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VfGH vom 04.10.1995, G246/94

VfGH vom 04.10.1995, G246/94

Sammlungsnummer

14292

Leitsatz

Auseinandersetzung um die Höhe von Betriebskosten zwischen Vermieter und Mieter als "civil rights"; direkte Auswirkung derartiger Entscheidungen auch auf andere Mieter; daher Einhaltung der Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK geboten; kein Widerspruch der Bestimmung des WohnungsgemeinnützigkeitsG über die Form der Zustellung von Verständigungen des Gerichtes in derartigen Verfahren durch Anschlag im Stiegenhaus gegen das Recht auf ein faires Verfahren

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Landesgericht Krems an der Donau ist ein Verfahren über einen Rekurs anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

In die Betriebskostenabrechnung eines Wohnhausobjekts in Krems an der Donau für 1991 wurden von der Vermieterin, der Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft für Bundesbedienstete GmbH (BUWOG), die Kosten für die Neuanschaffung eines Rasenmähers und einer Heckenschere samt Kabel aufgenommen und den Mietern vorgeschrieben. Dagegen wandte sich die Republik Österreich (richtig: der Bund) als Hauptmieter einiger Wohneinheiten und begehrte gemäß § 22 Abs 1 Z 1 (so im Rubrum) bzw. Z 7 (so im Antrag) WWG (gemeint offenkundig: WGG) die Feststellung gegenüber der Antragsgegnerin, daß das für die Wohnungen der Antragstellerin angemessene Entgelt durch die Vorschreibung dieser Kosten überschritten wurde.

Das Bezirksgericht Krems an der Donau entschied im Sinne des antragstellenden Bundes. Dagegen brachte die Antragsgegnerin einen Rekurs ein, über den das Verfahren beim Landesgericht Krems an der Donau (dort protokolliert zu Z 1 R 70/94) anhängig ist.

2. Das Landesgericht Krems an der Donau stellt aus Anlaß dieses Verfahrens an den Verfassungsgerichtshof den auf Art 140 Abs 1 B-VG gestützten Antrag, § 22 Abs 4 Z 4 des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG), BGBl. 139/1979, idF des § 55 Z 11 des Mietrechtsgesetzes (MRG), BGBl. 520/1981, als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die angefochtene Bestimmung steht in folgendem normativen Zusammenhang: Gemäß § 22 Abs 1 WGG entscheidet das für Zivilrechtssachen zuständige Bezirksgericht, in dessen Sprengel die Baulichkeit gelegen ist, unter anderem über die Angemessenheit des vereinbarten oder begehrten Preises und Entgelts und die Verteilung der Kosten für den Betrieb des Objekts. Für diese Verfahren gelten gemäß § 22 Abs 4 leg.cit. die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren außer Streitsachen mit bestimmten Besonderheiten, die sich zum Teil aus in diesem Absatz verwiesenen Bestimmungen des MRG und zum Teil aus ausdrücklichen Anordnungen im genannten Abs 4 des § 22 WGG ergeben. Diese Anordnungen lauten, soweit sie hier von Bedeutung sind (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"1. Die Verfahren werden auf Antrag eingeleitet.

2. Von Verfahren, die von einem oder mehreren Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten einer Baulichkeit gegen die Bauvereinigung eingeleitet werden, hat das Gericht auch die anderen Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten der Baulichkeit, deren Interessen durch die Stattgebung des Antrages unmittelbar berührt werden könnten, zu verständigen. Auch diesen Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten ist Gelegenheit zur Teilnahme am Verfahren zu geben; es genügt, wenn sie zu einem Zeitpunkt, zu dem dies noch zulässig ist, Gelegenheit zu Sachvorbringen haben.

3. ...

4. Sind von einem Verfahren nach Z 2 auch andere Mieter oder sonstige Nutzungsberechtigte der Baulichkeit zu verständigen, so kann die Zustellung an diese Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten durch einen Anschlag vorgenommen werden, der an einer allen Hausbewohnern deutlich sichtbaren Stelle des Hauses, falls das Haus mehrere Stiegenhäuser hat, in jedem Stiegenhaus anzubringen ist. Der Anschlag darf frühestens nach 30 Tagen abgenommen werden. Die Zustellung des das Verfahren einleitenden Antrages ist mit Ablauf dieser Frist, spätere Zustellungen sind mit dem Anschlag als vollzogen anzusehen. Die Gültigkeit der Zustellung wird nicht dadurch berührt, daß der Anschlag noch vor dieser Zeit abgerissen oder beschädigt wurde.

5. ...

6. ..."

4. Das Landesgericht Krems meint, die angefochtene Bestimmung aus folgenden Gründen anzuwenden zu haben:

"Im Rahmen des Rekursverfahrens hat das Rekursgericht von Amts wegen zu prüfen, ob das erstgerichtliche Verfahren an einer Nichtigkeit oder an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet. Eine solche Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO könnte darin bestehen, daß Personen, die dem erstgerichtlichen Verfahren als Partei beizuziehen gewesen wären oder denen die Möglichkeit einer Teilnahme am erstgerichtlichen Verfahren zu geben gewesen wäre, nicht beigezogen worden sind oder ihnen diese Möglichkeit nicht gegeben worden ist. Denn wenn etwas Derartiges der Fall sein sollte, müßte dies zu einer Aufhebung des angefochtenen Sachbeschlusses und zu einem Auftrag an das Erstgericht führen, das Verfahren neu durchzuführen und bei der Neudurchführung des Verfahrens den betreffenden Personen die angeführte Möglichkeit zur Teilnahme an dem Verfahren zu geben.

Daher hat das Rekursgericht die Bestimmung des § 22 Abs 4 Z 2 und 4 WGG anzuwenden. Nach § 22 Abs 4 Z 2 WGG hat das Gericht auch den anderen Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten der Baulichkeit, deren Interessen durch die Stattgebung des Antrages unmittelbar berührt werden können, zu verständigen und ihnen Gelegenheit zur Teilnahme am Verfahren zu geben. Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß dann, wenn ein Mieter oder Nutzungsberechtigter ein Verfahren mit dem Begehren einleitet, es seien Beträge als Betriebskosten verrechnet worden, die nicht unter diesem Titel hätten verrechnet werden dürfen, auch die anderen Mieter und Nutzungsberechtigten des betreffenden Objektes ein rechtlich geschütztes Interesse daran haben, daß ihnen die Möglichkeit geboten wird, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Diese Personen sind demnach Partei und als solche mit dem Antragsteller gleichberechtigt. Dieses Interesse wird aber in § 22 Abs 4 Z 4 WGG dahin formell eingeschränkt, daß die Zustellung an diese anderen Mieter oder Nutzungsberechtigten durch einen Anschlag vorgenommen werden kann, der an einer allen Hausbewohnern deutlich sichtbaren Stelle des Hauses (hier in jedem Stiegenhaus) anzubringen ist, wobei die Gültigkeit der Zustellung nicht dadurch berührt wird, daß der Anschlag noch vor der vorgesehenen 30-tägigen Frist abgerissen oder beschädigt wird.

Das Landesgericht Krems a.d.Donau hat Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs 4 Z 4 WGG und müßte, wenn diese Vorschrift als verfassungswidrig aufgehoben wird, zu einer Aufhebung des angefochtenen Sachbeschlusses wegen Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO kommen."

5. Dem tritt die Bundesregierung entgegen. Sie räumt zwar ein, daß angesichts der Judikatur (MietSlg. 37.508), wonach die Entscheidung in dem jeweiligen Verfahren den Charakter der Aufwandspositionen als Bestandteil der Betriebskosten auch für jene Mieter bindend festlegt, die an dem Verfahren nicht beteiligt waren, die Annahme einer unmittelbaren Berührung auch dieser Mieter "vertretbar" sei, meint jedoch, daß die Nichtigkeitsgründe des § 477 ZPO in bestimmten Bereichen im Außerstreitverfahren nur als relative angesehen werden und daß im konkreten Verfahren also zu prüfen sei,

"ob darin, daß 'einer Partei' durch einen ungesetzlichen Vorgang, nämlich durch die Unterlassung der Zustellung, die Möglichkeit entzogen wurde, vor Gericht zu verhandeln, in der konkreten Verfahrenskonstellation ein Nichtigkeitsgrund gesehen werden muß, der - ohne daß dies in einem Rechtsmittel gerügt wurde - jedenfalls zur Aufhebung des Verfahrens zu führen hat.

Dies ist jedoch zu verneinen, da schon - wie im folgenden noch auszuführen sein wird - fraglich ist, inwieweit andere Personen als Parteien des Verfahrens anzusehen sind. Vorweg sei darauf hingewiesen, daß der Parteibegriff des Außerstreitverfahrens sich aus dem jeweiligen Sachbegehren ableitet. Inhalt des Sachbegehrens ist im vorliegenden Fall die Feststellung über die Berechtigung der Aufnahme bestimmter Kosten in die Betriebskostenabrechnung. Wenngleich die Zuordnung solcher Angelegenheiten in das außerstreitige Verfahren gerade deshalb erfolgte, um eine umfassende Abklärung zu ermöglichen, ist doch primär der Antrag im Interesse des Antragstellers erhoben worden. Die Interessen anderer Mieter können nur im positiven Sinn durch diesen Antrag begünstigt werden (...).

Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, daß durch die mangelnde Beiziehung von 'weiteren Mietern' eine wesentliche Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition nicht eintritt. Im Sinn der oben genannten OGH-Judikatur ergibt sich daraus aber, daß ein Mangel in diesem Bereich keinen so massiven Einfluß auf die Erledigung der Sache haben kann, daß er als Nichtigkeitsgrund einzustufen ist. Im Zusammenhang damit sei darauf verwiesen, daß etwa auch die Nichtverständigung eines Nebenintervenienten im Zivilprozeß keine Nichtigkeit des Verfahrens oder der Entscheidung begründet (vgl. EvBl. 1974/109)."

Weiters meint die Bundesregierung, daß

"durch die Anordnung des § 22 Abs 4 Z 2 WGG, auch andere Mieter zu verständigen, ... noch keine Parteistellung begründet (wird), die jener formellen des Zivilprozesses vergleichbar wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es nach § 22 Abs 4 Z 2 letzter Satz WGG auch ausreicht, wenn diesen Personen zu einem Zeitpunkt, zu dem dies noch zulässig ist, Gelegenheit zum Sachvorbringen geboten wird. Auch dies zeigt, daß eine inhaltlich dem Parteibegriff der Zivilprozeßordnung entsprechende Ausgestaltung der Rechtsstellung der nach § 22 Abs 4 Z 2 WGG zu verständigenden Personen nicht gegeben ist."

Da eine Anwendung der angefochtenen Vorschrift durch das antragstellende Gericht offenbar nicht in Betracht komme, beantragt die Bundesregierung primär, den Antrag mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.

6. In der Sache bringt das antragstellende Gericht vor:

"Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 22 Abs 4 Z 4 WGG gründen sich auf Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 1958/210 idgF und das dort normierte Grundrecht auf ein faires Verfahren. Denn es kann keine Rede davon sein, daß die Sache einer Partei in billiger Weise gehört wird, wenn die Zustellung an diese Partei nur in der Form erfolgt, daß im Stiegenhaus des Hauses, in welchem sie Mietrechte oder sonstige Nutzungsrechte an einer Wohnung hat, ein Anschlag vorgenommen wird, zumal die Wirksamkeit des Anschlages dadurch nicht berührt wird, daß der Anschlag vor der normierten 30-tägigen Anschlagsfrist abgerissen oder beschädigt wird. Durch § 22 Abs 4 Z 4 WGG werden bezüglich der Zustellung zwei Gruppen von Parteien geschaffen, nämlich eine Gruppe, an die individuell nach dem ZustG, BGBl 1982/200, zuzustellen ist (Antragsteller, Antragsgegner), und eine Gruppe, an die kollektiv, nämlich durch Anschlag im Haus zuzustellen ist (siehe hiezu Würth in Korinek-Krejci, Handbuch zum Mietrechtsgesetz 527). Damit wird dem aus Art 6 Abs 1 MRK abzuleitenden Grundsatz, daß jede Partei angemessene Gelegenheit haben muß, ihre Sache vorzubringen, und daß dabei keine Partei gegenüber einer anderen wesentlich im Nachteil sein darf (Int Komm. EMRK, Miehsler/Vogler, Art 6 Rdz 348) nicht entsprochen. Nur eine individuelle Zustellung an jeden einzelnen Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten kann also dem Grundsatz eines fairen Verfahrens Rechnung tragen."

7. Die Bundesregierung tritt dem zunächst mit dem Argument entgegen, daß sich das antragstellende Gericht nicht ausdrücklich darauf gestützt habe, daß im Verfahren auch über zivilrechtliche Ansprüche der anderen Mieter entschieden werde, sondern nur darauf, daß § 22 Abs 4 WGG den anderen Mietern die Teilnahme am Verfahren ermögliche und diese daher ein rechtlich geschütztes Interesse hätten, sich an diesem Verfahren zu beteiligen. Das aber sei kein zivilrechtlicher Anspruch im Sinn des Art 6 EMRK.

Sollte der Gerichtshof dieser Auffassung nicht folgen, so wären bei Beantwortung der Frage, ob es sich im konkreten Fall um zivilrechtliche Ansprüche im Sinne des Art 6 EMRK handle, einige Besonderheiten des Verfahrens zu bedenken. Hiezu führt die Bundesregierung aus,

"daß als Parteien eines außerstreitigen Verfahrens jedenfalls solche Personen anzusehen sind, über deren Rechte oder Rechtsverhältnisse mit unmittelbarer Wirkung entschieden wird. Ob aber ein Recht oder ein Rechtsverhältnis einer Person entschieden wird, hängt wiederum davon ab, ob ihr gegenüber die in dem Verfahren ergehende Entscheidung die Wirkungen einer gerichtlichen Entscheidung - insbesondere die Rechtskraftwirkung, Vollstreckbarkeit, Gestaltungswirkung - entfaltet. ...

Letztlich ist entscheidend, ob sich aus den materiellrechtlichen Bestimmungen entweder ableiten läßt, daß diese Frage für alle Mieter nur gleich entschieden werden kann oder doch sehr wesentliche Argumente für eine einheitliche Entscheidung sprechen. ...

Nach (zweitinstanzlicher) Rechtsprechung (s. insbesondere LGZ Wien , MietSlg. 37508) und Lehrmeinungen legt eine Entscheidung über einen Antrag eines Mieters über die Berechtigung, einzelne Aufwandpositionen in die Betriebskosten aufzunehmen, den Charakter der Aufwandsposition als Bestandteil der Betriebskosten auch für jene Mieter fest, die nicht Antragsteller waren. ...

Die Auffassung ..., daß auch die anderen Mieter als Parteien des Verfahrens anzusehen sind und die in diesem ergehende Entscheidung als auch für sie bindend anzusehen ist, ist jedoch keineswegs zwingend. Eine Parteistellung und damit korrespondierend eine Rechtskraftwirkung ist - sieht man vom Problem der subjektiven Grenzen aus formaler Sicht ab (vgl. dazu Kralik in Grundlegende Neuerungen im Außerstreitverfahren, 166 f) - wohl dann anzunehmen, wenn eine in das außerstreitige Verfahren verwiesene Sachentscheidung für alle Mieter nur gleichlautend sein kann. In diesem Sinn werden etwa Streitigkeiten über Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten oder den Verteilungsschlüssel jedenfalls als Mehrparteienverfahren angesehen, weil hier zB der Verteilungsschlüssel für einen Mieter nicht geändert werden kann, ohne daß damit nicht auch eine Änderung für die anderen Mieter eintritt.

Hingegen ist die Frage, welcher Mietzins von einem einzelnen Hauptmieter zu entrichten ist, für die anderen Hauptmieter vorweg ohne direkten Einfluß, weshalb sie auch keine Parteistellung haben (vgl. MietSlg. 35.429, 35.430). Vergleichbar dem Mietrechtsgesetz zum Mietzins zählt das WohnungsgemeinnützigkeitsG zum (Wohnungs-)Entgelt auch die 'sonstigen Betriebskosten' (§14 Abs 1 Z 7 WGG). Auch bei diesem ist es nun möglich, daß einer von mehreren Mietern weniger zahlt. Aus den materiellrechtlichen Bestimmungen läßt sich nicht ableiten, daß alle Mieter die gleichen Betriebskosten zu bezahlen haben. So wäre es etwa denkbar, daß der Vermieter hinsichtlich eines Mieters auf die Bezahlung bestimmter Betriebskostenteile verzichtet. Die Rechtsposition der anderen Mieter wird dadurch nicht unmittelbar berührt, da die auf diesen Verzicht entfallenden Teile der Betriebskosten dann eben vom Vermieter zu tragen sind. Eine Veränderung des Verteilungsschlüssels kann sich daraus nicht ergeben. Gleiches kann aber auch für den Fall gelten, daß sich nur einer der Mieter erfolgreich gegen eine bestimmte Position etwa bei den 'sonstigen Betriebskosten' wendet.

Sollte der Verfassungsgerichtshof trotz der - im folgenden noch darzustellenden - besonderen Rechtfertigungsgründe für die Zustellungsregelung ... die Feststellungswirkung für die anderen Mieter als bedenklich erachten, so wäre es im Lichte einer verfassungskonformen Interpretation jedenfalls auch möglich, dieses Verfahren als nur zwischen dem antragstellenden Mieter und den allenfalls beigetretenen anderen Mietern einerseits und dem Antragsgegner andererseits als bindend anzusehen.

Parteistellung hätten demgemäß nur jene anderen Mieter, die die 'Gelegenheit zur Teilnahme am Verfahren' (§22 Abs 4 Z 2 WGG) auch wahrgenommen haben; nur sie wären daher von der Feststellungswirkung der Entscheidung erfaßt."

Die Bundesregierung meint weiters:

"Die Anwendbarkeit des Art 6 EMRK setzt im zivilrechtlichen Bereich das Vorliegen einer Streitigkeit voraus, die im jeweiligen Verfahren zu entscheiden ist (vgl. etwa EGMR, Jacobsson gg. Schweden. ÖJZ 1990, 246; Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 224). ...

Im vorliegenden Fall sieht § 19 Abs 1 WGG vor, daß u.a. jeder Mieter binnen vier Monaten gegen die Abrechnung u.a. der Betriebskosten und der Kosten von Gemeinschaftsanlagen 'begründete Einwendungen' erheben kann; andernfalls gilt die Abrechnung als endgültig geprüft und anerkannt. Diese Frist ist eine Präklusivfrist.

Der Mieter, der keine Einwendungen erhebt, kann sohin später - infolge eines von Gesetzes wegen anzunehmenden Anerkenntnisses (Z19 Abs 1 WWG (gemeint wohl: WGG)) - durch die Abrechnung, etwa die Aufnahme der Kosten eines Rasenmähers, einer Heckenschere und eines Kabels in die Betriebskostenabrechnung, nicht mehr als beschwert angesehen werden.

Soweit aber in einem Verfahren über derartige Fragen auf Antrag eines Mieters entschieden wird, kann demgemäß bezüglich jener Mieter, die die Abrechnung infolge der Nichterhebung von Einwendungen von Gesetzes wegen bereits anerkannt haben, nicht von einem inhaltlich strittigen Anspruch im Sinn des Art 6 EMRK ausgegangen werden, nur wenn diese selbst (fristgerecht) einen Antrag gestellt haben, sind die Verfahren zu verbinden, bzw. ist den Antragstellern die Möglichkeit zu geben, dem Verfahren beizutreten."

Nach näherer Darstellung der ihres Erachtens gegebenen sachlichen Rechtfertigung der besonderen Zustellvorschrift des § 22 Abs 4 Z 4 WGG weist die Bundesregierung abschließend auf die verfahrensrechtliche "Sanierungsmöglichkeit" der Wiedereinsetzung hin, die den anderen Parteien jedenfalls das rechtliche Gehör im Sinne des Art 6 EMRK gewähre und führt dazu aus:

"§22 Abs 4 WGG iVm dem § 37 Abs 3 Z 13 MRG sieht ausdrücklich vor, daß auch in Verfahren der gegenständlichen Art die Bestimmungen der §§146 ff ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzuwenden sind.

Das bedeutet aber, daß jener Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - etwa dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung gehindert wurde und ihr dadurch ein Rechtsnachteil entstanden ist.

Gerade das vom antragstellenden Gericht als Beispiel herangezogene Abreißen der Kundmachung ändert zwar nichts an der Rechtmäßigkeit des 'Zustellvorganges', bringt aber - wie das Gesetz ausdrücklich festlegt - die Möglichkeit für jene Partei, die dadurch keine Kenntnis von dem Verfahren erlangt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen."

Angesichts ihrer Überlegungen beantragt die Bundesregierung - in eventu - den Ausspruch, daß die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/89).

Daß es aber in diesem Sinn denkunmöglich sein soll, daß das anfechtende Gericht die Bestimmungen des § 22 Abs 4 Z 2 und 4 WGG anzuwenden haben würde, ist schon angesichts der von der Bundesregierung selbst herausgestrichenen Judikatur auszuschließen, wonach die Entscheidung in einem Verfahren den Charakter einer Aufwandsposition als Bestandteil der Betriebskosten auch für jene Mieter bindend festlege, die am Verfahren nicht beteiligt waren.

Der Antrag des Landesgerichtes Krems an der Donau ist daher zulässig.

2. Die Bedenken des Gerichtes treffen aber im Ergebnis nicht zu:

Daß eine Auseinandersetzung um die Höhe von Betriebskosten zwischen einem Vermieter und einem Mieter zum Zivilrecht zählt, ist allerdings nicht zweifelhaft. Sofern sich eine Entscheidung darüber auch auf andere Personen direkt auswirkt (vgl. MietSlg. 37.508/1985 und die Hinweise in der Äußerung der Bundesregierung) und nicht nur (wie in dem mit VfSlg. 11934/1988 entschiedenen Fall) Nebenwirkungen entfaltet, wird auch die Privatrechtssphäre dieser anderen Mieter betroffen, sodaß ein Verfahren, in dem über derartige Fragen abgesprochen wird, den Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK zu entsprechen hat. Von dieser Prämisse ist das antragstellende Gericht ersichtlich ausgegangen; sie erweist sich als zutreffend.

Dementsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den anderen Mietern Gelegenheit zu bieten, daß sie ihre Sache in einem fairen Verfahren effektiv vertreten können. Der Sicherstellung dieser Anforderung dient aber die oben wiedergegebene Bestimmung des § 22 Abs 4 Z 2 WGG, nach der auch solchen "anderen" Mietern und Nutzungsberechtigten Gelegenheit zur Teilnahme am Verfahren zu geben ist. Nach der angefochtenen Z 4 dieses Absatzes kann die Zustellung an diese Personen durch mindestens 30 Tage währenden Anschlag vorgenommen werden, wobei die Gültigkeit der Zustellung nicht dadurch berührt wird, daß der Anschlag noch vor Ablauf der vorgesehenen 30-tägigen Frist abgerissen oder beschädigt wurde.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes reicht die Form der Zustellung, wie sie in § 22 Abs 4 Z 4 WGG vorgesehen ist, aus, um den Betroffenen eine effektive Möglichkeit zu bieten, vom Verfahren Kenntnis zu erlangen und ihre Rechtsansicht im Verfahren zu vertreten. Freilich ist im Fall, daß der Anschlag vorzeitig entfernt oder beschädigt wurde, diese Möglichkeit zur effektiven Verfolgung des Rechtsstandpunktes in einer Angelegenheit des Zivilrechtes beeinträchtigt. Doch wird dies nicht im Regelfall, sondern bloß ausnahmsweise vorkommen und selbst für diesen Fall bietet - worauf die Bundesregierung zu Recht hinweist - das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß den Bestimmungen des § 17 AußStrG iVm den §§146 ff. ZPO Abhilfe. Denn es stellt für den Betroffenen ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn er vom Verfahren, von dem er zu verständigen ist, durch vorzeitige Entfernung oder Beschädigung des Anschlages keine Kenntnis erlangen konnte. Es bietet somit die Rechtsordnung ausreichende Vorsorge für eine effektive Möglichkeit der Betroffenen, an einem Verfahren teilzunehmen, durch die ihre vermögensrechtliche Position betroffen wird.

Die Bedenken des antragstellenden Gerichtes haben sich daher nicht als zutreffend erwiesen, weshalb der Antrag abzuweisen war.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorhergehende mündliche Verhandlung beschlossen werden.