VfGH vom 03.10.2016, G254/2016 ua

VfGH vom 03.10.2016, G254/2016 ua

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der im VfGG normierten Beschränkung der Antragsbefugnis für einen Parteiantrag auf Verordnungsprüfung auf die ein Rechtsmittel ergreifende Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht

Spruch

I. Die Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie das Wort "gleichzeitig" in § 57a Abs 1 erster Satz, die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 57a Abs 3 Z 1 sowie die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 57a Abs 4 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl Nr 85 in der Fassung BGBl I Nr 92/2014, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zahlen V121/2015, V122/2015 und V123/2015 auf Art 139 Abs 1 Z 4 B VG gestützte Parteianträge anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Die antragstellende Gesellschaft betreibt das Einkaufszentrum "Murpark" in Graz. Die beteiligten Parteien in den zu den Zahlen V121/2015, V123/2015 protokollierten Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (beklagte Parteien im Anlassverfahren 10 Cg 122/14y) betreiben als Eigentümerinnen der Grundstücke Nr 317/4 der EZ 2718 bzw. 317/3 der EZ 2719 der KG 63281 Seiersberg die dortigen Häuser 5 bzw. 7 der "Shopping City Seiersberg". Die beteiligte Partei in dem zur Zahl V122/2015 protokollierten Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (beklagte Partei im Anlassverfahren 10 Cg 20/13x) ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 337/1 und 317/6 der EZ 1165 der KG 63281 Seiersberg und betreibt dort das zur SCS gehörige Haus 9. Die antragstellende Gesellschaft und die beteiligten Parteien richten sich als Betreiber von Einkaufszentren gleichermaßen an Kunden im Großraum Graz.

1.2. Als klagende Partei im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (zur Zahl 10 Cg 122/14y) begehrte die antragstellende Gesellschaft mit Klage vom das Urteil, die beklagten Parteien seien schuldig,

"a.) es ab sofort im geschäftlichen Verkehr im Rahmen des Betriebs des Einkaufzentrums mit der Bezeichnung Shopping City Seiersberg ('SCS') zu unterlassen, einen Verkehr von Personen und/oder Fahrzeugen zwischen den auf GStNr 317/3, EZ 2719 und Nr 317/4, EZ 2718, jeweils KG 63281 Seiersberg, gelegenen und von den beklagten Parteien als 'Häuser 7 und 5' bezeichneten Bauteilen über jenen Teil des zwischen diesen Bauwerken errichteten Verbindungsbauwerks, der zum nordseitigen Eingang des 'Hauses 5' in der oberen Verkaufsebene führt und der in den der Klage beiliegenden Plänen Beilagen ./M und ./N blau gekennzeichnet ist, zuzulassen und/oder zu dulden, außerdem den Verbindungsbau zu nutzen und/oder ihn durch Besucher, insbesondere Kunden nutzen zu lassen und b.) dem Unterlassungsbegehren zu Punkt 1 widerstreitenden Zustand durch Abbruch – in eventu eine Sperre, die die Nutzung dauerhaft und nachhaltig unterbindet, etwa durch die Errichtung von Trennwänden – des unter Punkt 1 näher bezeichneten Verbindungsbauwerks zu beseitigen."

1.2.1. Mit Urteil vom wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz die Klage ab.

1.2.2. Gegen dieses Urteil erhob die antragstellende Gesellschaft Berufung an das Oberlandesgericht Graz. Am selben Tag stellte sie einen (Partei-)Antrag gemäß Art 139 Abs 1 Z 4 B VG auf Aufhebung der Verordnungen der Gemeinde Seiersberg jeweils vom , Z 1/616-0/SCS/14168/2002/26/Bgmstr/St und Z 1/612-5/ErschließungFFKZ/14181/2002/16/Bgmstr/St. Diese Verordnungen erklärten das im Unterlassungsbegehren bezeichnete Verbindungsbauwerk zu einem öffentlichen Interessentenweg nach § 8 Abs 3 Steiermärkisches Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 – LStVG. 1964, LGBl 154 idgF.

1.3. Als klagende Partei im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (zur Zahl 10 Cg 20/13x) begehrte die antragstellende Gesellschaft mit Klage vom das Urteil,

"1. die beklagte Partei sei schuldig, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr im Rahmen des Betriebs des Einkaufszentrums mit der Bezeichnung Shopping City Seiersberg (SCS) zu unterlassen, einen Verkehr von Personen und/oder Fahrzeugen zwischen den auf Grundstück Nr 317/3, EZ 2719, und dem Grundstück Nr 337/1, EZ 1165, je KG 63281 Seiersberg, errichteten Bauwerken, den von der Beklagten so bezeichneten Häusern 7 und 9, über das zwischen diesen Bauwerken (Häuser 7 und 9 der SCS) errichtete Verbindungsbauwerk, das die unteren und oberen Verkaufsebenen dieser Bauwerke verbindet und/oder über die zwischen den Dächern dieser Bauwerke (Häuser 7 und 9 der SCS) befindlichen zweispurigen Rampe zu eröffnen, zuzulassen und/oder zu dulden, außerdem die Verbindungsbauten und Dachrampe zu nützen und/oder sie durch Besucher, insbesondere Kunden, nützen zu lassen, sowie 2. die beklagte Partei sei schuldig, den dem Unterlassungsbegehren zu Punkt 1 widerstreitenden Zustand durch einen Abbruch – in eventu eine Sperre, die die Nutzung dauerhaft und nachhaltig unterbindet, etwa durch die Errichtung von Trennwänden – der unter Punkt 1 näher bezeichneten Verbindungsbauten und der Dachrampe zu beseitigen."

1.3.1. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz wies mit Urteil vom auch diese Klage ab.

1.3.2. Gegen dieses Urteil erhob die antragstellende Gesellschaft Berufung an das Oberlandesgericht Graz. Am selben Tag stellte sie einen (Partei-)Antrag gemäß Art 139 Abs 1 Z 4 B VG auf Aufhebung der Verordnung der Gemeinde Seiersberg vom , Z 612-5/ErschließungFFKZ/30. Diese Verordnung erklärte die fraglichen Brücken- und Straßenbauwerke zu öffentlichen Interessentenwegen nach § 8 Abs 3 LStVG. 1964.

2. Bei der Behandlung der beiden Parteianträge sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie des Wortes "gleichzeitig" in § 57a Abs 1 erster Satz, der Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 57a Abs 3 Z 1 sowie der Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 57a Abs 4 VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 92/2014, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"1. Um die Frage der Zulässigkeit der Anträge beurteilen zu können, dürfte der Verfassungsgerichtshof § 57a Abs 1 VfGG anzuwenden haben; diese Bestimmung dürfte daher präjudiziell sein, ebenso wie § 57a Abs 3 und 4 VfGG.

2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmun-gen das Bedenken, dass sie gegen Art 139 Abs 1 Z 4 B VG verstoßen dürften:

2.1. Art 139 Abs 1 Z 4 B VG besagt, dass eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' den Antrag auf Prüfung einer Verordnung stellen könne. Der Wortlaut dieser Vorschrift dürfte es zumindest nicht ausschließen, dass auch die gegnerische oder eine sonst am Verfahren beteiligte Partei aus Anlass eines Rechtsmittelverfahrens einen solchen Antrag stellt.

2.2. Auch die Entstehungsgeschichte dürfte für diese Interpretation sprechen: Art 139 Abs 1 Z 4 B VG geht – nach einer längeren Vorgeschichte – auf mehrere Initiativanträge zurück, die der Verfassungsausschuss des Nationalrates entsprechend dessen Bericht (s. AB 2380 BlgNR 24. GP) beraten und geändert hat. Diese Initiativanträge ähnelten einander im Wesentlichen; als Ergebnis seiner Beratungen stellte der Verfassungsausschuss auf Grund eines Abänderungsantrages einen einzigen Gesetzesantrag an den Nationalrat. Nach dessen Art 139 Abs 1 Z 4 B VG sollte die Partei einer von einem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache in zwei Fällen einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung einer behaupteterweise gesetzwidrigen Verordnung stellen können: Einerseits aus Anlass der Erhebung eines den Parteien gegen die Entscheidung eines in erster Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes zustehenden Rechts-mittels (Art139 Abs 1 Z 4 lita), andererseits nach Erlassung der Entscheidung eines in zweiter Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes, wenn der Partei die Stellung eines Antrages gemäß lita nicht zumutbar war (Art139 Abs 1 Z 4 litb).

Im Wege eines vom Nationalrat angenommenen Abänderungsantrages in zweiter Lesung wurde Art 139 Abs 1 Z 4 B VG schließlich so umgestaltet, wie diese Verfassungsänderung dann kundgemacht wurde (BGBl I 114/2013). Die Zweiteilung der Z 4 entfiel, stattdessen wurde allgemein die Möglichkeit der Stellung eines Parteiantrages 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' vorgesehen; die in der früheren lita (welcher die endgültige Textierung folgt) enthaltene Wendung 'aus Anlass der Erhebung eines der Partei […] zustehenden Rechtsmittels' wurde fallen gelassen, ebenso entfiel die litb. Schon dies dürfte darauf schließen lassen, dass die früher in zwei verschiedenen literae geregelten Fälle in einem zusammengefasst werden sollten, sodass die Wendung 'aus Anlass […] eines Rechtsmittels' anscheinend bedeuten sollte, dass von jeder Partei der Antrag gestellt werden könnte, sofern ein Rechtsmittel erhoben wird.

2.3. Diese Interpretation dürfte durch den explizit zum Ausdruck gebrachten Willen des historischen Gesetzgebers unterstützt werden:

Zur Begründung dieser Änderung des Art 139 Abs 1 Z 4 B VG in der Fassung des Ausschussberichtes, AB 2380 BlgNR 24. GP, wird zunächst ausgeführt, dass die Gründe, aus denen ein Parteiantrag gestellt werden könne, zusammengefasst werden sollten: Einen solchen Antrag könne die Partei eines gerichtlichen Ver-fahrens aus Anlass eines Rechtsmittels gegen eine in der Sache ergangene Entscheidung des ordentlichen Gerichtes erster Instanz stellen; in solchen Fällen könne die betroffene Partei unter anderem die von ihr behauptete Gesetzwidrig-keit einer auch verfahrensrechtlichen Regelung mit einem Parteiantrag im Rechtsmittelverfahren gegen die Sachentscheidung relevieren (s. AA-336 24. GP).

Daran anschließend führen die Materialien aus (AA-336 24. GP): 'Der Parteiantrag kann aus Anlass eines – ordentlichen – Rechtsmittels gestellt werden, sei es, dass die betreffende Partei selbst ein Rechtsmittel eingebracht hat, sei es, dass sie das als Gegner im Rechtsmittelverfahren tut, wobei aber nicht auf die Zumut-barkeit oder Unzumutbarkeit einer rechtzeitigen Antragstellung abgestellt wird.' (Letzteres bezieht sich auf die ursprüngliche litb des Art 139 Abs 1 Z 4 B VG in der Fassung des Ausschussberichtes, AB 2380 BlgNR 24. GP). Fortsetzend wird klargestellt, dass die Formulierung 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' nicht bedeute, dass der Parteiantrag gleichzeitig mit dem Rechtsmittel oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem erhoben werden müsse; sie bedeute bloß, 'dass überhaupt ein Rechtsmittel erhoben worden sein muss'. Daran schließt der Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich folgenden Hinweis:

'Es wird dadurch klargestellt, dass nicht bloß jene Partei antragsbefugt ist, die das Rechtsmittel erhoben hat, sondern alle Parteien des Verfahrens, insb. auch jene, die auf Grund einer möglichen abweichenden zweitinstanzlichen Entschei-dung auf Grund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann.'

Anscheinend um den einfachen Gesetzgeber an diesen Willen des Verfassungs-gesetzgebers zu binden, wird in der Folge noch festgehalten:

'Die Regelung dieses Parteienantrags ist für den einfachen Gesetzgeber nicht disponibel, er kann nur – im Sinne der Effizienz – Zeitpunkt und Frist für den Antrag bestimmen; und zwar entweder im Rechtsmittelverfahren selbst oder auch binnen angemessener Frist nach dessen Abschluss, wenn eine Antragstellung im Verfahren selbst das Rechtsschutzbedürfnis der Parteien nicht erfüllen kann.'

2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom heutigen Tage, G95/2016, die Aufhebung der gleichlautenden Wortfolgen in § 62a VfGG in der Fassung BGBl I 92/2014 beschlossen. Im Lichte dieses Erkenntnisses geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Bedenken, die ihn zur Aufhebung dieser Wortfolgen veranlasst haben, auch auf die in Rede stehenden Worte bzw. Wortfolgen in § 57a Abs 1 erster Satz, Abs 3 Z 1 und Abs 4 VfGG zutreffen dürften."

4. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G95/2016, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

5. Die in den Anlassfällen beteiligte Partei hat eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes betreffend die in Prüfung gezogenen Worte bzw. Wortfolgen des § 57a VfGG vollinhaltlich anschließt.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 57a VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 92/2014, lautet wie folgt (die in Prüfung gezogenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"§57a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann gleichzeitig einen Antrag stellen, die Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (Art139 Abs 1 Z 4 B VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:

1. im Verfahren zur Anordnung oder Durchsetzung der Rückstellung widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (§111a AußStrG);

2. im Besitzstörungsverfahren (§§454 bis 459 ZPO);

3. im Beweissicherungsverfahren (§§384 bis 389 ZPO);

4. im Verfahren gemäß § 37 Abs 1 des MietrechtsgesetzesMRG, BGBl Nr 520/1981, § 52 Abs 1 des Wohnungseigentumsgesetzes 2002WEG 2002, BGBl I Nr 70/2002, und § 22 Abs 1 des WohnungsgemeinnützigkeitsgesetzesWGG, BGBl Nr 13/1979;

5. im Verfahren über die Kündigung von Mietverträgen und über die Räumung von Mietgegenständen;

6. im Verfahren betreffend mittlerweilige Vorkehrungen gemäß § 180 der Notariatsordnung – NO, RGBl. Nr 75/1871;

7. im Verfahren gemäß den Bestimmungen des Unterhaltsvorschußgesetzes 1985 – UVG, BGBl Nr 451/1985;

8. im Insolvenzverfahren;

9. im Exekutionsverfahren und im Verfahren betreffend einstweilige Verfügungen gemäß den Bestimmungen der ExekutionsordnungEO, RGBl. Nr 79/1896, einschließlich des Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung;

10. im Verfahren der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, insbesondere Auslieferung, Übergabe, Rechtshilfe, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung.

(2) Der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten (§38 des Jugendgerichtsgesetzes 1988 – JGG, BGBl Nr 599/1988) hat das Recht, auch gegen den Willen des Beschuldigten zu dessen Gunsten einen Antrag zu stellen, die Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben.

(3) Der Antrag hat über die Erfordernisse des § 57 hinaus zu enthalten:

1. die Bezeichnung der Entscheidung , gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt, und des ordentlichen Gerichtes, das sie erlassen hat;

2. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht ist.

(4) Dem Antrag sind eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie der Entscheidung , gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt, sowie eine Abschrift oder Kopie dieses Rechtsmittels anzuschließen.

(5) Der Verfassungsgerichtshof hat das ordentliche Gericht erster Instanz von der Stellung eines Antrages gemäß Abs 1 unverzüglich zu verständigen. Dieses hat dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels mitzuteilen.

(6) In dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren dürfen bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten."

2. Diese Bestimmung bildet eine Ausführungsvorschrift zu Art 139 Abs 1 Z 4 B VG, der lautet:

"Artikel 139. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen

1. 3. […]

4. auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels;"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen:

Der Fall entspricht in allen wesentlichen Belangen dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G95/2016. Die darin enthaltenen Erwägungen gelten sinngemäß für § 57a VfGG, sodass auf die Begründung des genannten Erkenntnisses verwiesen werden kann.

IV. Ergebnis

1. Die Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie das Wort "gleichzeitig" in § 57a Abs 1 erster Satz, die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 57a Abs 3 Z 1 sowie die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 57a Abs 4 VfGG idF BGBl I 92/2014 sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.

3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art 140 Abs 7 zweiter Satz B VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:G254.2016