VfGH vom 27.11.1990, g31/89
Sammlungsnummer
12547
Leitsatz
Präjudizialität einer, eine nicht trennbare Einheit bildenden Bestimmung; Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer landesrechtlichen, finanzstrafrechtlichen Norm eines Ankündigungsabgabegesetzes mangels gerichtlicher Zuständigkeit bei aufgrund der vorgesehenen Strafhöhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallenden Delikten
Spruch
I. § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, war verfassungswidrig.
Diese Gesetzesstelle ist nicht mehr anzuwenden.
II. Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art 144 Abs 1 B-VG angefochtenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom , Z MDR-R 47/87/Str, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom , Z MDR-R 27/88/Str, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs 1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, mit einer Geldstrafe von S 60.000,--, bei Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzarreststrafe von 40 Tagen, dafür bestraft, daß er durch die Vornahme von Ankündigungen durch Plakatwerbung ohne Anzeige an den Magistrat Wien und ohne Einzahlung des sich danach ergebenden Abgabenbetrages die Ankündigungsabgabe um den Betrag von
S 62.720,-- bis fahrlässig verkürzt habe.
2. Der unter der Überschrift "Strafen" stehende § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, hatte folgenden Wortlaut:
"(1) Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Abgabe hinterzogen oder fahrlässig verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafe bis zum Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages zu bestrafen. Im Falle der Uneinbringlichkeit tritt an Stelle der Geldstrafe Arrest bis zu drei Monaten.
(2) Die sonstigen Übertretungen der Vorschriften dieses Gesetzes oder der dazu erlassenen Durchführungsvorschriften werden mit Geldstrafen bis zu 2 000 S, im Nichteinbringungsfalle mit Arrest bis zu 14 Tagen geahndet."
Der eben wiedergegebene § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983 erhielt durch ArtI des Gesetzes vom , LGBl. für Wien Nr. 44, mit dem abgabenrechtliche Strafbestimmungen geändert werden, eine neue, zufolge ArtXIX Abs 1 dieses Gesetzes seit geltende Fassung.
3. Aus Anlaß der zu B280/88 erhobenen Beschwerde beschloß der Verfassungsgerichtshof am , B280/88-13, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs 1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, einzuleiten. Er nahm an, daß er diese Bestimmung bei der Behandlung der Beschwerde anzuwenden habe und hegte gegen § 11 Abs 1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983 dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken, die er bereits in seinem Prüfungsbeschluß vom , B744/87, gegen § 35 des Wr. Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11, in der Fassung der Vergnügungssteuergesetz-Novelle 1976, LGBl. Nr. 37, und der Vergnügungssteuergesetz-Novelle 1981, LGBl. Nr. 19, äußerte.
Mit Beschluß vom , B280/88-15, erweiterte der Verfassungsgerichtshof sein gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs 1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, auch auf den Abs 2 dieser Bestimmung. Dies unter Verweis darauf, daß er bei seiner Behandlung der Beschwerde zu B280/88 nicht nur den Abs 1 des § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, sondern auch den Abs 2 dieser Gesetzesvorschrift wegen seines untrennbaren Zusammenhanges mit dem ersten Absatz anzuwenden habe. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Begründung seines Erkenntnisses vom , G6/89 u.a.
II. Die Wiener Landesregierung erstattete Äußerungen mit dem Begehren, die geprüfte Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die den Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bildende Beschwerde ist zulässig.
Bezüglich des Umfangs, in dem die von Amts wegen in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen als präjudiziell anzusehen sind, bleibt der Verfassungsgerichtshof auf dem bereits in seinem Prüfungsbeschluß vom , B280/88-15, eingenommenen Standpunkt, daß die Abs 1 und 2 des § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, - von dem in der Beschwerdesache heranzuziehenden Abs 1 her gesehen - eine untrennbare Einheit bilden (vgl. zu § 35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 G6/89 u. a., sowie zu § 9 des Wr. Anzeigenabgabegesetzes 1983 , G19,20/90).
2. Die im Prüfungsbeschluß dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken treffen zu.
Der Verfassungsgerichtshof verweist auf die Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses vom , G6/89 u.a., mit dem ausgesprochen wurde, daß § 35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11, (idF der Novellen LGBl. Nr. 37/1976 und 16/1981) verfassungswidrig war. Die in diesem Erkenntnis in bezug auf die Verfassungswidrigkeit des § 35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 (welcher in seinem Abs 1 die Verhängung einer Geldstrafe bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages vorsah) angestellten Erwägungen treffen auch für den amtswegig in Prüfung gezogenen § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, sinngemäß voll zu, und zwar umsomehr, als § 11 Abs 1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983 die Bestrafung mit einer Geldstrafe sogar bis zum Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages vorsieht.
Die geprüfte Gesetzesvorschrift verstößt sohin sowohl gegen die aus Art 91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot.
Es war somit auszusprechen, daß der (zufolge der Novelle LGBl. Nr. 44/1990 bereits außer Kraft getretene) § 11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, verfassungswidrig war.
Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art 140 Abs 7 zweiter Satz und Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen werden. Die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes stützt sich auf § 7 Abs 2 lite VerfGG 1953, weil die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung bereits genügend klargestellt ist.
Fundstelle(n):
DAAAE-27110