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VfGH vom 26.11.2002, G318/02

VfGH vom 26.11.2002, G318/02

Sammlungsnummer

16727

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung der Erhöhung der Einkommensteuervorauszahlung für bestimmte Kalenderjahre aufgrund unsachlicher Typisierung infolge fehlender Differenzierung zwischen verschiedenen Einkunftsarten; keine Sanierung durch individuelle Herabsetzungsmöglichkeit

Spruch

Die Ziffern 2 und 3 des § 121 Abs 5 des Bundesgesetzes vom über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988), BGBl. Nr. 400, in der Fassung BGBl. I Nr. 59/2001, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gemäß § 45 Abs 1 EStG 1988 hat der Steuerpflichtige auf die Einkommensteuer Vorauszahlungen zu entrichten. § 121 EStG 1988 enthält Sonderregelungen für die Vorauszahlungen bestimmter Kalenderjahre.

§121 Abs 5 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I 59/2001 hat folgenden Wortlaut:

"(5) Sind die Verhältnisse des Kalenderjahres 2000 oder eines früheren Kalenderjahres für die Festsetzung oder Nichtfestsetzung einer Vorauszahlung für das Kalenderjahr 2001 oder ein späteres Kalenderjahr maßgeblich oder sind Vorauszahlungen für diese Zeiträume vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung erstmalig festgesetzt worden, so gilt Folgendes:

1. Bei der Festsetzung (§45) der Vorauszahlungen ist von jener Einkommensteuerschuld für das letztveranlagte Kalenderjahr auszugehen, die sich bei Anwendung der Bestimmungen des § 2 Abs 2b ergibt.

2. Der nach § 45 unter Beachtung der Z 1 ermittelte Betrag an Vorauszahlungen ist zu erhöhen um


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5 %, wenn die Vorauszahlung nicht mehr als 14 600 Euro beträgt,
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10 %, wenn die Vorauszahlung mehr als 14 600 Euro aber nicht mehr als 36 400 Euro beträgt,
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20 %, wenn die Vorauszahlung mehr als 36 400 Euro beträgt.

Vorauszahlungen auf Grund von Bescheiden, die bei Inkrafttreten dieser Bestimmung bereits wirksam geworden sind, sind anzupassen.

3. Ergibt sich aus den Verhältnissen des letztveranlagten Kalenderjahres keine Festsetzung einer Vorauszahlung, ist die Vorauszahlung in Bezug auf Betätigungen, die im Kalenderjahr 2001 bzw. in den folgenden Kalenderjahren weiterhin ausgeübt werden, für die vorstehend angeführten Zeiträume wie folgt festzusetzen: Der Berechnung der Vorauszahlung ist das arithmetische Mittel der auf Grund von Veranlagungen vorgeschriebenen Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) der letzten fünf Kalenderjahre zu Grunde zu legen. Dabei sind Kalenderjahre, in denen keine Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) angefallen ist, mit Null anzusetzen. Der sich daraus ergebende Betrag ist im Sinne der Z 2 zu erhöhen und als Vorauszahlung festzusetzen.

4. Beantragt der Steuerpflichtige, die Vorauszahlung mit einem geringeren als dem sich aus den Z 1 bis 3 ergebenden Betrag festzusetzen, so darf diesem Antrag nur stattgegeben werden, wenn die Voraussetzungen dafür an Hand einer konkreten und detaillierten Einschätzung seines voraussichtlichen Einkommens vollständig offengelegt und nachgewiesen werden.

5. Die Z 1 bis 4 sind nicht anzuwenden, wenn der Vorauszahlung keine anderen als lohnsteuerpflichtige Einkünfte zu Grunde liegen."

2. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B990/02 eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom anhängig, mit dem dem Antrag des Beschwerdeführers, die Einkommensteuervorauszahlung unter Außerachtlassung der 20-prozentigen Sondererhöhung festzusetzen, keine Folge gegeben wurde. Begründend wurde ausgeführt, daß die für die Ermittlung der Vorauszahlungen herangezogenen Zuschläge der geltenden Gesetzeslage entsprächen und die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Anpassung der Vorauszahlungen in keiner Weise erfüllt seien.

3. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Z 2 und Z 3 des § 121 Abs 5 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I 59/2001 entstanden. Der Gerichtshof hat daher das Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom unterbrochen und von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der eben genannten Bestimmungen eingeleitet.

4. Die Erwägungen, die den Gerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlaßt haben, beruhen auf jenen Gründen, die zur Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des § 121 Abs 5 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I 142/2000 mit Erkenntnis vom , G11/02, geführt haben.

5. Die Bundesregierung verzichtete auf die Erstattung einer Äußerung, beantragte jedoch für den Fall der Aufhebung, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von sechs Monaten bestimmen, um die mit einer allfälligen Aufhebung der Gesetzesbestimmung einhergehenden legistischen und vor allem auch EDV-mäßigen Anpassungen zu ermöglichen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und an der Präjudizialität der in Prüfung genommenen Bestimmungen zweifeln ließe. Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.

2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die in Prüfung gezogenen Normen haben sich auch als gerechtfertigt erwiesen. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der Ziffern 2 und 3 des § 121 Abs 5 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I 59/2001 verstoßen aus denselben Gründen gegen den Gleichheitssatz, die zur Aufhebung der vorhin genannten Bestimmungen des EStG 1988 in der Fassung BGBl. I 142/2000 durch das Erkenntnis vom , G11/02, geführt haben.

3. Die Setzung einer Frist im Sinne des Art 140 Abs 5 B-VG war nicht erforderlich, da die Finanzverwaltung bereits auf Grund des hg. Erkenntnisses G11/02 vom von der Vorschreibung der erhöhten Vorauszahlungen seit 25. Juli d.J. Abstand nimmt (vgl. ÖStZ 2002, Heft 16, 397).

4. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz

B-VG.

5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.