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VfGH vom 13.10.1993, g248/91

VfGH vom 13.10.1993, g248/91

Sammlungsnummer

13581

Leitsatz

Gewährung von Akteneinsicht bzw Abschriftnahme im zivilgerichtlichen Verfahren auch an dritte, am Verfahren nicht beteiligte Personen nicht dem Bereich der Justizverwaltung sondern der gerichtlichen Rechtsprechung zuzurechnen; Aufhebung der Bestimmung der ZPO betreffend die Übertragung der Entscheidung über die von einem Dritten verlangte Akteneinsicht an den Gerichtsvorsteher wegen Widerspruchs zum Gleichheitsgebot; Feststellung der Gesetzwidrigkeit der diesbezüglichen Verordnungsbestimmungen der Geo angesichts des Wegfalls ihrer gesetzlichen Grundlage

Spruch

I. Die im § 219 Abs 2 zweiter Satz Zivilprozeßordnung, RGBl. Nr. 113/1895 enthaltene Wortfolge "vom Vorsteher des Gerichtes" wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

II. Die im § 11 Abs 1 Z 32 der Geschäftsordnung für die Gerichte

I. und II. Instanz (Geo), BGBl. Nr. 264/1951, enthaltene Wortfolge "und Geschäfte, die sich für den Gerichtsvorsteher aus dem Ersuchen um Akteneinsicht ergeben" sowie der zweite Satz im § 170 Abs 2 Geo waren gesetzwidrig.

Der Bundesminister für Justiz ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Landesgericht Klagenfurt ist das Verfahren über einen vom Beteiligten F R erhobenen Rekurs gegen einen Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom anhängig, mit welchem ein Antrag des Beteiligten auf Akteneinsicht in den Akt eines Sachwalterschaftsverfahrens (sowie auf Übersendung des Aktes an ein anderes Gericht zur Einsichtnahme) abgewiesen wurde. Aus Anlaß des Rekursverfahrens stellt das Landesgericht Klagenfurt unter Berufung auf Art 89 Abs 2 sowie Art 139 und 140 B-VG die Anträge, § 11 Abs 1 Z 32 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo), BGBl. 264/1951, hinsichtlich der Wortfolge "und Geschäfte, die sich für den Gerichtsvorsteher aus dem Ersuchen um Akteneinsicht ergeben" und den zweiten Satz im § 170 Abs 2 Geo als gesetzwidrig sowie die Wortfolge "vom Vorsteher des Gerichtes" im § 219 Abs 2 zweiter Satz ZPO als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Bestimmungen haben - im Zusammenhalt wiedergegeben - folgenden Wortlaut:

§ 219 ZPO:

"(1) Die Parteien können von sämtlichen ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten (Prozeßakten), mit Ausnahme der Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, der Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichtes und solcher Schriftstücke, welche Disziplinarverfügungen enthalten, Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften und Auszüge erteilen lassen. Zum Zwecke der Vorbereitung ihrer Vorträge ist ihnen insbesondere auch in die Protokolle und Akten eines vorbereitenden Verfahrens Einsicht zu gewähren.

(2) Mit Zustimmung beider Parteien können auch dritte Personen von den Prozeßakten Einsicht nehmen und Abschriften erheben. Fehlt eine solche Zustimmung, so kann einem Dritten, insoweit er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, eine solche Einsicht- und Abschriftnahme vom Vorsteher des Gerichtes gestattet werden.

(3) Die von einer Partei dem Gericht übergebenen Schriftstücke sind dieser Partei auf ihr Begehren wieder auszufolgen, wenn der Zweck der Aufbewahrung entfallen ist."

Geo:

"§11. Justizverwaltungssachen

(1) Die Justizverwaltungssachen werden in folgende Geschäftsgruppen zusammengefaßt:

...

32. Geschäftsgang, insbesondere Weisungen und Ausstellungen übergeordneter Rechtsmittelinstanzen und Geschäfte, die sich für den Gerichtsvorsteher aus dem Ersuchen um Akteneinsicht ergeben;

..."

"§170. Gewährung von Akteneinsicht und Abschriften

(1) In bürgerlichen Rechtssachen können die Parteien in alle Akten und Urkunden, die ihre eigene Rechtsache betreffen (mit Ausnahme der Beratungsprotokolle) bei Gericht persönlich oder durch ihre Machthaber Einsicht nehmen, sich auf ihre Kosten gerichtliche Abschriften und von den Verwahrungsabteilungen Auszüge aus dem Hinterlegungsmassebuch erteilen lassen. Dritte Personen können Einsichtnahme in die Akten und die Erteilung von Abschriften verlangen, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen oder wenn alle an der Sache beteiligten Parteien zustimmen.

(2) Wer sich ausweist, daß die Sache, in deren Akt er Einsicht wünscht, seine eigene oder die seines Machtgebers ist, dem ist unbeschadet der besonderen Bestimmungen für Strafsachen (Abs6) Akteneinsicht und Abschriftenerteilung von der Geschäftsstelle (vom Leiter der Geschäftsabteilung, vom Leiter des Aktenlagers) zu gewähren. Ob dritte Personen die Akten einsehen oder Abschriften erhalten dürfen, entscheidet der Gerichtsvorsteher oder der von ihm bestimmte Richter.

..."

Das antragstellende Gericht führt - nach einem Hinweis auf das erstinstanzliche Verfahren sowie das erhobene Rechtsmittel - bezüglich der Präjudizialität sowie der Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Rechtsvorschriften folgendes aus:

"Ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen ein am betreffenden Verfahren unbeteiligter Dritter in den Gerichtsakt Einsicht nehmen darf, ist nach der geltenden österreichischen Rechtslage durch die auch für das außerstreitige Verfahren zumindest sinngemäß (JBl 1973, 581) anwendbare Gesetzesbestimmung des § 219 Abs 2 ZPO (RGBl. 1895/113) und im übrigen im Verordnungswege, nämlich durch § 11 Abs 1 Z 32 Geo und § 170 Abs 2 bis 6 Geo (jeweils in der Fassung der Verordnung des BMJ vom , BGBl. 264/51) geregelt, soweit nicht für bestimmte Angelegenheiten Sondervorschriften zum Tragen kommen.

Der gegenständliche Fall mit dem in zweiter Instanz noch zu behandelnden Akteneinsichts- und Übersendungsbegehren des F R müßte jedenfalls nach § 219 Abs 2 ZPO und nach den §§11 Abs 1 Z 32 Geo, 170 Abs 2 letzter Satz Geo beurteilt werden. Die Gesetzesvorschrift des § 219 Abs 2 ZPO besagt, daß einem Dritten (der im Verfahren nicht Partei ist) entweder mit Zustimmung der Parteien oder mangels einer solchen Zustimmung dann, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, die Einsichtnahme in den Gerichtsakt und die Abschriftennahme vom Vorsteher des Gerichtes gestattet werden kann. § 170 Abs 2 Geo bestimmt dazu, daß der Gerichtsvorsteher oder der von ihm bestimmte Richter darüber zu entscheiden hat, ob dritte Personen Akten einsehen oder Abschriften erhalten dürfen. Nach § 170 Abs 1 letzter Satz Geo hängt die Gewährung der Akteneinsicht und der Abschriftnahme durch dritte Personen davon ab, ob sie dafür ein rechtliches Interesse glaubhaft machen können oder ob sämtliche an der Sache beteiligten Parteien der Einsicht und Abschriftnahme die Zustimmung erteilen. Die Bestimmung des § 11 Abs 1 Z 32 Geo ordnet alle Geschäftsgänge, die sich für den Gerichtsvorsteher aus dem Ersuchen um Akteneinsicht ergeben, ausdrücklich dem Bereich der Justizverwaltung zu (vgl. auch § 170 Abs 4 Geo).

...

In der herrschenden Rechtslehre, deren Argumentationen sich das Rekursgericht nicht zu verschließen vermag, wird der Standpunkt vertreten, daß die Ermessensentscheidung über Gewährung der Akteneinsicht und der Abschriftnahme durch dritte, am Verfahren unbeteiligte Personen trotz der bestehenden Regelungen nicht als ein Akt der Justizverwaltung, sondern als im ordentlichen Instanzenzug anfechtbare richterliche Entscheidung, somit als eine Angelegenheit der Rechtsprechung, auszumachen ist (siehe Fasching, Kommentar II 1011; Sperl, Lehrbuch der Bürgerlichen Rechtspflege I 3, 772;

Harbich in AnwBl 1988, 3; aber auch Erlaß des BMJ vom , JMZ 598.007-2-II 1/78, JABl Nr 8/1979; Anm 2 zu § 170 Abs 2 Geo;

vgl aber auch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes zum Ablehnungsverfahren, abgedruckt unter E 1 a zu § 24 JN MGA14).

Folgt man diesem, auch vom Rekursgericht in der gegenständlichen Sache vertretenen Standpunkt, dann erweist es sich zunächst, daß die für den gegenständlichen Akteneinsichtsfall maßgebenden Verordnungsbestimmungen des § 11 Abs 1 Z 32 Geo und damit zusammenhängend des § 170 Abs 2 zweiter Satz Geo gesetzwidrig sein müßten. Während die Bestimmung des § 219 Abs 2 ZPO durchaus noch die Auslegung zulassen könnte, daß für eine Entscheidung über das Akteneinsichts- und Abschriftennahmebegehren dritter Personen nur eine besondere funktionelle Zuständigkeit eines, nicht unbedingt mit dem Sachrichter identen Gerichtsorganes, nämlich des Vorstehers (oder Präsidenten) des Gerichtes, normiert wurde (so insbesondere Fasching a.o.O.), zeigt sich jedenfalls, daß die angeführten Geo-Bestimmungen scheinbar rechtswidrig davon ausgehen, daß derartige Geschäftsangelegenheiten zum Kreis der Justizverwaltungsangelegenheiten zählen.

Würde man hiezu abweichend die Auffassung vertreten, daß auch der Verordnungsgeber trotz des § 11 Z 32 Geo bei der Erlassung der Vorschrift des § 170 Abs 2 Satz 2 Geo die Akteneinsicht und Abschriftnahme durch Dritte als eine Angelegenheit der Gerichtsbarkeit behandelt wissen wollte, so wäre jedenfalls § 170 Abs 2 Satz 2 Geo ganz unabhängig vom Gesagten verfassungswidrig, weil mit der dem Gerichtsvorsteher eingeräumten Möglichkeit, einen - beliebigen - anderen Richter mit der Entscheidung zu betrauen, für die die Akteneinsicht und Abschriftnahme verlangende Partei der gesetzliche Richter nicht gewahrt bzw. nicht determiniert bliebe (vgl. Artikel 83 Abs 2 B-VG und Artikel 18 B-VG).

Aus Gründen der Vorsicht und ebenfalls auf Grund gewisser Bedenken sieht sich das Rekursgericht im gegenständlichen Fall auch veranlaßt, durch diese Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof weiters die Frage aufzuwerfen, ob überhaupt die in § 219 Abs 2 Satz 2 ZPO enthaltene Zuständigkeitsregelung verfassungskonform ist, wenn die dort vorgesehene Entscheidung über das Akteneinsichts- und Abschriftnahmebegehren dritter Personen in die Kompetenz des Vorstehers des Gerichtes übertragen wird. In dieser generell anwendbaren Fassung jener Gesetzesbestimmung könnte insoweit eine Verfassungswidrigkeit erblickt werden, als zumindest bei noch anhängigem Verfahren es Sache des mit dem Verfahren zuständigkeitshalber befaßten und mit der Sache naturgemäß auch vertrauten Richters sein müßte, darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang ein Dritter den Akt einsehen und Abschriften nehmen kann. Die Ausübung einer Akteneinsicht durch Dritte kann im Einzelfall ja auch die Interessen der am Verfahren beteiligten Parteien berühren. Zumindest für den Bereich noch anhängiger (unerledigter) Akten ist es daher nach den bestehenden Zuständigkeitssystemen der österreichischen Rechtsordnung nicht einsehbar, weshalb die genannte Entscheidung dem für die Angelegenheit ausschließlich zuständigen Verfahrensrichter entzogen werden soll. In der nicht weiter differenzierten Regelung des § 219 Abs 2 Satz 2 ZPO könnte daher eine sachlich keineswegs zu rechtfertigende Durchbrechung des Prinzips des gesetzlichen Richters erblickt werden.

...

Die Lösung der mit den geäußerten Bedenken aufgeworfenen Rechtsfragen ist für die noch ausstehende Entscheidung des Rekursgerichtes über das Akteneinsichts- und daraus abgeleitete Aktenübersendungsbegehren des F R von ausschlaggebender Bedeutung. Würde man etwa - im Gegensatz zu den vom Rekurssenat geäußerten Ansichten - doch zum Ergebnis kommen, daß es sich hier mit Rücksicht auf die in der Geschäftsordnung enthaltenen Regelungen doch um eine Angelegenheit der Justizverwaltung handelt, müßte insoweit die vom Erstrichter (Dr. M ist zufälligerweise auch Vorsteher des Bezirksgerichtes Spittal/Drau, er hat aber seine gesamte Entscheidung erklärtermaßen nicht als Justizverwaltungsorgan, sondern als zuständiger Sachwalterschaftsrichter getroffen) beschlossene Zurückweisung des Akteneinsichts- und Übersendungsantrages als nichtig behoben werden."

2. Der Bundesminister für Justiz erstattete zum Verordnungsprüfungsantrag eine Äußerung mit dem Begehren, den Antrag zurückzuweisen oder (hilfsweise) abzuweisen. Im einzelnen legte der Bundesminister folgendes dar:

"Die Wendung in der Bestimmung des § 11 Abs 1 Z 32 Geo 'und Geschäfte, die sich für den Gerichtsvorsteher aus dem Ersuchen um Akteneinsicht ergeben' sowie der zweite Satz des § 170 Abs 2 Geo ('... Ob dritte Personen die Akten einsehen oder Abschriften erhalten dürfen, entscheidet der Vorsteher des Bezirksgerichtes oder der vom ihm bestimmte Richter.') sind mit der Verordnung des Bundesministers für Justiz, BGBl. Nr. 479/1991, aufgehoben worden.

Trotz dieser Aufhebung sei darauf hingewiesen, daß die in Rede stehenden, nunmehr aufgehobenen Geo-Bestimmungen weder für das beim antragstellenden Landesgericht Klagenfurt anhängige Verfahren präjudiziell noch gesetzwidrig waren:

1. Die Präjudizialität war nicht gegeben, weil der Vorsteher des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau selbst entschieden hat (sohin der § 170 Abs 2 letzter Satzteil Geo nicht zur Anwendung kam) und im übrigen die angefochtenen Geo-Bestimmugnen im Ergebnis nur Regelungen über die registermäßige Behandlung von Entscheidungen des Vorstehers des Bezirksgerichts (des Präsidenten des Gerichtshofs) über die 'Akteneinsicht und Aktenabschriftnahme' zum Gegenstand haben (s. hiezu die Ausführungen zur fehlenden Gesetzwidrigkeit).

Die Frage der registermäßigen Behandlung der Entscheidung des Vorstehers des Bezirksgerichts ist aber (für sich selbst) keine in Betracht kommende Vorfrage in dem beim Landesgericht Klagenfurt anhängigen Verfahren.

2. Eine Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Geo-Bestimmungen war aus folgenden Gründen nicht gegeben:

2.1. Dem im letzten Satzteil des aufgehobenen § 170 Abs 2 Geo (... entscheidet der Gerichtsvorsteher oder der von ihm bestimmte Richter) war jedenfalls schon durch die §§24 Abs 1, 25 und 27 GOG idF des ArtII des BG BGBl. Nr. 230/1988 materiell derogiert worden; für die Gerichtshofebene hat der § 31 Abs 2 erster Satz GOG schon stets normiert, daß der Präsident von gesetzeswegen durch den Vizepräsidenten vertreten wird; bei gesetzeskonformer Auslegung war sohin für diesen Bereich der letzte Satzteil des aufgehobenen § 170 Abs 2 GOG schon deshalb nicht anwendbar.

2.2. In verfassungskonformer Auslegung des § 219 Abs 2 zweiter Satz ZPO ist es herrschende Lehre und Rechtsprechung, daß die Entscheidung über die 'Akteneinsicht und Aktenabschriftnahme' in jedem Fall eine Angelegenheit der Rechtsprechung und nicht der Justizverwaltung ist. Es handelt sich somit bei der diesbezüglichen Entscheidungsbefugnis des Vorstehers (Präsidenten) des Gerichts um eine besondere funktionelle Zuständigkeit dieses Organs als Richter und nicht als (Justiz-)Verwaltungsorgan (vgl. ÖJZ 1962, 54; MGA ZPO14 E. 1 und 2 zum § 219 ZPO; Fasching II 1011, Anm. 4 zum § 219 ZPO und Sperl, Lehrbuch der Bürgerlichen Rechtspflege I 3, 772).

Davon geht auch die auf Erlaßstufe stehende Anm. 2 zum § 170 Abs 2 Geo des vom Bundesminister für Justiz herausgegebenen Dienstbuchs der Geo3 aus, die wörtlich lautet:

'2. Der Gerichtsvorsteher trifft seine Verfügung in der Regel mündlich, eine Eintragung ins Jv-Register ist zumeist entbehrlich. Es handelt sich dabei übrigens um keine Verwaltungsentscheidung, daher richtet sich auch der Rechtszug nach den für das einzelne Verfahren geltenden Vorschriften.'

Damit ist auf Erlaß- und sohin auch auf (Verwaltungs-)Verordnungsstufe ausdrücklich klargestellt, daß es sich bei der Entscheidung des Vorstehers (oder Präsidenten) des Gerichts über die Gestattung der Akteneinsicht und Aktenabschriftnahme um keine Verwaltungsentscheidung, sondern um eine Entscheidung im Rahmen der unabhängigen Rechtsprechung handelt. Daher richtet sich auch der Rechtszug nach den für das jeweilige (Gerichts)-Verfahren geltenden Vorschriften (siehe wiederum das Dienstbuch der Geo3 Anm. 2 zum § 170 Abs 2).

Die fraglichen, nur auf Verwaltungs- und nicht auf Rechtsverordnungsstufe gestandenen verfahrensgegenständlichen Bestimmungen hatten sohin aus normativer Sicht im Ergebnis nur gerichtsinterne (sohin ohne Drittwirkung ausgestattete) Regelungen über die registermäßige Behandlung der Entscheidungen des Vorstehers (Präsidenten) des Gerichts über die Gestattung der Akteneinsicht oder Aktenabschrift zum Gegenstand.

2.3. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen waren daher die angefochtenen Geo-Bestimmungen nicht gesetzwidrig."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung zum Gesetzesprüfungsantrag mit dem Begehren, die angefochtene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Im wesentlichen führte die Bundesregierung folgendes aus:

"Das antragstellende Gericht verweist unter Anführung von Belegstellen auf die herrschende Rechtslehre, wonach die Gewährung der Akteneinsicht und der Abschriftnahme auch an dritte, am Verfahren nicht beteiligte Personen nicht als ein Akt der Justizverwaltung, sondern als richterliche Entscheidung, somit als Angelegenheit der Rechtsprechung anzusehen ist.

Zutreffend verweist das antragstellende Gericht u.a. auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (der die des Verwaltungsgerichtshofes an die Seite zu stellen wäre) zum Ablehnungsverfahren: Aus dem Umstand, daß § 23 JN den Vorsteher des Bezirksgerichts zur Entscheidung über Ablehnungsanträge beruft, kann keinesfalls geschlossen werden, daß es sich hiebei um eine Angelegenheit der Justizverwaltung handle; bezeichnet doch § 22 Abs 3 des Gerichtsorganisationsgesetzes diese Entscheidung ausdrücklich als eine gerichtliche (vgl. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes Slg. 4249 A/1956 und 6095 A/1963, auf die sich der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B468/75, beruft).

Für die Qualifikation der fraglichen Entscheidung als eine Angelegenheit der Rechtsprechung spricht schließlich der Umstand, daß im Fall des § 219 Abs 2 zweiter Satz ZPO über gegenläufige Interessen von Privatpersonen abgesprochen wird, was eine typische Funktion der Rechtsprechung darstellt.

Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß eine Auslegung der angefochtenen Gesetzesstelle dahingehend zulässig ist, daß der Vorsteher des Gerichts im Fall des § 219 Abs 2 zweiter Satz ZPO als Organ der Rechtsprechung tätig ist.

Selbst wenn man jedoch davon ausginge, daß der Vorsteher des Gerichts im Fall des § 219 Abs 2 zweiter Satz ZPO nach der Absicht des Gesetzgebers nicht in Ausübung seines richterlichen Amtes, sondern als - weisungsgebundenes - Organ der Justizverwaltung tätig würde, so würde dies nicht notwendigerweise die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung bedeuten. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis Slg. Nr. 7376/1974 ausgesprochen hat, versteht Art 87 Abs 2 B-VG unter Justizverwaltung

'eine durch Richter ausgeübte, ihrem Inhalt nach aber nicht der Rechtsprechung zuzuzählende Tätigkeit, bei deren Besorgung diese - je nachdem, ob ein Einzelrichter oder ein Richterkollegium tätig wird - entweder weisungsgebunden sind oder richterliche Unabhängigkeit genießen. Voraussetzung für diese Qualifikationm ist überdies, daß die fragliche Tätigkeit zur richterlichen Funktion irgendeinen Bezug hat; sei es, daß sie dem Funktionieren der Gerichtsbarkeit dienen, durch gerichtliche Entscheidungen bedingte Vorkehrungen anderer Organe erleichtern soll oder auf eine andere Art mit richterlicher Tätigkeit im Zusammenhang steht. Ob eine konkrete Aufgabe danach zur Justizverwaltung zu zählen ist, mag in Einzelfällen schwierig zu beantworten sein und es wird in einem solchen Fall auch auf die einfachgesetzliche Rechtslage im Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG Bedacht zu nehmen sein.'

Sollte der Gesetzgeber der Zivilprozeßordnung daher die Entscheidung eines Organes der Justizverwaltung im Auge gehabt haben, so wäre dies auch für die Auslegung der angefochtenen Bestimmung im Lichte des Art 87 Abs 2 B-VG von Bedeutung. Zur Entstehungsgeschichte dieser Regelung darf im übrigen auf die Ausführungen unter Pkt. II verwiesen werden.

Für die Zuweisung der Entscheidung über die Akteneinsicht in jedem Fall an den Gerichtsvorsteher würde auch der Umstand sprechen, daß der Gesetzgeber offenbar eine einheitliche Regelung wünschte und eine Differenzierung zwischen anhängigen und abgeschlossenen Verfahren nicht für angebracht hielt.

Nach den Ausführungen des antragstellenden Gerichts auf S. 5 des Antrages könnte darin, daß der Gerichtsvorsteher nicht nur für abgeschlossene, sondern auch für anhängige Verfahren über die Gewährung von Akteneinsicht und Abschriftnahme an Dritte zu entscheiden hat, 'eine sachlich keineswegs zu rechtfertigende Durchbrechung des Prinzips des gesetzlichen Richters' erblickt werden.

Das antragstellende Gericht versteht hiebei unter dem gesetzlichen Richter offensichtlich ausschließlich denjenigen Organwalter, der das Verfahren, auf dessen Akten sich das Einsichtsbegehren richtet, führt; es sei nicht einsehbar, weshalb die genannte Entscheidung dem für die Angelegenheit ausschließlich zuständigen Verfahrensrichter entzogen werden solle.

Die Annahme des antragsstellenden Gerichts, durch § 219 Abs 2 zweiter Satz ZPO würde dem Akteneinsicht begehrenden Dritten der gesetzliche Richter im Sinne des Art 83 Abs 2 B-VG entzogen, ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht begründet. Durch die in Rede stehende Bestimmung wird ja lediglich ein vom Verfahrensrichter verschiedener Richter zuständig gemacht, bei dem es sich jedoch gleichfalls um einen 'gesetzlichen Richter' handelt. Von einer Durchbrechung des Prinzips des gesetzlichen Richters kann somit berechtigterweise nicht gesprochen werden.

Insofern das antragstellende Gericht die sachliche Rechtfertigung der von ihm in der angefochtenen Wortfolge erblickten Durchbrechung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters in Frage stellt - allerdings ohne sich auf den Gleichheitssatz zu berufen - ist der Vollständigkeit halber auf die Erläuternden Bemerkungen zu § 235 Abs 2 der Regierungsvorlage einer Civilprozeßordnung, 688 BlgAbgH 11. Sess. 277, auf den die in Prüfung stehende Bestimmung zurückgeht, zu verweisen. Darin wird ausgeführt:

'Die Vorschrifen über die Bewilligung der Acteneinsicht an dritte Personen weichen vom geltenden Rechte nicht erheblich ab. Zur Ertheilung dieser Bewilligung wurde der Gerichtsvorsteher ermächtigt (§235, Absatz 2), weil eine solche Entscheidung auf freiem Ermessen beruhen muß und in der Regel sofort erfolgen soll.'"

II. Die Normenprüfungsanträge sind zulässig und im Ergebnis auch gerechtfertigt.

1. Der Bundesminister für Justiz bestreitet in seiner Äußerung die Präjudizialität der angefochtenen Verordnungsstellen mit dem Argument, daß sie "im Ergebnis" bloß die registermäßige Behandlung von Entscheidungen des Gerichtsvorstehers (bzw. des Präsidenten des Gerichtshofs) beträfen.

Diesen Einwand hält der Verfassungsgerichtshof jedoch schon vom Ansatz her für verfehlt, weil er weder mit dem Wortlaut der Verordnungsbestimmungen noch mit ihrer systematischen Stellung innerhalb der Geo in eine sinnvolle Beziehung gebracht werden kann. Im übrigen läßt die Äußerung des Bundesministers für Justiz die ständige, auch hier beizubehaltende Rechtsprechung außer Betracht, daß sich der Verfassungsgerichtshof nicht für berechtigt hält, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichts in der Hauptsache vorgreifen würde; ein Antrag iS des Art 139 B-VG (ebenso ein solcher iS des Art 140 B-VG) wäre nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückzuweisen, wenn es offenkundig unrichtig (also denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 12286/1990 oder VfSlg. 12740/1991).

Der Verfassungsgerichtshof vermag auch der vom Bundesminister für Justiz vertretenen Ansicht nicht beizupflichten, daß dem § 170 Abs 2 Geo durch die §§24 Abs 1, 25 und 27 des Gerichtsorganisationsgesetzes idF der Novelle BGBl. 230/1988 materiell derogiert worden sei. Die bezogene Vorschrift stellt sich nämlich im Verhältnis zu den angeführten allgemeinen Vorschriften des GOG, welche die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den Gerichtsvorsteher und andere Richter sowie dessen Vertretung in Justizverwaltungsangelegenheiten zum Gegenstand haben, als die speziellere (nämlich nur die Entscheidung über die Akteneinsicht betreffende) Regelung dar. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, daß die Ansicht des Bundesministers für Justiz auch mit seiner eigenen Verordnung BGBl. 479/1991 nicht im Einklang steht, durch welche (auch) die angegriffene Verordnungsstelle - als dem geltenden Rechtsbestand angehörend - aufgehoben wurde.

Auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen des Verordnungsprüfungsverfahrens liegen ebenso vor wie jene des Gesetzesprüfungsverfahrens.

III. 1. Der Verfassungsgerichtshof teilt die von den Verfahrensparteien übereinstimmend (unter Bezugnahme auf das rechtswissenschaftliche Schrifttum) vertretene Auffassung, daß die in § 219 Abs 2 ZPO geregelte Angelegenheit nicht in den Bereich der Justizverwaltung fällt, sondern eine solche der gerichtlichen Rechtsprechung bildet. Eine nähere Begründung dieser Ansicht erscheint dem Gerichtshof jedoch als entbehrlich, weil man selbst auf dem Boden der gegenteiligen Rechtsmeinung in der hier zu entscheidenen Frage zum gleichen Ergebnis gelangte.

Das antragstellende Gericht leitet die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des § 219 Abs 2 zwar nicht ausdrücklich, wohl aber der Sache nach aus einem Verstoß gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot ab; wenngleich es sich zwar auf das "Prinzip des gesetzlichen Richters" beruft, erblickt es in der kritisierten Regelung eine "sachlich keineswegs zu rechtfertigende Durchbrechung" dieses Grundsatzes und begründet diese Ansicht durchwegs mit Argumenten, die auf den Nachweis mangelnder sachlicher Rechtfertigung, mithin auf den der Gleichheitswidrigkeit abzielen.

Dieser Vorwurf eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz ist begründet.

Es trifft zu, daß es in Ansehung anhängiger (also - wie zur Verdeutlichung wiederholend festgehalten sei - noch nicht abgeschlossener) Verfahren keinen einsichtigen Grund dafür gibt, die Entscheidung über das Begehren um Akteneinsicht (hier und im folgenden ist stets auch das um Abschriftnahme mitgemeint) einem anderen Organ als dem in der anhängigen Zivilrechtssache zuständigen Richter zu übertragen, der mit dem Rechtsfall und demnach der Interessenlage der Parteien des Verfahrens vertraut ist. Gerade der Umstand, daß Anlaß zur Entscheidung über die von einem Dritten verlangte Akteneinsicht die fehlende Zustimmung zumindest einer Verfahrenspartei bildet, läßt auf die Möglichkeit eines zu klärenden und abzuwägenden Interessengegensatzes zwischen Verfahrensparteien und dem Akteneinsicht verlangenden Dritten schließen; bei einer solchen - wohl regelmäßig oder zumindest häufig - anzunehmenden Lage erscheint es von vornherein als sachfremd, zu dieser Klärung und Abwägung ein mit dem Verfahren (jedenfalls noch) nicht vertrautes Organ zu berufen, das seine maßgebende (und potentiell auf den Rechtsfall rückwirkende) Entscheidung sogar im Gegensatz zur Auffassung des zur Entscheidung in der Zivilrechtssache zuständigen Richters treffen kann. Eine solche Regelung ist (und zwar auch dann, wenn man die funktionelle Zuständigkeit des Gerichtsvorstehers als in den Bereich der Justizverwaltung fallend ansieht) sachlich nicht begründbar und widerspricht somit dem dem Gleichheitsgebot immanenten Sachlichkeitsgebot (s. dazu etwa VfSlg. 11934/1988, S. 710 mit weiteren Judikaturhinweisen).

Die angefochtene Wortfolge im § 219 Abs 2 ZPO ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die im Verordnungsprüfungsverfahren angefochtenen Vorschriften der Geo sind nunmehr auf dem Boden der bereinigten Rechtslage zu beurteilen, die - im Hinblick auf den Wegfall der Entscheidungszuständigkeit des Gerichtsvorstehers über Begehren Dritter um Akteneinsicht - keine Basis mehr für die Begründung einer solchen Kompetenz des Gerichtsvorstehers im Bereich des zivilgerichtlichen Verfahrens bilden. Da die Anfechtung der gesetzlichen Grundlage der Verordnungsvorschriften notwendig die Behauptung ihrer Gesetzwidrigkeit im Fall der Berechtigung des gegen das Gesetz erhobenen Vorwurfs in sich schließt, sind die angegriffenen Verordnungsbestimmungen als gesetzwidrig zu befinden. Da sie bereits durch die Verordnung BGBl. 479/1991 außer Kraft gesetzt wurden, hat sich der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 139 Abs 4 B-VG auf den Ausspruch zu beschränken, daß die geprüften Verordnungsstellen gesetzwidrig waren.

3. Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art 140 Abs 5 erster Satz sowie Abs 6 erster Satz B-VG bzw. auf Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.