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VfGH vom 05.03.1998, g284/97

VfGH vom 05.03.1998, g284/97

Sammlungsnummer

15117

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Regelungen des AlVG betreffend ein zwingendes Anknüpfen an frühere Einkommen- bzw Umsatzsteuerbescheide bei Beurteilung der Überschreitung der einem Arbeitslosenbezug nicht im Wege stehenden Geringfügigkeitsgrenze im Fall einer selbständigen Erwerbstätigkeit

Spruch

I.1. Die Worte "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im ersten Halbsatz der Z 1 des § 36a Abs 5 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, idF des ArtIV Z 8 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 411/1996, sowie § 36b Abs 1 und der letzte Satz des § 36b Abs 2 des AlVG, beide idF ArtXXII Z 3 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 297/1995, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

2. § 12 Abs 9 sowie der zweite Satz des § 12 Abs 10 AlVG idF des ArtI Z 6 und 7 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993 treten wieder in Wirksamkeit.

3. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II.Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B722/96 eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Der Beschwerdeführer stellte, nachdem er seinen Arbeitsplatz verloren hatte, am bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Diese wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Abs 1 Z 1 iVm § 12 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. 609/1977 "in geltender Fassung", mangels Arbeitslosigkeit des Antragstellers ab.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol (Ausschuß für Leistungsangelegenheiten des Landesdirektoriums) vom abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, daß Einkommen und Umsatz aus der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers über der Geringfügigkeitsgrenze lägen, sodaß Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes nicht gegeben sei. Der Berechnung des Einkommens und des Umsatzes aus selbständiger Erwerbstätigkeit legte die belangte Behörde gemäß § 36a Abs 5 Z 1 und § 36b Abs 2 letzter Satz AlVG den an den Beschwerdeführer ergangenen Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheid betreffend 1994 zugrunde.

2. a) Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am gemäß Art 140 Abs 1 B-VG - aus den unter Pkt. 3. wiedergegebenen Gründen - beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des § 36a Abs 5 Z 1 und des § 36b AlVG idF BGBl. 297/1995 von Amts wegen zu prüfen.

b) Diese Bestimmungen (soweit nicht ausdrücklich andere Fassungen genannt sind, wird im folgenden das AlVG idF des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. 297/1995, wiedergegeben) stehen in folgendem rechtlichen Kontext:

aa) Gemäß § 7 Abs 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist (Z1), die Anwartschaft erfüllt (Z2) und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat (Z3). Gemäß § 12 Abs 1 gilt als arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Nach § 12 Abs 3 gilt u.a. nicht als arbeitslos, wer in einem Dienstverhältnis steht (lita) oder - was für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist - selbständig erwerbstätig ist (litb). Als Gegenausnahme hiezu normiert § 12 Abs 6 AlVG idF BGBl. 297/1995, daß jedoch u.a. als arbeitslos gilt,

"a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs 2 lita bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt,

...

b) wer einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb besitzt, dessen nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften festgestellter Einheitswert 54 000 Schilling nicht übersteigt;

c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus ein Einkommen gemäß § 36a erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit einen Umsatz gemäß § 36b erzielt, wenn weder das Einkommen noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs 2 lita bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge übersteigt".

Die sogenannte Geringfügigkeitsgrenze betrug 1995 monatlich S 3.452,-- brutto, 1996 lag sie bei S 3.600,-- (s. jeweils § 2 Z 3 der Kundmachungen BGBl. 1026/1994 und BGBl. 808/1995).

bb) Gemäß § 36a Abs 2 AlVG idF BGBl. 297/1995 ist Einkommen im Sinne des AlVG das Einkommen gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 in der jeweils geltenden Fassung, zuzüglich der Hinzurechnungen gemäß Abs 3 und des Pauschalierungsausgleiches gemäß Abs 4. Einkommensteile, die mit dem festen Satz des § 67 oder mit den Pauschsätzen des § 69 Abs 1 EStG 1988 zu versteuern sind, bleiben außer Betracht.

§36a Abs 5 - die in Prüfung genommene Z 1 ist hervorgehoben - bestimmt sodann:

"(5) Das Einkommen ist wie folgt nachzuweisen:

1. bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr,

2. bei Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit durch die Vorlage einer aktuellen Lohnbestätigung,

3. bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, die nach Durchschnittssätzen (§17 EStG 1988) ermittelt werden, durch Vorlage des zuletzt ergangenen Einheitswertbescheides und

4. bei steuerfreien Bezügen durch eine Bestätigung der bezugsliquidierenden Stelle."

(Durch ArtIV Z 8 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996 (SRÄG 1996), BGBl. 411/1996, wurde dem in Prüfung genommenen Satz ein Halbsatz hinzugefügt, sodaß der in Prüfung stehende Satz derzeit als erster Halbsatz des § 36a Abs 5 Z 1 AlVG idF SRÄG 1996 in Geltung steht.)

Über Sonderausgaben, allfällige steuerfreie Bezüge und Beträge gemäß Abs 3 Z 2 ist eine Erklärung abzugeben (§36a Abs 6 AlVG).

Der mit "Umsatz" überschriebene § 36b AlVG idF BGBl. 297/1995 lautet:

"§36b. (1) Der Umsatz im Sinne dieses Bundesgesetzes wird auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr vor dem Jahr, in dem eine Leistung nach diesem Bundesgesetz beantragt wird, festgestellt. Als monatlicher Umsatz gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag.

(2) Liegt kein rechtskräftiger Umsatzsteuerbescheid vor, weil die selbständige Erwerbstätigkeit nicht umsatzsteuerpflichtig ist oder die Tätigkeit erst in dem Jahr, in dem eine Leistung nach diesem Bundesgesetz beantragt wird oder im Jahr davor begonnen wurde, so ist der Umsatz auf Grund einer Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen. Ist für das letzte Kalenderjahr noch kein Bescheid ergangen, so ist der zuletzt ergangene heranzuziehen."

(Durch ArtIV Z 9 SRÄG 1996 wurde im ersten Satz des Abs 2 des § 36b nach dem Wort "Umsatz" die Wortfolge "der jeweils letzten drei Monate" eingefügt. Abs 1 sowie der letzte Satz des Abs 2 des § 36b stehen auch nach Wirksamwerden des SRÄG 1996 in jener Fassung in Geltung, die sie durch das Strukturanpassungsgesetz 1995 erhalten haben.)

§36c Abs 1 verpflichtet Personen, deren Einkommen oder Umsatz zur Feststellung des Anspruches auf Leistungen nach dem AlVG heranzuziehen ist, die erforderlichen Erklärungen und Nachweise auf Verlangen der Behörde abzugeben bzw. vorzulegen. Im Zusammenhang damit bestimmt § 36c Abs 6:

"(6) Wenn der Leistungsbezieher oder dessen Angehöriger (Lebensgefährte) keine Nachweise nach § 36a Abs 5 und § 36b Abs 2 vorlegt bzw. keine Erklärung nach § 36a Abs 6 und § 36b Abs 2 abgibt, so ist für den Leistungsbezieher kein geringfügiges Einkommen anzunehmen bzw. kein Anspruch des Leistungsbeziehers auf Familienzuschlag, auf Karenzurlaubsgeld und auf Notstandshilfe gegeben."

§36c Abs 5 legt Personen, deren Einkommen oder Umsatz aus selbständiger Erwerbstätigkeit für die Beurteilung des Anspruches auf eine Leistung nach dem AlVG herangezogen wurde, die Pflicht auf, den Einkommen- bzw. den Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr, in dem die Leistung bezogen wurde, innerhalb einer bestimmten Frist nach dessen Erlassung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle vorzulegen.

Stellt sich anhand des den Zeitraum des Leistungsbezuges betreffenden Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheides (nachträglich) heraus, daß der Leistungsbezug nicht oder nicht in der gewährten Höhe gebührte, so ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen (§24 Abs 2 AlVG id Stammfassung). Dem dritten Satz des § 25 Abs 1 AlVG (idF BGBl. 297/1995) zufolge sind Empfänger einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich aufgrund eines nachträglich vorgelegten Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheides ergibt, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (zur Verfassungswidrigkeit der inhaltlich gleichlautenden Vorgängerbestimmungen, das sind § 25 Abs 3 dritter Satz AlVG idF BGBl. 615/1987 bzw. idF BGBl. 416/1992, s. VfSlg. 14095/1995 und 14114/1995).

c) Vor dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. 297/1995, und zwar seit der AlVG-Novelle BGBl. 817/1993, galten Personen, die aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit einen Umsatz erzielten, von dem 11,1 % die durch das ASVG bestimmte Geringfügigkeitsgrenze nicht überstiegen, als arbeitslos (§12 Abs 6 litc AlVG idF BGBl. 817/1993). Gemäß § 12 Abs 9 AlVG (idF BGBl. 817/1993) wurde der Umsatz aufgrund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, festgestellt. Der Leistungsbezieher war nach § 12 Abs 10 AlVG verpflichtet, den Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, innerhalb bestimmter Frist nach dessen Erlassung der zuständigen Behörde vorzulegen. Bis zur Vorlage eines solchen Bescheides war die Frage der Arbeitslosigkeit bzw. der Einkommenshöhe insbesondere aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Umsatzes bzw. seiner Einkünfte, einer allenfalls bereits erfolgten Einkommensteuererklärung bzw. eines Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheides aus einem früheren Jahr vorzunehmen. Des weiteren hatte der Arbeitslose schriftlich seine Zustimmung zur Einholung von Auskünften beim Finanzamt zu erteilen.

In den Erläuterungen zur RV betreffend das Strukturanpassungsgesetz (134 BlgNR 19. GP, 22, 26, 78 f.) werden die Änderungen in § 12 Abs 6 litc, der Entfall des § 12 Abs 9 und 10 und die Neuregelungen der §§36a bis 36c nicht näher erläutert. Nur im AB (149 BlgNR 19. GP, 14) wird darauf hingewiesen, daß bei der Feststellung des Einkommens für die Beurteilung, ob es unter der Geringfügigkeitsgrenze liegt, einerseits bei Dienstverhältnissen wie bisher auf das Entgelt und andererseits bei selbständiger Erwerbstätigkeit sowohl auf das Einkommen als auch auf den Umsatz abgestellt werden soll.

2. In seinem Einleitungsbeschluß ging der Gerichtshof vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig sein dürfte, die belangte Behörde zu Recht ihren abweislichen Bescheid auf § 36a und § 36b AlVG idF BGBl. 297/1995 gestützt habe und diese Bestimmungen daher auch im Verfahren über die Beschwerde präjudiziell sein dürften. Weiters ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß § 36b eine untrennbare Einheit bilde und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen.

Seine Bedenken legte er wie folgt dar:

"Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die Arbeitslosenversicherung Personen, die unselbständig erwerbstätig sind, im Fall des Verlustes ihres Arbeitsplatzes bzw. der Inanspruchnahme eines Karenzurlaubes einen gewissen Ausgleich für den damit verbundenen Einkommensverlust bieten soll. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind demnach Ersatz für fehlendes oder entfallendes Arbeitseinkommen (vgl. Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht3, 17; vgl. auch

VfSlg. 12664/1991). Dieser Ersatz soll nach der Konzeption des Gesetzes (vgl. § 12 Abs 6 AlVG) auch dann geleistet werden, wenn der Anspruchswerber bzw. Leistungsbezieher während des Bezuges eine Erwerbstätigkeit ausübt, aus der er (bloß) einen geringfügigen Ertrag erzielt.

Weder gegen diese Konzeption des AlVG, noch gegen die Unschädlichkeit bloß geringfügiger Einkommen für einen Anspruch, noch gegen die in concreto vorgesehene Einkommensgrenze, noch auch dagegen, daß das Einkommen im Falle selbständiger Erwerbstätigkeit des Anspruchsberechtigten nach den (modifizierten) Regeln des Einkommensteuerrechts ermittelt bzw. aufgrund des Umsatzes berechnet wird, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht (vgl. AB 1332 BlgNR 18. GP), daß die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, wenn 11,1 % des Umsatzes die Grenze überschreitet, hegt der Verfassungsgerichtshof unter dem Gesichtspunkt des Beschwerdefalles Bedenken. Auch hat er keine Bedenken dagegen, daß für selbständig Erwerbstätige die maßgeblichen Vergleichs- und Berechnungsgrößen grundsätzlich unter Heranziehung der zuletzt ergangenenen, also eine nicht mehr aktuelle Einkommens- bzw. Umsatzsituation betreffenden, einschlägigen Steuerbescheide zu ermitteln sind. Es erscheint dem Verfassungsgerichtshof aber vorläufig nicht sachgerecht, im Falle einer bestehenden (oder wiederaufgenommenen) selbständigen Erwerbstätigkeit bei Beurteilung der Frage, ob Arbeitslosigkeit vorliegt, zwingend an die frühere Jahre betreffenden Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheide anzuknüpfen und Abweichungen davon auch im Falle gravierender Änderungen nicht zuzulassen. Denn das dürfte im Ergebnis dazu führen, daß für die Feststellung, ob ein Einkommen vorliegt, das die Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG hindert, zwingend auf ein Einkommen bzw. einen Umsatz abgestellt werden muß, das bzw. der in einer bereits länger zurückliegenden Periode erzielt (getätigt) wurde, wobei die Frage, welche Einkommens- bzw. Umsatzperiode der letzte vorhandene Steuerbescheid betrifft, noch dazu von manipulativen, vom Anspruchsberechtigten respektive Steuerpflichtigen nur zum Teil beeinflußbaren Umständen abhängt (vgl. VfSlg. 10620/1985).

Eine derartige strikte Bindung bei der Feststellung des Einkommens bzw. des Umsatzes dürften die §§36a Abs 5 und 36b Abs 1 erster Satz iVm § 36b Abs 2 letzter Satz AlVG (idF BGBl. 297/1995) aber verfügen: Diese Bestimmungen ordnen an, daß die zuletzt ergangenen Steuerbescheide maßgeblich sind und lassen es anscheinend nicht zu, Änderungen gegenüber den diesen Bescheiden zugrundeliegenden Verhältnissen geltend zu machen bzw. zu berücksichtigen. Die Feststellung des aktuellen Umsatzes - und analog wohl auch des aktuellen Einkommens - aufgrund anderer geeigneter Nachweise (etwa durch Vorlage einer Einnahmen-/Ausgabenrechnung oder eines Kassabuches, durch Vorlage von Umsatzsteuervoranmeldungen und/oder Abgabe einer entsprechend belegten (eidesstattlichen) Erklärung des Anspruchswerbers bzw. Leistungsbeziehers) dürfte seit dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. 297/1995, nur mehr in jenen Fällen zulässig sein, in denen noch überhaupt kein rechtskräftiger Umsatzsteuer-(Einkommensteuer-)Bescheid vorliegt, weil die selbständige Erwerbstätigkeit nicht (umsatz)steuerpflichtig ist oder weil sie erst in dem Jahr, in dem eine Leistung nach dem AlVG beantragt wird, oder im Jahr davor begonnen wurde (vgl. § 36b Abs 2 erster Satz AlVG idF BGBl. 297/1995).

Eine Regelung, die so ausgestaltet ist, daß keine Möglichkeit besteht, auf die aktuelle soziale Situation des Anspruchwerbers oder Leistungsbeziehers Bedacht zu nehmen, scheint mit dem dem Gleichheitsgrundsatz innewohnenden Sachlichkeitsgebot unvereinbar zu sein. Der Verfassungsgerichtshof übersieht dabei nicht, daß gerade bei einer selbständigen Erwerbstätigkeit die verläßliche Ermittlung eines aktuellen Einkommens (Umsatzes) mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Dem Gesetzgeber wäre es - insbesondere im Hinblick auf eine Verwaltungsvereinfachung und der Schaffung einer leicht handhabbaren Regelung - daher auch nicht verwehrt, - ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung - anzunehmen, daß ein Einkommen bzw. ein Umsatz aus einer vergangenen Periode zumindest ein Indikator für die Höhe des aktuellen Einkommens (Umsatzes) sein kann und daran eine (widerlegbare) gesetzliche Vermutung zu knüpfen. Mit Überlegungen der Verwaltungsökonomie dürfte eine Regelung aber dann nicht mehr gerechtfertigt werden können - so nimmt der Verfassungsgerichtshof vorläufig an -, wenn dem Anspruchswerber jede Möglichkeit genommen wird, seine aktuelle Einkommenssituation, auf die es von der Intention der Arbeitslosenversicherung her ankommt, unter Beweis zu stellen. (Selbst im Einkommensteuergesetz 1988, auf das § 36a AlVG Bezug nimmt, besteht die Möglichkeit einer Herabsetzung der (aktuellen) Vorauszahlungen (vgl. § 45 EStG 1988).) Die vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom , Z 96/08/0112, vertretene Ansicht, daß über das Bestehen des Anspruches letztlich erst nach Vorliegen der auf den Zeitraum der Arbeitslosigkeit bezogenen Steuerbescheide entschieden werden könne (und es dann gegebenenfalls zur 'Nachzahlung' von Arbeitslosengeld käme), vernachlässigt den oben hervorgehobenen besonderen Charakter des Arbeitslosengeldes, das eine besondere Hilfe in einer Notlage bieten soll.

Die Regelung dürfte auch nicht mit der Argumentation gerechtfertigt werden können, sie sei erforderlich, um Mißbräuche zu verhindern. Nach § 25 Abs 1 (insbesondere dessen dritter Satz) iVm § 36c Abs 5 AlVG scheint eine Verpflichtung zu bestehen, Leistungsbezieher zur Rückzahlung bezogenen Arbeitslosen- oder Karenzurlaubsgeldes zu verpflichten, wenn sich nachträglich herausstellt, daß das während des Bezuges erzielte Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen ist. Wenn diese Bestimmung - wie sich aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom , G271/94 ua., ergibt - in ihrer konkreten Ausformung auch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, ist - wie der Gerichtshof in der zitierten Entscheidung formuliert hat - nicht in Zweifel zu ziehen, 'daß bei Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze jener Betrag ohne weiteres zur Gänze abgeschöpft werden kann, den der selbständig Tätige neben dem Bezug der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung erwirtschaftet hat (und den er daher neben dem Bezug der Versicherungsleistung vorläufig zurückhalten kann)'."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes zum Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen nicht entgegentritt, sondern lediglich darauf hinweist, daß § 36a Abs 5 Z 1 und § 36b Abs 2 AlVG ihre derzeit geltende Fassung durch ArtIV Z 8 und Z 9 des SRÄG 1996 erhalten haben.

Den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hält die Bundesregierung folgende Argumente entgegen:

"Gemäß § 12 Abs 6 AlVG ist die Gewährung von Arbeitslosengeld davon abhängig, ob aus einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit ein Einkommen erzielt wird, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt.

Die durch das Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, eingefügten §§36a bis 36c des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 haben die Regelungen zur Feststellung des Einkommens eines Arbeitslosen gänzlich neu gefaßt. Gleichzeitig entfielen die §§12 Abs 9 bis 11 und wurde § 36 AlVG einer grundsätzlichen Neufassung unterzogen. Vorbild für diese Neuregelung war das Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305. Dies vor allem hinsichtlich der Feststellung, welche der finanziellen Zuflüsse als Einkommen zu bewerten sind und auch teilweise hinsichtlich des Verfahrens zur Einkommensfeststellung.

Bei der Neuregelung des AlVG wurde nämlich in Abkehr vom bisherigen Verfahren bei Selbständigen, in dem insbesondere auf eidesstattliche Erklärungen und die Überprüfung geeigneter Nachweise abgestellt wurde, eine Regelung eingeführt, die sich auf das Vorliegen eines Einkommensteuer- bzw. Umsatzsteuerbescheides bezieht.

Auch im Studienförderungsgesetz 1992 wird ein 'alter' Einkommensteuerbescheid der Entscheidung für eine gesamtes Studienjahr zugrundegelegt, was bedeutet, daß der Einkommensteuerbescheid von 1996 für die gesamte Studiendauer des Studienjahres 1997/98 herangezogen wird.

Aber auch in anderen Rechtsbereichen finden sich ähnliche Regelungen. So enthielt etwa das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in den Vorschriften über den Familienzuschlag (§§9a bis 9d) die Bestimmung, daß zur Feststellung des Einkommens der Einkommensteuerbescheid oder die Einkommensteuererklärung des Jahres heranzuziehen ist, der vor dem Jahr liegt, für das der Antrag auf Familienzuschlag gestellt wird. Ähnlich ist auch die Regelung für den Mutter-Kind-Paß-Bonus (§38f des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967) ausgestaltet.

Die sachliche Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen kann nach Ansicht der Bundesregierung in Überlegungen der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie einerseits sowie der Gleichbehandlung unselbständig Erwerbstätiger mit selbständig Erwerbstätigen andererseits gesehen werden.

Bei selbständiger Erwerbstätigkeit ergibt sich regelmäßig - wie auch der Verfassungsgerichtshof auf Seite 10 seines Beschlusses ausführt - das Problem der Feststellung des tatsächlichen Einkommens. In der Praxis der Arbeitslosenversicherung hat dies immer wieder zu aufwendigen Prüfungsverfahren mit sich häufig anschließenden Rückforderungen geführt. Auch die Abgabe einer, wenn auch eidesstattlichen Erklärung bzw. die Überprüfung anhand von Kassenbüchern bzw. einer Vielzahl von Rechnungsbelegen kann letztlich nicht die genaue Feststellung des Einkommens eines Selbständigen bewirken. Aus Gründen der Praktikabilität und auch des Vorliegens eines rechtskräftigen Bescheides über das tatsächliche Einkommen bzw. den Umsatz wurde daher nach dem Vorbild des bereits erwähnten Studienförderungsgesetzes 1992 der zuletzt ergangene Bescheid als maßgeblich für die Bemessung des Arbeitslosengeldes gewählt.

Bei der Feststellung des Einkommens aufgrund einer Erklärung bzw. anhand von geeigneten Nachweisen ist auch zu beachten, daß diese im Zusammenhang mit einer entsprechenden Rückforderungsregelung für das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe stehen kann. In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , G271/94 u.a., ausgesprochen, daß die Rückforderung von Arbeitslosengeld aufgrund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuerbescheides nicht zur Gänze zulässig ist, sondern daß die Rückzahlungspflicht maximal das zusätzliche eigene Einkommen betreffen kann. Hat daher jemand 10.000 S monatlich Arbeitslosengeld bezogen und stellt ein nachträglich vorgelegter Einkommensteuerbescheid ein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit von 4.000 S monatlich fest (das bedeutet ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze), so könnte nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht ein Jahresbetrag von 120.000 S, sondern nur ein Betrag von 48.000 S zurückgefordert werden.

Um hier eine Ungleichbehandlung zu Unselbständigen, denen bei Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze um nur einen Schilling sofort die gesamte Leistung aus der Arbeitslosenversicherung entzogen wird, zu vermeiden, wurde eine Lösung dahingehend getroffen, daß von vornherein der zuletzt ergangene Einkommen- oder Umsatzsteuerbescheid heranzuziehen ist. Damit soll sichergestellt sein, daß nicht aufgrund von unzureichenden Geschäftsunterlagen ein geringfügiges Einkommen angenommen werden muß, das sich im Nachhinein dann doch als nicht geringfügig herausstellt."

Die Bundesregierung beantragt dementsprechend die Aussprüche, daß § 36a Abs 5 Z 1 und § 36b Abs 2 AlVG idF BGBl. 297/1995 nicht verfassungswidrig waren und § 36b Abs 1 leg.cit. nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird. Für den Fall der Aufhebung beantragt die Bundesregierung für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. a) Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß das Beschwerdeverfahren, das Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist, hat sich als zutreffend erwiesen.

b) Der Bescheid stützt sich, soweit er das Einkommen des Beschwerdeführers als über der Geringfügigkeitsgrenze liegend qualifiziert und den Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld unter diesem Gesichtspunkt abweist, auf die Z 1 des § 36a Abs 5 AlVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1995, das ist seit der Novellierung dieser Bestimmung durch das SRÄG 1996 der erste Halbsatz der Z 1 des § 36a Abs 5 AlVG. Diese Bestimmung ist daher auch vom Verfassungsgerichtshof anzuwenden. Die Bestimmung steht auch noch in der Fassung in Geltung, die sie durch das Strukturanpassungsgesetz 1995 erhalten hat: Durch die Hinzufügung eines weiteren Halbsatzes zur Z 1 des § 36a Abs 5 AlVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1995 durch das SRÄG 1996, der die Fallkonstellation betrifft, daß ein Einkommensteuerbescheid noch nicht vorliegt, hat der in Prüfung genommene Satz keine Änderung erfahren.

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes richten sich der Sache nach freilich nicht gegen den ganzen in Prüfung gezogenen (Halb-)Satz, sondern nun gegen die Wortfolge "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr". Der Gerichtshof hat es im Prüfungsbeschluß ausdrücklich als unbedenklich qualifiziert,

"daß das Einkommen im Falle selbständiger Erwerbstätigkeit des Anspruchsberechtigten nach den (modifizierten) Regeln des Einkommensteuerrechts ermittelt bzw. aufgrund des Umsatzes berechnet wird ... Auch hat er keine Bedenken dagegen, daß für selbständig Erwerbstätige die maßgeblichen Vergleichs- und Berechnungsgrößen grundsätzlich unter Heranziehung der zuletzt ergangenen, also eine nicht mehr aktuelle Einkommens- bzw. Umsatzsituation betreffenden, einschlägigen Steuerbescheide zu ermitteln sind. Es erscheint dem Verfassungsgerichtshof aber vorläufig nicht sachgerecht, im Falle einer bestehenden (oder wiederaufgenommenen) selbständigen Erwerbstätigkeit bei Beurteilung der Frage, ob Arbeitslosigkeit vorliegt, zwingend an die frühere Jahre betreffenden Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheide anzuknüpfen und Abweichungen davon auch im Falle gravierender Änderungen nicht zuzulassen".

Nun hat der Verfassungsgerichtshof in von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig nie vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 11506/1987 ua.).

Diese Abwägung ergibt im vorliegenden Fall, daß das Verfahren nur hinsichtlich der Wortfolge "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" zulässig ist. Denn durch Aufhebung dieser Wortfolge würde die angenommene Verfassungswidrigkeit, läge sie tatsächlich vor, beseitigt. Zwar erführe der übrige Teil des in Prüfung genommenen (Halb-)Satzes durch die Aufhebung bloß dieser Wortfolge eine Veränderung, doch wäre die Veränderung des Normgehalts insgesamt noch größer, würde der gesamte (Halb-)Satz aufgehoben werden, fiele doch dann die Vorschrift, daß das Einkommen durch einen Einkommensteuerbescheid zu belegen ist, insgesamt weg.

Das Verfahren ist daher, da insoweit auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, soweit es sich auf § 36a Abs 5 Z 1 AlVG bezieht, nur in Ansehung der genannten Wortfolge zulässig, im übrigen aber einzustellen.

c) Soweit der Bescheid den Umsatz des Beschwerdeführers als über der Geringfügigkeitsgrenze liegend qualifiziert und den Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld aus diesem Grunde abweist, stützt er sich auf § 36b Abs 1 iVm dem letzten Satz des § 36b Abs 2 AlVG. Diese Bestimmungen, die nach wie vor in der Fassung in Geltung stehen, die sie durch das Strukturanpassungsgesetz 1995 erhalten haben, sind daher präjudiziell.

Im Prüfungsbeschluß nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß die genannten Bestimmungen in untrennbarem Zusammenhang mit dem übrigen § 36b, also mit dem ersten Satz des zweiten Absatzes dieses Paragraphen stehen. Diese vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes hat sich nicht als zutreffend erwiesen. Der erste Satz des § 36b Abs 2 AlVG regelt den Fall, daß kein rechtskräftiger Umsatzsteuerbescheid vorliegt, während die übrigen Bestimmungen des § 36b AlVG den Fall des Vorliegens eines Umsatzsteuerbescheides zum Gegenstand haben. Da der im Anlaßverfahren bekämpfte Bescheid die Zuerkennung von Arbeitslosengeld aber deswegen versagt, weil nach dem letzten Umsatzsteuerbescheid der Umsatz die Geringfügigkeitsgrenze überschritten hat, sind nur die diese Konstellation betreffenden Bestimmungen, die vom ersten Satz des § 36b Abs 2 durchaus trennbar sind, präjudiziell.

Das Verfahren ist, da insoweit auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, somit hinsichtlich des § 36b Abs 1 sowie des letzten Satzes des § 36b Abs 2 AlVG (idF des Strukturanpassungsgesetzes 1995) zulässig. Hingegen war das Verfahren hinsichtlich des ersten Satzes des § 36b Abs 2 AlVG einzustellen, da diese Bestimmung im Anlaßbeschwerdeverfahren nicht präjudiziell ist und auch in keinem untrennbaren Zusammenhang mit den übrigen in Prüfung genommenen Bestimmungen steht.

2. Die im Prüfungsbeschluß formulierten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung stehenden Regelungen haben sich als zutreffend erwiesen:

Die Bundesregierung hält ihnen insbesondere entgegen, daß die Regelungen aus Gründen der Praktikabilität und der Verwaltungsökonomie zu rechtfertigen seien. In der Tat ist es dem Gesetzgeber im Interesse der Verwaltungsökonomie nicht verwehrt, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen (vgl. VfSlg. 11775/1988). Derartige Gesichtspunkte können aber nicht jede Regelung rechtfertigen, insbesondere dann nicht, wenn die Regelung von Prämissen ausgeht, die den Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechen, oder sonst zu sachwidrigen Ergebnissen führt (vgl. zB VfSlg. 9524/1982, 9624/1983, 13726/1994). Gerade dies wird aber durch die in Prüfung stehenden Bestimmungen bewirkt. Sie führen nämlich dazu, daß sich die Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitsloser für einen bestimmten Zeitraum, für den er Arbeitslosengeld beansprucht, nur einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht, die dem Arbeitslosengeldbezug nicht im Wege steht oder ob er einer Beschäftigung nachgeht, die diese Grenze überschreitet, stets nach den Verhältnissen vergangener Jahre zu erfolgen hat, obwohl es nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine zweifellos nicht unbedeutende Zahl von Fällen gibt, in denen etwa gerade durch den Eintritt der Arbeitslosigkeit oder durch andere Umstände das (umsatzmäßige oder ertragsmäßige) Ergebnis selbständiger Erwerbstätigkeit gravierend verändert wird. Die in Prüfung stehenden Regelungen knüpfen aber im Falle einer bestehenden (oder wieder aufgenommenen) selbständigen Erwerbstätigkeit bei Beurteilung der Frage, ob Arbeitslosigkeit vorliegt, zwingend an die frühere Jahre betreffenden Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheide an und lassen Abweichungen davon nicht einmal im Falle hoher Evidenz (Liquidität) und Gravität zu. Es ist sachwidrig, wenn der Gesetzgeber bei der Beurteilung gegenwärtiger Verhältnisse in einer derartigen Weise strikt an Verhältnisse früherer Zeiträume anknüpft.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Prüfungsbeschluß

ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er keine Bedenken dagegen hat, daß für selbständig Erwerbstätige die maßgeblichen Vergleichs- und Berechnungsgrößen grundsätzlich unter Heranziehung der zuletzt ergangenen, also eine nicht mehr aktuelle Einkommens- bzw. Umsatzsituation betreffenden, einschlägigen Steuerbescheide zu ermitteln sind. Die Regelung ist aber deshalb verfassungswidrig, weil sie es ausschließt, auf die aktuelle soziale Situation des Anspruchswerbers oder Leistungsbeziehers Bedacht zu nehmen und weil sie dem Anspruchswerber jede Möglichkeit nimmt, seine aktuelle Einkommenssituation, auf die es von der Intention der Arbeitslosenversicherung her ankommt, unter Beweis zu stellen.

Die Argumentation der Bundesregierung, das zwingende Abstellen auf frühere Verhältnisse sei erforderlich, um Rückforderungen hintanzuhalten (was im Effekt im Interesse der Gleichbehandlung von geringfügig selbständig und geringfügig unselbständig Erwerbstätigen stehe), leidet schon daran, daß sie ohne jeden Nachweis von der keineswegs auf der Hand liegenden Prämisse ausgeht, daß Arbeitslose in früheren Jahren aus ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit durchwegs geringere Umsätze getätigt bzw. geringere Einkommen erwirtschaftet haben, als im aktuellen Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit.

Der Vergleich mit der Situation im Studienförderungsrecht schließlich bedenkt die strukturellen Unterschiede der verglichenen Rechtsbereiche nicht ausreichend: Zum einen verlangt die typischerweise unterschiedliche soziale Situation von Arbeitslosen einerseits und Studierenden andererseits, die deutlich wird, wenn man die besonders gravierenden Konsequenzen mitbedenkt, zu denen die Einstellung des Arbeitslosengeldbezugs zu führen geeignet ist, keine Gleichbehandlung; zum anderen ist darauf hinzuweisen, daß im Arbeitslosenversicherungsrecht vom Überschreiten bzw. Nichterreichen der Geringfügigkeitsgrenze die besonders schwerwiegende Folge des Bestandes des Versicherungsfalles der Arbeitslosigkeit überhaupt abhängt; schließlich unterscheiden sich die von der Bundesregierung miteinander verglichenen Bereiche auch dadurch, daß es sich bei den Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung - anders als im Bereich des Studienförderungsrechts - um Versicherungsleistungen handelt, denen - vorher erbrachte - Beitragsleistungen der Versicherten gegenüberstehen.

Die Worte "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im ersten Halbsatz der Z 1 des § 36a Abs 5 AlVG idF BGBl. 411/1996 sowie § 36b Abs 1 und der letzte Satz des § 36b Abs 2 AlVG idF BGBl. 297/1995 waren daher aufzuheben.

3. Gemäß Art 140 Abs 6 B-VG treten mit dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung einer Gesetzesbestimmung, falls das Erkenntnis nichts anderes ausspricht, die gesetzlichen Bestimmungen wieder in Wirksamkeit, die durch das vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich aus folgenden Erwägungen nicht veranlaßt, von der Ermächtigung, anderes auszusprechen, Gebrauch zu machen: Die Aufhebung von Teilen des § 36b AlVG ändert zwar nichts daran, daß ein Arbeitsloser, der aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit Umsätze in bestimmter Höhe tätigt, nicht als arbeitslos gilt, während Umsätze bis zu dieser Höhe für den Anspruch auf Arbeitslosengeld unschädlich sind, wohl aber wird damit die Bestimmung beseitigt, die es möglich macht, den Umsatz aufgrund eines Umsatzsteuerbescheides festzustellen. (Anders ist - durch die bloß teilweise Aufhebung des § 36a Abs 5 Z 1 AlVG (vgl. oben Pkt. II.1.b) - die Situation nach der Aufhebung hinsichtlich der Frage der Feststellung, ob ein bestimmtes Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet).

Die eine Feststellung des Umsatzes aufgrund eines Umsatzsteuerbescheides ermöglichende Bestimmung des § 12 Abs 9 AlVG idF BGBl. 817/1993 lautete:

"Der Umsatz gemäß § 12 Abs 6 litc wird auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem Arbeitslosengeld bezogen wird, festgestellt. Als monatlicher Umsatz gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag."

Sie wurde durch ArtXXII Z 10 des Strukturanpassungsgesetzes 1995 (mit dessen Z 33 die §§36a bis 36c in das AlVG eingefügt wurden) aufgehoben. Im Interesse der Vollziehbarkeit der bereinigten Rechtslage war das Wiederinkrafttreten dieser Bestimmung nicht auszuschließen.

Gleiches gilt für den zweiten Satz des § 12 Abs 10 AlVG idF BGBl. 817/1993, der Vorschriften für die Berechnung der Erreichung der Geringfügigkeitsgrenze durch Einkommen und durch Umsatz enthielt. Auch diese Bestimmung ist durch ArtXXII Z 10 des Strukturanpassungsgesetzes 1995 aufgehoben worden. Sie lautete:

"Bis zur Erlassung und Vorlage des Bescheides ist die Frage der Arbeitslosigkeit bzw. der Einkommenshöhe, insbesondere auf Grund einer eidesstattlichen Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Umsatzes bzw. seiner Einkünfte, einer allenfalls bereits erfolgten Einkommensteuererklärung bzw. eines Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheides aus einem früheren Jahr vorzunehmen."

Im Interesse der Vollziehbarkeit der Regel über die Geringfügigkeitsgrenze war auszusprechen, daß die frühere Rechtslage auch insoweit wieder in Kraft tritt.

Hinsichtlich weiterer Bestimmungen der früheren Rechtslage war ein solcher Ausspruch nicht vorzunehmen, da die ihnen nachfolgenden, durch das Strukturanpassungsgesetz 1995 eingeführten Bestimmungen diesen (früher geltenden) Bestimmungen derogierten und sich die aufhebende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf sie nicht bezieht.

4. Da die durch die Aufhebung bestimmter Teile der §§36a und 36b AlVG und das Wiederinkrafttreten bestimmter Teile des § 12 AlVG in der vor der Einführung der §§36a bis 36b leg.cit. geltenden Fassung bewirkte Regelung nunmehr insgesamt einer verfassungskonformen Vollziehung zugänglich ist, war die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen nicht erforderlich. Ungeachtet dessen besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zukunft allenfalls eine andere gesetzliche Regelung zu erlassen.

5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG iVm § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.