VfGH vom 12.06.2007, g3/07
Sammlungsnummer
18137
Leitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes betreffend die Beitragspflicht für land- und forstwirtschaftliche Nebengewerbe unter Hinweis auf die Vorjudikatur
Spruch
Die Wortfolge "3.2 und" in § 294 Abs 3 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes - BSVG, BGBl. Nr. 559/1978, in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2004 - SRÄG 2004, BGBl. I Nr. 105/2004, und der Kundmachung betreffend die Berichtigung von Verlautbarungen im Bundesgesetzblatt, BGBl. I Nr. 119/2004, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) sind Personen, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb führen, in der Kranken- und Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert. Seit erstreckt sich diese Pflichtversicherung - "nach Maßgabe der Anlage 2" - u.a. auch auf Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft gemäß § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 4 GewO 1994 (§2 Abs 1 Z 1 letzter Satz BSVG idF der 23. Novelle zum BSVG, BGBl. I 176/1999).
Die Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte ergibt sich bei Betrieben, für die ein steuerlicher Einheitswert festgestellt ist, aus dem von diesem abgeleiteten Versicherungswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (§23 Abs 1 Z 1 BSVG). Für Nebentätigkeiten iS des § 2 Abs 1 Z 1 letzter Satz BSVG ist - soweit sie nicht nach der Anlage 2 zum BSVG vom Einheitswert des Betriebes umfasst sind - eine gesonderte Beitragsgrundlage zu bilden (§23 Abs 1 Z 3 BSVG); diese beträgt in der Regel 30 vH der Bruttoeinnahmen (§23 Abs 4b BSVG), auf Antrag des Versicherten sind jedoch - an Stelle dieses Betrages - die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte, mindestens aber EUR 583,48 (2004) monatlich, als Beitragsgrundlage heranzuziehen (§23 Abs 1b iVm Abs 4c-4e BSVG).
2. Die Z 3.2.1 der Anlage 2 zum BSVG hatte zunächst (idF der 23. Novelle zum BSVG) bestimmt, dass "Dienstleistungen mit oder ohne Betriebsmittel für andere land(forst)wirtschaftliche Betriebe einschließlich der Tätigkeit als Betriebshelfer im Rahmen eines Maschinen- und Betriebshilferinges sowie als Holzakkordant, sofern die Einnahmen aus diesen Tätigkeiten 330 000 S nicht übersteigen" als land(forst)wirtschaftliche Nebentätigkeiten iS des § 2 Abs 1 Z 1 letzter Satz BSVG vom Einheits- bzw. Versicherungswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (§23 Abs 1 Z 1 BSVG) umfasst sind. Sofern die Einnahmen diese Summe überstiegen, war für diese Nebentätigkeiten (schon idF der 23. Novelle zum BSVG) eine gesonderte Beitragsgrundlage nach § 23 Abs 1 Z 3 BSVG zu bilden (Z3.2.2 der Anlage 2 zum BSVG).
Mit dem am ausgegeben Sozialrechts-Änderungsgesetz 2004 - SRÄG 2004, BGBl. I 105/2004, wurden diese beiden Ziffern in der Anlage 2 zum BSVG durch die Z 3.2 ersetzt, wonach nunmehr unter Wegfall der Freigrenze für "persönliche Dienstleistungen mit oder ohne Betriebsmittel für andere land(forst)wirtschaftliche Betriebe einschließlich der Tätigkeit als Betriebshelfer/in im Rahmen eines Maschinen- und Betriebshilferinges sowie als Holzakkordant/in" eine gesonderte Beitragsgrundlage nach § 23 Abs 1 Z 3 BSVG zu bilden ist.
Diese Änderung der Anlage 2 zum BSVG ist mit in Kraft getreten (§294 Abs 1 Z 3 BSVG). Hinsichtlich ihrer Anwendung bestimmt der - durch Z 8 der Kundmachung betreffend die Berichtigung von Verlautbarungen im Bundesgesetzblatt, BGBl. I 119/2004, berichtigte - § 294 Abs 3 BSVG (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Die §§20a, 20b, 23 Abs 10 lita, 30 Abs 1 sowie die Z 3.2 und 5 in der Anlage 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 105/2004 sind erstmals für das Beitragsjahr 2004 anzuwenden."
II. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1523/06 das Verfahren
|ber eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Der Beschwerdeführer führt auf eigene Rechnung und Gefahr einen landwirtschaftlichen Betrieb. Im Kalenderjahr 2004 hat er auch persönliche Dienstleistungen mit Maschineneinsatz als Holzakkordant (Schadholzaufarbeitung) für eine Agrargemeinschaft erbracht.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom stellte der Landeshauptmann von Kärnten die monatliche Beitragsgrundlage des Beschwerdeführers in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der Bauern für das Jahr 2004 fest; als Beitragsgrundlage für den Betrieb wurde hiebei der für das Jahr 2004 maßgebliche - aus dem Einheitswert errechnete - Versicherungswert des Betriebes (EUR 4.300,--) zuzüglich Einnahmen aus land(forst)wirtschaftlichen Nebentätigkeiten in Form von Dienstleistungen für andere land- und forstwirtschaftliche Betriebe (EUR 1.002,20) in Ansatz gebracht.
2. Bei Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "3.2 und" in § 294 Abs 3 BSVG entstanden. Er hat daher am beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung einzuleiten.
Der Gerichtshof hegte gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung das Bedenken, dass sie wegen ihrer rückwirkenden Einbeziehung von Einkünften in die Beitragspflicht aus denselben Gründen dem aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Grundsatz des Vertrauensschutzes widerspreche, die im Erkenntnis vom , G28/06, zur Aufhebung des § 295 Abs 10 BSVG geführt hätten. (Diese Bestimmung hatte die Bildung einer eigenen Beitragsgrundlage für Einkünfte u.a. aus dem land[forst]wirtschaftlichen Nebengewerbe des Einstellens von Reittieren rückwirkend für das Beitragsjahr 2004 angeordnet.)
3. Die Bundesregierung teilte mit, im Gesetzesprüfungsverfahren von einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen. Die beteiligte Sozialversicherungsanstalt der Bauern erstattete eine schriftliche Äußerung, in der sie die in Prüfung gezogene Bestimmung verteidigt.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zweifel an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung sind nicht entstanden. Das Normenprüfungsverfahren ist daher zulässig.
2. Im Verfahren ist auch nichts hervorgekommen, was die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken zerstreut hätte:
2.1. Durch das SRÄG 2004 wurden Einkünfte aus dem in Rede stehenden landwirtschaftlichen Nebengewerbe, die zum Zeitpunkt ihrer Erzielung dadurch beitragsfrei gestellt waren, dass sie vom Einheitswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes umfasst waren, für ein überwiegend abgelaufenes Beitragsjahr rückwirkend einer Beitragspflicht unterworfen, indem für sie die Bildung einer eigenen Beitragsgrundlage angeordnet wurde. Damit wurde aber die beitragsrechtliche Situation der Betroffenen, die hinsichtlich ihrer landwirtschaftlichen Nebenerwerbstätigkeit im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage disponiert hatten, mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtert und sie dadurch in ihrem berechtigten Vertrauen auf die bestehende Rechtslage enttäuscht (vgl. VfSlg. 12.186/1989, 13.020/1992 und 15.060/1997 mwN sowie das - insoweit völlig gleich gelagerte - Erkenntnis vom , G28/06).
2.2. Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass das SRÄG 2004 bereits am ausgegeben wurde, sodass die Beitragspflichtigen fast fünf Monate Zeit gehabt hätten, um in Kenntnis der neuen Rechtslage Dispositionen zu treffen. Sie bestreitet überdies, dass es beim Beschwerdeführer des Anlassbeschwerdeverfahrens durch die rückwirkende Beitragsbelastung zu einem Eingriff von erheblichem Gewicht gekommen sei.
Besondere Umstände, die die rückwirkende Beitragsbelastung für ein überwiegend abgelaufenes Beitragsjahr zu rechtfertigen vermögen, bringt die Sozialversicherungsanstalt aber nicht vor. Solche sind im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich daher im hier maßgeblichen Umstand der rückwirkenden Beitragsbelastung nicht von jener Konstellation, die im Erkenntnis vom , G28/06, zur Aufhebung des § 295 Abs 10 BSVG geführt hat.
3. Die in Prüfung gezogene Wortfolge in § 294 Abs 3 BSVG war daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.
4. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.
5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.