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VfGH vom 11.12.1991, G272/91

VfGH vom 11.12.1991, G272/91

Sammlungsnummer

12933

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs 2 BEinstG infolge Betrauung einer Verwaltungsbehörde (des Behindertenausschusses) mit der Entscheidung über ein civil right (Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten) ohne Eröffnung des Zuganges zu einem Tribunal

Spruch

§ 8 Abs 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, idF der Novelle BGBl. Nr. 721/1988, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Vorschrift ist auch auf jenen Sachverhalt nicht mehr anzuwenden, der dem vom Verwaltungsgerichtshof zu G343/91 gestellten Antrag zugrundeliegt.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

§ 12 Behinderteneinstellungsgesetz wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. § 8 des seit der Novelle BGBl. Nr. 721/1988 als BehinderteneinstellungsG (BEinstG) zu bezeichnenden ehemaligen InvalideneinstellungsG 1969, BGBl. Nr. 22/1970, legt in Abs 1 für begünstigte Behinderte eine Kündigungsfrist von mindestens vier Wochen fest und bestimmt sodann in Abs 2:

"(2) Die Kündigung eines begünstigten Behinderten darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuß (§12) nach Anhörung des Betriebsrates oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften sowie nach Anhörung des zur Durchführung des Landes-Behindertengesetzes jeweils zuständigen Amtes der Landesregierung zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt. Gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, bleiben unberührt. Auf die Kündigung eines begünstigten Behinderten finden die Bestimmungen des § 105 Abs 2 bis 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974, bzw. die in Ausführung der Bestimmungen des § 210 Abs 3 bis 6 des Landesarbeitsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 287, erlassenen landesrechtlichen Vorschriften keine Anwendung."

Der bei jedem Landesinvalidenamt errichtete Behindertenausschuß besteht nach § 12 Abs 2 BEinstG aus dem Leiter des Landesinvalidenamtes oder einem von ihm betrauten Beamten als Vorsitzendem und einem Vertreter des örtlich zuständigen Invalidenamtes sowie weiteren, nach Abs 3 vom Bundesminister für Arbeit und Soziales auf Grund von Vorschlägen der hiezu berufenen Interessenvertretungen auf die Dauer von drei Jahren zu bestellenden Mitgliedern, nämlich je einem Vertreter der Dienstnehmer und der Dienstgeber, je zwei Vertretern der organisierten Kriegsbeschädigten und der Zivilinvaliden und einem Vertreter der Opferbefürsorgten. Gemäß Abs 1 hat er in den vom BEinstG bestimmten Fällen zu entscheiden. Über Beschwerden gegen Bescheide des Ausschusses entscheidet nach § 19a Abs 1 BEinstG der Landeshauptmann.

II. Mit Bescheid des Invalidenausschusses beim Landesinvalidenamt für Oberösterreich vom wurde die nachträgliche Zustimmung zu der für erfolgten Kündigung des Beschwerdeführers zu B1137/90 im Sinne des § 8 Abs 2 des (damaligen) Invalideneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, nicht erteilt und die Zustimmung zu einer künftigen Kündigung versagt. Mit dem beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheid erteilt nunmehr der Landeshauptmann über Berufung des mitbeteiligten Unternehmens die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung.

Die Beschwerde gegen diesen Bescheid rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein gerichtliches Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen (Art6 Abs 1 MRK). Unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom im Falle Obermeier (EuGRZ 1990, 209) legt sie dar, daß die von der Verwaltungsbehörde getroffene Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof nicht wirksam nachgeprüft werden könne, weil dieser nur erkennen könne, ob das eingeräumte Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt wurde.

1. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof aus folgenden Gründen von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs 2 und des § 12 BEinstG beschlossen:

"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß er bei Entscheidung über die Beschwerde auch § 8 Abs 2 und § 12 BEinstG anzuwenden hätte. Gegen die in diesen Bestimmungen getroffene Regelung hegt er jedoch das Bedenken, daß sie entgegen Art 6 Abs 1 MRK die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen, nämlich die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, einer Verwaltungsbehörde übertragen und damit das Recht auf Gehör durch ein unabhängiges und unparteiisches, über solche Ansprüche und Verpflichtungen entscheidendes Gericht verletzt. Die Frage, ob die Kündigung eines begünstigten Behinderten zulässig und wirksam sein soll, dürfte im engeren Sinn zivilrechtlicher Natur sei, sodaß eine bloß nachprüfende Kontrolle der die Zustimmung erteilenden oder verweigernden Akte durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts den Anforderungen des Art 6 MRK nicht genügt (vgl. VfSlg. 11.591/1987, 11.646/1988, 11.826/1988 und G186/88 vom ). Ist doch einerseits das Verhältnis von Bürgern - Arbeitgebern und Arbeitnehmern - unter sich betroffen (§1 ABGB) und andrerseits vornehmlich die Abwägung privater Interessen ausschlaggebend, weshalb offenbar in vergleichbaren Fällen - z.B. nach § 10 Abs 3 MutterschutzG - über solche Fragen auch Gerichte entscheiden.

Da § 8 Abs 2 anscheinend die Ermächtigung zur Entscheidung durch die Verwaltungsbehörde enthält und in sich eine untrennbare Einheit bildet, scheint sein gesamter Text in Prüfung zu ziehen sein. Daß diese Behörde kein Tribunal im Sinne des Art 6 MRK ist, ergibt sich aus der ihre Zusammensetzung regelnden Bestimmung des § 12."

2. Die Bundesregierung meint, der Verfassungsgerichtshof habe (neben § 8 Abs 2) nur § 19a BEinstG anzuwenden, weil ihm der Berufungsbescheid eines Landeshauptmanns zur Beurteilung vorliege; § 12 erscheine daher nicht präjudiziell. Da es nach der Rechtsprechung ausreiche, wenn das letztlich maßgebliche Tribunal aufgrund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen die Sachentscheidung fälle, hätten die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ihren eigentlichen Sitz in § 19a; die Aufhebung dieser Bestimmung würde es dem Gesetzgeber ermöglichen, für Berufungen gegenüber Bescheiden des Behindertenausschusses ein "Tribunal" im Sinne des Art 6 MRK vorzusehen. Da § 19a aber nicht in Prüfung gezogen sei, wäre das Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen.

In der Sache führt die Bundesregierung folgendes aus:

"Die Kündigung eines Arbeitnehmers ist zweifellos zivilrechtlicher Natur im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK (in diesem Sinne der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte etwa im Urteil vom im Falle Buchholz, EuGRZ 1981, S. 94ff). Sie betrifft auch jenen Bereich des traditionellen österreichischen Zivilrechts im engeren Sinn, bei dem es um das Verhältnis der Bürger unter sich (hier: Arbeitgeber und Arbeitnehmer) geht (§1 ABGB; vgl. zur Umschreibung des 'Kernbereichs des traditionellen Zivilrechts' VfSlg. 11.500/1987, S. 354 und 358). Es ist weiters festzuhalten, daß über den Bestand des Rechtsverhältnisses eines begünstigten Dienstnehmers zu seinem Dienstgeber und über die Wirksamkeit der Kündigung eines solchen - ausgenommen die Zustimmung gemäß § 8 Abs 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes - die Gerichte zu entscheiden haben.

Das Behinderteneinstellungsgesetz knüpft die Zulässigkeit einer Kündigung durch den Arbeitgeber an die Zustimmung einer Verwaltungsbehörde. Gegenstand des Verfahrens vor dem Behindertenausschuß ist die Frage, ob dem Arbeitgeber unter Beachtung bestimmter öffentlicher Interessen das Kündigungsrecht gegenüber dem durch das Behinderteneinstellungsgesetz begünstigten Personenkreis durch die Rechtsordnung gewährt wird oder nicht. Der Grund dafür, daß die privatrechtliche Dispositionsbefugnis von einer verwaltungsbehördlichen Genehmigung abhängig gemacht wird, liegt vor allem in dem sozialpolitischen Interesse einer möglichst weitgehenden Eingliederung Behinderter in das Erwerbsleben und ihres Schutzes, insbesondere vor einer Kündigung aus dem Grund ihrer Behinderung.

Diesem öffentlichen Interesse dient zunächst die Verpflichtung aller Dienstgeber im Bundesgebiet, ab 25 Dienstnehmern auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen begünstigten Behinderten zu beschäftigen. Kommt ein Dienstgeber dieser Einstellungsverpflichtung nicht oder nicht zur Gänze nach, so hat er eine Ausgleichstaxe zu entrichten. Die vorgeschriebenen Ausgleichstaxen fließen in den mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Ausgleichstaxfonds, dessen Mittel zweckgebunden für Hilfsmaßnahmen für behinderte Menschen zu verwenden sind. (Unter anderem werden daraus Förderungen an die Behinderten selbst sowie an Dienstgeber gewährt, die behinderte Menschen einstellen.)

Ergänzend zu dieser Beschäftigungspflicht von Behinderten gegenüber Arbeitgebern sieht der Gesetzgeber Schutzbestimmungen für den Fall der Kündigung begünstigter Behinderter vor. Ohne diesen besonderen Kündigungsschutz begünstigter Behinderter besteht die Gefahr, daß Behinderte ihre Arbeitsplätze schon bei geringen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Arbeitgeber verlören, was angesichts der allgemeinen Benachteiligung am Arbeitsmarkt und der oftmals eingeschränkten Mobilität Behinderter zu besonderen Härten (etwa langfristige Arbeitslosigkeit) führen würde.

Primär aus diesem sozialpolitischen Interesse gegenüber begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes wurde die privatrechtliche Befugnis des Arbeitgebers, zu kündigen, von der Zustimmung einer Verwaltungsbehörde abhängig gemacht, die dieses öffentliche Interesse wahrzunehmen hat.

Nach Auffassung der Bundesregierung geht es deshalb bei der Zustimmung des Behindertenausschusses zu einer Kündigung eines Arbeitgebers nicht um eine Entscheidung, die das Verhältnis der Bürger unter sich betrifft, sondern vielmehr um einen 'zur Wahrnehmung der Interessen der Allgemeinheit nötigen Eingriff in private Rechte' (vgl. VfSlg. 11500/1987, S 358). Es ist daher zweifelhaft, ob bei dieser Entscheidung 'vornehmlich die Abwägung privater Interessen ausschlaggebend sei'. Nun ist aber im Sinne des Erk. VfSlg. 11500/1987 gerade die 'Wahrnehmung der öffentlichen Interessen, einschließlich der nötigen Abwägung gegenüber privaten Interessen die wesentliche Aufgabe der Verwaltung'.

In diesem Sinne beeinträchtigen auch etwa Vorschriften des Baurechts, des Gewerberechts, des Wasser- und Forstrechts, des Straßenrechts, des Natur- und Umweltschutzrechts etc. privatrechtliche, aus dem Eigentumsrecht erfließende Dispositionsbefugnisse. Ebenso sieht das Preisrecht, das Devisen- und Außenhandelsrecht, das Apothekenrecht und das Veterinärrecht und viele andere verwaltungsbehördliche Vorschriften Beschränkungen privatrechtlicher Dispositionsbefugnisse vor, die unter Umständen auch bis hin zu Genehmigungspflichten, von denen die Gültigkeit oder Erfüllbarkeit privater Vereinbarungen abhängt, gehen.

'Verwaltungshandeln besteht aber gerade in entwickelten Rechtsordnungen, in denen die natürlichen Möglichkeiten des Einzelnen durch ein ausgewogenes System von Privatrechten gegen Störungen anderer abgesichert sind, zum überwiegenden Teil in der Entscheidung über die Notwendigkeit der zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit nötigen Eingriffe in private Rechte' (vgl. VfSlg. 11500/1987). Der Grund, aus dem die Vollziehung des Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter nach der geltenden Rechtslage primär den Behindertenausschüssen, also weisungsgebundenen Verwaltungsbehörden, übertragen wurde, liegt also vor allem darin, daß es sich beim Abspruch über die Erteilung der Zustimmung der Kündigung eines begünstigten Behinderten nach dem Behinderteneinstellungsgesetz aus den dargelegten Gründen nicht um eine dem Kernbereich des Zivilrechtes im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 11500/1987 zuzuordnende Entscheidung handelt. Die Beurteilung beruht auf der Überlegung, daß die Verwaltungsbehörde mit ihrer Entscheidung nicht etwa an der - im engeren Sinne - zivilrechtlichen Kündigung des Dienstgebers des Behinderten mitwirkt oder diese genehmigt und auch nicht über die allfälligen vermögensrechtlichen Folgen der Kündigung abspricht, sondern daß mit der behördlichen Zustimmung dem Dienstgeber das - aus öffentlichen Interessen eingeschränkte - Recht auf Kündigung wieder unbeschränkt eingeräumt wird. Ob der Dienstgeber davon in der Folge Gebrauch macht und die Kündigung tatsächlich ausspricht, liegt allein in der Hand des Dienstgebers. Bei der Kündigung handelt es sich um eine ihm allein zustehende privatrechtliche Befugnis.

Unterstützend kann dazu auch noch die von der Europäischen Kommission für Menschenrechte bereits vertretene Auffassung ins Treffen geführt werden (vgl. etwa die Kommissionsentscheidung Nr. 10247/83 vom , Pkt. 2 unter 'Under the Law'), daß die Zustimmung zu einer Kündigung gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. das Verhältnis des Arbeitgebers zur Behörde betreffe und es letztlich dem Arbeitgeber allein überlassen bleibe, ob er die Kündigung ausspricht. Auch wenn das Zustimmungsverfahren Auswirkungen auf Privatrechte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben mag, so sei es nicht entscheidend für diese im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK.

Die Bundesregierung ist somit zusammenfassend der Auffassung, daß es sich im vorliegenden Fall um eine Entscheidung handelt, die die Stellung des Einzelnen (des Arbeitgebers) zur Allgemeinheit betrifft und bei der es um einen zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit nötigen Eingriff in private Rechte geht. Es müßte daher für die Überprüfung der Zustimmung gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. nach wie vor die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes ausreichend sein (vgl. VfSlg. 11500/1987, S 364).

Aber selbst wenn diese Auffassung nicht geteilt wird, muß es im Lichte der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes für den Bereich des Kernbereiches des Zivilrechtes (vgl. 11591/1987) bzw. den Bereich des Strafrechtes (VfSlg. 11558/1987) ausreichen, wenn in letzter Instanz ein Tribunal auf Grund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen entscheidet."

3. Der Verwaltungsgerichtshof stellt aus Anlaß zweier bei ihm anhängiger Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen über die Zulässigkeit der Kündigung eines Behinderten Anträge auf Aufhebung des § 8 Abs 2 BEinstG, in denen er sich den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes anschließt (G 323,324/91). Zu diesen Anträgen hat die Bundesregierung keine gesonderte Äußerung erstattet.

III. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.

Es ist der Bundesregierung beizupflichten, daß der Verfassungsgerichtshof bei Beurteilung der Beschwerde unter dem Blickwinkel des Art 6 MRK zunächst § 19a (Abs1) BEinstG anzuwenden hätte, weil ein allfälliger Widerspruch gegen Art 6 MRK in der Entscheidungskompetenz der (weisungsgebundenen: Art 103 B-VG) Verwaltungsbehörde Landeshauptmann läge. Indessen ist die Bezeichnung des Landeshauptmannes als Berufungsbehörde in § 19a (Abs1) nur die Folge des Umstandes, daß § 8 Abs 2 iVm § 12 eine Verwaltungsbehörde, nämlich den Behindertenausschuß mit der Entscheidung betraut. Auch eine Aufhebung des § 19a würde nichts daran ändern, daß - mangels einer Abkürzung, Abänderung oder Erweiterung des Instanzenzuges - der Landeshauptmann in letzter Instanz entscheidet (Art103 Abs 4 B-VG). Angelpunkt der derzeitigen Zuständigkeitsordnung ist daher die Zuweisung der Angelegenheit zur Entscheidung in erster Instanz an eine Verwaltungsbehörde. Daß der Gesetzgeber den Mangel auch unter neuerlicher Berufung einer Verwaltungsbehörde dadurch beseitigen könnte, daß er statt oder nach dem Landeshauptmann ein nach dem B-VG als (weisungsfreie und unabhängige) Verwaltungsbehörde organisiertes "Tribunal" im Sinne des Art 6 MRK als Berufungsinstanz im Verwaltungsverfahren einrichtet, ist eine andere Frage; für die Beseitigung der allfälligen Verfassungswidrigkeit bedarf der Gesetzgeber der Aufhebung des § 19a durch den Verfassungsgerichtshof ebensowenig wie für jede andere Sanierung einer verfassungswidrigen Rechtslage.

Hingegen würde eine Aufhebung des § 12 die Rechtslage insofern bereinigen, als dann kein zur Entscheidung in erster Instanz zuständiges Organ mehr vorhanden wäre und die ausdrückliche Nennung des Landeshauptmannes als Berufungsbehörde leer laufen würde (was aber deren Aufhebung nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes nicht erforderlich macht). Anders als in dem in VfSlg. 11.826/1988 entschiedenen Fall stünde allerdings § 8 Abs 2 BEinstG der Beschreitung des Rechtsweges weiterhin entgegen. Die Bedenken richten sich also auch nicht allein gegen § 12.

Der Verfassungsgerichtshof hat nur in seiner Sachentscheidung darauf zu achten, daß er den Umfang der Aufhebung derart abgrenzt, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Text keine (unnötige) Änderung seiner Bedeutung erfährt.

Im übrigen sind Zweifel an der Zulässigkeit der Anlaßfallbeschwerden bei beiden Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts oder der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen bzw. angefochtenen Gesetzesstellen nicht entstanden.

IV. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes und des antragstellenden Verwaltungsgerichtshofes sind im Ergebnis auch begründet.

Die getroffene Regelung widerspricht der Garantie des Art 6 MRK. Zur Bereinigung der Rechtslage genügt jedoch die Aufhebung des § 8 Abs 2 BEinstG.§ 12 BEinstG ist nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

1. Der Einwand der Bundesregierung, es handle sich nicht um "civil rights" in der diesem Begriff vom Verfassungsgerichtshof unterstellten Bedeutung (VfSlg. 11.500/1987), trifft nicht zu.

Es ist zwar richtig, daß nicht jeder Eingriff in ein privates Vermögensrecht eine Entscheidung über ein civil right bedeutet, und dies insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn sich öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen an jedermann richten, der in die Lage kommt, das verbotene oder genehmigungsbedürftige Verhalten zu setzen, mögen sie in ihrer praktischen Bedeutung auch in erster Linie den Eigentümer oder sonst privatrechtlich Berechtigten treffen (vgl. VfSlg. 9580/1982, S. 415, und - als Beispiel für eine solche Norm - den mit VfSlg. 11.500/1987 entschiedenen Fall).

Gegenstand der in § 8 Abs 2 BEinstG vorgesehenen Zustimmung ist jedoch ausschließlich die (Zulässigkeit der) Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, also einer zivilrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Eingriff in die zivilrechtliche Beziehung ist nicht etwa nur die (sekundäre) Folge einer (primär) auf die Verhinderung oder Kontrolle eines durch diese Beziehung vorbereiteten, bestimmten oder näher geregelten Verhaltens gerichteten Maßnahme öffentlichen Interesses (wie etwa im Außenhandels- oder Devisenrecht). Die Beschränkung der Lösbarkeit dieser Beziehung dient in erster Linie dem Schutz des Behinderten vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und den ihn treffenden Folgen dieses Umstandes. Daß an der Gewährung des Kündigungsschutzes für Behinderte ein öffentliches Interesse besteht, kann an dieser Einschätzung nichts ändern. Auch an Regelungen des Zivilrechts besteht typischerweise ein öffentliches Interesse und ein erheblicher Teil des Zivilrechts wäre in seiner konkreten Gestaltung ohne solches - dahinterstehendes - öffentliches Interesse nicht verständlich.

Aber das öffentliche Interesse beschränkt sich im vorliegenden Zusammenhang auf die Schaffung einer Regelung, die eine - umfassend gedachte - Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers sicherstellt. Die Abwägung selbst ist typisch zivilrechtlicher Natur. In erster Linie drückt sich das öffentliche Interesse an der Beschäftigung von Behinderten in der Festlegung einer grundsätzlichen Beschäftigungspflicht (§§1ff) und der ihre Verletzung sanktionierenden Ausgleichstaxenpflicht (§9) aus. Zur Beschäftigung eines bestimmten Behinderten wird der Arbeitgeber hingegen nicht verhalten. Es bleibt ihm überlassen, ob er der grundsätzlichen Beschäftigungspflicht durch Aufnahme eines ihm genehmen Behinderten nachkommt oder statt dessen eine Ausgleichstaxe zahlt. Es wäre geradezu unsachlich, dem Arbeitgeber, dem diese Möglichkeit offengestanden ist, die Kündigung eines gleichwohl aufgenommenen Behinderten, den er aus einsichtigen Gründen nun nicht mehr beschäftigen will, allein oder auch nur überwiegend wegen des allgemeinen öffentlichen Interesses an der Beschäftigung von Behinderten zu verbieten. Gewiß könnten im Hinblick auf gewährte Förderungsmaßnahmen (§6 BEinstG) auch öffentliche Interessen in die Abwägung nach § 8 Abs 2 BEinstG einfließen. Auch die Aufnahme in den Kreis der begünstigten Behinderten wird aus dem Blickwinkel der öffentlichen Interessen getroffen (vgl. VfSlg. 11.934/1988). Im Vordergrund der hier in Rede stehenden Entscheidung steht aber das durch die Einstellung und Gewöhnung an den Arbeitsplatz entscheidend verstärkte persönliche Interesse des Behinderten an der Aufrechterhaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses, das den Interessen des Arbeitgebers an einer Beendigung einer nicht mehr erwünschten Rechtsbeziehung gegenüberzustellen ist. Der dem Arbeitsverhältnis eigene personale Einschlag, die Folge der für dieses Verhältnis konstitutiven persönlichen Abhängigkeit, verbietet es, die Regelung vornehmlich auf die Wahrung öffentlicher Interessen zurückzuführen. Es handelt sich um die Entscheidung über ein "civil right".

Aus der früheren Praxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte ist zu der für den innerstaatlichen Bereich maßgeblichen Grenzziehung seit dem schon in der Beschwerde angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nichts mehr zu gewinnen.

2. Ist aber davon auszugehen, daß § 8 Abs 2 BEinstG ein "civil right" im Sinne des Art 6 MRK einräumt, so ist die Betrauung einer Verwaltungsbehörde ohne Eröffnung des Zugangs zu einem Tribunal nach der im Prüfungsbeschluß dargelegten, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes unzulässig. Da ein Zugang zu einem Tribunal in der gegenwärtigen Fassung des Gesetzes nicht eröffnet ist, erweist sich die in § 8 Abs 2 und § 12 BEinstG getroffene Regelung als verfassungswidrig.

Dieser Vorwurf trifft die beiden Gesetzesstellen in ihrem Zusammenwirken. Denn offenbar regelt § 8 Abs 2 nicht nur den materiellrechtlichen Anspruch (wie im Falle VfSlg. 11.826/1988 § 65 des O.ö. Jagdgesetzes), sondern weist die Entscheidung in erster Instanz zugleich - und damit untrennbar verbunden - einem Organ zu, dem nicht von vornherein die Garantien eines Tribunals zukommen (siehe § 19a), und § 12 organisiert den Behindertenausschuß als Verwaltungsbehörde. Da der Behindertenausschuß allerdings nach § 12 Abs 1 BEinstG nicht nur zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Kündigung eines begünstigten Behinderten, sondern auch für andere Entscheidungen "in den von diesem Bundesgesetz bestimmten Fällen" berufen ist - wenngleich dem Verfassungsgerichtshof solche anderen Fälle nicht erkennbar sind -, muß § 12 nicht aus dem Rechtsbestand entfernt werden, wenn die Verfassungswidrigkeit auch anders beseitigt werden kann. Bei der dem Verfassungsgerichtshof obliegenden Abwägung (vgl. oben III.) ist ferner zu beachten, daß eine isolierte Aufhebung des § 12 den § 8 Abs 2 mangels Einrichtung eines Entscheidungsorgans insoweit unanwendbar machen würde, als ein begünstigter Behinderter bis zur Schaffung einer verfassungsmäßig eingerichteten Instanz vorläufig überhaupt nicht gekündigt werden könnte, eine Rechtslage, die verfassungsrechtlich nicht unbedenklich wäre.

Eine Aufhebung des § 8 Abs 2 hat wohl gleichfalls stärkere Auswirkungen als das Ziel, die Zuweisung der Entscheidung an eine Verwaltungsbehörde zu beseitigen, verlangt, weil sie den Kündigungsschutz des § 8 Abs 2 insgesamt beseitigt. Es fällt dann aber auch der im letzten Satz des § 8 Abs 2 verfügte Ausschluß des Kündigungsschutzes nach dem Arbeitsverfassungsgesetz weg. Damit wird im Ergebnis einerseits dem Arbeitgeber die Kündigungsmöglichkeit eingeräumt und andererseits dem Arbeitnehmer die Chance gegeben, Nutznießer des allgemeinen Kündigungsschutzes zu werden.

Der Verfassungsgerichtshof kommt daher zum Ergebnis, daß eine Aufhebung des § 8 Abs 2 BEinstG der die Rechtslage insgesamt am wenigsten verändernde Eingriff ist, aber doch einen verfassungsmäßigen Zustand herbeiführt. Es ist daher diese Bestimmung aufzuheben und auszusprechen, daß § 12 BEinstG nicht aufgehoben wird.

Die Kundmachungsverpflichtung und die Frist für das Außerkrafttreten stützen sich auf Art 140 Abs 5 B-VG. Da die Konventionswidrigkeit der Regelung seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Obermeier bekannt ist, hält der Gerichtshof diese Frist gerade noch für vertretbar. Der Ausspruch über das Nichtwiederinkrafttreten früherer Bestimmungen beruht auf Art 140 Abs 6 B-VG. Die Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf ein Verfahren, in dem der Antrag nicht mehr in die vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren einbezogen werden konnte, stützt sich auf Art 140 Abs 7 B-VG.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).