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VfGH vom 25.06.1992, G245/91

VfGH vom 25.06.1992, G245/91

Sammlungsnummer

13133

Leitsatz

Hinreichende Determinierung der im ASVG enthaltenen Ermächtigung des Satzungsgebers zur Regelung der zu gewährenden Leistungen bei Zahnbehandlungen durch Verordnung; keine Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen in der Satzung der Oö Gebietskrankenkasse mangels gesetzlicher Deckung; keine dynamische Verweisung auf die jeweils mit den Zahnbehandlern abgeschlossenen Verträge

Spruch

Den Anträgen wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Aus Anlaß einer Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , womit infolge Berufung das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht in der Hauptsache bestätigt wurde, stellte der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom die Anträge, der Verfassungsgerichtshof wolle

a) gemäß Art 140 B-VG § 153 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes vom , BGBl. Nr. 189/1955, über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG) als verfassungswidrig (hg. protokolliert zu G245/91) und

b) gemäß Art 139 B-VG § 32 Abs 1 litb sowie § 34 Abs 1 und 3 der Satzung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, genehmigt durch den Bundesminister für soziale Verwaltung mit Erlaß vom , Z 26.523/2-3/1985, als gesetzwidrig (hg. protokolliert zu V189/91)

aufheben.

1.2. Diesen Anträgen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Revisionswerber des oberstgerichtlichen Verfahrens stand in der Zeit vom 16. September bis bei einem Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Behandlung. Im Zuge dieser Behandlung wurden zwei Metallkeramikkronen, vier Pfeilerkronen aus Metallkeramik, zwei Zwischenglieder aus Metallkeramik und neun Composite-Inlays angefertigt. Das hiefür in Rechnung gestellte Honorar von S 63.480,-- wurde vom Revisionswerber an den Zahnarzt überwiesen. In der Folge begehrte er von der Revisionsgegnerin, der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖ GKK), den Ersatz dieser Kosten für Zahnbehandlung und Zahnersatz.

Mit Bescheid der OÖ GKK vom wurde ausgesprochen, daß gemäß § 153 Abs 1 ASVG iVm § 34 der Satzung der OÖ GKK pro Inlay bzw. pro gegossenem Aufbau ein Betrag von S 399,60 ersetzt werde. In der Begründung heißt es:

"Nach § 153 Abs 1 ASVG ist die Zahnbehandlung nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung zu gewähren. § 34 Abs 1 der Satzung der (OÖ GKK) gewährt dem Versicherten einen Rechtsanspruch auf konservierende Zahnbehandlung im notwendigen Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem, haltbarem Material. Als einwandfreie, haltbare Materialien, die das notwendige Ausmaß nicht übersteigen, kommen alle Arten von Amalgamfüllungen, Silikat- und Steinzemente oder ähnliche die gleichen Herstellungskosten verursachenden Materialien in Betracht. Für jede Drei- oder Mehrflächenfüllung mit den vorhin angeführten Materialien leistet die Kasse den im Spruch angeführten Betrag. ...

Verlangt der Versicherte aber - wie im gegenständlichen Fall - die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen ist ..., so hat der Versicherte die Mehrkosten zu tragen (§34 Abs 3 letzter Satz der Satzung der (OÖ GKK))."

Hinsichtlich des Kostenersatzes für Zahnersatz führt die OÖ GKK aus, nach § 153 Abs 2 ASVG sei Zahnersatz eine freiwillige Leistung des Versicherungsträgers und das Begehren auf eine solche Leistung keine Leistungssache nach § 354 ASVG, weshalb keine Verpflichtung bestehe, über den Kostenersatz für die Zahnbrücken und Kronen bescheidmäßig abzusprechen.

Mit fristgerechter Klage begehrte der nunmehrige Revisionswerber - nach Einschränkung des Klagsbegehrens - den Ersatz der aufgelaufenen Zahnbehandlungskosten für neun Inlays mit der Begründung, es sei medizinisch notwendig gewesen, die vorhandenen Amalgamfüllungen gegen teurere Füllungen aus anderem Material zu ersetzen. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 34 Abs 1 der Satzung der OÖ GKK.

Die OÖ GKK beantragte die Klage abzuweisen. Sie habe die gesetzliche Pflichtleistung für neun Inlays durch Zahlung des Betrages von S 3.596,40 erbracht und darüber hinaus dem Kläger aus dem Unterstützungsfonds gemäß § 84 ASVG einen Betrag von S 30.000,-- übergeben, womit die Kosten der konservierenden Zahnbehandlung zur Gänze abgedeckt worden seien. Für Zahnersatz habe sie dem Kläger eine freiwillige Leistung von S 4.800,-- erbracht.

Der nunmehrige Revisionswerber erwiderte, die Zahlung von S 30.000,-- habe ausschließlich der Abdeckung seines weiteren Aufwandes für Zahnersatz gedient, sich aber nicht auf die Zahnbehandlung bezogen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf (nach dem Vorbringen des Obersten Gerichtshofes) im wesentlichen folgende Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus:

"Der Kläger hatte schon längere Zeit gesundheitliche Probleme durch eine erhöhte Quecksilberbelastung. Ein Arzt empfahl ihm, die Amalgamfüllungen durch Keramikfüllungen auszutauschen. Sein behandelnder Zahnarzt verwies ihn dann wegen der Frage einer allfälligen Kostenübernahme an das Zahnambulatorium der (OÖ GKK).

Dessen ärztlicher Leiter und Stellvertreter des leitenden

Chefzahnarztes befürwortete von medizinischer Seite in einem

Gutachten den Austausch der Amalgamfüllungen durch Keramikinlays

und Kronen und hielt einen Zuschuß durch den Unterstützungsfonds

als gerechtfertigt. ... Dem Kläger wurde dann eine Beihilfe von

S 30.000 (aus dem Unterstützungsfonds) gewährt. Die dem Kläger

tatsächlich entstandenen Kosten beliefen sich auf S 63.480.

... der Kläger habe konsequenterweise nur den Ersatz der Kosten

für die Zahnbehandlung (9 Inlays) und nicht für Zahnersatz begehrt, weil es sich dabei um eine freiwillige Leistung der Krankenversicherung handle. Die vom Kläger behauptete ausdrückliche Widmung der aus dem Unterstützungsfonds gewährten Leistung auf die Kosten des Zahnersatzes sei nicht erwiesen. ... Da der begehrte Differenzbetrag aber jedenfalls in der gewährten Beihilfe volle Deckung finde, sei das Klagebegehren selbst bei vorbehaltloser Annahme der medizinischen Notwendigkeit der Verwendung des teureren Materials abzuweisen gewesen."

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache.

1.3. Aus Anlaß der gegen dieses Urteil erhobenen Revision sind im Obersten Gerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG sowie ob der Gesetzmäßigkeit des § 32 Abs 1 litb und des § 34 Abs 1 und 3 der Satzung der OÖ GKK entstanden.

1.3.1. Die vom Obersten Gerichtshof angefochtenen (und im folgenden hervorgehobenen) Bestimmungen haben in ihrem Kontext folgenden Wortlaut:

1.3.1.1. § 153 ASVG lautet:

"§153 (1) Zahnbehandlung ist nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung zu gewähren. Als Leistungen der Zahnbehandlung kommen chirurgische Zahnbehandlung, konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen, letztere, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschädigungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind, in Betracht. Diese Leistungen der Zahnbehandlung können in der Satzung des Versicherungsträgers von der Erfüllung einer Wartezeit abhängig gemacht werden. § 121 Abs 3 gilt entsprechend.

(2) Der unentbehrliche Zahnersatz kann unter Kostenbeteiligung des Versicherten gewährt werden. Anstelle der Sachleistung können auch Zuschüsse zu den Kosten eines Zahnersatzes geleistet werden. Das Nähere wird durch die Satzung des Versicherungsträgers bestimmt.

(3) Zahnbehandlung und Zahnersatz werden als Sachleistungen durch Vertragsärzte, Wahlärzte (§131 Abs 1), nach den Bestimmungen des Dentistengesetzes, BGBl. Nr. 90/1949, auch durch Vertragsdentisten, Wahldentisten (§131 Abs 1), in eigens hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Ambulatorien) der Versicherungsträger (des Hauptverbandes) oder in Vertragseinrichtungen gewährt. Für die Zahnbehandlung gilt hiebei § 135 Abs 2 entsprechend. Insoweit Zuzahlungen zu den Leistungen der Zahnbehandlung und des Zahnersatzes vorgesehen sind, müssen diese in den Zahnambulatorien und bei den freiberuflich tätigen Vertragsfachärzten und Vertragsdentisten gleich hoch sein. In den Satzungen und im Vertrag nicht vorgesehene Leistungen dürfen in den Zahnambulatorien nicht erbracht werden; in den Zahnambulatorien dürfen aber jedenfalls jene Leistungen erbracht werden, die am Gegenstand eines Vertrages waren.

(4) Bei der Inanspruchnahme der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung durch einen Vertragszahnarzt oder Vertragsdentisten oder in einer eigenen Einrichtung (Vertragseinrichtung) des Versicherungsträgers ist ein Zahnbehandlungsschein vorzulegen. Der Hauptverband hat hiefür einen einheitlichen, für alle Versicherungsträger gültigen Vordruck aufzulegen.

(5) Für die Übernahme von Reise(fahrt)- bzw. Transportkosten gilt § 135 Abs 4 und 5 entsprechend."

1.3.1.2. §§32 und 34 der Satzung der OÖ GKK lauten:

"§32

(1) Die Zahnbehandlung umfaßt im Rahmen der folgenden Bestimmungen

a) chirurgische Zahnbehandlung, und zwar


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1.
Zahn- und Wurzelentfernungen,
2.
operative Eingriffe;

b) konservierende Zahnbehandlung, und zwar insbesondere


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
Untersuchung des Zustandes der Zähne und des Mundes (Beratung),
2.
Zahnfüllungen,
3.
Wurzelbehandlungen,
4.
Mundbehandlungen und
5.
Zahnsteinentfernungen;

c) Kieferregulierungen, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschäden oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind.

(2) Der unentbehrliche Zahnersatz ist jener Zahnersatz, der notwendig ist, um eine Gesundheitsstörung (insbesondere Schädigung der Verdauungsorgane) hintanzuhalten oder eine Verunstaltung zu beseitigen. Zum unentbehrlichen Zahnersatz gehört auch die notwendige Reparatur von Zahnersatzstücken."

"§34

(1) Der Versicherte hat für sich und seine Angehörigen Anspruch auf konservierende Zahnbehandlung (§32 Abs 1 litb) im notwendigen Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem, haltbarem Material.

(2) Ein Anspruch auf Untersuchung des Zustandes der Zähne besteht nur einmal innerhalb von sechs Monaten. Die Untersuchung wird nicht vergütet, wenn eine Behandlung erfolgt.

(3) Wird auf Wunsch des Versicherten (Angehörigen) eine Leistung erbracht, die auf Grund der jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern nicht für Rechnung der Kasse zu gewähren ist, hat der Versicherte (Angehörige) die Kosten hiefür zu tragen. Ist die Leistung in den Verträgen zwar vorgesehen, verlangt der Versicherte (Angehörige) aber die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen ist, hat er die Mehrkosten zu tragen."

Die soeben zitierten Satzungsbestimmungen entsprechen den jeweils verbindlichen §§32 und 34 der vom Hauptverband gemäß § 455 Abs 2 ASVG aufgestellten Mustersatzung.

1.3.2. Zur Begründung seiner Anträge führt der Oberste Gerichtshof im wesentlichen folgendes aus:

"Nach dem ASVG (wie auch nach dem B-KUVG) ist es weitgehend der Satzung überlassen, den Leistungsumfang bei Zahnbehandlung und Zahnersatz zu bestimmen. Hingegen ergibt sich der konkrete Anspruch auf Zahnbehandlung und Zahnersatz nach dem GSVG und dem BSVG schon unmittelbar aus dem Gesetz (Binder in Tomandl SV-System 4. Erglfg 259). Irgendwelche sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung der Versicherten nach dem ASVG und dem B-KUVG einerseits und dem GSVG und dem BSVG andererseits sind nicht ersichtlich, so daß gegen § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG schon aus dem Aspekt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsmäßige Bedenken bestehen. § 153 Abs 1 Satz 2 ASVG legt lediglich fest, daß als Leistungen der Zahnbehandlung chirurgische Zahnbehandlung, konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen in Betracht kommen, letztere, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschädigungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind. Welche Leistungen etwa im Rahmen der - hier allein interessierenden - Zahnbehandlung zu erbringen sind, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; es verweist auf die Satzung, die in ihrem § 32 Abs 1 zwar die Zahnbehandlung näher umschreibt, in ihrem § 34 Abs 3 aber inhaltlich auf die 'jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern' verweist.

Das ASVG bestimmt ausdrücklich, was Gegenstand einer sozialversicherungsrechtlichen Satzung zu sein hat bzw. sein kann. Die Satzung dient nicht nur der Ausgestaltung der Innenorganisation, sondern sie setzt auch objektives Recht für die Versicherten, Beitragspflichtigen, Anspruchsberechtigten und Leistungsberechtigten hinsichtlich jener Gegenstände, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift der Regelung durch die Satzung zugewiesen sind (Teschner ASVG 48. Erglfg. 1870 Anm 1 zu § 453; Tomandl in Tomandl SV-System 4. Erglfg. 14; Korinek in Tomandl aaO 498). Insbesondere kann die Satzung den Leistungskatalog ausweiten und bestimmte Mehrleistungen als Pflichtleistungen vorsehen, sogenannte satzungsmäßige Mehrleistungen (vgl. Korinek aaO mwN). Nach österreichischem Verfassungsrecht ist die Satzung ihrer Struktur nach als Verordnung zu qualifizieren (VfSlg. 1798, 3219, 3709, 5422 ua; Tomandl aaO mwN in FN 4 und 5, Korinek aaO 499 mwN in FN 17 und 18). Bei der Erlassung oder Abänderung der Satzung ist der Sozialversicherungsträger mehrfach gebunden. Selbstverständlich ist die Bindung an das Gesetz: Es ist unbestritten, daß sich Art 18 Abs 2 B-VG auch auf generelle Regelungen von Selbstverwaltungskörpern bezieht, weshalb es für jede Satzung eines Sozialversicherungsträgers der inhaltlichen Bestimmung durch das Gesetz bedarf. Jede Satzung bedarf überdies der Genehmigung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Aufsichtsbehörde. Aus der notwendigen gesetzlichen Determinierung jeder Verordnung ergibt sich, daß auch Verordnungen der Sozialversicherungsträger nur dort verfassungsgemäß rechtsetzend eingreifen dürfen, wo bereits das Gesetz die Grundlinien der in Betracht kommenden Regelungen sichtbar gemacht hat (Tomandl aaO 14).

Da es sich also bei den Satzungen der Sozialversicherungsträger um Durchführungsverordnungen im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG handelt, muß das betreffende Gesetz den Inhalt der Verordnung bereits determinieren, es muß inhaltlich bestimmt sein und darf den Sozialversicherungsträger nicht lediglich zur Regelung einer Angelegenheit durch Satzung ermächtigen. Der Gesetzgeber wird durch Art 18 Abs 2 B-VG verpflichtet, den Regelungsspielraum der Verwaltung für die Erlassung von Durchführungsverordnungen so weit einzuengen, daß alle wesentlichen Merkmale einer näheren Konkretisierung des Gesetzes im Verordnungswege bereits dem Gesetz selbst zu entnehmen sind. Gesetzliche Regelungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, sind wegen Undeterminiertheit verfassungswidrig; soweit es sich dabei um eine ausdrückliche Verordnungsermächtigung handelt, spricht man von einer formalgesetzlichen Delegation (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts4 170; Adamovich-Funk, österreiches Verfassungsrecht3 252; Aichleitner, Österreichisches Verordnungsrecht Band 2, 986; VfSlg 6289, 7334, 7903 uva).

Nach Ansicht des erkennenden Senates liegt im Fall des § 153 Abs 1 ASVG eine solche verfassungswidrige formal-gesetzliche Delegation vor. Ausmaß, Umfang und Charakter der im Rahmen der Zahnbehandlung zu erbringenden Leistungen werden der Regelung durch die Satzung überlassen, ohne die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung erkennen zu lassen. Daran ändert die Aufzählung im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle, daß als Leistungen der Zahnbehandlung chirurgische Zahnbehandlung, konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen in Betracht kommen, nichts: Diese Aufzählung umschreibt zwar die Fälle einer Zahnbehandlung, sagt aber nichts darüber aus, nach welchen Merkmalen und unter welchen Umständen Zahnbehandlung zu gewähren ist; lediglich die - hier nicht zu beurteilenden - Kieferregulierungen werden dahin eingeschränkt, daß sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschädigungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sein müssen. § 153 Abs 1 ASVG würde demnach nicht ausschließen, daß die Satzung bestimmte Zahnbehandlungen selbst dann nicht vorsähe, wenn sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsstörungen notwendig wären. Da eine solche Maßnahme bei allen anderen Gesundheitsstörungen schon mit Rücksicht auf § 133 Abs 2 ASVG undenkbar wäre, bestehen auch insoweit aus dem Gesichtspunkt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsrechtliche Bedenken. Es bieten sich auch keine Anhaltspunkte für eine verfassungskonforme Auslegung des § 153 Abs 1 ASVG. Die Vorsorge für Zahnbehandlung und Zahnersatz zählt zwar nach § 116 Abs 1 ASVG zu den Aufgaben der Krankenversicherung, fehlt aber im Leistungskatalog des § 117 ASVG. Der Erbringung der Leistung von Zahnbehandlung und Zahnersatz ist vom Gesetzgeber des ASVG als eigener Aufgabenkreis des Krankenversicherungsträgers ausgewiesen (Binder aaO 258; Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 115; Grillberger, Österreichisches Sozialrecht 30). Während die Krankenbehandlung im zweiten Unterabschnitt des zweiten Teiles des ASVG (§§133 ff) geregelt ist, finden sich die Bestimmungen über Zahnbehandlung und Zahnersatz im fünften Unterabschnitt des zweiten Teiles. Daraus folgt nach der derzeitigen Rechtslage die Nichtanwendbarkeit etwa des § 133 Abs 2 ASVG, wonach die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muß, das Maß des Notwendigen jedoch nicht überschreiten darf und wonach durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wieder hergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen, auf die Zahnbehandlung. Gegen die Verfassungsgemäßheit des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG bestehen daher gewichtige Bedenken.

Ist aber § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG verfassungswidrig, dann fehlt es an einer gesetzlichen Deckung der Bestimmung der Satzung über die Zahnbehandlung und den Zahnersatz. Da im vorliegenden Fall nur die im Antrag zitierten Bestimmungen anzuwenden sind, war der Aufhebungsantrag auf diese zu beschränken.

Selbst wenn man aber § 153 Abs 1 ASVG iVm § 133 Abs 2 und § 153 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 ASVG verfassungskonform dahin auslegen wollte, daß Leistungen zur Verhütung von Gesundheitsschädigungen, also 'notwendige' oder 'unentbehrliche' Leistungen der Zahnbehandlung jedenfalls vom Sozialversicherungsträger zu erbringen bzw. die hiefür aufgewendeten Kosten jedenfalls von ihm zu ersetzen sind, bestünden zumindest gegen § 34 Abs 3 der Satzung gewichtige Bedenken, weil er einerseits dieser Auslegung widerspräche und andererseits eine unzulässige (dynamische) Verweisung auf die jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern und die dort geregelten Leistungen enthält. Unter Verweisung soll hier eine Regelung verstanden werden, die den Inhalt eines anderen Regelungskomplexes durch bloßes Zitat desselben oder eines Teiles davon zum Inhalt der eigenen Regelung machen will (Strasser, Entscheidungsbesprechung DRdA 1990, 343). Während nun die Satzung sowohl einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung als auch einer entsprechenden Publikation bedarf (§455 Abs 1 ASVG), bestehen solche Erfordernisse für die von der Gebietskrankenkasse mit den Zahnbehandlern geschlossenen Verträge nicht. Der sachliche Umfang der Behandlungspflicht des Vertragsarztes sollte im Idealfall alle gesetzlichen Verpflichtungen des Krankenversicherungsträgers abdecken (vgl. Selb in Tomandl SV-System 4. Erglfg. 594). Durch diese Verträge könnte aber der Umfang der dem Versicherten zu erbringenden Leistungen jeweils erweitert oder eingeschränkt werden, ohne daß sich Anhaltspunkte hiefür aus der Satzung ergäben. Gerade der vorliegende Fall zeigt, daß die beklagte Partei die Kosten einer medizinisch (zur Abwendung gesundheitlicher Störungen) unbedingt notwendigen Zahnbehandlung nur deshalb nicht übernahm, weil die Verträge eine derartige Leistung (die Verwendung eines bestimmten Füllungsmaterials) nicht vorsehen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Bestimmung des § 539 ASVG zu verweisen, wonach die Anwendung der Bestimmungen des ASVG zum Nachteil der Versicherten (ihrer Angehörigen) im voraus nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Darunter können auch die privatrechtlichen Verträge zwischen der Gebietskrankenkasse und den freiberuflichen Zahnärzten und Dentisten (§338 Abs 1 ASVG) fallen, sofern durch sie - sich aus dem ASVG ergebende - Rechte der Versicherten ausgeschlossen werden.

Gegen § 34 Abs 3 der Satzung bestehen daher auch für den Fall Bedenken, als § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG nicht verfassungswidrig sein sollte."

2. Im Verfahren G245/91 gab die Bundesregierung eine schriftliche Äußerung ab. Sie trat dafür ein, den Antrag des Obersten Gerichtshofes nach Art 140 B-VG als unzulässig zurück-, hilfsweise jedoch als unbegründet abzuweisen.

Desgleichen begehrte der Bundesminister für Arbeit und Soziales im Verfahren V189/91 die Abweisung des - ebenfalls als unbegründet erachteten - Antrages nach Art 139 B-VG.

Die Hauptversammlung der OÖ GKK tritt in ihrer Äußerung den Bedenken des Obersten Gerichtshofes bei und regt an, § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG als verfassungswidrig und die darauf beruhenden Bestimmungen der Satzung der OÖ GKK als gesetzwidrig aufzuheben sowie die Gesetzmäßigkeit der Mustersatzung 1982 des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger zu prüfen.

2.1. In der Äußerung der Bundesregierung heißt es ua.:

2.1.1. Zum Umfang der beantragten Aufhebung:

"In ständiger Rechtsprechung vertritt der Verfassungsgerichtshof die Auffassung ..., daß der Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen ist,

'daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner

Bedeutung erfährt; ... Die Grenzen der Aufhebung einer in Prüfung

stehenden Gesetzesbestimmung müßten ... so gezogen werden, daß

einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und daß andererseits die mit der aufzuhebenden Bestimmung in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfaßt werden;...'

Nun steht aber der angefochtene Satz in Abs 1 des § 153 ASVG in einem untrennbaren Zusammenhang mit § 153 Abs 1 zweiter und dritter Satz und den Absätzen 3 bis 5 dieser Bestimmung, da sie in engem inhaltlichen Konnex mit dem angefochtenen Satz nähere Regelungen über die Leistung von Zahnbehandlung festlegen. Im Hinblick darauf dürfte der Antrag, der bloß auf den ersten Satz des § 153 Abs 1 ASVG gerichtet ist, unzulässig sein.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß mit der beantragten Aufhebung die vom Antragsteller geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht beseitigt würden, weil sich auch aus § 153 Abs 1 dritter Satz ASVG ergibt, daß die Leistungen der Zahnbehandlung in der Satzung geregelt werden können."

2.1.2. Zur Sache selbst:

"Zu den Bedenken gemäß Art 18 Abs 2 B-VG:

Der Oberste Gerichtshof hat in dieser Hinsicht das Bedenken, daß die angefochtene Bestimmung den Inhalt der als Verordnung zu qualifizierenden Satzung der Sozialversicherungsträger entgegen Art 18 Abs 2 B-VG nicht hinreichend determiniere und daher eine formalgesetzliche Delegation vorliege. ...

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes beschränkt dieser Gerichtshof die Prüfung der Frage, ob eine formalgesetzliche Delegation oder aber eine dem Art 18 B-VG entsprechende gesetzliche Ermächtigung zur Erlassung von Verordnungen vorliegt, nicht notwendiger Weise und allein auf jene Bestimmung, die die ausdrückliche Ermächtigung zur Verordnungserlassung enthält. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes muß bei einer solchen Prüfung vielmehr der gesamte Inhalt des in Prüfung gezogenen Gesetzes berücksichtigt werden (VfSlg. 2381/1952, 3222/1957, 3360/1958, 3993/1961 u.a.).

Wenn man nun im Sinne dieser Rechtsprechung die angefochtene Verordnungsermächtigung insbesondere im Lichte des § 153 ASVG insgesamt betrachtet, so erscheint sie ausreichend bestimmt zu sein:

So ergibt sich zunächst aus § 153 Abs 1 zweiter Satz ASVG eine nähere Bestimmung der in Frage kommenden Zahnbehandlungsleistungen, nämlich chirurgische und konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen, letztere jedoch nur, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsstörungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind.

Aus § 153 Abs 1 erster Satz ASVG läßt sich aber im Zusammenhang mit § 153 Abs 1 zweiter und dritter Satz ASVG auch durchaus ein Anspruch auf diese im zweiten Satz angeführten Zahnbehandlungen ableiten:

Dafür kann zum einen ins Treffen geführt werden, daß schon der angefochtene Satz selbst ausdrücklich vorsieht, daß Zahnbehandlung zu gewähren ist. Den Worten 'nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung' kommt im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG - sofern nicht gravierende Argumente dagegen sprechen, was im vorliegenden Fall nicht zutreffen dürfte - die Bedeutung von ausführenden, im Dienste des Gesetzes stehenden Bestimmungen zu. Weiters sieht § 153 Abs 1 dritter Satz ASVG vor, daß diese Leistungen (nämlich die im zweiten Satz angeführten Zahnbehandlungen) in der Satzung von der Erfüllung einer Wartezeit abhängig gemacht werden können. Auch diese Anordnung läßt sich nur so deuten, daß auf die im zweiten Satz genannten Zahnbehandlungsleistungen prinzipiell ein gesetzlicher Anspruch besteht und der Versicherungsträger dafür in der Satzung allenfalls (bloß) eine Wartezeit vorsehen kann.

Für die Annahme, daß auch gemäß § 153 Abs 1 ASVG ein Anspruch auf Zahnbehandlung besteht, spricht darüber hinaus aber vor allem auch die Anordnung im zweiten Satz dieser Bestimmung, derzufolge eine bestimmte Zahnbehandlungsart, nämlich Kieferregulierungen, nur eingeschränkt als Zahnbehandlung gelten. Das bedeutet zunächst für Kieferregulierungen nichts anderes, als daß diese nur bei Vorliegen bestimmter, den prinzipiellen gesetzlichen Anspruch also einschränkender, Kriterien zu gewähren sind. Im Umkehrschluß läßt sich daraus aber auch für die beiden anderen im zweiten Satz genannten Arten von Zahnbehandlungsleistungen ableiten, daß sie von Gesetzes wegen ohne derartige Einschränkungen zustehen.

Auch die nähere Bestimmung des Ausmaßes der Leistungen der Zahnbehandlung (mit Ausnahme der Kieferregulierungen) ist aus den Regelungen des ASVG über die Leistungen der Krankenversicherung insgesamt abzuleiten. Hiezu ist auf die grundsätzliche Regelung des § 133 Abs 2 ASVG zu verweisen, die bei der Erlassung einer Verordnung (Satzung) gemäß § 153 Abs 1 ASVG als Kriterium heranzuziehen sein wird. Auch der Umstand, daß § 133 ASVG eine jener Bestimmungen ist, die für Krankenbehandlungen im engeren Sinn gelten, ändert daran nichts:

Schon im Erkenntnis VfSlg. 3709/1960 hat nämlich der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertreten, daß sich aus dem Umstand, daß Zahnbehandlung und Zahnersatz nicht in § 117 ASVG angeführt sind, nicht ergibt, daß es sich dabei nicht um Leistungen aus der Krankenversicherung handle. Dies gilt nach wie vor, auch wenn § 118 ASVG, auf den sich der Verfassungsgerichtshof dabei in diesem Erkenntnis stützte, mittlerweile aufgehoben wurde, da die Zahnbehandlung als eine Leistung der Krankenversicherung auch weiterhin im § 116 Abs 1 ASVG aufgezählt (wie sich aus 181 BlgNR,

14. GP, 67, ergibt, war die seinerzeitige Regelung des § 118 Abs 2 ASVG, in der Stammfassung, im Hinblick auf die nunmehrige Erwähnung der (Leistungen der) Zahnbehandlung und des Zahnersatzes in § 116 Abs 1 Z 3 ASVG für entbehrlich gehalten worden) und im Zweiten Teil des ASVG, der eben die Leistungen der Krankenversicherung betrifft, geregelt ist. Der in § 133 Abs 2 ASVG festgelegte Umfang einer Krankenbehandlung erscheint somit - zumindest per analogiam - auch für das Ausmaß der zu leistenden chirurgischen und konservierenden Zahnbehandlungen gemäß § 153 ASVG maßgeblich.

Im übrigen erscheint auch der in § 153 Abs 1 ASVG enthaltene Verweis auf § 121 Abs 3 ASVG im vorliegenden Zusammenhang für die Determinierung der angefochtenen Verordnungsermächtigung beachtlich: Daraus ergibt sich nämlich implizit, daß die Zahnbehandlungen im Ausmaß gesetzlicher Mindestleistungen gemäß § 121 Abs 1 ASVG zu erbringen sind und satzungsmäßig Mehrleistungen unter Beachtung der in § 121 Abs 3 ASVG genannten Kriterien bestimmt werden können.

Daß die Regelungen des ASVG über die Leistungen der Krankenversicherung insgesamt von einer ausreichenden und zweckmäßigen Behandlung des Versicherten im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG ausgehen, die jedoch - im Hinblick auf die beschränkten finanziellen Ressourcen der Versichertengemeinschaft und der Beibehaltung eines angemessenen Beitragsniveaus - das Maß des Notwendigen nicht übersteigen darf, kommt schließlich auch in § 338 Abs 2 ASVG zum Ausdruck, wonach durch die Verträge zwischen Sozialversicherungsträgern und Ärzten eine ausreichende Versorgung des Versicherten und seiner anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen ist.

Zu den gleichheitsrechtlichen Bedenken:

Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen erscheint es entbehrlich, auf das Bedenken näher einzugehen, die angefochtene Bestimmung sei im Hinblick auf die vergleichbaren Regelungen im Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz und im Bauern-Sozialversicherungsgesetz (§94 GSVG,§ 95 BSVG) gleichheitswidrig, weil sich aus § 153 Abs 1 ASVG - anders als aus den genannten gesetzlichen Regelungen - kein Anspruch auf Zahnbehandlung ergebe.

Grundsätzlich ist zur gleichheitsrechtlichen Beurteilung einzelner Bestimmungen verschiedener Sozialversicherungsgesetze festzustellen, daß sie eine umfassende Analyse des rechtlichen und tatsächlichen Umfeldes der einzelnen in einen solchen Vergleich einbezogenen Sozialversicherungsbestimmungen voraussetzt. Gleichheitsrechtliche Bedenken könnten nämlich nur dann entstehen, wenn die rechtliche Ausgestaltung und die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse der zu vergleichenden Riskengemeinschaften wirklich vergleichbar sind. Ausführungen dazu enthält der vorliegende Antrag des Obersten Gerichtshofes aber nicht."

2.2.1. Die Hauptversammlung der OÖ GKK als verordnungserlassende Behörde nahm zu den Anträgen des Obersten Gerichtshofes wie folgt Stellung:

"1. Zum Gesetzestext

Die OÖ Gebietskrankenkasse ist der Auffassung, daß die Bedenken des Obersten Gerichtshofes gerechtfertigt sind und § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG tatsächlich verfassungswidrig ist. Auch hinsichtlich der Begründung schließt sich die OÖ Gebietskrankenkasse den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes an.

2. Zur Satzung der OÖ Gebietskrankenkasse:

Gemäß § 455 Abs 2 ASVG hat der Hauptverband für den Bereich der Krankenversicherung eine Mustersatzung aufzustellen. Der Hauptverband kann dabei Bestimmungen der Mustersatzung aus Gründen der Einheitlichkeit bei der Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen für verbindlich erklären, d.h., daß diese Bestimmungen in die Satzung der Krankenversicherungsträger zu übernehmen sind.

Bei den vom Obersten Gerichtshof zur Diskussion gestellten Bestimmungen der Satzung der OÖ Gebietskrankenkasse (§32 Abs 1 litb und § 34 Abs 1 und Abs 3) handelt es sich um derartige von der Mustersatzung zu übernehmende verbindliche Bestimmungen. Die OÖ Gebietskrankenkasse konnte daher gar keine andere Regelung treffen.

Wenn die, wie unter Punkt 1 ausgeführt wurde, zugrundeliegende gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist, sind die darauf beruhenden Bestimmungen der Satzung der OÖ Gebietskrankenkasse ebenfalls aufzuheben.

3. Zur Mustersatzung

Die Mustersatzung des Hauptverbandes ist im vorliegenden Verfahren zwar noch nicht in Prüfung gezogen; da die Krankenversicherungsträger jedoch, wie im Punkt 2 ausgeführt, verpflichtet sind, die verbindlichen Bestimmungen der Mustersatzung in ihre Satzungen zu übernehmen, werden, wenn eine Verfassungswidrigkeit des § 153 Abs 1 und Abs 2 ASVG angenommen wird, auch die entsprechenden Bestimmungen der Mustersatzung zu prüfen sein; konkret handelt es sich dabei um die §§32 bis 37 der Mustersatzung 1982.

Die OÖ Gebietskrankenkasse tritt daher den Bedenken des Obersten Gerichtshofes bei und regt an


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
§153 Abs 1 Satz 1 ASVG als verfassungswidrig,
b)
die darauf beruhenden Bestimmungen der Satzung der OÖ Gebietskrankenkasse als gesetzwidrig aufzuheben und
c)
die Gesetzmäßigkeit der Mustersatzung 1982 zu prüfen.

Obwohl nur der § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG Gegenstand des Prüfungsantrages ist, erlaubt sich die OÖ Gebietskrankenkasse ihre Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit weiterer Bestimmungen des § 153 ASVG vorzubringen.

Die ohne weitere Determinierung festgelegte Ermächtigung zur Regelung der Leistungsansprüche durch die Satzung findet sich nicht nur im ersten Satz des § 153 Abs 1 ASVG, sondern auch im dritten Satz des § 153 Abs 1 ASVG und im dritten Satz des § 153 Abs 2 ASVG. Wenn nun der OGH berechtigte Bedenken gegen die Satzungsermächtigung des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG hat, so kann die Verfassungswidrigkeit nicht dadurch beseitigt werden, daß nur dieser erste Satz aufgehoben wird. Wollte man nämlich nur § 153 Abs 1 erster Satz ASVG aufheben, so würden die übrigen Satzungsverweise weiterbestehen, was die Rechtslage noch massiver verfassungswidrig machen würde.

Weitere verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch hinsichtlich des vom Prüfungsantrag nicht betroffenen § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG. Wenn nämlich die formalgesetzliche Delegation sowie die dynamische Verweisung im § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG als verfassungswidrig anzusehen sind, dann muß dies in gleicher Weise für die Bestimmung des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG, wonach die in den Satzungen und im Vertrag nicht vorgesehenen Leistungen in den Zahnambulatorien der Versicherungsträger nicht erbracht werden dürfen, gelten.

Dazu kommt, daß bei einem Wegfall der Satzungsregelungskompetenz (§153 Abs 1 Satz 1 ASVG) die Rechtsgrundlage für die Bestimmung des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG wegfällt und diese dadurch einen anderen Inhalt bekäme.

Abschließend erlaubt sich die OÖ Gebietskrankenkasse darauf hinzuweisen, daß gem. § 436 Abs 1 ASVG der Vorstand, dessen Vorsitz der Obmann führt, das zur Geschäftsführung des Versicherungsträgers berufene Organ ist. Die Beschlußfassung über die Satzung und deren Änderungen obliegt gem. § 435 Abs 1 Z. 4 ASVG der Hauptversammlung, deren Vorsitzender ebenfalls der Obmann ist."

2.2.2. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales führte in seiner Äußerung ua. aus, daß er bei gegebener Rechtslage, d.h. solange § 153 Abs 1 erster Satz ASVG in seiner derzeitigen Fassung Gültigkeit habe, auch keine Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Satzungsbestimmungen zu erkennen vermöge. Der Auffassung des Obersten Gerichtshofes, wonach § 34 Abs 3 der Satzung der OÖ GKK eine unzulässige dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern und die dort geregelten Leistungen enthalte, wodurch der Umfang der zu erbringenden Leistungen jeweils durch Vertrag erweitert oder eingeschränkt werden könne, sei entgegenzuhalten, daß gemäß § 338 Abs 2 ASVG durch die in Rede stehenden Verträge eine ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen sei.

3. Über die Anträge des Obersten Gerichtshofes wurde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - erwogen:

3.1. Zur Zulässigkeit der Normenprüfungsanträge:

3.1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).

Daß die Präjudizialitätsfrage vom Obersten Gerichtshof offensichtlich denkunmöglich beantwortet wurde, wird weder von den zur Verteidigung der angefochtenen Normen berufenen Behörden behauptet, noch sind diesbezügliche Bedenken im Verfassungsgerichtshof entstanden.

3.1.2. Die Bundesregierung vertritt jedoch im Verfahren G245/91 die Ansicht, daß der vom Obersten Gerichtshof gestellte Gesetzesprüfungsantrag zu eng sei (vgl. 2.1.1.).

Dieser Auffassung vermag der Verfassungsgerichtshof jedoch aus folgenden Gründen nicht zu folgen:

Durch einen allfälligen Wegfall des ersten Satzes des § 153 Abs 1 ASVG würde bloß die - ganz allgemein gehaltene - Ermächtigung des Satzungsgebers entfallen, die zu gewährenden Leistungen der Zahnbehandlung durch Verordnung zu regeln. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des zweiten Satzes des § 153 Abs 1 leg.cit., deren Gegenstand die Festlegung ist, welche Leistungen als Leistungen der Zahnbehandlung "in Betracht" kommen, bleibt von einer allfälligen Aufhebung des ersten Satzes ebenso unberührt wie die Regelung des dritten und vierten Satzes dieser Gesetzesstelle, wonach in der Satzung die Erbringung der im zweiten Satz genannten Leistungen unter den Voraussetzungen des § 121 Abs 3 ASVG von der Erfüllung einer Wartezeit abhängig gemacht werden können. Die im dritten Satz des § 153 Abs 1 ASVG enthaltene Ermächtigung betrifft nur einen ganz spezifischen Aspekt, der unabhängig von der Anordnung des ersten Satzes einer Regelung zugänglich ist. Ob diese Bestimmungen im Falle der Aufhebung des ersten Satzes des § 153 Abs 1 ASVG vollziehbar wären, kann dahingestellt bleiben.

Auch den Bestimmungen des § 153 Abs 3 bis 5 ASVG kommt ein von der Regelung des ersten Satzes des § 153 Abs 1 ASVG trennbarer, eigenständiger Inhalt zu. Daß § 153 Abs 3 leg.cit., insbesondere dessen letzter Satz, durch einen allfälligen Wegfall des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG nicht vollziehbar wäre, ändert an der möglichen Trennbarkeit nichts. Soweit sich die Regelung des § 153 Abs 3 ASVG auch auf den Zahnersatz bezieht, ist der Bundesregierung schließlich entgegenzuhalten, daß diese nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof und somit - richtigerweise - auch nicht Gegenstand seines Prüfungsantrages ist.

Für die Abs 4 und 5 des § 153 ASVG gelten zusätzlich dieselben Überlegungen wie hinsichtlich des dritten Satzes des § 153 Abs 1

ASVG.

3.1.3. Da die Präjudizialitätsfrage vom Obersten Gerichtshof sowohl im Gesetzes- als auch im Verordnungsprüfungsverfahren offensichtlich denkmöglich beantwortet wurde (vgl. 3.1.1.) und auch sonstige Prozeßhindernisse nicht vorliegen, sind die Normenprüfungsanträge in vollem Umfang zulässig.

3.2. Zur Sache selbst:

3.2.1. Zunächst hält der Verfassungsgerichtshof fest, daß er bei einem gemäß Art 140 Abs 1 B-VG gestellten Gesetzesprüfungsantrag (gemäß Art 139 Abs 1 B-VG gestellten Verordnungsprüfungsantrag) auf die vom antragstellenden Gericht geltend gemachten Bedenken beschränkt ist (vgl. zB VfSlg. 9287/1981, 11576/1987).

3.2.2. Davon ausgehend, daß das ASVG es weitgehend der Satzung (zu ihrer Rechtsnatur als Verordnung vgl. zB VfSlg. 5422/1966) überläßt, den Leistungsumfang bei Zahnbehandlungen zu bestimmen, hegt der Oberste Gerichtshof zum einen das Bedenken, daß der Gesetzgeber zwischen Versicherten nach dem ASVG einerseits und den Versicherten nach dem GSVG und BSVG andererseits, denen bereits unmittelbar aufgrund des Gesetzes ein konkreter Anspruch auf Zahnbehandlung zustehe, in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise differenziere, sodaß ein Verstoß gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot des Art 7 Abs 1 B-VG vorliege. Des weiteren sei die Bestimmung des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG deshalb verfassungswidrig, weil sie keine im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG ausreichende Determinierung des Inhaltes der danach zu erlassenden Bestimmungen der Satzung über die Zahnbehandlung darstelle. Ausmaß, Umfang und Charakter der im Rahmen der Zahnbehandlung zu erbringenden Leistungen würden der Satzung überlassen, ohne die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung erkennen zu lassen. Sollten diese Bedenken zutreffen und daher die Bestimmung des § 153 Abs 1 erster Satz ASVG als verfassungswidrig aufgehoben werden, würde es den angefochtenen Satzungsbestimmungen an der gesetzlichen Deckung fehlen, sodaß diese bereits aus diesem Grund gesetzwidrig wären.

3.2.2.1. Zum ASVG:

Wenn der Oberste Gerichtshof vermeint, daß die Regelung des ersten Satzes des § 153 Abs 1 ASVG einer - der Norm des Art 18 Abs 1 und 2 B-VG widersprechenden - formalgesetzlichen Delegation gleichkomme, so ist er mit dieser Rechtsauffassung aus folgenden Erwägungen nicht im Recht:

3.2.2.1.1. Nach Art 18 Abs 2 B-VG dürfen Verordnungen nur "auf Grund der Gesetze" erlassen werden. Verordnungen dürfen also bloß präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes: VfSlg. 7945/1976, 9227/1981, 10296/1984, 11859/1988 und 11938/1988; Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, S. 82). Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnungen vollziehbar sein, müssen daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg. 4139/1962, 4662/1964, 7945/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art 18 Abs 1 (und 2) B-VG im Widerspruch (s. VfSlg. 4072/1961, 4300/1962, 10296/1984, 11859/1988).

Die Grenzen zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation wird in Einzelfällen nicht immer leicht zu bestimmen sein.

Entscheidungskriterium ist hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit geprüft werden kann (s. VfSlg. 1932/1950, 4072/1961, 10296/1984).

Dabei sind in Ermittlung des Inhaltes des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden (Auslegungs-)Möglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen läßt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art 18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. ua. VfSlg. 8395/1978, 10296/1984).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 2381/1952, 3222/1957, 3993/1961) kann jedoch dann nicht von einer formalgesetzlichen Delegation gesprochen werden, wenn der Gesetzgeber zwar an jener Stelle des Gesetzes, an der er eine Verwaltungsbehörde zur Verordnungssetzung beruft, den Inhalt der Regelung in einer dem Art 18 B-VG entsprechenden Weise nicht bestimmt, jedoch an anderer Stelle des Gesetzes den Inhalt der Verordnung ausreichend determiniert.

3.2.2.1.2. Unter dem zuletzt genannten Aspekt sind im vorliegenden Fall bei Beurteilung der vom antragstellenden Gericht geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken sowohl die in unmittelbarem Konnex mit dem ersten Satz des § 153 Abs 1 ASVG stehenden, diesem nachfolgenden Sätze und Absätze als auch insbesondere jene Bestimmungen zu beachten, die - ebenso wie § 153 ASVG - im Zweiten Teil des ASVG unter dem Titel "Leistungen der Krankenversicherung" in den §§116 bis 171 ASVG zusammengefaßt sind.

Der Zweite Teil des ASVG ist in zwei Abschnitte gegliedert, wobei der Abschnitt I "gemeinsame Bestimmungen" über die Leistungen der Krankenversicherung enthält, während der Abschnitt II die "Leistungen im Besonderen" regelt und in mehrere Unterabschnitte, die sich mit den einzelnen in § 116 Abs 1 ASVG genannten Aufgaben der Krankenversicherung beschäftigen, gegliedert ist. § 116 Abs 1 ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. Nr. 609/1987) zählt als Fälle der Krankenversicherung, für die Vorsorge zu treffen ist, unter Z 1 die Verhütung und Früherkennung von Krankheiten, unter Z 2 insbesondere die Versicherungsfälle der Krankheit und unter Z 3 die Zahnbehandlung und den Zahnersatz sowie die Hilfe bei körperlichen Gebrechen auf. Die Berücksichtigung der Bestimmungen des gesamten Zweiten Teiles (Leistungen der Krankenversicherung) erscheint nun insbesondere schon deshalb geboten, weil es sich bei der Zahnbehandlung und dem Zahnersatz eigentlich um ein Konglomerat bestehend aus dem Versicherungsfall der Gesundheitserhaltung (wenn es bloß um die Untersuchung des Zahnzustandes geht), dem Versicherungsfall der Krankenbehandlung (wenn die Leistung die Zahnbehandlung zum Gegenstand hat) und dem Versicherungsfall der Hilfe bei körperlichen Gebrechen (wenn Zahnersatz gewährt wird) handelt. Es ist daher für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG, der die Zahnbehandlung betrifft, auch zu klären, ob die für die Krankenbehandlung im besonderen getroffenen Bestimmungen des 2. Unterabschnittes (insbesondere des § 133 Abs 2 leg.cit.) für die Bestimmung des Inhaltes der angefochtenen Regelung determinierend herangezogen werden können.

3.2.2.1.3. Der antragstellende Oberste Gerichtshof vertritt die Ansicht, daß der 5. Unterabschnitt (Zahnbehandlung und Zahnersatz; Hilfe bei körperlichen Gebrechen) aus dem allgemein für die Krankenbehandlung vorgesehenen System vom Gesetzgeber herausgehoben sei und somit insbesondere § 133 Abs 2 ASVG, der sich im

2. Unterabschnitt unter der Überschrift "Umfang der Krankenbehandlung" befindet, für die Zahnbehandlung nicht anzuwenden sei. Da sich auch sonst keine determinierenden gesetzlichen Regelungen fänden, sei dem angefochtenen § 153 Abs 1 erster Satz ASVG als formalgesetzliche Delegation Verfassungswidrigkeit anzulasten.

Der Verfassungsgerichtshof vermag sich dieser Auffassung jedoch nicht anzuschließen:

Zunächst ist auf das Erkenntnis VfSlg. 3709/1960 zu verweisen. Gegenstand dieser Entscheidung war ua. die Frage, ob der Anspruch des Versicherten auf Kostenvergütung für Zahnbehandlung durch Ablauf der von der Satzung (Krankenordnung) für seine Geltendmachung mit einem Monat festgesetzten Frist untergegangen ist. Der Bundesminister vertrat damals die Auffassung, daß das Gesetz die Regelung der Voraussetzungen, unter denen Zahnbehandlung gewährt wird, zur Gänze dem autonomen Wirkungsbereich der Sozialversicherung überläßt. Dazu wird im eben zitierten Erkenntnis ausgeführt:

"Hätte § 153 ASVG wirklich den weiten Sinn, der ihm in den Äußerungen beigelegt wird, so wäre er verfassungsrechtlich bedenklich, weil dann das Gesetz nicht das geringste darüber enthielte, nach welchen Grundsätzen die Satzungsgewalt (Verordnungsvollmacht) bei der Bestimmung der Anspruchsbefristung gehandhabt werden sollte."

Diese Aussage erfolgte zwar im Zusammenhang mit der Frage des Verfalls eines Anspruches; auch hat sich die Rechtslage inzwischen insofern geändert, als § 118 ASVG (dieser sah vor, daß Zahnbehandlung und Zahnersatz sowie Hilfe bei körperlichen Gebrechen nach Maßgabe der Bestimmungen der §§153 und 154 leg.cit. zu gewähren sind) durch die 32. Novelle zum ASVG (BGBl. Nr. 704/1976) aufgehoben wurde. Wie die Erläuterungen zur 32. ASVG-Novelle (181 BlgNR XIV.GP) jedoch darlegen, wurde diese Bestimmung deshalb entbehrlich, weil unter einem die Zahnbehandlung als Aufgabe der Krankenversicherung im § 116 Abs 1 Z 3 ASVG Eingang gefunden hat. Es besteht auch sonst für den Verfassungsgerichtshof keine Veranlassung, die schon im zitierten Erkenntnis prinzipiell getroffene Aussage zu revidieren. Dies aus folgenden Gründen:

Der Gesetzgeber unterscheidet in § 121 Abs 1 ASVG (diese Bestimmung findet sich im Abschnitt I des Zweiten Teiles des ASVG, stellt also eine grundsätzlich für alle Leistungen der Krankenversicherung geltende Bestimmung dar) unter der Überschrift "Art der Leistungen" zwischen Pflichtleistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht (Abs2), und freiwilligen Leistungen, die aufgrund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Regelungen gewährt werden können, ohne daß ein Rechtsanspruch besteht (ebenfalls Abs 2). Pflichtleistungen sind gemäß § 121 Abs 1 Z 1 leg.cit. entweder gesetzliche Mindestleistungen oder satzungsmäßige Mehrleistungen; letztere sind nach § 121 Abs 3 leg.cit. über die gesetzlichen Mindestleistungen hinausgehende Mehrleistungen, die vom Versicherungsträger unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten innerhalb der gesetzlichen Grenzen in der Satzung vorgesehen werden können.

Demgegenüber behält der erste Satz des § 153 Abs 1 ASVG die Bestimmung der Ansprüche, die beim Versicherungsfall der Zahnbehandlung zustehen, der Satzung vor. Die in § 121 Abs 1 leg.cit. vorgenommene Unterteilung der Pflichtleistungen - je nach der Rechtsquelle, von der der Leistungsanspruch abgeleitet wird - in gesetzliche Mindest- und satzungsmäßige Mehrleistungen kommt bei der Zahnbehandlung somit nach § 151 Abs 1 erster Satz ASVG nicht zum Tragen; § 153 Abs 1 Satz 1 leg.cit. konstituiert vielmehr eine Verordnungsermächtigung iS eines Satzungsvorbehaltes, und zwar - wie sich aus dem Wortlaut ("ist ... zu gewähren") ergibt - für festzulegende Pflichtleistungen. Der angefochtene Satz ist daher sowohl Ermächtigung zur Satzungserlassung als auch Begrenzung der Satzungsmacht und insofern determinierend, als es sich bei den satzungsmäßig festzulegenden Leistungen nicht um freiwillige Leistungen der Versicherungsträger handeln darf.

Aus dem ersten Satz des § 153 Abs 2 ASVG, der den Zahnersatz betrifft, iVm dem in § 153 Abs 1 zweiter Satz leg.cit. gewählten Wortlaut ergibt sich nun eine Abgrenzung der Fälle der Zahnbehandlung von dem spezifischen Fall des Zahnersatzes. Der zweite Satz des § 153 Abs 1 ASVG zählt nämlich als Leistungen der Zahnbehandlung die Fälle der chirurgischen und der konservierenden Zahnbehandlung sowie unter bestimmten Voraussetzungen (Notwendigkeit zur Verhütung schwerer Gesundheitsstörungen oder zur Beseitigung berufsstörender Verunstaltungen) Kieferregulierungen auf; es wäre dabei verfehlt, aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ("als Leistungen der Zahnbehandlung kommen ... in Betracht") darauf zu schließen, daß es im Belieben des Satzungsgebers stünde, Regelungen über Leistungen der genannten Art zu treffen oder dies zu unterlassen. Bei Zahnersatz wird sodann der Satzungsgeber durch § 153 Abs 2 ASVG erster Satz ermächtigt, auch für den Fall, daß es sich um einen unentbehrlichen Bedarf handelt, dem Versicherten nur einen Kostenbeitrag zu leisten oder - wie im Gesetz ausgedrückt - "unentbehrlichen Zahnersatz unter Kostenbeteiligung des Versicherten" zu gewähren. Daraus ergibt sich - kraft Umkehrschlusses -, daß für die Leistungsfälle der Zahnbehandlung nach dem zweiten Satz des § 153 Abs 1 ASVG dem Versicherten bei unentbehrlicher Zahnbehandlung - gleiches ergibt sich aus § 133 Abs 2 leg.cit. für notwendige Krankenbehandlungen - eine Kostenbeteiligung nicht auferlegt werden darf.

Daraus folgt aber auch, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des § 153 Abs 1 erster und zweiter Satz ASVG nach dem gleichen Grundsatz vorgeht, der in § 133 Abs 2 ASVG für die Krankenbehandlung allgemein festgelegt wurde, nämlich, daß sich die Zahnbehandlung (ausgenommen der Fall der Kieferregulierungen) am "Notwendigen" zu orientieren hat. Daß der Gesetzgeber in § 153 leg.cit. systemkonform vorgegangen ist, zeigt sich auch daran, daß er sowohl im letzten Satz des Abs 1 die "entsprechende" Geltung des § 121 Abs 3 ASVG als auch im zweiten Satz des Abs 3 gleiches hinsichtlich des § 135 Abs 2 ASVG anordnet. Daraus ist aber allgemein zu schließen, daß der Gesetzgeber im Abschnitt über die Zahnbehandlung und den Zahnersatz an die für die Krankenbehandlung getroffenen Regelungen grundsätzlich anknüpft und daher die für die Krankenbehandlung getroffene Regelung auch für den

5. Unterabschnitt - wenn auch unter dem Gebot erforderlicher Anpassungen - maßgeblich ist. Wenn es dafür eines weiteren Beweises bedarf, findet sich dieser in der spezifischen Regelung des zweiten Satzes des § 153 Abs 1 ASVG für Kieferregulierungen. Daß der dritte Satz des § 153 Abs 1 leg.cit. eine gesonderte Wartezeitregelung zuläßt, ist ebenfalls systemkonform, da - wie bereits dargelegt - § 153 ASVG eine von § 121 ASVG abweichende Satzungsermächtigung trifft: Während § 121 ASVG den Satzungsgeber auch ermächtigt, in der Satzung freiwillige Leistungen vorzusehen, ermächtigt § 153 Abs 1 erster Satz ASVG den Satzungsgeber nur zur Festlegung von Pflichtleistungen; aufgrund der besonderen Wartezeitregelung läßt sich daher nicht schließen, daß § 133 Abs 2 ASVG bei der Zahnbehandlung nicht anzuwenden wäre.

§ 153 Abs 1 Sätze 2 bis 4 und Abs 2 ASVG sowie (insbesondere) die §§121 Abs 3, 133 Abs 2 und 135 Abs 2 leg.cit. bewirken eine im Sinne des Art 18 B-VG hinreichende Determinierung der angefochtenen Regelung, an der das Vollzugsgeschehen gemessen werden kann.

Aus dem Vorhergesagten ergibt sich somit, daß § 153 Abs 1 erster Satz ASVG nicht Verfassungswidrigkeit wegen formalgesetzlicher Delegation anzulasten ist.

3.2.2.1.4. Die vom Obersten Gerichtshof behauptete Verfassungswidrigkeit liegt demnach insgesamt (vgl. 3.2.2.) nicht vor; der Gesetzesprüfungsantrag war somit abzuweisen.

3.2.2.2. Zur Satzung der OÖ GKK:

3.2.2.2.1. Soweit der Verordnungsprüfungsantrag die Gesetzwidrigkeit des § 32 Abs 1 litb sowie des § 34 Abs 1 und 3 der Satzung der OÖ GKK deshalb geltend macht, weil mit einer Aufhebung des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG die angefochtenen Bestimmungen der Satzung einer gesetzlichen Deckung entbehrten, genügt es festzuhalten, daß § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wurde.

Aber auch die weiteren Vorwürfe gegen § 34 Abs 3 der genannten Satzung, er stünde im Widerspruch zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 153 Abs 1 Satz 1 iVm § 133 Abs 2 und § 153 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 ASVG und enthalte eine dynamische Verweisung auf die jeweils mit den Zahnbehandlern abgeschlossenen, geltenden Verträge, treffen nicht zu:

§ 34 Abs 3 der Satzung der OÖ GKK ist nämlich - im Hinblick auf das Gebot einer möglichen gesetzes-(verfassungs-)konformen Auslegung - im Zusammenhang mit § 37 Abs 4 lita leg.cit. zu lesen, der bei Inanspruchnahme von Wahlärzten im Falle der Notwendigkeit der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung eine Kostenerstattung anordnet.

Auch dem Vorwurf, § 34 Abs 3 der in Rede stehenden Satzung enthalte eine dynamische Verweisung, kommt aus folgendem Grund keine Berechtigung zu: § 34 Abs 3 der Satzung der OÖ GKK muß - was der Wortlaut des § 34 Abs 3 iVm § 37 Abs 4 lita leg.cit. nahe legt - dahin verstanden werden, daß die Kosten für die notwendige Zahnbehandlung dem Versicherten selbst dann zu ersetzen sind, wenn sie aufgrund der jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern nicht für die Rechnung der Kasse zu gewähren sind; gleiches gilt für die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen ist.

3.2.2.2.2. Auch der Verordnungsprüfungsantrag war daher abzuweisen.