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VfGH vom 26.06.2020, G298/2019 ua (G298/2019-11, G117/-121/2020-5)

VfGH vom 26.06.2020, G298/2019 ua (G298/2019-11, G117/-121/2020-5)

Leitsatz

Unsachlichkeit der Legaldefinition des Familienangehörigen im AsylG 2005 mangels Möglichkeit der Ableitung des Schutzstatus des gesetzlichen Vertreters auf ein minderjähriges Kind trotz einem – bereits vor der Einreise bestehenden – Eltern-Kind-ähnlichen Verhältnis

Spruch

I.1. § 2 Abs 1 Z 22 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl I Nr 100 idF BGBl I Nr 56/2018, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

5. § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 idF BGBl I Nr 145/2017 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

II.Die zu G117/2019, G118/2019, G119/2019, G120/2019, G121/2019 protokollierten Anträge werden hinsichtlich § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 idF BGBl I Nr 145/2017 abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E698/2019 eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan; seine Eltern sind bereits im Herkunftsstaat verstorben. Der Beschwerdeführer stellte am nach Einreise in Österreich gemeinsam mit seinen drei minderjährigen Brüdern und seiner volljährigen Schwester Anträge auf internationalen Schutz. Mit Beschluss eines österreichischen Bezirksgerichtes vom wurde der Schwester die Obsorge für den Beschwerdeführer und seine Brüder übertragen.

1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurden die Anträge des Beschwerdeführers und seiner Geschwister bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA–VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem wurde eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt (Spruchpunkt VI.).

1.3. Gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhoben der Beschwerdeführer und seine Geschwister Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

1.4. Das Bundesverwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch und erkannte der Schwester des Beschwerdeführers mit Erkenntnis vom gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 den Status der Asylberechtigten zu.

1.5. Mit gesondert ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers und seiner übrigen Geschwister gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abgewiesen. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wurde hingegen stattgegeben und ihnen gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Zudem wurde ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers (E 698/2019) sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs 1 Z 22 und des § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 entstanden.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, und legte seine Bedenken wie folgt dar:

"[…]

2. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und das Bundesverwaltungsgericht bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung die in Prüfung gezogenen Bestimmungen hätte anwenden müssen und dass auch der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmungen bei seiner Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden hätte.

3. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen stehen in folgendem rechtlichen Zusammenhang:

§34 AsylG 2005 regelt das Familienverfahren, das der Beschleunigung der Verfahren von Asylwerbern im Familienverband dient. Bestimmten Familienangehörigen soll demnach der gleiche Schutzumfang gewährt werden, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen (vgl EBRV 952 BlgNR 22. GP, 54). Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ist – anders als etwa im Anwendungsbereich des § 35 AsylG 2005, der in seinem Abs 5 eine eigene Definition des Familienangehörigen enthält – im Sinne der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen ( mwN). Demnach ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.

Für die Anwendung des § 34 AsylG 2005 ist es hinreichend, dass zumindest ein Fall des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 gegeben ist (). Eltern und ihre minderjährigen Kinder gelten daher für den jeweiligen anderen als Familienangehöriger und können den Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten voneinander ableiten.

4. Das in § 34 AsylG 2005 geregelte Familienverfahren wurde nicht in Umsetzung von Unionsrecht erlassen, ist aber unionsrechtlich zulässig (vgl , Ahmedbekova ua, Rz 74).

In den Gesetzesmaterialien zum FrÄG 2009, BGBl I 122, mit dem § 34 Abs 6 AsylG 2005 eingeführt wurde, wird ausgeführt (RV 330 BlgNR 24. GP, 24):

'Z2 normiert, dass sich Familienangehörige von Personen, denen internationaler Schutz bereits im Rahmen eines Familienverfahrens gemäß § 34 und 35 gewährt wurde, künftig nicht mehr auf das Familienverfahren nach § 34 und 35 berufen können. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass Personen, die ihren Status nicht aus Eigenem erlangt haben, sondern denen der Status gemäß § 34 auf Grund des Status ihrer familiären Bezugsperson zuerkannt wurde, dann keine tauglichen Bezugspersonen mehr im Sinne des § 34 für deren Familien-a[n]gehörige sind. Damit soll verhindert werden, dass es zu sogenannten 'Ketten-Familienverfahren' und damit über verschiedenste Familienverhältnisse vermittelte Gewährungen von Asyl oder subsidiäre[m] Schutz kommt, ohne dass oft-mals noch irgendein relevanter familiärer Bezug zum ursprünglichen Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten besteht. Haben diese Personen keine eigenen Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes, so stellt sich die Verpflichtung zur Gewährung eines entsprechenden Status an diese Personen ebenso unsachlich dar, wie in den unter Z 1 beschriebenen Fällen. Die Bestimmung des § 34 Abs 6 Z 2 soll allerdings nicht gelten, wenn es sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges unverheiratetes Kind handelt. Diese können daher ihren Status nach § 34 auch dann von ihren Eltern ableiten, wenn diese ihren Status bereits nach § 34 erhalten haben. Das Kind selbst ist dann aber wiederum keine taugliche Bezugsperson mehr. Die Kette endet daher jedenfalls bei diesem.'

Daraus lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber die Privilegierung von minderjährigen Kindern am Kindeswohl ausgerichtet haben dürfte.

5. Die Aufnahme des gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Kindes in die Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 mit BGBl I Nr 68/2013 erfolgte in Umsetzung von Art 2 litj dritter Gedankenstrich der Status-RL. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Status-RL dem nationalen Gesetzgeber hinreichend Spielraum gewährt, diesen verfassungskonform auszugestalten.

In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt (EBRV 2144 BlgNR 24. GP, 17):

'Durch die Ausweitung des Familienbegriffs auf den gesetzlichen Vertreter einer minderjährigen, nicht verheirateten Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wird Art 2 litj der Statusrichtlinie umgesetzt. Der gesetzliche Vertreter ist nach österreichischem Recht als jener Erwachsener zu sehen, der für einen Minderjährigen verantwortlich im Sinne dieser Richtlinienbestimmung ist. Der gesetzliche Vertreter ist im Rahmen des Asylverfahrens nur dann als 'Familienangehöriger' zu sehen, wenn die gesetzliche Vertretung bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.'

Art2 litj dritter Gedankenstrich der Status-RL lautet:

'der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist;'

Der 18. und 19. Erwägungsgrund der Status-RL lauten:

'Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1989 über die Rechte des Kindes vorrangig das 'Wohl des Kindes' berücksichtigen. Bei der Bewertung der Frage, was dem Wohl des Kindes dient, sollten die Mitgliedstaaten insbesondere dem Grundsatz des Familienverbands, dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen, Sicherheitsaspekten sowie dem Willen des Minderjährigen unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Reife Rechnung tragen.

Der Begriff 'Familienangehörige' muss ausgeweitet werden, wobei den unter-schiedlichen besonderen Umständen der Abhängigkeit Rechnung zu tragen und das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen ist.'

Vor diesem Hintergrund kann ebenfalls vorläufig davon ausgegangen werden, dass § 34 AsylG 2005 iVm der Definition in § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 eine gesetzliche Wertung im Sinne des Kindeswohles enthält.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat vorläufig die Bedenken, dass § 2 Abs 1 Z 22 und § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 eine unsachliche Differenzierung vornehmen:

7. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Nach vorläufiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofes dürften die hiemit in Prüfung gezogenen Bestimmungen des § 2 Abs 1 Z 22 und des § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 die genannte Verfassungsvorschrift verletzen, indem es einem minderjährigen Kind zwar ermöglicht wird, den Schutzumfang seiner Eltern abgeleitet zu erlangen, nicht jedoch den seines gesetzlichen Vertreters. Zum anderen kann der gesetzliche Vertreter den Schutzumfang seines minderjährigen Schutzbefohlenen abgeleitet erlangen; dies gilt aber nicht im umgekehrten Fall.

Für den Verfassungsgerichtshof ist vorerst keine sachliche Rechtfertigung für diese durch § 2 Abs 1 Z 22 und § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 bewirkte Ungleichbehandlung zu erkennen.

8. Gemäß Art 1 erster Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern hat jedes Kind Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit.

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen auch gegen Art 1 leg. cit. verstoßen:

Wie oben festgehalten, dürfte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Ableitung des Status des Asylberechtigten bzw des subsidiär Schutzberechtigten von Eltern bzw Elternteilen für das minderjährige Kind am Kindeswohl ausgerichtet haben. Ebenso dürfte der Gesetzgeber die Ableitung des Schutzumfanges des gesetzlichen Vertreters vom Status des minderjährigen Kindes als im Interesse des Kindeswohles gelegen erachtet haben. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass es auch im Interesse des Kindeswohles liegen dürfte, seinen Status von jenem des gesetzlichen Vertreters ableiten zu können, sodass auch von einem Verstoß gegen Art 1 erster Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern auszugehen sein dürfte.

[…]"

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"[…]

2. Zum Prüfungsumfang

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die Grenzen der Aufhebung so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen erfasst werden (G 83/2017, G86/2017). Der Aufhebungsumfang eines Gesetzesprüfungsantrags ist zu eng, wenn der (nach der angestrebten Aufhebung) verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre, er also mit den aufzuhebenden Normenteilen untrennbar verbunden ist (vgl etwa mwN; sowie jüngst ; , G11/2016 und G43/2016).

2.2. Es ist dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, der Rechtsvorschrift durch Aufhebung bloßer Teile einen völlig veränderten, dem Normsetzer überhaupt nicht mehr zusinnbaren Inhalt zu geben, weil dies im Ergebnis geradezu ein Akt positiver Normsetzung wäre (vgl VfSlg 12.465/1990; 13.915/1994; 19.755/2013, jeweils mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes soll ein Gesetzesprüfungsverfahren gerade dazu dienen, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen. Unzulässig ist ein Antrag daher dann, wenn die Aufhebung einer Bestimmung beantragt wird, welche die angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigen würde (VfSlg 16.191/2001, 18.397/2008, 18.891/2009, 19.178/2010, 19.674/2012; ; , G573/2015 ua; jeweils mwN).

2.3. Vorweg ist in Übereinstimmung mit der Äußerung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom festzuhalten, dass das in der Beschwerde gegen das Erkenntnis vom erstmals erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, der Schwester sei die Befugnis zu seiner gesetzlichen Vertretung bereits im Herkunftsstaat und damit vor der Einreise nach Österreich zugekommen, unter Zugrundelegung des auf die Frage der gesetzlichen Vertretung gemäß § 27 Abs 1 iVm 9 Abs 1 IPRG anzuwendenden afghanischen Rechts nicht zutrifft.

Zur Begründung dieses Vorbringens bezieht sich der Beschwerdeführer auf Art 239 des afghanischen Zivilgesetzbuches. Diese Bestimmung enthält eine – in der Erkenntnisbeschwerde wiedergegebene – Liste jener weiblichen Verwandten, denen die gesetzliche Vertretung für einen Minderjährigen zukommt, wobei der darin jeweils früher genannten Verwandten gegenüber allen später genannten der Vorrang als Vertreterin zukommt. Aus dem Umstand, dass die Mutter bereits verstorben ist und sonstige vorrangig zu berücksichtigende weibliche Verwandte nicht existieren, schließt der Beschwerdeführer, dass die Schwester die Befugnis zu seiner gesetzlichen Vertretung ex lege erlangt und seither nicht mehr verloren habe. Dabei wird jedoch verschwiegen, dass die Vertretungsbefugnis der weiblichen Verwandten gemäß Art 249 des afghanischen Zivilgesetzbuches von Gesetzes wegen endet, wenn ein Junge das siebente Lebensjahr vollendet hat. Mit Überschreiten dieser Altersgrenze geht die Vertretungsbefugnis nach einhelliger Ansicht sämtlicher Rechtsschulen auf den nächsten männlichen Verwandten über (idS Rastin-Tehrani/Yassari, Max Planck Manual on Family Law in Afghanistan² [2012] 103, 106 und 107).

Nach den Bestimmungen des afghanischen Zivilgesetzbuches hätte die Schwester die Befugnis zur Vertretung des – den Feststellungen des BVwG zufolge am geborenen – Beschwerdeführers, sollte sie ihr jemals zugekommen sein, also längstens bis zum Ablauf des innehaben können. Danach ist sie auf einen männlichen Verwandten, also entweder auf den volljährigen Bruder oder auf einen der beiden in Afghanistan lebenden Onkel väterlicherseits, von Gesetzes wegen übergegangen. Dass die Schwester zur Zeit der Ausreise aus Afghanistan im Herbst 2016 die Befugnis zur gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers innegehabt und seither beibehalten hat, ist nach den insoweit eindeutigen Bestimmungen des afghanischen Zivilgesetzbuches daher ausgeschlossen. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass der Schwester die Befugnis zur gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers erstmals auf Grund des Beschlusses des Bezirksgerichtes vom und damit entgegen § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 nicht vor der Einreise zugekommen ist.

2.4. Die Bundesregierung ist im Übrigen der Auffassung, dass selbst unter der – mit dem Vorgesagten nicht vereinbaren – Prämisse, dass die Schwester des Beschwerdeführers die in § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 definierte Angehörigeneigenschaft erfüllen würde bzw aus verfassungsrechtlichen Erwägungen erfüllen sollte, der Umfang der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zu weit gefasst wurde. So umfassen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen offenkundig nicht präjudizielle Bestimmungen:

Die volljährige Schwester stellte, gemeinsam mit dem Beschwerdeführer, Anträge auf internationalen Schutz. Über diese Anträge hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in weiterer Folge das Bundesverwaltungsgericht jeweils am selben Tag entschieden. Stünden die Schwester und der von ihr vertretene Beschwerdeführer im Verhältnis zueinander tatsächlich als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, so wäre § 34 Abs 1 Z 3 AsylG 2005, der den Antrag eines Familienangehörigen auf internationalen Schutz von einem Asylwerber regelt, anwendbar und damit präjudiziell, nicht jedoch § 34 Abs 1 AsylG 2005 zur Gänze.

Dass § 34 Abs 1 Z 2 ('Status des subsidiär Schutzberechtigten') für das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren nicht präjudiziell ist, folgt zudem auch schon daraus, dass der Verfassungsgerichtshof selbst § 34 Abs 3 AsylG 2005, der die Behandlung von Anträgen eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, regelt, nicht in den Prüfungsumfang einbezogen hat.

2.5. § 34 Abs 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 stehen auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, der eine gemeinsame Prüfung notwendig machen würde: Weder bewirken § 34 Abs 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 gemeinsam die behauptete Verfassungswidrigkeit noch würde die Aufhebung lediglich der Z 3 leg. cit. einen legislativen Torso zurücklassen bzw zu einem dem Gesetzgeber nicht zusinnbaren Inhalt führen.

2.6. Da für das Anlassverfahren § 34 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 einschlägig ist und nicht Z 1 leg. cit., erweist sich auch § 34 Abs 2 AsylG 2005 als nicht präjudiziell. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, weshalb die § 34 Abs 4 und 5 AsylG 2005 über die näheren Modalitäten des Familienverfahrens und dessen Anwendbarkeit im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in ihrer Gesamtheit zur Prüfung stehen.

2.7. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, dass der gewählte Prüfungsumfang insoweit überschießend ist.

III. In der Sache:

1. Allgemeines

1.1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist (vgl zB VfSlg 19.532/2011) und ausschließlich beurteilt, ob die in Prüfung gezogene Bestimmung aus den in der Begründung des Einleitungsbeschlusses dargelegten Gründen verfassungswidrig ist. Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof äußert in seinem Prüfungsbeschluss die vorläufigen Bedenken, dass die Bestimmungen des § 2 Abs 1 Z 22 und § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 gegen ArtI Abs 1 BVG Rassendiskriminierung verstoßen. Zudem geht er davon aus, dass es einen Verstoß gegen Art 1 BVG Kinderrechte darstellen dürfte, wenn – wie von den in Prüfung gezogenen Bestimmungen vorgesehen – zwar der gesetzliche Vertreter den Schutzumfang vom Status des minderjährigen Kindes ableiten kann, allerdings nicht das minderjährige Kind den Status von seinem gesetzlichen Vertreter ableiten kann.

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art 1 BVG Kinderrechte

2.1. Der gesetzliche Vertreter gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 erhält in der Regel – sofern keine in seiner Person gelegenen Ausschlussgründe nach den § 6 oder 8 Abs 3a iVm 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegen und er nicht straffällig geworden ist (§34 Abs 2 Z 1 oder Abs 3 Z 1 iVm § 2 Abs 3 AsylG 2005) – zumindest einen gleichwertigen Aufenthaltsstatus zuerkannt wie das von ihm vertretene Kind; er wird in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht nicht schlechter gestellt als dieses und kann den ihm zuerkannten Aufenthaltsstatus daher nur unter denselben, nicht aber unter erleichterten Voraussetzungen verlieren.

Dadurch stellt § 34 AsylG 2005 sicher, dass das minderjährige ledige Kind, solange es selbst die Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllt, in der Regel über einen gesetzlichen Vertreter verfügt, der zur Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage ist. Der Verpflichtung, bei der aufenthaltsrechtlichen Gestaltung des Verhältnisses zwischen dem Kind und seinem gesetzlichen Vertreter im Rahmen des Familienverfahrens das Kindeswohl als vorrangige Erwägung zu berücksichtigen (Art1 zweiter Satz BVG Kinderrechte), wird bereits durch die 'Übertragung' des dem Kind zuerkannten Status auf den gesetzlichen Vertreter nachgekommen. Dadurch soll dem Kind, wenn es aus Eigenem die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten erfüllt, eine Lebensführung mit dem ihm bereits aus der Zeit vor der Einreise vertrauten gesetzlichen Vertreter im Bundesgebiet ermöglichen. Die Übertragung hat also gerade in der besonderen Abhängigkeit des Kindes vom gesetzlichen Vertreter ihren Grund, indem sie es dem gesetzlichen Vertreter ermöglicht, seine Aufgaben auch in dem – in Bezug auf das Kind – schutzgewährenden Staat zu erfüllen.

2.2. Umgekehrt besteht keine vergleichbare Abhängigkeit des gesetzlichen Vertreters vom Kind, weshalb eine 'Übertragung' des diesem zuerkannten Status auf das Kind unter dem Gesichtspunkt der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls nicht zwingend geboten ist. Ziel des § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 ist es demnach nicht, dass Minderjährige, die die Voraussetzungen für eine Statuszuerkennung aus Eigenem nicht erfüllen, von einem gesetzlichen Vertreter einen Schutzstatus und sonstige Leistungen nach der Statusrichtlinie ableiten können, obwohl sie nach deren Bestimmungen nicht schutzbedürftig sind.

2.3. Auch ist nach dem BVG Kinderrechte im Allgemeinen und dem Gebot vorrangiger Behandlung des Kindeswohls gemäß Art 1 leg. cit. im Besonderen eine Trennung des Kindes von seinen Eltern und damit auch von seinem gesetzlichen Vertreter nicht in jedem Fall unzulässig. Nach Art 7 BVG Kinderrechte ist eine Einschränkung der Rechte und Ansprüche eines Kindes, einschließlich des Anspruchs auf vorrangige Beachtung des Kindeswohls gemäß Art 1 leg. cit., aus den darin näher genannten Gründen zulässig, wobei den Erläuterungen zum Initiativantrag zufolge insbesondere eine Einschränkung durch fremdenrechtliche Maßnahmen zulässig ist (IA 935/A XXIV. GP 4).

2.4. Zudem ist nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, BGBl Nr 7/1993 (UN-Kinderrechtskonvention), das durch das BVG Kinderrechte umgesetzt werden soll (IA 935/A XXIV. GP 3), eine Trennung der Eltern bzw des gesetzlichen Vertreters von den Kindern nicht ausgeschlossen. In Konkretisierung des Gebotes einer vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls gemäß Art 3 Abs 1 der UN-Kinderrechtskonvention sieht Art 9 Abs 1 der UN-Kinderrechtskonvention zwar vor, dass das Kind nicht gegen den Willen der Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, die Trennung wäre zum Wohl des Kindes notwendig. Indessen schränkt Abs 4 leg. cit. diesen Grundsatz in Fällen, in denen die Trennung nicht primärer Zweck, sondern bloß mittelbare Folge der staatlichen Maßnahme ist, dahingehend ein, dass zB bei einer Trennung als Folge einer Abschiebung eines oder beider Elternteile oder des Kindes den Eltern, dem Kind oder gegebenenfalls einem anderen Familienangehörigen auf Antrag lediglich die wesentlichen Auskünfte über den Verbleib des abwesenden Familienangehörigen zu erteilen sind. Einer solchen Bestimmung wäre die Grundlage entzogen, wenn Art 3 Abs 1 der UN-Kinderrechtskonvention eine Trennung von Eltern und Kindern bzw von Kindern und ihren sonstigen gesetzlichen Vertretern kategorisch ausschlösse (vgl idZauch RV 189 BlgNR XXVI. GP 21: Beschränkungen des Art 9 Abs 1 der UN-Kinderrechtekonvention aus Maßnahmen, die 'intentional darauf abzielen, [den] Minderjährigen von seinen Eltern zu trennen').

2.5. Umso weniger können vor diesem Hintergrund die UN-Kinderrechtskonvention und in deren Umsetzung das BVG Kinderrechte einer Bestimmung entgegenstehen, die – wie § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 – in bestimmten Sachverhaltskonstellationen bloß eine Verschiedenbehandlung des minderjährigen Kindes und seines gesetzlichen Vertreters in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht ermöglicht. Art 1 BVG Kinderrechte ist vor diesem Hintergrund kein verfassungsrechtliches Gebot des Inhalts zu entnehmen, dass ein minderjähriges lediges Kind und dessen gesetzlicher Vertreter in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht unter allen Umständen gleich zu behandeln wären. Eine Verschiedenbehandlung führt zudem in den hier zu diskutierenden Fällen nicht zwangsläufig zur Trennung vom gesetzlichen Vertreter oder gar zur Außerlandesbringung, weil die Gewährleistungen aus Art 8 EMRK in verschiedenen Stadien des Verfahrens zu prüfen sind und folglich ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) erteilt werden kann.

2.6. Davon abgesehen würde eine automatische 'Übertragung' des dem gesetzlichen Vertreter zuerkannten Aufenthaltsstatus auf das Kind im Rahmen des Familienverfahrens darauf hinauslaufen, unter bloßer Berufung auf das Kindeswohl (Art1 BVG Kinderrechte) von der Erfüllung gesetzlich (in § 3 Abs 1 AsylG 2005) normierter und unionsrechtlich (in den Kapiteln II bis IV der Statusrichtlinie) vorgegebener Zuerkennungsvoraussetzungen abzusehen. Dies findet im Gebot der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls gemäß Art 3 der UN-Kinderrechtskonvention, dessen innerstaatlicher Umsetzung Art 1 BVG Kinderrechte dient (IA 935/A XXIV. GP 3), indessen ebenso wenig eine Deckung wie die Notwendigkeit einer allgemeinen Gleichbehandlung von Kind und gesetzlichem Vertreter in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht.

2.7. Die UN-Kinderrechtskonvention befasst sich mit dem Fall des 'Flüchtlingskindes' in ihrem Art 22 und sieht unter anderem besondere staatliche Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen, etwa bei der Suche nach Familienangehörigen, zu dessen Gunsten vor. Was allerdings die Kriterien für die Anerkennung des Kindes als Flüchtling bzw für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft anbelangt, so enthält sie sich eigenständiger materieller Vorgaben und verweist in Abs 2 leg. cit. nur auf die 'anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts'.

Die UN-Kinderrechtskonvention und das BVG Kinderrechte sehen daher nicht vor, dass unter dem Rückgriff auf das Kindeswohl die im internationalen und innerstaatlichen Flüchtlingsrecht normierten Tatbestands- und Zuerkennungsvoraussetzungen relativiert werden müssen. Einem minderjährigen Asylwerber muss demnach nicht der Status des Asylberechtigten ohne Rücksicht auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 AsylG 2005 sowie des Art 1 Abschnitt A GFK allein deshalb zuerkannt werden, weil damit dem Kindeswohl möglicherweise eher gedient wäre als bloß mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, deren Voraussetzungen er in eigener Person erfüllt.

2.8. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich aus dem BVG Kinderrechte kein Anspruch auf Zuerkennung eines bestimmten Aufenthaltsstatus oder auch nur auf Beibehaltung eines bestehenden Aufenthaltsstatus ableiten lässt, wenn der betreffende Fremde die dafür maßgeblichen (einfachgesetzlichen) Zuerkennungsvoraussetzungen nicht bzw nicht mehr erfüllt.

3. Zum Bedenken im Hinblick auf Art 1 BVG Rassendiskriminierung

3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl etwa VfSlg 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält Art 1 Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist (vgl zB ).

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat vorläufige Bedenken, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen eine unsachliche Differenzierung vornehmen, indem sie es einem minderjährigen Kind zwar ermöglichen, den Schutzumfang seiner Eltern abgeleitet zu erlangen, nicht jedoch den seines gesetzlichen Vertreters; auch kann der gesetzliche Vertreter den Schutzumfang von seinem minderjährigen Schutzbefohlenen ableiten; dies gelte aber nicht im umgekehrten Fall.

3.3. Zunächst ist festzuhalten, dass keine vergleichbaren Sachverhalte vorliegen:

3.3.1. Verhältnis zwischen Kind und Eltern

Vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben ist festzuhalten, dass § 34 AsylG 2005 – in Umsetzung der Art 23 Abs 2 und 24 der Statusrichtlinie – es einem Fremden, der in Österreich den Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten innehat, und seinen Familienangehörigen in Übereinstimmung mit Art 8 Abs 1 EMRK ermöglichen soll, ein gemeinsames Familienleben im Bundesgebiet zu führen. Zu diesem Zweck sieht die Bestimmung die Zuerkennung eines qualifizierten aufenthaltsrechtlichen Status, nämlich des Status von Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten, an sämtliche Familienangehörige vor.

Dies gilt ohne Einschränkung jedoch nur insoweit, als § 34 AsylG 2005 die Zuerkennung des Status eines Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten im Verhältnis zwischen Eltern und (leiblichen oder adoptierten) minderjährigen ledigen Kindern, also entweder an die Eltern eines statusberechtigten (minderjährigen und ledigen) Kindes oder an die minderjährigen ledigen Kinder von statusberechtigten Eltern, vorsieht. Im Lichte der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) sind nur diese Personen in ihrem jeweiligen Verhältnis zueinander als 'Kernfamilie' anzusehen. Das zwischen ihnen allein durch die Geburt oder Adoption bestehende Familienleben (Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 8 EMRK Rz 76) bedarf, um unter den Schutz des Art 8 EMRK zu fallen, keiner zusätzlichen Faktoren wie etwa einer besonderen Abhängigkeit oder eines gemeinsamen Haushalts oder eines Naheverhältnisses von vergleichbarem Gewicht zwischen den Familienangehörigen, die bei Hinwegdenken des Verwandtschaftsverhältnisses als schutzwürdiges Privatleben im Sinne des Art 8 EMRK zu qualifizieren wären.

Daraus folgt, dass § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, soweit er das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen ledigen Kindern betrifft, allein den Schutz des Familienlebens – und hier wiederum nur der 'Kernfamilie', aber nicht der 'erweiterten Familie' (zB Geschwister zueinander, Kinder und Großeltern zueinander etc.) – und nicht den Schutz des Privatlebens im Sinne des Art 8 EMRK bezweckt. § 34 AsylG 2005 ist daher grundsätzlich auch dann anzuwenden, wenn zwischen dem Kind und dem Elternteil kein wie immer geartetes, für ein Familienleben typisches Naheverhältnis bestanden hat; Aspekte des Privatlebens (in dessen Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR zu Art 8 EMRK) sind somit nicht relevant für den im Rahmen der Anwendung des § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 maßgeblichen Beurteilungsmaßstab.

Um die Stabilität des Verbands der Kernfamilie im Bundesgebiet in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht zu garantieren, sollen Eltern und deren Kinder im Rahmen des Familienverfahrens möglichst denselben Schutzstatus erlangen können. Der für das Familienverfahren maßgebliche Angehörigenbegriff gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 ermöglicht es daher im Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, den einem Angehörigen zuerkannten Schutzstatus im Familienverfahren 'in beide Richtungen' abzuleiten. Im Rahmen des Familienverfahrens kann also nicht nur das minderjährige ledige Kind den seinen Eltern zukommenden Schutzstatus, sondern es können auch die Eltern den ihrem minderjährigen ledigen Kind zukommenden Schutzstatus zuerkannt erhalten, wobei die jeweils 'stärkere' Berechtigung vorgeht (§34 Abs 4 zweiter Satz AsylG 2005). Die 'Ableitung' des Schutzstatus 'in beide Richtungen' und die daraus folgende aufenthaltsrechtliche Gleichbehandlung sämtlicher Mitglieder der Kernfamilie sind auch im Interesse bestmöglicher Wahrung der Stabilität des betreffenden Familienverbandes sachlich gerechtfertigt.

3.3.2. Verhältnis zwischen Kind und gesetzlichem Vertreter, der kein Elternteil ist

Soweit § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 den gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen ledigen Kindes in das Familienverfahren einbezieht, kann es sich dabei nur um eine Person handeln, der die gesetzliche Vertretung nicht bereits kraft ihrer Eigenschaft als Elternteil zukommt. Gesetzlicher Vertreter im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 ist also notwendigerweise eine Person, die nicht bereits Teil der nach Art 8 EMRK jedenfalls schutzwürdigen 'Kernfamilie' ist.

Das Verhältnis zwischen dem Kind und einem – notwendigerweise außerhalb der Kernfamilie stehenden – Dritten, dem nur die gesetzliche Vertretung dieses Kindes übertragen worden ist, ist jedenfalls bloß vorübergehender Natur (vgl § 183 Abs 1 iVm 158 Abs 1 ABGB, wonach die Obsorge für das Kind und insbesondere dessen gesetzliche Vertretung mit dem Eintritt der Volljährigkeit enden). Zwischen Kind und gesetzlichem Vertreter besteht zudem nicht notwendigerweise ein Verhältnis, das gleich einer 'Kernfamilie' dem Schutz des Art 8 EMRK jedenfalls unterfällt (, unter Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe, zur Obsorgeberechtigung von Pflegeeltern). Selbst wenn zwischen Kind und gesetzlichem Vertreter ein nach Art 8 EMRK maßgebliches Familien- oder Privatleben im Einzelfall vorliegen sollte, kann dessen Schutzwürdigkeit durch die Existenz der Eltern – oder der Adoptiveltern – und das zu diesen weiterhin bestehende Familienleben maßgeblich relativiert sein (vgl zB : Unzulässige Verneinung eines schutzwürdigen Familienlebens zwischen dem Vater und seinem bei Pflegeeltern lebenden minderjährigen Sohn, auch wenn letzteren die Obsorge und damit die gesetzliche Vertretung zukommt).

Im Verhältnis zwischen einem gesetzlichen Vertreter, der kein Elternteil ist, und dem minderjährigen ledigen Kind tritt daher der Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK, dem § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 im Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern in erster Linie dient, als Regelungszweck in den Hintergrund. In den Vordergrund tritt demgegenüber die Umsetzung des Art 1 zweiter Satz BVG Kinderrechte, wonach bei allen Maßnahmen öffentlicher Stellen, die Kinder betreffen, somit auch bei der aufenthaltsrechtlichen Gestaltung des Verhältnisses zwischen – jeweils nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden – Kindern und ihren gesetzlichen Vertretern das Kindeswohl eine vorrangige Erwägung zu sein hat. Zweck des § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, soweit er das Verhältnis zwischen dem Kind und dem obsorgeberechtigten Dritten betrifft, ist es im Lichte des Art 1 zweiter Satz BVG Kinderrechte in erster Linie, das Kindeswohl in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht dergestalt abzusichern, dass der Dritte die Obsorge und insbesondere die gesetzliche Vertretung möglichst ungestört und wirksam ausüben kann.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, dass der dem gesetzlichen Vertreter zuerkannte Status zumindest nicht schlechter als der dem Kind zuerkannte Status ist. Es muss daher im Familienverfahren möglich sein, den dem Kind zuerkannten Status auf den gesetzlichen Vertreter zu 'übertragen'. Dieser Anforderung kommt § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 nach, indem er es dem gesetzlichen Vertreter ermöglicht, im Wege der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens denselben Status zu erlangen, der dem vertretenen Kind zuerkannt wurde. Umgekehrt ist es für eine ungestörte Ausübung der gesetzlichen Vertretung jedoch unschädlich, wenn der Vertreter in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht bessergestellt ist als das von ihm vertretene Kind, also etwa den Status des Asylberechtigten innehat, während das Kind nur subsidiär schutzberechtigt ist. Zum Schutz des Kindeswohls ist es nach Auffassung der Bundesregierung nicht geboten, die Übertragung eines dem gesetzlichen Vertreter zuerkannten 'besseren' aufenthaltsrechtlichen Status auf das Kind zu ermöglichen.

3.4. Zur sachlichen Rechtfertigung einer Verschiedenbehandlung

3.4.1. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss im Hinblick auf die Frage, ob die § 2 Abs 1 Z 22 und 34 AsylG [2005] eine unsachliche Differenzierung vornimmt, nach Ansicht der Bundesregierung einen nicht maßgeblichen Vergleich angestellt hat. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es nämlich nicht darauf an, wie sich die rechtliche Situation des statusberechtigten gesetzlichen Vertreters gegenüber der rechtlichen Situation des seiner Obsorge unterstehenden statusberechtigten Kindes darstellt. Vielmehr ist einerseits zwischen der Situation eines minderjährigen Statusberechtigten, der über einen Elternteil (oder einen Adoptivelternteil) im Familienverband verfügt, und jener eines minderjährigen Statusberechtigten, der lediglich über einen Obsorgeberechtigten verfügt, bzw zwischen der Situation eines erwachsenen Statusberechtigten, der über ein Kind im Familienverband verfügt, und jener eines erwachsenen Statusberechtigten, der bloß die Obsorge für ein minderjähriges Kind innehat, zu vergleichen.

3.4.2. Eine Verschiedenbehandlung zwischen diesen Gruppen erscheint vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Regelungszwecke – die 'beiderseitige Übertragbarkeit' des einem Familienangehörigen zuerkannten Schutzstatus im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern dient dem Schutz der Kernfamilie, die 'einseitige' Übertragbarkeit zwischen dem Kind und dem gesetzlichen Vertreter hingegen in erster Linie der Wahrung des Kindeswohls – sachlich gerechtfertigt. So soll die vorgesehene Möglichkeit der Ableitung des Status des minderjährigen Kindes durch seinen gesetzlichen Vertreter dem – von diesem Vertreter abhängigen – Kind eine entsprechende Lebensführung in Österreich ermöglichen. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis besteht jedoch umgekehrt nicht, weshalb ein Recht zur Ableitung des dem gesetzlichen Vertreter zuerkannten Status durch das Kind nicht vorgesehen ist. Im Übrigen würde, eine Übertragung der dem gesetzlichen Vertreter zuerkannten Statusberechtigung auf das Kind ihrerseits zu einer Ungleichbehandlung in jenen Fällen führen, in denen neben dem gesetzlichen Vertreter noch Eltern existieren, für die sich nach Statuszuerkennung an das Kind die Frage einer Familienzusammenführung bzw einer Wahrung des Familienverbandes stellt.

3.4.3. Dass die Bezugsperson die Zuerkennungsvoraussetzungen jenes Aufenthaltsstatus, den in weiterer Folge die übrigen Angehörigen abgeleitet erlangen können, in eigener Person erfüllen muss, entspricht der Funktionslogik nicht nur des § 34 AsylG 2005, sondern auch des Art 23 Abs 2 iVm Art 24 der Statusrichtlinie (der die Erteilung des Aufenthaltstitels – ebenso wie § 34 AsylG 2005 den abgeleiteten Erwerb des Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten – an den Familienangehörigen davon abhängig macht, dass die Bezugsperson in eigener Person die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes erfüllt). Für die Optionen der Familienzusammenführung bzw der Wahrung des Familienverbandes, die den übrigen Angehörigen offenstehen, ist der Aufenthaltsstatus dieser Bezugsperson ausschlaggebend. Könnte nun das Kind den seinem gesetzlichen Vertreter zuerkannten Status von diesem abgeleitet erlangen, ohne die maßgeblichen Zuerkennungsvoraussetzungen selbst zu erfüllen, und existieren neben dem gesetzlichen Vertreter noch Eltern, für die sich nach Statuszuerkennung an das Kind die Frage einer Familienzusammenführung stellt, so würde als Bezugsperson für diese Familienzusammenführung also der gesetzliche Vertreter selbst fungieren.

Da der gesetzliche Vertreter – der Funktionslogik des Art 23 Abs 2 iVm 24 der Statusrichtlinie und des Familienverfahrens entsprechend – als Bezugsperson anzusehen wäre, würden die konkreten rechtlichen Möglichkeiten der Eltern, eine Familienzusammenführung mit dem Kind herbeizuführen, weder von ihrer eigenen persönlichen Situation noch von der des Kindes, sondern von der persönlichen Situation des gesetzlichen Vertreters abhängig sein. Dies aber bedeutet, dass die Familienzusammenführung aus der Perspektive der Eltern und des Kindes von einer reinen Zufälligkeit – nämlich davon, welche Zuerkennungsvoraussetzungen der außerhalb der Kernfamilie stehende gesetzliche Vertreter aus Eigenem erfüllt – abhängig wäre und dementsprechend sowohl Kinder, die jeweils die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer bestimmten Statusberechtigung in eigener Person erfüllen, als auch deren Eltern ungleich behandelt würden. Es wäre damit zugleich die Funktionslogik der Art 23 Abs 2 iVm 24 der Statusrichtlinie und des Familienverfahrens außer Kraft gesetzt. Für eine solche auf dem Zufall beruhende Ungleichbehandlung ist nach Auffassung der Bundesregierung keine sachliche Rechtfertigung im Lichte des Art 1 BVG Rassendiskriminierung in seiner Auslegung durch die ständige Rechtsprechung des VfGH ersichtlich.

Um also in Fällen, in denen neben dem gesetzlichen Vertreter eines statusberechtigten Kindes noch Eltern existieren, zu verhindern, dass die Möglichkeiten der Familienzusammenführung mit diesen Eltern in einer mit Art 1 BVG Rassendiskriminierung – und wohl auch mit Art 1 BVG Kinderrechte sowie Art 8 EMRK – nicht zu vereinbarenden Weise vom Zufall abhängen, ist es sachlich gerechtfertigt und zur Wahrung des Kindeswohls auch geboten, einen abgeleiteten Erwerb der dem gesetzlichen Vertreter zuerkannten Statusberechtigung für das Kind gerade nicht zu ermöglichen. Dem Gebot der Gleichbehandlung in diesen Fällen entspricht es vielmehr, für die Frage der Familienzusammenführung – wie in den § 34 iVm 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 vorgesehen – an jenen Aufenthaltsstatus anzuknüpfen, dessen Zuerkennungsvoraussetzungen das Kind aus Eigenem erfüllt.

4. Unionsrechtliche Vorgaben

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs gegen die § 2 Abs 1 Z 22 und 34 Abs 1, 2 und 5 AsylG 2005 beruhen auf dem Recht von Fremden auf Gleichbehandlung untereinander (Art1 BVG Rassendiskriminierung) und auf der Verpflichtung öffentlicher Stellen zum vorrangigen Schutz des Kindeswohls (Art1 BVG Kinderrechte). Gleichartige Verbürgungen enthalten die Unionsgrundrechte, im vorliegenden Fall Art 20 der EU-Grundrechtecharta (Gleichheit vor dem Gesetz) und Art 24 Abs 2 leg. cit. (Rechte des Kindes). Art 20 und 24 Abs 2 der EU-Grundrechtecharta sind als allgemeine Menschenrechte und nicht bloß als Unionsbürgerrechte ausgestaltet. Sie sind daher für Drittstaatsangehörige im Asylverfahren maßgeblich und waren infolgedessen vom Unionsgesetzgeber bei der Erlassung der Statusrichtlinie, deren Art 23 Abs 2 iVm 24 die in Prüfung gezogenen Bestimmungen umsetzen sollen, zu berücksichtigen (Art51 Abs 1 erster Satz der EU-Grundrechtecharta).

Die aufenthaltsrechtliche Verschiedenbehandlung des minderjährigen ledigen Kindes einerseits und seines gesetzlichen Vertreters andererseits im Rahmen des Familienverfahrens ist unionsrechtlich durch die Definition des Familienangehörigen in Art 2 litj der Statusrichtlinie vorgegeben. Nach dem 3. Gedankenstrich dieser Bestimmung ist im Verhältnis zu einem minderjährigen und unverheirateten statusberechtigten Kind zwar dessen gesetzlicher Vertreter als Familienangehöriger anzusehen, nach dem 2. Gedankenstrich hingegen nicht das minderjährige unverheiratete Kind im Verhältnis zu seinem statusberechtigten gesetzlichen Vertreter. Daraus folgt, dass das minderjährige unverheiratete Kind keinen Anspruch auf die in den Art 24 ff. der Statusrichtlinie genannten Leistungen hat, wenn 'bloß' seinem gesetzlichen Vertreter internationaler Schutz zuerkannt worden ist (und seinem Anspruch auf Schutz des Privat- oder Familienlebens nach Art 7 der EU-Grundrechtecharta daher gegebenenfalls unter Rückgriff auf Instrumente des nationalen Rechts, etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005, Rechnung zu tragen wäre). Dies entspricht der innerstaatlichen Regelung des § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, soweit diese es dem minderjährigen ledigen Kind nicht ermöglicht, den seinem gesetzlichen Vertreter zuerkannten Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten im Wege der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz abgeleitet im Familienverfahren zuerkannt zu erhalten.

Vor dem Hintergrund dieser grundrechtlichen Bindung ist der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber den Begriff des Familienangehörigen nach Art 2 litj der Statusrichtlinie und damit den persönlichen Anwendungsbereich der der Wahrung des Familienverbandes dienenden Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechend ausgestaltet hat, nach Auffassung der Bundesregierung als maßgebliches Indiz dafür anzusehen, dass die der Umsetzung der Art 2 litj und 23 Abs 2 der Statusrichtlinie dienenden § 2 Abs 1 Z 22 sowie 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 mit den unionsrechtlichen Grundrechten vereinbar sind. Denn wenn es im Lichte der Art 20 und 24 Abs 2 EU-Grundrechtecharta zwingend geboten wäre, einem minderjährigen und unverheirateten Kind eine Ableitung der in den Art 23 ff. der Statusrichtlinie definierten Rechtsstellung von seinem gesetzlichen Vertreter, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, zu ermöglichen, so ist davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber die Legaldefinition des Art 2 litj leg. cit. so ausgestaltet hätte, dass das minderjährige unverheiratete Kind im Verhältnis zum gesetzlichen Vertreter zwingend als Familienangehöriger anzusehen ist, statt den Mitgliedstaaten bloß eine entsprechende Umsetzungsoption (Art23 Abs 5 der Statusrichtlinie) zu eröffnen.

5. Praktische Konsequenzen einer Aufhebung

Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sollen einerseits eine Vereinfachung und Straffung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband bewirken und andererseits die unionsrechtlichen Vorgaben zu der in bestimmten Fällen verpflichtend vorzusehenden Familienzusammenführung bzw Wahrung des Familienverbandes nach der Familienzusammenführungsrichtlinie und der Statusrichtlinie umsetzen.

Eine Aufhebung des Abs 1 Z 1 und 3 sowie der Abs 2 und 4 des § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, welche auf Sachverhalte anzuwenden sind, in denen es sich bei der Bezugsperson des Familienangehörigen um einen Asylberechtigten oder Asylwerber handelt, hätte einerseits zur Folge, dass die Behandlung eines von einem Familienangehörigen gestellten Antrags auf internationalen Schutz nach den allgemeinen asylrechtlichen Bestimmungen, also in Form einer Einzelfallprüfung, ob der Familienangehörige aus Eigenem die Voraussetzungen zur Zuerkennung von internationalem Schutz erfüllt, zu erfolgen hat. Über im Familienverband gestellte Asylanträge könnte daher mit Aufhebung der oz. Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 künftig nicht mehr beschleunigt abgesprochen werden (zum Zweck der Norm siehe auch die näheren Ausführungen unter Punkt I.4.).

Darüber hinaus hätte ein Entfall des § 34 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 sowie der Abs 2 und 4 leg. cit. zur Folge, dass es in jenen Fällen, in denen sich – wie im Sachverhalt des Anlassverfahrens – sämtliche Mitglieder des Familienverbandes als Asylwerber im Bundesgebiet aufhalten, keine Möglichkeit mehr gäbe, die unionsrechtlich gebotene Wahrung des Familienverbandes in einer der Statusrichtlinie entsprechenden Weise zu gewährleisten (vgl Art 23 iVm Art 2 litj der Statusrichtlinie, der auf Fälle anzuwenden ist, in denen sich die Familienangehörigen 'im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten'). Erfüllt demnach der Familienangehörige eines Asylwerbers, dem in weiterer Folge internationaler Schutz zuerkannt wird und mit dem er gemeinsam eingereist ist, nicht aus Eigenem die Voraussetzungen für die Zuerkennung von internationalem Schutz, wäre die Gewährung eines Verbleibs im Bundesgebiet zum Zwecke der Wahrung der Familieneinheit gesetzlich nicht mehr vorgesehen. Auch bei Unanwendbarkeit des Familienverfahrens käme gemäß § 58 Abs 2 AsylG 2005 zwar grundsätzlich die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK (§55 AsylG 2005) an den Familienangehörigen in Betracht. Diese Möglichkeit würde jedoch hinter den Anforderungen des Unionsrechts zurückbleiben, weil Art 23 Abs 2 iVm 24 der Statusrichtlinie für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an den Familienangehörigen die bloße Angehörigeneigenschaft genügen lässt, während die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK eine umfassende, auch andere Faktoren als die Angehörigeneigenschaft berücksichtigende Einzelfallprüfung (§9 Abs 2 BFA-VG) voraussetzt.

Durch die Aufhebung des § 34 Abs 1 Z 3 und Abs 2 und 4 AsylG 2005 würde insoweit eine unionsrechtswidrige Rechtslage entstehen. Während nämlich – wie weiter unten ausgeführt wird – noch im Ausland befindlichen Familienangehörigen von Fremden, denen der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, unter Umständen eine Familienzusammenführung nach den Bestimmungen des NAG offen steht, ist dies angesichts des im NAG geltenden Grundsatzes der Auslandsantragstellung (§21 Abs 1 NAG) für Familienangehörige von Fremden, denen der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, die gemeinsam mit diesem (idR unrechtmäßig) eingereist und – nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens – unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sind, nicht vorgesehen.

Der gänzliche Entfall des § 34 Abs 2 und 4 AsylG 2005 würde bewirken, dass es dem außerhalb des Bundesgebiets befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, nicht mehr möglich wäre, einen Antrag auf Erteilung eines Visums nach § 35 AsylG 2005 zu stellen. Dieses dient entsprechend § 26 FPG dem Zweck, die Stellung eines – nur im Inland zulässigen – Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens zu ermöglichen. Mangels Anwendbarkeit des Familienverfahrens infolge einer Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen könnte dieser Zweck durch die Erteilung des Visums aber nicht mehr erreicht werden, sodass der Erteilung eines solchen Visums an die Angehörigen eines Asylberechtigten nach § 35 AsylG 2005 der Boden entzogen wäre. Da eine Familienzusammenführung durch Inanspruchnahme des § 35 iVm § 34 AsylG 2005 nicht mehr möglich wäre, käme für im Ausland befindliche Familienangehörige eines in Österreich lebenden Asylberechtigten eine Familienzusammenführung nur mehr im Rahmen des § 46 Abs 1 Z 2 litc NAG in Betracht, dies jedoch nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (vgl ).

In Bezug auf das von § 34 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 erfasste Verhältnis zwischen dem Familienangehörigen und seiner subsidiär schutzberechtigten Bezugsperson wird abschließend angemerkt, dass diese Bestimmung – angesichts des ausdrücklich von der Prüfung ausgenommenen § 34 Abs 3 AsylG 2005, welcher für diese Fälle die materiellen Zuerkennungsvoraussetzungen regelt – offenkundig nicht vom VfGH in Prüfung zu ziehen ist und sohin keine Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Aufhebung derselben vorliegen. Für die von § 34 Abs 3 AsylG 2005 erfassten Fälle (Verhältnis zwischen Familienangehörigem und einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde) sollen daher offenbar weiterhin die Bestimmungen über das Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 zur Anwendung gelangen, wiewohl die obigen Ausführungen gleichermaßen für eine allfällige Aufhebung der für diese Verhältnisse geltenden Bestimmungen gelten würden.

6. Zusammenfassend ist die Bundesregierung aus den oben angeführten Gründen der Ansicht, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht verfassungswidrig sind.

[…]"

4. Am stellte das Bundesverwaltungsgericht fünf gleichlautende Gesetzesprüfungsanträge (protokolliert zu den Zahlen G117/2020, G118/2020, G119/2020, G120/2020, G121/2020), in denen jeweils beantragt wird, § 2 Abs 1 Z 22 und § 34 Abs 1, 2, 4, 5 AsylG 2005 als verfassungswidrig aufzuheben. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich in seinen Ausführungen den vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken an.

5. Der Verfassungsgerichtshof führte zu diesen Anträgen im Hinblick auf § 19 Abs 3 Z 4 VfGG kein weiteres Verfahren durch.

II. Rechtslage

1. § 2 Abs 1 Z 22 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005AsylG 2005), BGBl I 100 idF BGBl I 56/2018, lautet auszugsweise wie folgt (die vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen bzw die vom Bundesverwaltungsgericht zur Aufhebung beantragten Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

[…]"

2. § 34 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 145/2017, lautet auszugsweise wie folgt (die vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen bzw die vom Bundesverwaltungsgericht zur Aufhebung beantragten Bestimmungen sind hervorgehoben):

"4. Abschnitt

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z 13, BGBl I Nr 84/2017)

3.gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z 13, BGBl I Nr 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 NAG).

"

3. Art 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Statusrichtlinie – Status-RL) lautet auszugsweise wie folgt:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[…]

j) 'Familienangehörige' die folgenden Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

- der Ehegatte der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, oder ihr nicht verheirateter Partner, der mit ihr eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare;

- die minderjährigen Kinder des unter dem ersten Gedankenstrich genannten Paares oder der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, sofern diese nicht verheiratet sind, gleichgültig, ob es sich nach dem nationalen Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt;

- der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist;

[…]"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ging im Prüfungsbeschluss vorläufig von der Präjudizialität des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 und des § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 aus.

1.2. Die Bundesregierung wendet sich im Rahmen ihrer Ausführungen zu den Prozessvoraussetzungen gegen den Prüfungsumfang des Gesetzesprüfungsverfahrens: Sie bringt dazu im Wesentlichen vor, dass die in Prüfung gezogenen Normen im Anlassverfahren nicht präjudiziell seien, weil sich gemäß § 27 Abs 1 iVm § 9 Abs 1 IPRG aus dem afghanischen Recht ergebe, dass der Schwester des Beschwerdeführers bei der Ausreise aus Afghanistan im Herbst 2016 die gesetzliche Vertretung nicht mehr zugekommen sei. Nach afghanischem Recht ende die Vertretungsbefugnis weiblicher Verwandter nämlich von Gesetzes wegen, wenn ein Junge das siebente Lebensjahr vollendet habe. Zum anderen sei selbst unter der Prämisse, dass die Schwester des Beschwerdeführers die in § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 definierte Angehörigeneigenschaft erfülle, der Prüfungsumfang zu weit gezogen. Aus Sicht der Bundesregierung sei daher § 34 Abs 1 Z 1 und 2 sowie Abs 2, 4 und 5 AsylG 2005 nicht präjudiziell.

1.3. Dieses Vorbringen ist nicht berechtigt:

1.4. In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).

1.5. Im vorliegenden Fall erhält die Legaldefinition des Familienangehörigen in § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 ihre rechtliche Bedeutung durch die im Anlassfall einschlägigen Tatbestände des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005, worin auf den Begriff des Familienangehörigen Bezug genommen wird. Zu Anträgen auf Gesetzesprüfung durch ein Gericht hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass für den Fall, dass der Antrag auch Bestimmungen umfasst, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern der Antrag also zu weit gefasst ist), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, zu differenzieren ist:

Sind diese Bestimmungen von den – den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden – präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur partiellen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag aber auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung – im Fall des Zutreffens der Bedenken – erforderlich sein könnte, sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar, so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016; jüngst wieder ). Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof – erweist sich der Antrag als begründet – den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat (zB ; , G151/2019).

1.6. Gleiches gilt sinngemäß für Gesetzesprüfungsverfahren, die der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen eingeleitet hat (zB ). Im Anlassverfahren, das zum Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom geführt hat, hätte sich das Bundesverwaltungsgericht auf Grund des Verwandtschaftsverhältnisses des Beschwerdeführers zu seiner gesetzlichen Vertreterin (Schwester) mit den Voraussetzungen des § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 iVm der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 auseinandersetzen müssen, weil gemäß § 34 Abs 5 AsylG 2005 die Bestimmungen der Abs 1 bis 4 leg. cit. sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Dass das Bundesverwaltungsgericht die Familienangehörigeneigenschaft letztlich verneint hat und im angefochtenen Erkenntnis eine Bezugnahme auf § 34 AsylG 2005 fehlt, vermag hingegen an der Präjudizialität der maßgeblichen Bestimmungen nichts zu ändern.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren im Umfang des § 2 Abs 1 Z 22 iVm § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 als zulässig.

1.7. Auch die zu G117/2020, G118/2020, G119/2020, G120/2020 und G121/2020 protokollierten Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes sind zulässig. Diese betreffen ein beim Bundesverwaltungsgericht anhängiges Beschwerdeverfahren eines Ehepaares und ihrer drei minderjährigen Kinder, deren Anträge auf internationalen Schutz mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen wurden.

2. In der Sache

2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass § 2 Abs 1 Z 22 iVm § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 gegen ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (BGBl 390/1973) verstoße, konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zur Gänze zerstreut werden:

2.2. Der Verfassungsgerichtshof ging im Prüfungsbeschluss vorläufig davon aus, dass im Sinne von ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dahingehend vorliege, dass es zwar dem gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Kindes möglich sei, den Schutzstatus seines Schutzbefohlenen kraft Gesetzes abgeleitet zu erlangen, dies im umgekehrten Fall jedoch nicht vorgesehen sei.

2.3. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung im Wesentlichen die Auffassung, dass das Verhältnis zwischen einem gesetzlichen Vertreter und einem minderjährigen Kind bloß vorübergehender Natur sei. Es liege zudem nicht notwendigerweise ein Verhältnis vor, das jedenfalls – gleich der "Kernfamilie" – dem Schutz des Art 8 EMRK unterliege. Aber selbst wenn zwischen dem Kind und dem gesetzlichen Vertreter ein nach Art 8 EMRK maßgebliches Familienleben vorliege, könne dessen Schutzwürdigkeit durch die Existenz der Eltern – oder der Adoptiveltern – und das zu diesen weiterhin bestehende Familienleben maßgeblich relativiert sein. Zweck des § 34 iVm § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, soweit er das Verhältnis zwischen dem minderjährigen Kind und dem obsorgeberechtigten Dritten betreffe, sei im Lichte des Art 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern (BGBl I 4/2011), das Kindeswohl in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht dergestalt abzusichern, dass der Dritte die gesetzliche Vertretung möglichst ungestört und wirksam ausüben könne. Zu diesem Ziel sei es notwendig, dass der dem gesetzlichen Vertreter zuerkannte Status nicht schlechter sei als der dem minderjährigen Kind zuerkannte Status. Aus Sicht der Bundesregierung sei es hingegen nicht geboten, die Übertragung eines dem gesetzlichen Vertreter zuerkannten "besseren" aufenthaltsrechtlichen Status auf das von ihm vertretene Kind zu ermöglichen. Auch sei die Verschiedenbehandlung zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem von ihm vertretenen Kind durch unterschiedliche Regelungszwecke bedingt: Die in beide Richtungen mögliche Übertragbarkeit des einem Familienangehörigen zuerkannten Schutzstatus im Verhältnis zwischen Eltern und Kind diene dem Schutz der Kernfamilie; die nur in eine Richtung mögliche Übertragbarkeit zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem Kind diene hingegen dem Kindeswohl.

2.4. ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung enthält das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist (s etwa VfSlg 14.650/1996, 16.080/2001).

2.5. Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ergibt sich zunächst nur, dass die Aufnahme des gesetzlichen Vertreters in die Definition des Familienangehörigen in § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 in Umsetzung von Art 2 litj dritter Gedankenstrich der Status-RL erfolgt sei (EBRV 2144 BlgNR 24. GP, 17). Im Erwägungsgrund 19 der Status-RL wird hiebei insbesondere betont, dass "den unterschiedlichen besonderen Umständen der Abhängigkeit Rechnung zu tragen [ist]". Der Bundesregierung ist aber beizupflichten, dass der Regelungszweck des § 2 Abs 1 Z 22 iVm § 34 AsylG 2005 offensichtlich darin besteht, dem gesetzlichen Vertreter, der nicht Elternteil ist, die Wahrnehmung seiner Aufgaben in Bezug auf den von ihm Vertretenen auch im schutzgewährenden Staat zu ermöglichen, und zwar derart, dass der dem Vertretenen gewährte Schutz auf den gesetzlichen Vertreter erstreckt wird. Der praktisch häufigste Fall ist hier die Vertretung von Minderjährigen; die Regelung dient in diesen Fällen dem Kindeswohl.

2.6. Ein minderjähriges Kind steht zu seinem gesetzlichen Vertreter in vielen Fällen in einem Verhältnis, das dem zwischen Eltern und Kind entspricht, wie es von § 34 AsylG 2005 besonders geschützt wird. Derartige Fälle werden aber von der in Rede stehenden Regelung – die insbesondere das Kindeswohl schützen soll – nicht ausreichend berücksichtigt, weil damit keine Ableitung des Schutzstatus vom gesetzlichen Vertreter auf das Kind ermöglicht wird, auch wenn zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem Vertretenen ein Eltern-Kind-ähnliches Verhältnis, wie oben beschrieben, vor der Einreise besteht. Damit erweist sich die Regelung als in sich unsachlich und steht im Widerspruch zu ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (vgl Nedwed, Familienverfahren – Schutz des Einzelnen und des Kollektivs, in Filzwieser/Taucher [Hrsg.], Jahrbuch Asyl und Fremdenrecht 2019 [2019] 207 [223]).

2.7. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass er im Falle der Verfassungswidrigkeit von Gesetzesbestimmungen diese in einem Umfang aufzuheben hat, dass die Verfassungswidrigkeit beseitigt wird, dass dabei aber einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden soll, als Voraussetzung für die Entscheidung im Anlassfall ist, und andererseits der verbleibende Teil des Gesetzes eine möglichst geringe Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Da beide Ziele gleichzeitig nie vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (zB VfSlg 11.190/1986, 14.805/1997, 16.203/2001).

2.8. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass sich der Sitz der angenommenen Verfassungswidrigkeit ausschließlich in § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 befindet und dies den geringstmöglichen Aufhebungsumfang im Hinblick auf den dem Anlassfall zugrunde liegenden Sachverhalt darstellt.

2.9. Auf die weiteren im Prüfungsbeschluss aufgeworfenen Bedenken ist daher nicht einzugehen.

IV. Ergebnis

1. § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl I 56/2018 ist wegen Verstoßes gegen ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2. § 34 Abs 1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 idF BGBl I 145/2017 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Ebenso werden die dagegen gerichteten Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes abgewiesen.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.

4. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:G298.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Kinder, Vertreter, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang

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