VfGH vom 28.06.1990, g315/89
Sammlungsnummer
12409
Leitsatz
Aufhebung der Beschränkungen der Einsichtsmöglichkeit in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes auf bestimmte Universitätsprofessoren wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip; Kenntnis der Rechtsprechung des OGH als Voraussetzung für die Beurteilung der Zulässigkeit bestimmter Rechtsmittel; verfassungsrechtliches Gebot der Effizienz des Rechtsschutzes; Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung dieser Bestimmung mangels Legitimation; Zumutbarkeit des Rechtsweges
Spruch
I. § 15 Abs 2 des Bundesgesetzes vom , BGBl. Nr. 328, über den Obersten Gerichtshof wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
II. Der zu G315/89 protokollierte Antrag, "den § 15 Abs 1 und/oder 2 und/oder den § 23 Abs 3" des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1438/88 eine auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für Justiz protokolliert, mit dem die Berufung gegen ein Schreiben des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes als unzulässig zurückgewiesen wurde. Mit diesem Schreiben war dem Beschwerdeführer - einem Rechtsanwalt - mitgeteilt worden, daß ihm die begehrte Einsichtnahme in nichtveröffentlichte Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und die Herstellung von Ablichtungen hievon "mangels gesetzlicher Grundlagen" nicht genehmigt werden könne. Der Begründung des Bescheides des Bundesministers für Justiz ist die Bemerkung beigefügt, daß, wenn das Schreiben des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes einen Bescheid darstelle, der Berufung ein Erfolg versagt bleiben müßte, weil der die Gewährung der Einsicht in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes regelnde § 15 Abs 2 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof, BGBl. 328/1968 (im folgenden: OGHG), nicht (auch) für Rechtsanwälte Geltung habe.
In der Beschwerde wird der Sache nach die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht.
Im Zuge der Beratung über die Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs 2 OGHG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesstelle einzuleiten.
Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung verteidigte und dafür eintrat, diese nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung beantragte die Bundesregierung, der Verfassungsgerichtshof möge für das Außerkrafttreten dieser Bestimmung eine Frist von einem Jahr festsetzen.
2. Beim Verfassungsgerichtshof ist ferner zu G315/89 ein auf Art 140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützter (Individual-)Antrag protokolliert, mit dem der Einschreiter begehrt, "den § 15 Abs 1 und/oder 2 und/oder den § 23 Abs 3" OGHG als verfassungswidrig aufzuheben.
Die Bundesregierung trat in einer Äußerung dafür ein, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen und erachtete inhaltlich die vom Antragsteller vorgebrachten Bedenken als nicht begründet.
Der Antragsteller hat auf die Äußerung der Bundesregierung repliziert und eine weitere Äußerung erstattet.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat beide Verfahren gemäß § 187 ZPO iVm § 35 VerfGG zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.
II. Die hier bedeutsamen Vorschriften des OGHG haben folgenden Wortlaut:
§ 7 Abs 2 litb:
"(2) Im Dreiersenat (Abs1) sind ferner zu erledigen:
. . .
b) Ansuchen um Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen oder Abschriften oberstgerichtlicher Entscheidungen in beim Obersten Gerichtshof nicht mehr anhängigen Rechtssachen;"
§ 14 Abs 2:
"(2) Dem Evidenzbüro obliegt insbesondere die karteimäßige Registrierung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, im Bedarfsfall auch der Entscheidungen anderer oberster Gerichte und des einschlägigen Schrifttums. Es gewährt den Mitgliedern des Obersten Gerichtshofes und der Generalprokuratur sowie nach Maßgabe der dienstlichen Möglichkeiten den Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofes, den Mitgliedern und den Ersatzmitgliedern des Verfassungsgerichtshofes, den Professoren, die an inländischen Hochschulen Rechtsfächer lehren, sowie den rechtskundigen Beamten des Bundesministeriums für Justiz Einsicht in die Kartei."
§ 15:
"§15. (1) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes von allgemeiner Bedeutung sind amtlich zu veröffentlichen. Mit der Veröffentlichung der in Straf- und Disziplinarsachen ergangenen Entscheidungen hat der Präsident eine gleiche Zahl von Richtern, die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes oder die im Evidenzbüro tätig sind, sowie von Mitgliedern der Generalprokuratur, die vom Generalprokurator vorzuschlagen sind, zu betrauen. Mit der Veröffentlichung der übrigen Entscheidungen sind Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und Richter im Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofes zu betrauen. Ein Mitglied des Obersten Gerichtshofes darf nur mit seiner Zustimmung herangezogen werden.
(2) Den Professoren, die an inländischen Hochschulen Rechtsfächer lehren, ist auf ihr Verlangen zu wissenschaftlichen Zwecken Einsicht in die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu gewähren. Ort und Zeit der Einsichtnahme wird in der Geschäftsordnung geregelt."
§ 23 Abs 3:
"(3) Durch die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes werden Rechtsvorschriften, auf Grund deren Auszüge von Entscheidungen laufend einer Stelle abgegeben werden, nicht berührt."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat in dem von Amts wegen eingeleiteten, zu G67/90 protokollierten
Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:
A. Zu den Prozeßvoraussetzungen:
1. Der Verfassungsgerichtshof ging in dem dieses Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschluß von der Zulässigkeit der den Anlaß bildenden Beschwerde sowie davon aus, daß er bei der Entscheidung über diese Beschwerde den § 15 Abs 2 OGHG anzuwenden hätte und daß somit das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig sei. Der Verfassungsgerichtshof nahm an, daß die belangte Behörde bei Klärung der Frage, ob über das an den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes gerichtete Ansuchen des Beschwerdeführers um Gewährung von Einsicht in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes mit Bescheid abzusprechen war, auch die - die Einsichtgewährung im Wege der Justizverwaltung regelnde - Bestimmung des § 15 Abs 2 OGHG anzuwenden hatte und der Sache nach anwendete. Somit hätte sie auch der Verfassungsgerichtshof bei Beurteilung der Frage anzuwenden, ob die belangte Behörde den Beschwerdeführer durch eine zu Unrecht erfolgte Verweigerung einer Sachentscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt hat.
2. Die Bundesregierung ist in ihrer Äußerung diesen Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegengetreten. Es ist im Verfahren auch sonst nicht hervorgekommen, daß die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde unzutreffend wäre. Dies gilt auch für die vorläufige Annahme der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung:
Die belangte Behörde konnte zu ihrer - die Berufung mangels Bescheidqualität der bekämpften Erledigung zurückweisenden - Entscheidung ungeachtet der verfahrensrechtlichen Natur dieser Entscheidung nur unter Heranziehung auch der Vorschrift des § 15 Abs 2 OGHG gelangen, zumal sich die mit Berufung bekämpfte Erledigung ausdrücklich auf diese Vorschrift berufen hatte (vgl. in diesem Zusammenhang das Erkenntnis VfSlg. 9247/1981).
Da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
B. In der Sache selbst:
1. Im Beschluß auf Einleitung dieses Gesetzesprüfungsverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs 2 OGHG im wesentlichen folgendermaßen begründet:
"a) Der Verfassungsgerichtshof hat zunächst das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift mit dem in der Bundesverfassung verankerten - insbesondere im Art 18 B-VG zum Ausdruck kommenden (vgl. etwa VfSlg. 5320/1966) - Rechtsstaatsprinzip in Widerspruch stehen dürfte.
Angesichts der Bedeutsamkeit der Rechtsprechung für die Rechtskonkretisierung und insbesondere der Bedeutung, die der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ganz allgemein für die Sinnermittlung von Rechtsnormen zukommt, dürfte aus dem rechtsstaatlichen Prinzip (auch) das Gebot erfließen, daß die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, und zwar nicht allein die - gemäß § 15 Abs 1 erster Satz OGHG amtlich zu veröffentlichenden - Entscheidungen von allgemeiner Bedeutung, sondern auch die übrigen Entscheidungen - unter Wahrung der (sich etwa aus den Vorschriften über den Datenschutz und über den Ausschluß der Öffentlichkeit ergebenden) berechtigten Interessen Dritter - zugänglich zu sein haben.
Dies scheint etwa auch mit Rücksicht darauf geboten zu sein, daß zB nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (idF vor dem Inkrafttreten der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 - WGN 1989, BGBl. 343) die Zulässigkeit einer Revision ua. davon abhängig ist, daß die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (vgl. nunmehr etwa § 14 Abs 1 des Außerstreitgesetzes,§ 502 Abs 1 ZPO und § 46 Abs 1 Z 1 ASGG, jeweils idF der WGN 1989). Es hat den Anschein, daß bei dieser Rechtslage die Zulässigkeit einer Revision nur bei Möglichkeit der Kenntnisnahme aller Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (und nicht bloß der amtlich veröffentlichten) ausreichend beurteilt werden kann, diese Möglichkeit demnach jedenfalls den zur Abfassung von Revisionen bzw. Revisionsrekursen Befugten zukommen muß, damit das durch das Rechtsstaatsprinzip gebotene Maß an effizientem Rechtsschutz gewährleistet bleibt.
b) Der Verfassungsgerichtshof hegt nun das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift der durch das rechtsstaatliche Prinzip und das für die Gerichte geltende Öffentlichkeitsgebot (Art90 Abs 1 B-VG) geforderten Zugänglichkeit der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes engere Grenzen setzt als dies das aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende Sachlichkeitsgebot zuläßt.
Es scheint, daß die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Vorschrift ausreicht, um die verfassungsrechtlich gebotene Zugänglichkeit der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in den durch die Vorschriften zum Schutz der oben erwähnten Rechte Dritter gezogenen Grenzen zu gewährleisten."
2. Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung diesen Bedenken folgendes entgegengehalten:
"I.
Zu den Bedenken betreffend das Rechtsstaatsgebot:
Nach herrschender Auffassung (vgl. u.a. Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verfassungsrechtes6, 67) ist unter einem Rechtsstaat ein Staat zu verstehen, dessen Rechtsordnung inhaltlich relativ bestimmt ist und der entsprechende Einrichtungen zur Sicherung der Einhaltung der Rechtsvorschriften vorsieht. Es müssen daher in einem solchen Staat insbesondere die Rechte und Pflichten des einzelnen gesetzlich festgelegt und deren Durchsetzung durch entsprechende Institutionen garantiert sein. Es wird davon gesprochen, daß ein Rechtsstaat ein Verfassungsstaat, ein Gesetzesstaat und ein Rechtsschutzstaat sein muß. Ein solcher Staat muß also Normen aufweisen, die die Gesetzgebung regeln (Verfassungsstaat), weiters Normen, die dem einzelnen sein Verhalten vorschreiben und an die Nichteinhaltung Sanktionen anknüpfen, die Organe zur Vollziehung berufen und ihr Vorgehen regeln, und Normen vorsehen, die die Einhaltung von Verfassung und Gesetzen durch entsprechende Einrichtungen sichern. Nach Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 118, zeigt sich die formelle Rechtsstaatlichkeit in unserer Rechtsordnung im Konzept einer hierarchischen Gliederung der Rechtsquellen, im Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der gesamten Vollziehung, in der Einrichtung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Grund- und Freiheitsrechten sowie in der Existenz von besonderen Rechtsschutz- und Kontrolleinrichtungen. Als Komponenten einer materiellen Rechtsstaatlichkeit in unserer Rechtsordnung führen Adamovich - Funk die Grund- und Freiheitsrechte, die politischen Teilhaberechte, das Legalitätsprinzip, die Rechtsschutzeinrichtungen und die Gewaltentrennung an.
Die allgemeine Zugänglichkeit des Rechtes wird von Adamovich - Funk ausdrücklich als eigener Aspekt des Rechtsstaatsprinzipes erwähnt. Auch der Verfassungsgerichtshof hat in dem im vorliegenden Unterbrechungsbeschluß zitierten Erkenntnis (VfSlg. 5320/1966) aus dem Rechtsstaatsprinzip - insbesondere aus Art 18 B-VG - den Grundsatz abgeleitet, daß generelle Rechtsvorschriften öffentlich kundzumachen sind. Nach Auffassung der Bundesregierung kann ein solcher Grundsatz aus dem Rechtsstaatsgebot aber immer nur im Hinblick auf generelle Normen abgeleitet werden. Unterstützt wird diese Überlegung durch den Umstand, daß sich der Verfassungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis bei der Auslegung des von ihm angezogenen Rechtsstaatsprinzipes in Bezug auf den Aspekt der Kundmachung auf Art 49 und 97 B-VG stützt, also auf Vorschriften, die ausschließlich die Kundmachung von Bundes- und Landesgesetzen im Sinne des B-VG und der in Art 50 bezeichneten Staatsverträge betreffen.
Es erscheint daher zweifelhaft, ob das Rechtsstaatsprinzip so weit auszulegen ist, daß es auch die Öffentlichkeit im Sinne einer allgemeinen Zugänglichkeit der Rechtsprechung 'angesichts der Bedeutsamkeit der Rechtsprechung für die Rechtskonkretisierung' fordert. Unbestritten ist, daß die Rechtsprechung für die Rechtskonkretisierung von besonderer Bedeutung ist. Das gilt aber nicht nur für die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, sondern zumindest auch für die letztinstanzliche Rechtsprechung anderer Gerichte. Es enden Strafverfahren, für die in erster Instanz die Bezirksgerichte zuständig sind, in zweiter und letzter Instanz vor dem Gerichtshof 1. Instanz. Strafsachen, die in die Zuständigkeit des Einzelrichters fallen, enden beim Oberlandesgericht, wenn nicht eine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben wird (§§15, 16 StPO). Zivilsachen enden vor den Oberlandesgerichten, wenn nicht die Voraussetzungen der Zulässigkeit eines weiteren Rechtsmittels gemäß § 502 Abs 2, 3 und 4 ZPO vorliegen.
Eine Rechtskonkretisierung liegt im übrigen auch bei Verwaltungsentscheidungen vor. Auch von Verwaltungsentscheidungen kann gesagt werden, daß ihnen für die Sinnermittlung von Rechtsnormen Bedeutung zukomme.
Denkt man die im Unterbrechungsbeschluß zum Ausdruck kommende Auffassung folgerichtig zu Ende, müßte in jedem individuellen Rechtsakt - sei es ein Urteil, sei es ein Bescheid - eine Rechtskonkretisierung gesehen werden, die aus rechtsstaatlichen Gründen Anspruch auf Öffentlichkeit und somit allgemeine Zugänglichkeit erheben könnte. Dazu kommt, daß etwa eine Differenzierung unter diesen verschiedenen Formen der Rechtskonkretisierung nach deren Bedeutsamkeit deshalb problematisch ist, weil sich dafür ein Maßstab nicht angeben läßt. Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzipes könnte deshalb in der Frage der Öffentlichkeit und allgemeinen Zugänglichkeit nicht auf die 'Bedeutsamkeit' des individuellen Rechtsaktes abgestellt werden.
Ausgehend davon wird wohl das überkommene Verständnis des Rechtsstaatsprinzips die Öffentlichkeit in Form der allgemeinen Zugänglichkeit von gerichtlichen Urteilen und verwaltungsbehördlichen Bescheiden nicht fordern. Zudem wird - wollte man der entgegengesetzten Meinung sein - kein geeigneter Maßstab dafür bestehen, um beurteilen zu können, welche individuellen Rechtsakte öffentlich und allgemein zugänglich gemacht werden müßten. Die vom Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsstaatsprinzip im vorliegenden Zusammenhang gezogenen Folgerungen würden somit zu Ergebnissen führen, die in einer inhaltlich nicht abgrenzbaren Rechtspflicht bestünden.
Aus der einfachgesetzlichen Regelung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO kann im übrigen nach Auffassung der Bundesregierung nichts zur Auslegung des sich aus der Verfassung ergebenden rechtsstaatlichen Prinzipes abgeleitet werden.
II.
Zu den Bedenken im Hinblick auf Art 90 Abs 1 B-VG:
Die diesbezüglichen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes gehen offenbar davon aus - was bisher auch von der Europäischen Kommission für Menschenrechte im Zusammenhang mit Bestimmungen über die Möglichkeit einer nichtöffentlichen Urteilsverkündung im Strafprozeß (vgl. die nicht veröffentlichte Entscheidung BNr. 2569/65, Digest of Strasbourg Case-law relating to the European Convention on Human Rights, Band 2, 442) und auch von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 13. Feber 1990, GZ 603.401/2-V/1/90, vertreten wurde -, daß dieses Gebot nicht nur die Verhandlungen in Zivil- oder Strafverfahren, sondern auch die Urteilsverkündung im gerichtlichen Verfahren umfaßt.
Aber selbst unter der Annahme, daß der Begriff 'öffentliche Verhandlungen' in Art 90 Abs 1 B-VG auch die Verkündung des Urteils umfaßt, ginge eine Auslegung, daß darunter auch die allgemeine Zugänglichmachung von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu verstehen sei, weit über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus. Das Gebot der Öffentlichkeit bezieht sich nämlich auf das konkrete Zivil- und Strafverfahren, wobei den jeweiligen Verfahrensparteien gesichert werden soll, daß Verhandlung und unter Umständen auch die Verkündung öffentlich erfolgt.
Der Verfassungsgerichtshof führt auch nicht näher aus, wie dieses Gebot im Lichte des sehr weitgehenden formellen Gesetzesvorbehaltes, wonach Ausnahmen das Gesetz bestimmt, auszulegen ist. Nach Ansicht der Bundesregierung kann schon im Hinblick auf diesen Gesetzesvorbehalt aus Art 90 Abs 1 B-VG kein Gebot in die Richtung abgeleitet werden, daß alle Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der Allgemeinheit zugänglich sein müssen.
Weiters kann gegen eine solche Auslegung des Art 90 Abs 1 B-VG folgende historische Interpretation ins Treffen geführt werden:
Legt man diesen Gesetzesvorbehalt historisch aus, indem man die einfachgesetzliche Rechtslage oder die bestehende Praxis in Bezug auf die allgemeine Zugänglichkeit der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art 90 Abs 1 B-VG untersucht, kommt man zu dem Ergebnis, daß es zwar keine einfachgesetzliche Regelung über die allgemeine Zugänglichmachung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes gegeben hat, daß aber schon vor dem Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof aus dem Jahre 1968 die Praxis bestand, daß nur die bedeutenden zivil- und strafrechtlichen Entscheidungen in amtlichen Sammlungen veröffentlicht wurden. Ansonsten wurde die Möglichkeit der Einsicht äußerst restriktiv gehandhabt. Das OGHG 1968 war in diesem Punkt Festschreibung einer Jahrzehnte bestehenden Praxis."
3. Das im Beschluß über die Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens umschriebene Bedenken, daß § 15 Abs 2 OGHG mit dem der österreichischen Bundesverfassung innewohnenden rechtsstaatlichen Prinzip nicht vereinbar sei, hat sich im Ergebnis als zutreffend erwiesen.
a) Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die Gewährung der Einsicht in die nicht gemäß § 15 Abs 1 OGHG amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in beim Obersten Gerichtshof nicht mehr anhängigen Rechtssachen in § 15 Abs 2 OGHG geregelt ist. § 14 Abs 2 OGHG hat nämlich nur die Gewährung der Einsicht in die vom Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofes geführte Kartei der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zum Gegenstand, während § 7 Abs 2 litb OGHG seinem Wortlaut nach die (die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses voraussetzende; vgl. dazu Nowak-Schwaighofer, Das Recht auf öffentliche Urteilsverkündung in Österreich, EuGRZ 1985, S 725 ff., hier S 730) "Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen oder Abschriften oberstgerichtlicher Entscheidungen" betrifft.
Der Verfassungsgerichtshof ist des weiteren der Auffassung, daß § 15 Abs 2 OGHG, indem er die Gewährung der Einsicht in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes nur für den dort umschriebenen Personenkreis ermöglicht, implizit alle anderen Personen von dieser Einsichtgewährung (soweit sie nicht im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht iS der §§219 ZPO bzw. 82 StPO erfolgt) ausschließt (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 8017/1977, 8533/1979, 8806/1980, 10.384/1985, 10.705/1985, S 734).
Eine Auslegung des § 15 Abs 2 OGHG in dem Sinn, daß er die Einsichtsmöglichkeit für den dort umschriebenen Personenkreis ausdrücklich statuiere, ohne damit alle anderen Personen davon auszuschließen, erscheint schon deshalb nicht vertretbar, weil bei einem solchen Normverständnis diese Vorschrift schlechthin überflüssig wäre: Steht die Einsichtnahme - grundsätzlich - jedermann zu, so bedarf es keiner die Einsichtnahme zulassenden besonderen Vorschrift für den hier in Rede stehenden Personenkreis. Es kann nun aber dem Gesetzgeber nicht zugemutet werden, er habe eine überflüssige Vorschrift erlassen wollen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 7338/1974, S 381; ferner VwSlg. 9370 A/1977).
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum rechtsstaatlichen Prinzip (s. zuletzt VfSlg. 11.196/1986; ferner etwa VfSlg. 8279/1978 mit Bezugnahme auf VfSlg. 2929/1955; s. auch VfSlg. 2455/1952) gipfelt dessen Sinn darin, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden. Immanent ist dem rechtsstaatlichen Prinzip insbesondere auch, daß die unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Maß an Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen (vgl. VfSlg. 11.196/1986, S 909 f.).
c) Der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt kraft dessen durch Art 92 Abs 1 B-VG im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit begründeter Funktion als oberster Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen für die Auslegung der Normen des Zivil- und des Strafrechts (einschließlich der betreffenden Verfahrensvorschriften) eine besondere Bedeutung zu. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat demnach eine über den jeweiligen Einzelfall hinausreichende wesentliche Funktion für die Rechtskonkretisierung, die Sinnermittlung von Rechtsnormen und den Rechtsschutz.
Die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ist eine der Voraussetzungen für die Effizienz der bestehenden Rechtsschutznormen: Ohne Bedachtnahme auch auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes kann das Risiko von Rechtsstreiten nicht verläßlich abgeschätzt, können die Erfolgsaussichten von Rechtsmitteln nicht hinreichend beurteilt, Rechtsmittel nicht sachgerecht ausgeführt werden. Die Kenntnis (bloß) der (gemäß § 15 Abs 1 OGHG) amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes reicht im allgemeinen ebensowenig aus wie die Möglichkeit, von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes durch private Veröffentlichungen (etwa in Fachzeitschriften) Kenntnis zu erlangen.
Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, daß die Rechtsordnung selbst die Kenntnis der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes bei den Normadressaten ausdrücklich voraussetzt. So ist zB nach § 502 Abs 1 ZPO (idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, BGBl. 343) die Zulässigkeit einer Revision unter anderem daran geknüpft, daß die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (vgl. etwa auch die inhaltsgleichen Vorschriften des § 528 Abs 1 ZPO, des § 14 Abs 1 Außerstreitgesetz und des § 46 Abs 1 Z 1 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. 104/1985, jeweils idF BGBl. 343/1989).
Nach diesen Vorschriften - sie lassen zugleich erkennen, welche Bedeutung die Rechtsordnung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für die Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung beimißt - setzt die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision bzw. des Revisionsrekurses die Kenntnis der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes voraus. Es liegt auf der Hand, daß in Fällen dieser Art eine verläßliche Beurteilung der Zulässigkeit des in Betracht kommenden Rechtsmittels nur bei Möglichkeit der Kenntnisnahme der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (und zwar nicht allein der amtlich veröffentlichten) besteht. Die rechtliche Sicherung dieser Möglichkeit ist daher im Interesse der durch das Rechtsstaatsprinzip geforderten Effizienz des Rechtsschutzes verfassungsrechtlich geboten.
d) Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Vorschrift des § 15 Abs 2 OGHG schon wegen des Widerspruches zum rechtsstaatlichen Prinzip als verfassungswidrig. Sie ist daher aufzuheben, ohne daß es der Prüfung bedurfte, ob sie auch wegen der übrigen im Beschluß über die Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens angeführten Bedenken mit Verfassungswidrigkeit belastet ist.
e) Da, wie unter III. B. 3.a) dargelegt, § 15 Abs 2 OGHG die Gewährung von Einsicht in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes an Personen, die nicht dem dort umschriebenen Personenkreis angehören, verwehrt, ist mit der Aufhebung dieser Bestimmung die darin normierte Beschränkung der Einsichtgewährung auf diesen Personenkreis beseitigt und somit das Hindernis weggefallen, das - unbeschadet der allenfalls durch sonstige Rechtsvorschriften gezogenen Grenzen - der von Verfassungs wegen gebotenen Zugänglichkeit der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes entgegensteht.
4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Vorschrift gründet sich auf Art 140 Abs 5 B-VG. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und aus § 64 Abs 2 VerfGG.
IV. Über die Zulässigkeit des zu G315/89 protokollierten (Individual-)Antrages hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:
1. Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung ihre Auffassung von der Unzulässigkeit dieses Antrages folgendermaßen begründet:
"I.
1. Zur Bestimmtheit des Antrages gemäß § 62 Abs 1 VerfGG:
Gemäß § 62 Abs 1 VerfGG muß der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben begehren, daß entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder daß bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der vorliegende Antrag (S. 7), 'den § 15 Abs 1 und/oder 2 und/oder den § 23 Abs 3 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof, BGBl. Nr. 328/1968, kostenpflichtig als verfassungswidrig aufzuheben', kann nicht als Antrag, nach dem bestimmte Stellen des Gesetzes aufgehoben werden sollen, angesehen werden. Der vorliegende Individualantrag wäre daher aus diesem Grund zurückzuweisen.
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2. | Zur Antragslegitimation gemäß Art 140 Abs 1 letzter Satz | |||||||||
B-VG: |
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a) | Gemäß Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG ist der Individualantrag einer einzelnen Person zulässig, wenn diese durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten unmittelbar verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. |
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b) | Nach Auffassung der Bundesregierung kann nicht davon gesprochen werden, daß § 15 Abs 1 und 2 oder § 23 Abs 3 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof gegen den Antragsteller unmittelbar wirksam sind. § 15 Abs 1 leg.cit. richtet sich vielmehr an den Obersten Gerichtshof bzw. Mitglieder des Obersten Gerichtshofes, insbesondere den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, der Abs 2 daneben auch an Professoren. § 23 Abs 3 leg.cit. wiederum regelt das Verhältnis zwischen diesem Bundesgesetz und anderen Rechtsvorschriften, die die laufende Abgabe von Auszügen von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vorsehen. |
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c) | Ein Individualantrag ist weiters immer nur dann zulässig, wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 10.511/1985). Nach Auffassung der Bundesregierung handelt es sich bei dem Schreiben des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes vom nicht um einen Bescheid (vgl. ). Es wäre aber dem Antragsteller der Umweg über eine gerichtliche Entscheidung zumutbar (vgl. VfSlg. 8978/1980, 9048/1981, 10.200/1984, 10.293/1984). |
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Da § 7 Abs 2 litb des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof ausdrücklich vorsieht, daß Ansuchen um Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen oder Abschriften oberstgerichtlicher Entscheidungen in beim Obersten Gerichtshof nicht mehr anhängigen Rechtssachen vom Dreiersenat zu erledigen sind, wäre es möglich und zumutbar, eine gerichtliche Entscheidung darüber zu erlangen, ob und in welchem Ausmaß dem Antragsteller eine Ausfertigung der begehrten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zusteht. In einem solchen Verfahren könnte der Antragsteller auch seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Gesetzesstellen geltend machen und deren Prüfung - auf Antrag des Obersten Gerichtshofes - anregen. In diesem Zusammenhang ist ferner zu bemerken, daß das Ausmaß der Öffentlichkeit der Urteile des Obersten Gerichtshofes durch § 15 Abs 2 leg.cit. nicht völlig eindeutig und abschließend geregelt ist: Die Bestimmung scheint sowohl in die Richtung auslegbar, daß die Einsichtsmöglichkeit für 'Professoren, die an inländischen Hochschulen Rechtsfächer lehren' ausdrücklich statuiert wurde, ohne alle anderen Personen davon auszuschließen, als auch in die Richtung, daß alle anderen Personen ausgeschlossen sein sollen." |
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2. Diesen Ausführungen hat der Antragsteller in seiner Replik im wesentlichen folgendes entgegengehalten: |
"1. Zur Bestimmtheit des Antrages
Die Einwendungen der Bundesregierung wegen der vermeintlichen Unbestimmtheit des Antrages sind verfehlt.
Der Antrag, 'den § 15 Abs 1 und/oder 2 und/oder den § 23 Abs 3 OGHG als verfassungswidrig aufzuheben', enthält jedenfalls das Begehren, den § 15 Abs 1 und 2 und den § 23 Abs 3 aufzuheben. Das sind durchaus bestimmte Stellen des Gesetzes, zu denen die verfassungsrechtlichen Bedenken im Antrag dargelegt sind.
Die abbreviatorische Formulierung mit 'und/oder' hätte von der Bundesregierung unschwer als Eventual-Antragstellung erkannt werden können und sollen.
2. Zur Zumutbarkeit der Anrufung eines Gerichtes
Mehr für sich hat der zweite Einwand der Bundesregierung, wonach mir eine Antragstellung nach § 7 Abs 2 litb OGHG an den Dreiersenat des Obersten Gerichtshofes zumutbar sei, wo ich dann eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof wegen meiner Normbedenken anregen könnte.
Ich halte § 7 Abs 2 litb OGHG allerdings nur für eine Kompetenzbestimmung, die keine materielle Rechtsgrundlage dafür bietet, ohne Parteistellung und ohne Zusammenhang mit dem konkreten Verfahren eine Kopie einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu erhalten.
Sicherheitshalber habe ich jedoch auch noch einen auf § 7 Abs 2 litb OGHG gestützten Antrag an den Obersten Gerichtshof gestellt (Beilage ./1)."
3. Der Verfassungsgerichtshof teilt im Ergebnis die Auffassung der Bundesregierung, daß der (Individual-)Antrag unzulässig ist:
a) Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa VfSlg. 11.479/1987 mwH), sind die mit Art 139 Abs 1 und Art 140 Abs 1 B-VG dem einzelnen Normadressaten
eingeräumten Rechtsinstrumente dazu bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, der mit der grundsätzlichen Aufgabe eines Individualantrages, bloß subsidiärer Rechtsbehelf zu sein, unvereinbar wäre.
b) Dem Antragsteller, der mit Schreiben vom an den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes das Ersuchen um Zusendung einer Ausfertigung einer näher bezeichneten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gerichtet hatte, stand, wie die unter I. 1. erwähnte (zu B1438/88 protokollierte) Beschwerde erweist - ihr lag eine gleichartige Sach- und Rechtslage zugrunde wie im Fall des Antragstellers -, ein Weg offen, dessen Beschreitung zumutbar war und der die Herantragung der vom Antragsteller vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof ermöglicht hätte.
c) Demgemäß mußte der Antrag als unzulässig zurückgewiesen werden, ohne daß es noch der Prüfung bedurfte, ob alle sonstigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind.