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VfGH vom 02.10.1998, G247/97

VfGH vom 02.10.1998, G247/97

Sammlungsnummer

15271

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der umfassenden, für alle Unternehmensbereiche der ÖBB normierten Gebührenbefreiung im BundesbahnG 1992

Spruch

In § 19 Abs 1 Z 1 Bundesbahngesetz 1992, BGBl. Nr. 825, werden die Wortfolgen "- und gebühren" sowie "ausgenommen die Begünstigungen nach dem Gebührengesetz 1957" als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Gemäß § 33 TP8 Abs 1 und TP19 Abs 1 GebG 1957 unterliegen Darlehensverträge und Kreditverträge der Gebührenpflicht; für bestimmte Arten von Darlehens- und Kreditverträgen werden in den genannten TPGebührenbefreiungen normiert. Generell sind gemäß § 2 Z 1 GebG 1957 von der Entrichtung von Gebühren der Bund, die von ihm betriebenen Unternehmungen sowie öffentlich-rechtliche Fonds, deren Abgänge der Bund zu decken verpflichtet ist, befreit. Nach § 1 des Bundesgesetzes vom , BGBl. 24/1949, sind unter anderem Darlehen und Kredite von Gebietskörperschaften von den Stempel- und Rechtsgebühren befreit.

Mit dem Bundesbahngesetz 1992, BGBl. 825 (im folgenden: BundesbahnG), wurde der Wirtschaftskörper des Bundes "Österreichische Bundesbahnen" in eine juristische Person des privaten Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit umgestaltet (§1 leg.cit.).

Nach dem ersten Satz des § 18 BundesbahnG gelten alle dem bisherigen Wirtschaftskörper "Österreichische Bundesbahnen" eingeräumten Abgabenbefreiungen in gleicher Weise für die Gesellschaft "Österreichische Bundesbahnen". Der unter der Rubrik "Sonderbestimmungen" stehende § 19 bestimmt in seinem Abs 1 (die in Prüfung stehenden Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Auf das Unternehmen Österreichische Bundesbahnen finden auch Anwendung:


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1.
die dem Bund auf Grund bundesgesetzlicher Bestimmungen eingeräumten abgaben- und gebührenrechtlichen Begünstigungen, ausgenommen die Begünstigungen nach dem Gebührengesetz 1957


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2.
die Bestimmungen der §§14 Abs 2, 26 Abs 2 und 29 Abs 1 zweiter Satz des Eisenbahngesetzes 1957


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3. die Bestimmungen des Katastrophenfondsgesetzes 1986."

II. 1. Aus Anlaß zweier bei ihm anhängiger Verfahren stellte der Verwaltungsgerichtshof an den Verfassungsgerichtshof jeweils den Antrag, "in § 19 Abs 1 Z 1 Bundesbahngesetz 1992, BGBl. Nr. 825, die Wortfolgen '- und gebühren' sowie 'ausgenommen die Begünstigungen nach dem Gebührengesetz 1957', in eventu § 33 TP19 Abs 1 GebG 1957, BGBl. Nr. 267, als verfassungswidrig aufzuheben"; in einem der beiden Anträge wird der Eventualantrag auch auf § 33 TP8 Abs 1 GebG 1957 erweitert.

Mit den Bescheiden, die der Verwaltungsgerichtshof auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen habe, sei den bei ihm beschwerdeführenden Kreditinstituten für einen Darlehensvertrag und für Kreditverträge Gebühren nach § 33 TP8 Abs 1 bzw. TP19 Abs 1 vorgeschrieben worden; der Antrag auf Gebührenbefreiung sei mit dem Argument abgewiesen worden, daß das Bundesgesetz vom , BGBl. 24/1949, "de facto" eine Erweiterung der Gebührenbefreiung nach § 2 GebG darstellte, sodaß es sich inhaltlich um eine Gebührenbefreiung nach dem GebG 1957 handle. Daher könne das Unternehmen ÖBB gemäß § 19 Abs 1 Z 1 letzter Halbsatz BundesbahnG nicht in den Genuß der Gebührenbefreiung kommen.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes stehe im Beschwerdefall in Streit, ob von den den ÖBB durch § 19 Abs 1 Z 1 BundesbahnG eingeräumten abgaben- und gebührenrechtlichen Begünstigungen nicht nur die im GebG 1957 selbst enthaltenen Begünstigungen, sondern auch gebührenrechtliche Begünstigungen, die in anderen Bundesgesetzen normiert sind, ausgenommen seien. Die Bestimmung des § 19 Abs 1 Z 1 BundesbahnG über die Anwendung der den ÖBB eingeräumten gebührenrechtlichen Begünstigungen stelle daher eine Voraussetzung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in den Beschwerdefällen dar.

Überdies bilde die Ausnahmeregelung mit der die Gebührenpflicht anordnenden Bestimmung der entsprechenden TPdes § 33 GebG 1957 eine systematische Einheit, weshalb auch der (eventualiter) gestellte, auf die die Gebührenpflicht anordnenden Bestimmungen gerichtete Aufhebungsantrag zulässig sei.

In der Sache hegt der Verwaltungsgerichtshof Bedenken ob der Gleichheitsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen und bezieht sich dabei auf den das - in der Zwischenzeit mit VfSlg. 14805/1997 abgeschlossene - Gesetzesprüfungsverfahren betreffend die Befreiung der ÖBB von der Kommunalsteuer einleitenden Beschluß des Verfassungsgerichtshofes. Den damals vom Verfassungsgerichtshof formulierten Bedenken schließt sich der Verwaltungsgerichtshof aus nachstehenden Erwägungen an:

"Das privatrechtliche organisierte Unternehmen der Österreichischen Bundesbahnen wird in der genannten Bestimmung somit hinsichtlich der abgaben- und gebührenrechtlichen Bestimmungen dem Bund gleichgestellt. Die Privilegierung des Bundes gegenüber anderen Abgabenschuldnern wurde zunächst hinsichtlich ausschließlicher Bundesabgaben damit begründet, daß die Zahlung solcher Abgaben zugleich eine Ausgabe und eine Einnahme des Bundes darstellen würde (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg. 5909/1969 zu Gerichtsgebühren; ähnlich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 94/16/0271, zu Stempelgebühren). Sodann wurde zu der in Rede stehenden Befreiungsbestimmung nach § 1 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 24/1949 im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 10188/1984 ausgesprochen, daß es dem Gesetzgeber freistehe, gemeinnützige Vorgänge von der Abgabe zu befreien. Wenn er diese Befreiung auf die Gebietskörperschaften beschränkt habe, würde er damit jene gemeinnützigen Rechtsträger begünstigen, deren Aufgaben grundsätzlich umfassend seien.

Während somit eine abgaben- und gebührenrechtliche Begünstigung gegenüber dem Bund und den übrigen Gebietskörperschaften insbesondere im Hinblick auf deren umfassenden Aufgabenbereich gerechtfertigt ist, ist eine solche Rechtfertigung für die Gesellschaft 'Österreichische Bundesbahnen' nicht erkennbar. Insbesondere erscheint es unsachlich, daß das Unternehmen 'Österreichische Bundesbahnen' in bezug auf die Kreditgebühren anders als andere Unternehmungen, die Transportleistungen oder andere Infrastrukturleistungen erbringen, behandelt werden. Solche Unternehmungen unterliegen hinsichtlich der von ihnen aufgenommenen Darlehen und Kredite den Rechtsgebühren im Sinne des § 33 TP8 und TP19 GebG 1957. Die Regelung des § 19 Abs 1 Z. 1 Bundesbahngesetz 1992 erscheint damit gleichheitswidrig. Diese Gleichheitswidrigkeit strahlt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die im Beschwerdefall anzuwendenden Grundtatbestände des § 33 TP8 Abs 1 und TP19 Abs 1 GebG 1957 aus, wobei es dieser Auswirkung nicht entgegenstehen kann, daß die Ausnahmeregelungen des § 19 Abs 1 Z. 1 Bundesbahngesetz 1992 i.V.m. § 1 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 24/1949 sich außerhalb des Gebührengesetzes 1957 finden."

2. Die Bundesregierung erstattete Äußerungen, in denen sie sich "im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G400/96, G44/97" (= VfSlg. 14805/1997) auf Ausführungen hinsichtlich des jeweils gestellten Eventualantrages beschränkt. (Diese Ausführungen werden nicht wiedergegeben, da der Verfassungsgerichtshof angesichts der Berechtigung der vom Verwaltungsgerichtshof primär gestellten Anträge auf die Eventualanträge nicht weiter einzugehen hatte.)

Für den Fall einer Aufhebung stellte die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof "wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen".

3. Die in den Gesetzesprüfungsverfahren beteiligten ÖBB erstatteten Äußerungen, in denen sie primär die Auffassung vertreten, daß der vom Verwaltungsgerichtshof gestellte Aufhebungsantrag "sowohl in seiner Grundfassung als auch hinsichtlich des Eventualbegehrens zu weit gefaßt (sei) und offenbar am Ziel vorbeigeht."

In der Sache treten die ÖBB den gleichheitsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes entgegen. Dazu führen sie unter anderem aus:

"Mit dem Bundesbahngesetz 1992 wurde die Tätigkeit der ÖBB in zwei Unternehmensbereiche gegliedert: Verkehrsleistungen (Absatz) und Infrastruktur. Gerade für die Schaffung bzw Erhaltung der erforderlichen Eisenbahninfrastruktur besteht bei den ÖBB ein enormer Kapitalbedarf. In die Kalkulationen betreffend die Infrastrukturleistungen sind selbstverständlich sämtliche Abgaben- und Gebührenbefreiungen der Gestalt eingeflossen, dass diese auch zu einer Reduktion der durch Bund zu refundierenden Beträge führen. Die Anwendung des AnleihenG 1948 entlastet daher die betreffenden Budgets und verringert diejenigen Beträge, die der Bund gemäß § 2 Abs 2 Bundesbahngesetz 1992 an die ÖBB zu refundieren hat.

Dies gilt sinngemäß auch für die von den ÖBB im Rahmen der Verkehrsleistungen erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Die Gebührenbefreiung senkt die Kosten in diesem Bereich, was wiederum dem Bund insoweit zugute kommt, als rund 1/3 der Verkehrsleistungen der ÖBB als gemeinwirtschaftliche Leistungen gemäß § 3 Abs 2 Bundesbahngesetz 1992 letztlich vom Bund getragen werden.

Die drei Anlassfälle, die dem Antrag des VwGH zugrunde liegen, betreffen Kreditverträge, die ausschließlich dem Unternehmensbereich Infrastruktur zuzurechnen sind. Weiteren 21 Kredit- bzw Darlehensverträgen wurden dem Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien angezeigt, ohne dass bisher eine bescheidmäßige Erledigung erfolgt wäre. Von diesen Verträgen entfallen 20 auf den Bereich Infrastruktur (Kreditvolumen ATS 9.846.209.500,-- oder 98 %) und nur einer auf den Bereich Absatz/Verkehrsleistungen (Kreditvolumen ATS 150.000.000,-- oder 2 %)."

Daher treffe die Begünstigung der ÖBB (anders als im Falle der Kommunalsteuer) nahezu ausschließlich die Infrastrukturleistungen, hinsichtlich derer die ÖBB nicht im Wettbewerb mit anderen Unternehmungen stünden.

"Aber auch die Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmungen, welche Transportleistungen erbringen, ist im Bereich der Rechtsgeschäftsgebühr für Kredit- und Darlehensverträge nicht gegeben. Der Kreditbedarf anderer Transportunternehmen, die potentiell im Wettbewerb mit den ÖBB stehen, reicht bei weitem nicht an denjenigen der ÖBB heran, weil Eisenbahntransportleistungen ein besonders hohes Investitionsvolumen erfordern. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass weder im Antrag des VwGH noch im E des VfGH zu § 8 KommStG konkrete Unternehmungen genannt werden, welche im Vergleich zu den ÖBB benachteiligt wären."

Die Gebührenbefreiung der Gebietskörperschaften sei gerechtfertigt, weil die Schaffung einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur nur durch Fremdfinanzierung bewerkstelligt werden könne, sodaß Kreditaufnahmen in hohem Ausmaß erforderlich seien.

"Die sachliche Rechtfertigung der Gebührenbefreiung für Gebietskörperschaften ist daher bisher auch nicht in Frage gestellt worden (, ÖStZB 1986, 71).

Die gleichen Argumente, die für die - verfassungsrechtlich zulässige - Gebührenbefreiung der Gebietskörperschaften ins Treffen geführt werden, sprechen auch für die Unbedenklichkeit der Gebührenbefreiung für die ÖBB. So wie die Gebietskörperschaften haben die ÖBB einen Finanzierungsaufwand, der weit über denjenigen privater Unternehmungen hinausgeht. Die Investitionen der ÖBB - sei es im Infrastrukturbereich, sei es im Transportbereich - stellen die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Aufgaben dar, die nicht mit den ausschließlich gewinnorientierten Zielen anderer Unternehmungen verglichen werden können.

Die Gebührenbefreiung im Infrastrukturbereich stellt lediglich eine Verrechnungsvereinfachung dar, weil Gebühren, die die ÖBB an den Bund zu zahlen hätten, unmittelbar zu erhöhten Ausgaben des Bundes im Rahmen der Refundierung der Infrastrukturleistungen gemäß § 2 Abs 2 BundesbahnG 1992 führen.

Selbst wenn der VfGH im Bereich der Verkehrsleistungen unsachliche Besserstellung der ÖBB im Vergleich zu anderen Unternehmungen erkennen sollte, könnte dies nicht zur Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen führen. Eine an sich sachliche Regelung wird nämlich nicht durch ganz geringfügige problematische Ausnahmefälle unsachlich. Der Gesetzgeber durfte daher im Hinblick auf das eindeutige Überwiegen der Kreditaufnahmen im Infrastrukturbereich eine vereinfachende Regelung vorsehen, die nicht zwischen den beiden Unternehmensbereichen der ÖBB unterscheidet (Walter/Mayer, aaO, RZ 1350 und die dort zitierte Judikatur des VfGH)."

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

1. Die Primäranträge des Verwaltungsgerichtshofes sind zulässig. Es kann angesichts des vom Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen dargestellten Verwaltungsgeschehens nicht zweifelhaft sein, daß die Bestimmung des § 19 Abs 1 Z 1 BundesbahnG bei Erlassung der bekämpften Bescheide angewendet wurde; der Verfassungsgerichtshof kann dem Verwaltungsgerichtshof schon im Hinblick auf den von ihm bei der Beurteilung der Präjudizialität gerichtlich angefochtenen Bestimmungen anzuwendenden Maßstab (vgl. etwa VfSlg. 11565/1987, 13424/1993, 14890/1997) nicht entgegentreten, wenn er davon ausgeht, daß er bei Überprüfung der bei ihm bekämpften Bescheide § 19 Abs 1 Z 1 BundesbahnG insoweit anzuwenden hätte, als er die gebührenrechtliche Stellung der ÖBB regelt, und zwar schon für sich selbst und nicht nur im systematischen Zusammenhang mit den die Gebührenpflicht vorschreibenden Bestimmungen, von denen er eine Ausnahme statuiert.

2. Die Anträge sind auch begründet:

a) Der Verfassungsgerichtshof hat mit VfSlg. 14805/1997 die die gesamte Unternehmenstätigkeit betreffende, umfassende Befreiung der ÖBB von der Kommunalsteuer als verfassungswidrig erkannt. Er begründete dies im wesentlichen folgendermaßen:

Die ÖBB erbrächten - abgesehen von Leistungen geringfügigen Umfangs - sowohl Leistungen der Personen- und Güterbeförderung, und zwar vornehmlich auf der Schiene, aber auch im Kraftwagen-, Dienst- und im Schiffahrtsverkehr (im Geschäftsbericht als Unternehmensbereich "Absatz" bezeichnet), als auch Eisenbahninfrastrukturleistungen. Diese Teilung der Unternehmensbereiche sei gemeinschaftsrechtlich begründet. Während für den Unternehmensbereich "Eisenbahninfrastruktur" gemäß § 2 Abs 2 BundesbahnG der Bund die Kosten zu tragen habe, hätten die Bundesbahnen die Aufwendungen des Unternehmensbereiches "Absatz" durch eigene Einnahmen zu decken, wobei bei den Einnahmen aus diesem Unternehmensbereich jene aus der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Sinne des § 3 BundesbahnG eine besondere Rolle spielten. Entsprechend einer in dieser Bestimmung verwiesenen gemeinschaftsrechtlichen Regelung sei über die Erbringung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen und deren Abgeltung eine Vereinbarung geschlossen worden. Da die gemeinwirtschaftlichen Leistungen dem Gesetz gemäß gesondert abgegolten und die Leistungen im Unternehmensbereich "Infrastruktur" überhaupt durch den Bund finanziert würden, könne die Erbringung dieser Leistungen nicht als Rechtfertigung für die Befreiung der ÖBB von der Kommunalsteuer herangezogen werden, die dem Unternehmen für seine gesamte Unternehmenstätigkeit, also nicht nur für die Infrastrukturleistungen und die gemeinwirtschaftlichen Leistungen, sondern auch für die Erbringung der Leistungen im Personen- und Güterverkehr zugute kämen.

Ausdrücklich hielt der Verfassungsgerichtshof fest, daß er keine Bedenken gegen eine steuerliche Entlastung hätte, die im Unternehmensbereich "Eisenbahninfrastruktur" wirksam würde, doch dürfte sich eine solche Begünstigung bloß im Rechnungskreis Infrastruktur auswirken und nicht zur Quersubventionierung des Unternehmensbereiches "Absatz" führen. Auch bestünden im Prinzip keine Bedenken dagegen, im Zusammenhang mit den vertraglich vereinbarten gemeinwirtschaftlichen Leistungen und deren Abgeltung eine Steuerbefreiung quasi als Entgeltbestandteil vorzusehen, sofern dieser Begünstigung entsprechende Leistungen gegenüberstehen. Eine entsprechende Vereinbarung bestünde derzeit freilich nicht.

Nicht gerechtfertigt werden könne aber angesichts der im BundesbahnG und den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vorgesehenen Notwendigkeit der strikten Zuordnung der Leistungen des Bundes zu den einzelnen Bereichen eine Begünstigung hinsichtlich von Steuern, die bei der Erbringung der Leistungen des allgemeinen Personen- und Güterverkehrs anfallen. Das auch hiefür bestehende öffentliche Interesse vermöge die Steuerbefreiung nicht zu tragen, da es nicht anders zu beurteilen sei, als das öffentliche Interesse am reibungslosen Funktionieren der Erbringung anderer wesentlicher Verkehrsleistungen. Dies werde besonders deutlich, wenn man die erwähnten Leistungen der ÖBB jenen Verkehrsleistungen gegenüberstelle, die andere Verkehrsträger wie zB Privatbahnen oder private Autobusunternehmungen erbringen. Dafür, daß die ebenfalls im öffentlichen Interesse liegende Verkehrsleistungen erbringenden Unternehmungen der Kommunalsteuerpflicht unterliegen, die ÖBB aber nicht, sei eine sachliche Rechtfertigung nicht zu finden.

b) Diese Erwägungen, die die Gleichheitswidrigkeit der umfassenden Befreiung der ÖBB von der Kommunalsteuer erwiesen, gelten mutatis mutandis auch im vorliegenden Fall: Die durch § 19 Abs 1 Z 1 BundesbahnG bewirkte Abgaben- und Gebührenbefreiung bezieht sich auf alle Tätigkeiten der ÖBB. Sie mag - wie sich aus dem eben referierten Entscheidungsgründen des Erkenntnisses VfSlg. 14805/1997 ergibt - für die Infrastrukturleistungen gerechtfertigt sein, und es mag zulässig sein, sie bei der Berechnung der Abgeltung für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu berücksichtigen; nicht aber kann die Begünstigung für die übrigen Unternehmensbereiche gerechtfertigt werden. Denn im Unternehmensbereich "Absatz" erbringen die ÖBB in gleicher Weise wie andere Unternehmungen im öffentlichen Interesse liegende Verkehrsleistungen; die Begünstigung der ÖBB kann insofern - wie sich ebenfalls aus dem zitierten Vorerkenntnis ergibt - sachlich nicht gerechtfertigt werden. Die Gebührenbefreiung, die sich auf die Unternehmenstätigkeit der ÖBB insgesamt bezieht, ist daher in diesem Umfang gleichheitswidrig.

c) Im Hinblick auf das Vorbringen der ÖBB im Verfahren (vgl. oben Pkt. II.3.) sieht sich der Verfassungsgerichtshof noch veranlaßt, folgendes klarzustellen: Für die Beurteilung im Gesetzesprüfungsverfahren ist es unerheblich, ob sich die den Anlaßverfahren beim Verwaltungsgerichtshof zugrunde liegenden Kredit- und Darlehensverträge auf Geschäftsfälle im Bereich der Infrastruktur oder in anderen Geschäftsbereichen beziehen; denn der Verfassungsgerichtshof hat eine angefochtene Rechtsvorschrift unabhängig vom Anlaßfall auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (vgl. VfSlg. 9901/1983, 11190/1986 und 11290/1987). Auch wenn es zutreffen sollte, daß der größte Teil der Kredite - wie die ÖBB in ihrer Äußerung vorbringen - für Maßnahmen des Ausbaus der Infrastruktur aufgenommen werden (was der Verfassungsgerichtshof in diesem Verfahren nicht zu überprüfen hat), änderte sich nichts am Ergebnis des Verfahrens: Denn die Bestimmung befreit eben auch von Gebühren, die im Zusammenhang mit anderen Geschäftsfällen anfallen und es ist eben der Umstand, daß sich die Steuerbegünstigung auf die gesamte Unternehmenstätigkeit der ÖBB bezieht, sachlich nicht zu rechtfertigen.

d) Die gleichheitsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes treffen somit zu; den von ihm - primär - gestellten Aufhebungsanträgen war daher stattzugeben.

3. Da sich die Gebührenbefreiung bloß in ihrer derzeitigen, alle Geschäftsfälle der ÖBB umfassenden Ausgestaltung als sachlich nicht zu rechtfertigen erwiesen hat und eine entsprechende Ersatzregelung - vorbehaltlich ihrer gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit (vgl. Art 92 ff. EGV) - einer Befreiung für Teilbereiche der Unternehmenstätigkeit der ÖBB eine aus der Sicht der verfassungsrechtlichen Vorgaben mögliche rechtspolitische Option des Gesetzgebers darstellt, sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, für das Außerkrafttreten der aufzuhebenden Bestimmungen eine Frist zu bestimmen; dies gründet sich auf Art 140 Abs 5 B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG iVm § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG, BGBl. 660/1996.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.