbestimmung tritt mit in Kraft und ist somit auf alle Reisedokumente, die ab diesem Zeitpunkt ausgestellt werden, anzuwenden.
Dieser besondere Kostenersatz steht nur den Gemeinden ohne Wien zu: Diese Gemeinden haben eine Aufgabe, die ansonsten von den Bezirkshauptmannschaften wahrzunehmen ist und deren Aufwand sohin vom Land zu tragen ist. Da aber Wien als Land und Gemeinde verfassungsrechtlich eine einzige Gebietskörperschaft ist und nur einen einheitlichen Haushalt führt, wäre ein Kostenersatz an Wien als Gemeinde für einen Mehraufwand, den sich zugleich Wien als Land erspart, nicht gerechtfertigt."
3. Die für den Antrag wesentlichen Bestimmungen des Finanz-Verfassungsgesetzes (F-VG 1948), BGBl. 45/1948, lauten:
"I. Finanzausgleich
§2. Der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften tragen, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt.
§3. (1) Die Bundesgesetzgebung regelt die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) und kann außerdem diesen Gebietskörperschaften aus allgemeinen Bundesmitteln Finanzzuweisungen für ihren Verwaltungsaufwand überhaupt und Zuschüsse für bestimmte Zwecke gewähren.
(2) Die Länder sind berechtigt, durch Landesgesetz von den Gemeinden oder gegebenenfalls den Gemeindeverbänden eine Umlage zu erheben. Durch Bundesgesetz kann ein Höchstausmaß der Landesumlage festgesetzt werden. Soweit Gemeindeverbände am Tage des Inkrafttretens dieses Bundesverfassungsgesetzes bestehen, regelt die Landesgesetzgebung die Umlegung ihres Bedarfes.
§4. Die in den §§2 und 3 vorgesehene Regelung hat in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen und darauf Bedacht zu nehmen, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden."
III. Erwägungen
1. Prozessvoraussetzungen
Gemäß Art 140 Abs 1 zweiter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen u.a. auf Antrag einer Landesregierung. Da die Zulässigkeit des Haupt- bzw. Eventualantrages im Verfahren weder bestritten worden ist noch beim Verfassungsgerichtshof Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen entstanden sind, erweist sich das Verfahren als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Verfassungsgerichtshof sich in einem auf Antrag eingeleiteten Normenkontrollverfahren auf die Erörterung der im Prüfungsantrag dargelegten Bedenken zu beschränken hat (zB VfSlg. 14.802/1997 mwN).
2.2. Die vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidende Frage ist im vorliegenden Fall, ob es mit Art 7 B-VG bzw. mit § 4 F-VG 1948 vereinbar ist, dass die in § 35 Abs 6 letzter Satz GebG idF BGBl. I 76/2011 grundsätzlich vorgesehene Kostenersatzregelung sich nicht auf die Gemeinde Wien erstreckt. Nach beiden Bestimmungen ist dabei von Bedeutung, ob es eine sachliche Rechtfertigung dafür gibt, dass diese Regelung zwischen der Gemeinde Wien und den anderen, Reisedokumente ausstellenden Gemeinden in der Weise unterscheidet, dass die der Gemeinde Wien erwachsenden Kosten nicht vom Bund getragen werden.
Der Verfassungsgerichtshof hat es im Erkenntnis
VfSlg. 17.958/2006 offen gelassen, ob die Produktionskosten der sogenannten Passrohlinge und anderer Reisedokumente finanzausgleichsrechtlich dem allgemeinen Amtssachaufwand oder dem konkreten Sachaufwand zuzuordnen sind. Diese Frage kann auch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben: Es geht nämlich nicht darum, welche Gebietskörperschaft diesen Aufwand nach finanzausgleichsrechtlichen Kriterien endgültig zu tragen hätte, sondern darum, dass die Regelung des § 35 Abs 6 letzter Satz GebG - gleichgültig, ob sie als abweichende Kostentragungsregel (Kostenübernahme) oder als dem Grundsatz des § 2 F-VG 1948 entsprechende Kostenersatzregel zu deuten ist - die Gemeinde Wien hinsichtlich bestimmter Kosten der Ausstellung von Reisedokumenten anders behandelt als andere Gemeinden, die solche Dokumente ausstellen.
2.3. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die in den Materialien für diese Ausnahme gegebene Begründung zumindest missverständlich ist. Es stellt sich nicht die Frage, ob im Falle eines Kostenersatzes Wien als Gemeinde einen Betrag erhielte, den Wien als Land sich ohnehin ersparte. Der Bund hat vielmehr durch eine gesetzliche Regelung, nämlich die Verpflichtung zur gebührenfreien Ausstellung von Reisepässen für Kinder bis zu zwei Jahren, anderen Gebietskörperschaften einen zusätzlichen Aufwand verursacht, und hinsichtlich der Kategorie der Gemeinden für alle Gemeinden, die Reisedokumente ausstellen, mit Ausnahme der Gemeinde Wien, den Ersatz der in § 35 Abs 6 letzter Satz GebG genannten Produktionskosten durch den Bund vorgesehen. Es geht hier um eine Ausnahmeregelung für einen Sonderfall, nämlich den bundesgesetzlich vorgesehenen Entfall einer Gebühr für eine konkrete Verwaltungsleistung.
2.4.1. Die Bundesregierung begründet die unterschiedliche Behandlung der Gemeinde Wien gegenüber den anderen passausstellenden Gemeinden ausgehend davon, dass Wien als Land und Gemeinde eine einzige Gebietskörperschaft sei und nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes
(VfSlg. 10.933/1986) Wien daher als einheitliche Gebietskörperschaft zu betrachten sei, deren Ausgaben- und Einnahmensituation in ihrer Gesamtheit im Vergleich zu den anderen Ländern und Gemeinden zu beurteilen sei. Bei einem solchen Vergleich sei immer von vornherein die sich aus der Stellung Wiens als Bundeshauptstadt und mit Abstand einwohnerstärkste Gemeinde und einzige Millionenstadt ergebende Sonderstellung zu berücksichtigen.
2.4.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 10.633/1985 ausgesprochen hat, hat gemäß § 4 iVm §§2 und 3 F-VG 1948 der Finanzausgleichsgesetzgeber die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge sowie der Finanzzuweisungen und Finanzzuschüsse in Übereinstimmung mit den Lasten der öffentlichen Verwaltung zu regeln. Das kann nach dem offenkundigen Sinn dieser Bestimmung zwar nicht bedeuten, dass jede überdurchschnittliche finanzielle Last, die eine einzelne Gemeinde oder eine Gruppe von Gemeinden trifft, schon zu einer (ausdrücklichen) Berücksichtigung im Finanzausgleichsgesetz zwingen würde. Der Verfassungsgerichtshof setzt in diesem Erkenntnis fort:
"Jedenfalls aber dann, wenn bestimmte Gemeinden bzw. Gruppen von Gemeinden, die auf Grund der positiven Rechtsordnung als mit besonderen Agenden betraut definierbar sind und die sich deshalb von anderen Gemeinden bzw. Gruppen von Gemeinden typischerweise durch eine höhere Kostenbelastung unterscheiden, ist der Finanzausgleichsgesetzgeber gemäß § 4 F-VG 1948 verhalten, für sie eine Regelung zu treffen".
Als eine solche Gruppe von Gebietskörperschaften mit im Vergleich zu anderen Gebietskörperschaften aufgrund der rechtlichen Zuordnung anderen Aufgaben hat der Verfassungsgerichtshof die Städte mit eigenem Statut ohne Bundespolizeidirektion gegenüber den sonstigen Städten mit eigenem Statut qualifiziert, weil sie diese besonderen Kosten der Polizeiverwaltung zu tragen haben. Dabei hat er den Einwand von im Vergleich zum Gesamthaushalt bloß geringfügigen Mehrkosten für die Aufgabenbesorgung nicht gelten lassen:
"Diese Argumentation ist verfehlt. Der dargestellten rechtsstrukturellen, ausgabenrelevanten Verschiedenheit hat nämlich der Finanzausgleichsgesetzgeber jedenfalls Rechnung zu tragen; hiebei ist die prozentuelle oder die absolute Höhe der Polizeiverwaltungskosten nicht von Bedeutung. Ob die Gemeinde an sich finanzkräftig ist, kann hier nicht ausschlaggebend sein, geht es doch im gegebenen Zusammenhang darum, ob die Kosten der öffentlichen Verwaltung finanzausgleichsrechtlich beachtet wurden (also um die 'Lastenadäquanz'), nicht aber darum, ob die Leistungsfähigkeit der Gemeinde überschritten wurde".
2.4.3. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass es sich bei den passausstellenden Gemeinden - also Statutarstädten und sonstigen Gemeinden, denen gemäß § 16 Abs 3 Passgesetz 1992 die Ausstellung von Reisepässen übertragen wurde - um eine solche besondere Gruppe von Gemeinden handelt, die sich hinsichtlich ihrer rechtlichen Merkmale von anderen Gemeinden unterscheidet.
Die Bundesregierung meint aber, dass es systemgerecht wäre (und es im Zuge der Verhandlungen für das FAG 2008 auch vom Bund angestrebt worden sei), solche zusätzlichen Kosten von Statutarstädten im Wege einer Ausgleichszahlung ausschließlich zu Lasten des jeweiligen Landes abzugelten, weil das Land von entsprechenden Kosten entlastet würde (dieses System wurde aber nicht Gesetz). Daher sei bei Schaffung dieser zusätzlichen Belastung von vornherein der Weg beschritten worden, einen Kostenersatz zu Lasten des Bundes vorzusehen. In weiterer Folge geht die Bundesregierung davon aus, dass entscheidend sei, welche Gebietskörperschaft den Aufwand zu tragen hätte, handelte es sich nicht um eine Statutarstadt.
2.4.4. Nun trifft es zu, dass bei einem Kostenersatz durch das Land die Frage sich für Wien wegen der Doppelrolle von Land und Gemeinde von vornherein nicht gestellt hätte. Tatsächlich hat aber der Bund einen anderen Weg, nämlich von vornherein den des Kostenersatzes durch den Bund, gewählt, sodass sich die Frage stellt, ob insofern diese Doppelrolle Wiens eine Ausnahme rechtfertigt.
Wie der Verfassungsgerichtshof in der eingangs
zitierten Judikatur ausgesprochen hat, ist Wien auch unter den Gesichtspunkten des Finanzausgleichs als einheitliche Gebietskörperschaft zu betrachten. Dies bedeutet aber nicht, dass es dem Gesetzgeber frei steht, bei der an rechtliche Unterschiede anknüpfenden Verteilung von Finanzmitteln Wien einmal nur als Gemeinde und in anderem Zusammenhang nur als Land zu betrachten.
2.4.5. Die Ausnahmeregelung kann auch nicht, wie es die Bundesregierung versucht, mit der Sonderstellung Wiens als einwohnerstärkste Gemeinde und einzige Millionenstadt gerechtfertigt werden. Angesichts der vom Gesetzgeber gewählten Anknüpfung an rechtsstrukturelle Unterschiede in der Aufgabenverteilung, wie sie auch der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 10.633/1985 zugrunde lag, bedürfte es einer besonderen Rechtfertigung, einzelne Gebietskörperschaften von der daraus resultierenden Mittelzuteilung auszunehmen. Die bloße Tatsache, dass Wien die mit Abstand einwohnerstärkste Gemeinde und einzige Millionenstadt ist, vermag schon deswegen nicht jegliche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, weil diese Unterschiede im Tatsächlichen schon ihren Ausdruck in der verfassungsrechtlichen Sonderstellung Wiens als Land und Gemeinde finden, sodass diese Sonderstellung allein bei einer Betrachtung von nach rechtlichen Anknüpfungspunkten zugewiesenen Aufgaben eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigt.
2.4.6. Daher geht auch der von der Bundesregierung angestellte Vergleich ins Leere, dass im Falle von Wien der Bund einen Kostenersatz für alle an Kinder unter zwei Jahren ausgestellte Reisepässe leisten müsste, in den anderen Bundesländern hingegen nur für jene, die in Städten mit eigenem Statut (und diesen insofern gleichgestellten Gemeinden) ausgestellt werden. Als gegenüber Wien unter diesem Gesichtspunkt anderes Extrem weist die Bundesregierung auf Vorarlberg hin, für das der Bund überhaupt keinen Kostenersatz zu leisten hat.
Dies ist aber gerade eine Folge der Anknüpfung an rechtliche Unterschiede und des Umstandes, dass in Vorarlberg keine einzige Stadt mit eigenem Statut existiert. Ebenso, wie es ausgehend von dieser Anknüpfung unsachlich wäre, Vorarlberg als einzigem Land einen Kostenersatz zu gewähren, ist es unsachlich, für Wien als einzige Gemeinde keinen Kostenersatz vorzusehen. So betrachtet wären auch andere Länder unsachlich behandelt, hängt doch die Höhe des Kostenersatzes davon ab, wie viele Statutarstädte mit wie vielen Einwohnern in dem jeweiligen Land existieren, also von Unterschieden, die in tatsächlicher Hinsicht nicht weiter begründbar sind.
Es steht daher dem Finanzausgleichsgesetzgeber nicht frei, dann, wenn er Regelungen an rechtsstrukturelle Unterschiede anknüpft, Wien einmal als Land und ein andermal als Gemeinde zu betrachten. Andernfalls könnte der Finanzausgleichsgesetzgeber Wien von Fall zu Fall anders behandeln: Wenn er eine aufwandbezogene Regelung für die Länder trifft, als Gemeinde, und wenn er eine Regelung für die Gemeinden trifft, als Land.
2.4.7. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Ausnahme von der von ihm als allgemeine Regel gewählten Anknüpfung an rechtliche Unterschiede entbehrt also ungeachtet des weiten rechtspolitischen Spielraums des Finanzausgleichsgesetzgebers der sachlichen Rechtfertigung im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 10.633/1985.
2.4.8. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in
ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass er im Falle der Verfassungswidrigkeit von Gesetzesbestimmungen bzw. der Gesetzwidrigkeit von Verordnungsbestimmungen diese in einem Umfang aufzuheben hat, dass die Verfassungs- bzw. Gesetzwidrigkeit beseitigt wird, dass dabei aber einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden soll, als Voraussetzung für die Entscheidung im Anlassfall ist, und andererseits der verbleibende Teil des Gesetzes bzw. der Verordnung eine möglichst geringe Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Da beide Ziele gleichzeitig nie vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (zB VfSlg. 11.190/1986, 14.805/1997, 16.203/2001).
Der Sitz der hier erkannten Verfassungswidrigkeit ist die Wortfolge "(ohne Wien)" im letzten Satz des § 35 Abs 6 GebG. Da aber eine Aufhebung bloß dieser Wortfolge ein Ergebnis hätte, das dem Gesetz einen gegenüber der Absicht des Gesetzgebers völlig veränderten Sinn gäbe, was auch die antragstellende Landesregierung einräumt, ist ihrem Eventualantrag zu folgen und der gesamte letzte Satz des § 35 Abs 6 GebG aufzuheben.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der letzte Satz des § 35 Abs 6 GebG 1957, BGBl. 267, idF des Abgabenänderungsgesetzes 2011, BGBl. I 76/2011, ist sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.
3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche
Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.