VfGH vom 11.10.1988, G238/87

VfGH vom 11.10.1988, G238/87

Sammlungsnummer

11872

Leitsatz

Art140 Abs 1 B-VG; Präjudizialität der die Strafbehörde in zweiter Instanz konstituierenden Organisationsnormen im Fall von Bedenken, daß die gesetzlich vorgesehenen Strafen nur von einem Tribunal verhängt werden dürfen

Wirtschaftstreuhänder-DisziplinarO; verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs 7 - Unabhängigkeit der Mitglieder des als Tribunal iS des Art 6 Abs 1 MRK einzurichtenden Berufungssenates insoferne gegeben, als die Vorraussetzungen für ihre Abberufung bzw. die Dauer der Funktionsperiode bestimmt werden; verfassungswidrige Gefährdung dieser Unabhängigkeit durch Aufsichtsrecht des Bundesministers nach § 2 Abs 2 letzter Satz iVm. § 5 Abs 4

Spruch

1. Der letzte Satz im § 2 Abs 2 und der gesamte § 5 Abs 4 der Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung, BGBl. Nr. 63/1962, in der Fassung der Nov. BGBl. Nr. 28/1965 und des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. Nr. 76, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

2. Die übrigen in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH ist zu B1228/86 das Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gegründete Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Der Senat für Kärnten des Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses (der Kammer der Wirtschaftstreuhänder) (im folgenden kurz: Disziplinarausschuß) erkannte den Bf. - einen Steuerberater - mit Bescheid vom schuldig, durch bestimmte Verhaltensweisen seine Berufspflichten verletzt und das Standesansehen beeinträchtigt zu haben und verhängte über ihn gemäß § 48 lita der Wirtschaftstreuhänder - Berufsordnung, BGBl. 125/1955, idF der Nov. BGBl. 352/1982, (WT-BO) die Strafe der Verwarnung.

Der Berufungssenat (der Kammer der Wirtschaftstreuhänder) gab mit Bescheid vom der dagegen vom Bf. erhobenen Berufung nicht Folge.

Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die erwähnte Verfassungsgerichtshofbeschwerde.

2.a) Der VfGH beschloß, aus Anlaß der erwähnten Beschwerde, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von amtswegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Spruch bezeichneten, in der folgenden Wiedergabe des Gesetzestextes hervorgehobenen Stellen der Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung, BGBl. 63/1962, idF der Nov. BGBl. 28/1965 (im folgenden kurz: WT-DO) einzuleiten.

b) Die hier maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen lauten bzw. lauteten zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die in Prüfung gezogenen Stellen der WT-DO sind hervorgehoben):

aa) Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung (WT-BO)

"Abschnitt X.

Aufsicht und Ehrengerichtsbarkeit.

Ehrengerichtsbarkeit

§47. (1) Die in § 2 bezeichneten Personen (Gesellschaften) einschließlich der Berufsanwärter (§19) unterliegen der Ehrengerichtsbarkeit, wenn sie die Pflichten ihres Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb des Berufes durch ihr Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt haben.

(2) . . .

Strafen.

§ 48. Im Ehrengerichtsverfahren können vom erkennenden Senat folgende Strafen verhängt werden:

a) Verwarnung;

b) strenge Verwarnung;

c) Geldbußen bis zum Höchstausmaße von 100 000 S im Einzelfalle, wobei sich dieser Höchstbetrag in den Fällen, in denen der Täter vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt und einen schweren Schaden verursacht hat, auf 500 000 S erhöht;

diese Geldbußen sind gemäß § 26 Abs 2 des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes zu verwenden;

d) Suspendierung bis zur Dauer eines Jahres. Gegen Berufsanwärter ist statt auf diese Strafe auf Verkürzung der gemäß § 19 Abs 4 anrechenbaren Zeit, jedoch höchstens um ein Jahr, zu erkennen;

e) dauernde Entziehung der Berufsbefugnis beziehungsweise Streichung als Berufsanwärter.

Welche Strafe zu verhängen ist und in welchem Ausmaß sie zu bemessen ist, ist nach der Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile zu beurteilen; dabei ist auf alle in Betracht kommenden mildernden und erschwerenden Umstände Bedacht zu nehmen. Die Strafe der dauernden Entziehung der Berufsbefugnis ist auszusprechen, wenn der Beschuldigte vorsätzlich gehandelt hat und durch sein Verhalten ein schwerer Schaden oder eine schwere Beeinträchtigung des Ansehens des Standes bewirkt wurde."

bb) Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung (WT-DO):

(idF der Nov. BGBl. 28/1965 und des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. 76)

"Ehrengerichtsbarkeit.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
§1. (1) Die disziplinäre Überwachung der Berufsangehörigen und Berufsanwärter gemäß § 2 Abs 1 litf des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes, BGBl. Nr. 20/1948, in der Fassung des BG BGBl. Nr. 126/1955, obliegt in erster Instanz dem Ehrengerichts- und Disziplinarausschuß, in zweiter Instanz dem Berufungssenat am Sitz der Kammer der Wirtschaftstreuhänder.

(2) . . . .

Zusammensetzung und Bestellung

des Ehrengerichts - und Disziplinarausschusses

und des Berufungssenates.

§2. (1) Der Ehrengerichts- und Disziplinarausschuß besteht aus einem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter sowie der erforderlichen Zahl von Senatsvorsitzenden (Stellvertretern) und Beiräten (Ersatzmännern). Mindestens ein Mitglied jedes Senates hat der Berufsgruppe des Angezeigten (Beschuldigten) anzugehören. Die Mitglieder des Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses sind vom Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder aus dem Kreise der ordentlichen Kammermitglieder zu bestellen. Für die Bestellung kommen nur physische Personen in Betracht, deren Befugnisse nicht ruhen. Dem Vorstand obliegt auch die Zusammenstellung der Senate.

(2) Der Berufungssenat setzt sich aus einem rechtskundigen Vorsitzenden (Stellvertreter) und aus vier Beisitzern (Ersatzmännern) zusammen. Der Vorsitzende (Stellvertreter) ist vom Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder aus dem Kreise der ordentlichen Kammermitglieder (Abs1) zu bestellen. Die Bestellung bedarf der Bestätigung des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie. Die vier Beisitzer (Ersatzmänner) sind jeweils aus einer Liste von sechzehn ordentlichen Kammermitgliedern (Abs1), die vom Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder aufzustellen ist, in alphabetischer Reihenfolge vom Vorsitzenden des Berufungssenates zu entnehmen; mindestens ein Mitglied des Berufungssenates muß jedoch der Berufsgruppe des Beschuldigten angehören. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie hat zur Wahrung seiner Dienstaufsicht (§5 Abs 4) zu den Sitzungen des Berufungssenates einen Vertreter zu entsenden; es ist von diesen Sitzungen zeitgerecht zu verständigen.

(3) Die Bestellung der Mitglieder des Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses und des Berufungssenates hat jeweils spätestens drei Monate nach der Wahl des Kammervorstandes zu erfolgen. Mit der Bestellung endet die Funktionsdauer der bisherigen Mitglieder.

(4) Die Mitglieder des Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses und des Berufungssenates sind vom Präsidenten der Kammer oder von einem von ihm hiezu bestimmten Vertreter anzugeloben. Sie haben ihr Amt gewissenhaft, unparteiisch und unter Beachtung der Verschwiegenheitspflicht (§13 Abs 3 des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes) auszuüben. Hiebei sind sie an keine Weisungen gebunden.

Bestellungs- und Ausübungshindernisse

§ 3. (1) . . . . .

(7) Der Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder

hat die Bestellung von Mitgliedern des Ehrengerichts- und

Disziplinarausschusses und des Berufungssenates bei gröblicher

Verletzung oder Vernachlässigung ihrer Pflichten zu widerrufen.

. . . . . . .

Geschäftsführung, Aufsicht.

§ 5. (1) . . . . . .

(4) Die Aufsicht über die Handhabung des

ehrengerichtlichen Verfahrens steht dem Bundesministerium für

Handel, Gewerbe und Industrie zu. Die Aufsicht umfaßt die Sorge

für die gesetzmäßige Führung der Geschäfte und ordnungsgemäße

Durchführung des ehrengerichtlichen Verfahrens. Zu diesem Zwecke

ist das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie

insbesondere berechtigt, Berichte über die Tätigkeit des

Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses einzuholen, in die Akten

jederzeit Einsicht zu nehmen und gesetzwidrige Beschlüsse und

Verfügungen, soweit sie nur das Verfahren betreffen, aufzuheben.

. . . . . . .

Berufung.

§ 17. (1) Gegen das Erkenntnis des Senates (des

Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses) steht dem Beschuldigten

und dem Kammeranwalt die Berufung zu.

. . . . . . .

(9) Gegen das Erkenntnis des Berufungssenates ist eine weitere Berufung unzulässig; eine dennoch eingebrachte Berufung hat der Vorsitzende des Berufungssenates zurückzuweisen."

c) Der VfGH äußerte im Einleitungsbeschluß zusammengefaßt - die folgenden Bedenken:

Die Art 5 und 6 der auf Verfassungsstufe stehenden MRK scheinen zu gebieten, den Berufungssenat für Wirtschaftstreuhänder als Tribunal iS dieser Konventionsbestimmungen zu organisieren. Im Hinblick auf die besondere Schwere der vorgesehenen Strafen, die zu verhängen der Berufungssenat letztinstanzlich berufen ist (siehe § 48 litc, d und e WT-BO) handle es sich nämlich anscheinend um Entscheidungen über "strafrechtliche Anklagen" in der Bedeutung des Art 6 MRK. Da der österreichische Vorbehalt zu Art 5 MRK für Disziplinarangelegenheiten nicht zum Tragen kommen dürfte, müsse anscheinend in solchen Fällen ein Tribunal die Strafe aussprechen; die nachprüfende Kontrolle durch den Verfassungsund VwGH scheine hier nicht auszureichen (vgl. u.a. Zlen.).

Ungeachtet der im § 2 Abs 4 letzter Satz WT-DO ausgesprochenen Weisungsfreistellung der Mitglieder des Berufungssenates dürfte der Berufungssenat - so hießt es im Einleitungsbeschluß weiters - den Anforderungen des Art 6 MRK nicht genügen. Die Weisungsungebundenheit scheine nämlich gesetzlich nicht ausreichend abgesichert zu sein. So könne der Kammervorstand die Mitglieder der Disziplinarbehörde jederzeit abberufen (§3 Abs 7 WT-DO); die Funktionsdauer des Berufungssenates sei nicht fix (§2 Abs 3). Vor allem aber lasse das besonders ausgeprägte Aufsichtsrecht des zuständigen Bundesministers an der Unabhängigkeit des Berufungssenates zweifeln (§2 Abs 2 letzter Satz und § 5 Abs 4 WT-DO).

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie ausführt:

I. Zur Unabhängigkeit des Berufungssenates

Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Berufungssenat für Wirtschaftstreuhänder aus den nachstehenden Gründen als ein unabhängiges Tribunal i.S. des Art 6 MRK anzusehen:

1. Zur Weisungsgebundenheit der Mitglieder

Wie der VfGH im Einleitungsbeschluß vom , B1228/86-8, unter Berufung auf den letzten Satz des § 2 Abs 4 der Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung (im folgenden: WT-DO) ausführt, sind die Mitglieder des Berufungssenates bei Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Bedenken des VfGH beziehen sich nun darauf, daß diese, dem Grundsatz nach, statuierte Weisungsfreiheit 'gesetzlich nicht ausreichend abgesichert zu sein' scheint. Hinsichtlich dieser die Unabhängigkeit der Mitglieder des Berufungssenates betreffenden Bedenken darf die Bundesregierung auf die nachstehenden Argumente (Pkt. I.2. bis I.4. dieser Stellungnahme) hinweisen.

2. Zur Abberufbarkeit der Mitglieder des Berufungssenates:

Der VfGH geht in dem zitierten Einleitungsbeschluß davon aus, daß der Kammervorstand die Mitglieder der Disziplinarbehörde jederzeit abberufen kann. Nach Auffassung der Bundesregierung läßt aber die vom VfGH herangezogene gesetzliche Regelung diesen Schluß nicht zu.

§ 3 Abs 7 WT-DO schreibt ausdrücklich vor, daß die Bestellung von Mitgliedern des Berufungssenates nur bei gröblicher Verletzung oder Vernachlässigung ihrer Pflichten zu widerrufen ist. Es werden somit zwei triftige Gründe im Gesetz genannt, deretwegen eine Abberufung möglich ist. Hinter dieser Regelung steht die Absicht des Gesetzgebers, das Funktionieren dieser Disziplinarbehörde zu gewährleisten, wofür die Erfüllung der Pflichten jedes Mitgliedes des Berufungssenates Voraussetzung ist. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im folgenden: EGMR) im Urteil vom , Fall Sramek gegen Österreich (Punkt 38) ausgesprochen hat, daß die im Tiroler Grundverkehrsgesetz (LGBl. Nr. 4/1971 idF LGBl. Nr. 6/1974) vorgesehenen Enthebungsgründe mit Art 6 MRK vereinbar sind. Das Tiroler Grundverkehrsgesetz in der genannten Fassung sieht als Enthebungsgrund einen dem vorliegenden Enthebungsgrund durchaus vergleichbaren Tatbestand vor: wenn die ordnungsgemäße Ausübung des Amtes dauernd unmöglich ist.

Beide Abberufungsgründe der WT-DO sind zwar mit unbestimmten Gesetzesbegriffen formuliert, es kann aber nicht gesagt werden, daß diese Kriterien eine willkürliche oder jederzeitige Abberufung zuließen. Der Kammervorstand kann nach der WT-DO immer nur dann eine Abberufung vornehmen, wenn Pflichten eines Mitgliedes vorsätzlich verletzt oder vernachlässigt wurden. Im Gegensatz zum Tiroler Grundverkehrsgesetz 1970, LGBl. Nr. 4/1971 in der Stammfassung, das Gegenstand des auch für die vorliegende Problematik relevanten Erkenntnisses, VfSlg. 7099/1973, S 543, war, steht es hier einem Abberufenen offen, diese Abberufung auf seine Gesetzmäßigkeit überprüfen zu lassen, da der Gesetzgeber in der WT-DO Gründe für die Abberufung von Mitgliedern des Berufungssenates nennt.

3. Zur Fixierung der Bestelldauer:

a) Gemäß § 2 Abs 3 WT-DO hat die Bestellung der Mitglieder des Berufungssenates spätestens drei Monate nach der Wahl des Kammervorstandes zu erfolgen. Mit der Bestellung endet die Funktionsdauer der bisherigen Mitglieder. Die Vorstandsmitglieder werden vom Kammertag gewählt, der eine fünfjährige Funktionsperiode hat (§§38, 60 des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes, BGBl. Nr. 20/1948, zuletzt geändert BGBl. Nr. 301/1984 - im folgenden: WT-KG). Die Wahlen in den Kammertag sind gemäß § 38 Abs 1 WT-KG innerhalb der letzten sechs Monate vor Ablauf der fünfjährigen Funktionsperiode des Kammertages abzuhalten. Gemäß § 38 Abs 2 WT-KG beginnt die Funktionsperiode des Kammertages mit dem Tag seiner konstituierenden Sitzung; sie dauert jedenfalls bis zu dem Tag, an dem der neu gewählte Kammertag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt. Binnen 2 Wochen nach Verlautbarung des Wahlergebnisses, wenn jedoch ein Einspruchsverfahren gemäß § 58 WT-KG stattgefunden hat, binnen 2 Wochen nach dessen Beendigung, hat der im Amte befindliche Präsident die gewählten Mitglieder des Kammertages zur konstituierenden Sitzung, bei der der Vorstand zu wählen ist, einzuladen (§61 WT-KG). Spätestens drei Monate nach der Wahl des Vorstandes hat - wie schon eingangs erwähnt - die Bestellung der Mitglieder des Berufungssenates zu erfolgen (§2 Abs 3 WT-DO).

Da die Funktionsperiode des Kammertages mit dem Tage seiner konstituierenden Sitzung beginnt, ist die gemäß § 61 WT-KG durch den im Amte befindlichen Präsidenten einzuberufende konstituierende Sitzung so anzuberaumen, daß die volle fünfjährige Funktionsperiode des aus seiner Funktion scheidenden Kammertages gewahrt wird. Kann die konstituierende Sitzung erst nach Ablauf der fünfjährigen Funktionsperiode des Kammertages stattfinden, so wird durch den zweiten Halbsatz des § 38 Abs 2 WT-KG eine Verlängerung der Funktionsperiode bis zu dem Tag normiert, an dem der neu gewählte Kammertag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt. Eine Verkürzung der fünfjährigen Funktionsperiode des gesetzmäßig gewählten Kammertages ist hingegen nicht möglich. Durch diese Regelung wird zwar die Funktionsdauer des Berufungssenates nicht auf den Tag genau fixiert, es ist aber dem Berufungssenat eine Amtsperiode von mindestens fünf Jahren garantiert.

b) Stellt man in diesem Zusammenhang die Frage nach der Konstanz der gesetzlich vorgesehenen Funktionsdauer des Vorstandes und des Kammertages der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, d.h. also die Frage, inwieweit die gesetzlich vorgesehene Funktionsperiode der beiden Organe verkürzt und damit die Bestelldauer der Mitglieder des Berufungssenates beeinflußt werden könnte, so ist folgendes auszuführen:

Das WT-KG kennt keinen Tatbestand einer vorzeitigen Auflösung der beiden genannten Organe. Gemäß § 27 WT-KG untersteht die Kammer der Aufsicht des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten. Im Rahmen der Aufsicht kann die Aufsichtsbehörde Beschlüsse aufheben. § 27 WT-KG gibt der Aufsichtsbehörde keine gesetzliche Grundlage, die Funktionsperiode des Kammertages und/oder des Vorstandes vorzeitig zu beenden. § 19 Abs 2 WT-KG sieht zwar vor, daß ua. Mitglieder von Kollegialorganen unter bestimmten Voraussetzungen von der Aufsichtsbehörde abberufen werden können. Eine solche Abberufung einzelner Mitglieder des Vorstandes oder des Kammertages berührt aber nicht den Bestand des Organes Vorstand oder Kammertag an sich, da für beide umfassende Ersatzmännerregelungen vorgesehen sind (§59 Abs 4 - 6, § 63 WT-KG).

Auch die Möglichkeit, die Wahl des Vorstandes und des Kammertages anzufechten (§§58, 64 WT-KG), könnte die aufgezeigte Konstanz der Funktionsperiode des Vorstandes und des Kammertages nicht in Frage stellen, und zwar auch dann nicht, wenn man die Meinung vertritt, daß die Bestellung der Mitglieder des Berufungssenates dann fehlerfrei und gesetzmäßig ist, wenn sowohl die Wahl des Vorstandes als auch die Wahl des Kammertages gesetzmäßig erfolgte. Die Möglichkeit, daß wegen der Aufhebung der Wahl des Vorstandes oder des Kammertages die Mitglieder des Berufungssenates vor Ablauf der 5-jährigen Funktionsperiode durch einen neugewählten Vorstand neu bestellt werden, könnte wohl nicht anders als der in § 13 Abs 12 lita Tiroler GVG 1970 idF der Nov. 1974 vorgesehene Abberufungsgrund beurteilt werden. Danach kann ein Mitglied der Landesgrundverkehrsbehörde abberufen werden, wenn Umstände eintreten, welche die Bestellbarkeit ausgeschlossen hätten. Ein solcher Abberufungsgrund wurde aber vom EGMR - wie bereits dargelegt - als mit Art 6 MRK vereinbar angesehen. Unter der am Beginn dieses Absatzes genannten Annahme wäre aber eine Voraussetzung für die Bestellung der Mitglieder des Berufungssenates, daß die Bestellung auf Grund eines gesetzmäßig bestellten Vorstandes erfolgt.

Der Bestellung der Mitglieder des Berufungssenates liegen also jeweils Wahlen von Organen der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zugrunde, so daß ohne vorangehende Wahlen eine Bestellung von neuen Mitgliedern, mit der die Funktionsdauer der bisherigen Mitglieder endet, nicht möglich ist. Dieses System der Organkreation innerhalb der Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat zur Konsequenz, daß eine datumsmäßige Fixierung der Dauer der Amtsperiode der Mitglieder der Disziplinarbehörde nicht gegeben ist. Es ist aber jedenfalls feststehend, daß die Funktionsdauer grundsätzlich 5 Jahre beträgt. Eine Ausnahme davon kommt - wie im vorangegangenen Absatz dargelegt - nur für den Fall in Betracht, daß gegen die Wahl des Kammertages oder des Vorstandes erfolgreich Einspruch erhoben wird und das Einspruchsverfahren erst nach der Bestellung der Mitglieder des Berufungssenates rechtskräftig abgeschlossen wird.

Nach Auffassung der Bundesregierung entspricht eine in dieser Form gesicherte grundsätzlich 5-jährige Funktionsdauer den Anforderungen, die in der Judikatur des EGMR aus Art 6 MRK in bezug auf die Bestelldauer von Mitgliedern eines Tribunals bisher abgeleitet wurden (vgl. Urteil vom im Fall Ringeisen gegen Österreich, Pkt. 95; Urteil vom , im Fall Sramek gegen Österreich, Pkt. 38, und Urteil vom im Fall Ettl gegen Österreich, Pkt. 41).

4. Zum Aufsichtsrecht des Bundesministers:

Nach Ansicht des VfGH lassen zwei Aufsichtsmittel des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten an der Unabhängigkeit des Berufungssenates zweifeln: das in § 2 Abs 2 letzter Satz WT-DO normierte Recht des Bundesministers, zu allen Sitzungen des Berufungssenates einen Vertreter zu entsenden, und das Recht des Bundesministers gemäß § 5 Abs 4 WT-DO, bestimmte Beschlüsse und Verfügungen des Berufungssenates aufzuheben.

Dazu ist folgendes zu bemerken:

a) Zum Recht, einen Vertreter zu entsenden:

Das Recht des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, gemäß § 2 Abs 2 letzter Satz WT-DO zu den Sitzungen einen Vertreter zu entsenden, kann die Unabhängigkeit des Berufungssenates nicht in Frage stellen. Diese Anordnung ermöglicht es dem Bundesminister, die ihm auf Grund des Gesetzes obliegende Aufsicht über die gesetzmäßige Durchführung der Geschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung des ehrengerichtlichen Verfahrens durchzuführen. Der gemäß § 2 Abs 2 WT-DO entsendete Vertreter hat keine Möglichkeit und Befugnis, auf die Entscheidung des Berufungssenates selbst Einfluß zu nehmen. Er hat den Sitzungen des Berufungssenates in anhörender Funktion beizuwohnen. In diesem Zusammenhang ist auf das Urteil des EGMR im Fall Delcourt, Urteil vom , Pkt. 27 bis 38, zu verweisen, in dem der EGMR ausgesprochen hat, daß die Teilnahme des Generalprokurators an geheimen Sitzungen des Gerichtes ohne Stimmrecht, die Unabhängigkeit des Kassationsgerichtes nicht in Frage stellten konnte, da die Generalprokuratur in unabhängiger und unparteilicher Weise im Interesse der Einhaltung des Rechtes und der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung nur eine beratende quasi-richterliche Tätigkeit ausübte. Im vorliegenden Fall nimmt der Vertreter des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten im Interesse der Einhaltung des Rechtes (§2 Abs 2 letzter Satz: 'zur Wahrung seiner Dienstaufsicht') an den Sitzungen des Berufungssenates teil. Er nimmt darüber hinaus nicht einmal, wie der Generalprokurator im Fall Delcourt, in beratender Funktion an der Sitzung teil. Die bloße Anwesenheit eines Vertreters der Aufsichtsbehörde kann aber den Anschein der Unabhängigkeit des Berufungssenates nicht in Frage stellen, weil dieser Vertreter ganz offensichtlich nicht an der Entscheidungsfindung teilnimmt.

b) Zum Recht, Beschlüsse aufzuheben:

Aus folgenden Überlegungen ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß das in § 5 Abs 4 WT-DO verankerte Recht auf Aufhebung bestimmter Beschlüsse und Verfügungen die Unabhängigkeit des Berufungsssenates in Zweifel ziehen kann:

Die Bundesregierung geht im Hinblick auf den identen Wortlaut von § 5 Abs 4 letzter Satz und § 18 WT-DO (Arg.: 'Beschlüsse und Verfügungen, soweit sie nur das Verfahren betreffen,') davon aus, daß sich dieses Aufsichtsrecht nur auf verfahrensrechtliche Anordnungen bezieht, nicht aber auf verfahrensrechtliche Bescheide. Die wichtigen verfahrensrechtlichen Entscheidungen, wie etwa der Beschluß auf Einstellung des Disziplinarverfahrens (§12 Abs 1 WT-DO), die Entscheidung über eine Wiederaufnahme (§22 WT-DO iVm § 140 Abs 1 und § 143 Abs 3 der Dienstpragmatik), sind aber in Form von verfahrensrechtlichen Bescheiden zu erledigen. Da dem Bundesminister im Rahmen seiner Aufsicht auf diese Bescheide keinerlei Ingerenz zusteht, kommt diesem Aufsichtsrecht schon aus diesem Grunde eine untergeordnete Bedeutung zu.

Dazu kommt, daß Fälle, in denen der Berufungssenat einen Beschluß oder eine Verfügung trifft, der nur das Verfahren betrifft, (vgl. § 18 WT-DO) sich - wenn überhaupt - äußerst selten ergeben werden. Durch diesen Umstand wird die Möglichkeit der Beeinflußung der Entscheidungen des Berufungssenates durch dieses Aufsichtsmittel weiter reduziert.

Außerdem kann der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten immer nur eine verfahrensrechtliche Anordnung aufheben, nie selbst eine solche Anordnung treffen. Diese sogenannten Verfahrensanordnungen stellen nie einen Bescheid dar und betreffen niemals eine Entscheidung in der Sache selbst.

Aus all diesen Gründen erscheint die Bedeutung dieses Aufsichtsmittels für die Entscheidungen des Berufungssenates in merito derart geringfügig, daß sie im Hinblick auf das Kriterium der Unabhängigkeit im Sinne des Art 6 MRK vernachlässigbar ist.

Es kann daher nach Auffassung der Bundesregierung das in § 5 Abs 4 WT-DO statuierte Recht auf Aufhebung bestimmter Beschlüsse und Verfügungen die Unabhängigkeit des Berufungssenates nicht berühren.

c) Nach Ansicht der Bundesregierung liegt auch ein vergleichbarer Umstand, der im zitierten Erkenntnis des u.a., für die Zweifel an der Unabhängigkeit ausschlaggebend war, nämlich die hierarchische Stellung je eines Mitgliedes der 1. und 2. Instanz zueinander und die dadurch immerhin dem äußeren Anschein nach mögliche Beeinflussung der Willensbildung des Kollegialorgans, im vorliegenden Fall in Form der beiden im Unterbrechungsbeschluß ausdrücklich angeführten Aufsichtsrechte nicht vor.

Zu der im Einleitungsbeschluß herangezogenen Aussage des VfGH im Erkenntnis Slg. 2311/1952 muß grundsätzlich angemerkt werden, daß die durch die Garantien richterlicher Unabhängigkeit erzielbare völlig unbeeinflußte Rechtsprechung nicht Maßstab für die Unabhängigkeit der Tribunale im Sinne des Art 6 MRK sein kann, da sich die Begriffe 'Gerichte' im Sinne der Österreichischen Bundesverfassung und 'Tribunale' im Sinne des Art 6 MRK nicht decken. Es ist etwa darauf hinzuweisen, daß der EGMR im Fall Ettl (Urteil des EGMR vom , Pkt. 38 bis 40) gegen Österreich ausgesprochen hat, daß selbst die Mehrheit von Beamten in einem Tribunal, die von verfassungswegen weisungsfrei gestellt sind und als Mitglieder ihren speziellen Sachverstand einbringen, selbst dann, wenn sie Schlüsselpositionen innehaben, die Unabhängigkeit des Kollegialorganes im Sinne des Art 6 MRK nicht in Frage stellt.

II. Zum Umfang der Aufhebung:

Im übrigen darf die Bundesregierung darauf hinweisen, daß ihrer Auffassung nach die ins Auge gefaßte Aufhebung einzelner Bestimmungen der WT-DO in den folgenden Fällen teils als zu weit teils als zu eng (Pkt. 1) erachtet wird.

1. Für den Fall, daß der VfGH bloß die Bedenken im Hinblick auf die Abberufbarkeit aufrechterhält, wäre nach Ansicht der Bundesregierung der geringste Eingriff zur Sanierung der Rechtslage, ohne daß der verbleibende Teil eine Veränderung seiner Bedeutung erfährt (vgl. u.a. Erkenntnis vom , G75/87-15), die Aufhebung des § 3 Abs 7 WT-DO, der allerdings nicht in Prüfung gezogen wurde.

2. Für den Fall, daß der VfGH bloß die Bedenken im Hinblick auf die Bestelldauer aufrechterhält, wäre zur Sanierung der Rechtslage, ohne daß der verbleibende Teil eine Veränderung seiner Bedeutung erfährt (vgl. u.a. Erkenntnis vom , G75/87-15), die Aufhebung von § 2 Abs 2 Satz 1 bis 4 und der Worte 'und des Berufungssenates' im § 2 Abs 3 WT-DO ausreichend. Es wäre in diesem Fall das Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf § 2 Abs 2 letzter Satz und § 5 Abs 4 WT-DO einzustellen.

3. Für den Fall, daß der VfGH bloß die Bedenken im Hinblick auf die Aufsichtsrechte aufrechterhält, wäre zur Sanierung der Rechtslage, ohne daß der verbleibende Teil eine Veränderung seiner Bedeutung erfährt (vgl. u.a. Erkenntnis vom , G75/87-15), die Aufhebung von § 2 Abs 2 letzter Satz WT-DO und der Worte 'und gesetzwidrige Beschlüsse und Verfügungen, soweit sie nur das Verfahren betreffen, aufzuheben' in § 5 Abs 4 WT-DO ausreichend. Es wäre daher das Gesetzesprüfungsverfahren in bezug auf § 2 Abs 3 und die übrigen Teile des § 2 Abs 2 WT-DO und des § 5 Abs 4 WT-DO einzustellen.

III.

Die Bundesregierung stellt somit den

Antrag,

der VfGH wolle

1. aussprechen, daß § 2 Abs 2, die Worte 'und des Berufungssenates' in § 2 Abs 3 sowie § 5 Abs 4 der Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung, BGBl. Nr. 63/1962, in der Fassung der Nov. BGBl. Nr. 28/1965 und des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. Nr. 76, nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind.

2. für den Fall, daß der VfGH lediglich einzelne der im Unterbrechungsbeschluß entwickelten Bedenken aufrecht hält, im Sinne des Pkt. II Z 1 bis 3 dieser Äußerung vorgehen.

IV. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den

Antrag,

der VfGH wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen."

II. Der VfGH hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens

Die Beschwerde, die Anlaß zur Einleitung dieses Gesetzesprüfungsverfahrens bot, ist zulässig.

Der VfGH wird daher über die Beschwerde in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei wird er auch die Frage beurteilen müssen, ob der Bf. etwa im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde; der Gerichtshof wird hiebei auch zu klären haben, ob die bel. Beh. (der Berufungssenat) zur Entscheidung zuständig war und ob diese Kollegialbehörde in der gesetzmäßigen Zusammensetzung entschieden hat. Dabei hätte der Gerichtshof u.a. die in Prüfung gezogenen Stellen der WT-DO anzuwenden.

Die Bedenken des VfGH (s.o. I.2.c) gehen dahin, daß einige der in der WT-BO vorgesehenen Strafen nur von einem Tribunal verhängt werden dürfen. Die die Strafbehörde zweiter Instanz konstituierenden Organisationsnormen sind daher präjudiziell in der Bedeutung des Art 140 Abs 1 B-VG (vgl. hiezu VfSlg. 11506/1987, III.A.1.a.bb).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

B. In der Sache selbst

1. Die vorläufige Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß zumindest einigen in der WT-BO vorgesehenen Disziplinarstrafen "strafrechtliche Anklagen" iS des Art 6 Abs 1 MRK zugrundeliegen, die nicht vom österreichischen Vorbehalt zu Art 5 MRK erfaßt sind und daß diese Strafen daher nur von einem dieser Konventionsbestimmung entsprechenden "Tribunal" verhängt werden dürfen, hat sich als zutreffend herausgestellt. Es genügt, auf die hg. Erk. VfSlg. 11506/1987 und 11569/1987 zu verweisen.

2. Die Bundesregierung wendet jedoch ein, daß der Berufungssenat ohnehin als unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht (Tribunal) iS des Art 6 MRK eingerichtet sei.

Zwar bestimmt § 2 Abs 4 letzter Satz WT-DO, daß die Mitglieder des Berufungssenates an keine Weisungen gebunden sind. Der VfGH sah jedoch im Einleitungsbeschluß - ungeachtet dieser Gesetzesbestimmung - die Unabhängigkeit der Mitglieder des Berufungssenates mehrfach gefährdet (so. I.2.c).

a) Die Unabhängigkeit der Mitglieder eines Tribunales muß u.a. dadurch garantiert sein, daß seine Mitglieder zumindest für einen gewissen Zeitraum (relativ) unabsetzbar sind (vgl. zB VfSlg. 7099/1973, 7284/1974, 8501/1979).

Eine solche Garantie gebe - so meinte der VfGH im Einleitungsbeschluß - das Gesetz nicht. Diese vorläufige Annahme hat sich als nicht zutreffend herausgestellt:

aa) § 3 Abs 7 WT-DO legt fest, daß die Mitglieder des Berufungssenates vor Ablauf ihrer Funktionsperiode vom Kammervorstand "bei gröblicher Verletzung oder Vernachlässigung ihrer Pflichten" abzuberufen sind.

Damit wird aber - entgegen den vorläufigen Annahmen des Einleitungsbeschlusses - dem Kammervorstand nicht die Befugnis eingeräumt, auf die Zusammensetzung des Berufungssenates während einer laufenden Funktionsperiode - (auch) willkürlich - Einfluß zu nehmen. Vielmehr umschreibt das Gesetz - ausreichend konkretisiert und sachgerecht - die Voraussetzungen, unter denen der Kammervorstand ein Senatsmitglied abberufen darf und verbietet damit die Abberufung, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen.

Würde der Kammervorstand eine dem Gesetz widersprechende Abberufung vornehmen (etwa um die Zusammensetzung des Berufungssenates für einen Einzelfall zu manipulieren), so hätte das zur Folge, daß der Beschuldigte von einer gesetzwidrig zusammengesetzten Kollegialbehörde disziplinär bestraft wurde. Gegen ein solches Straferkenntnis könnte der Bestrafte beim VfGH (mit der Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein) oder beim VwGH (mit der Behauptung, die Behörde sei unzuständig gewesen) Beschwerde erheben.

bb) Die Funktionsdauer der Mitglieder des Berufungssenates ist zwar im § 2 Abs 3 WT-DO nicht mit einem bestimmten Zeitraum fixiert; vielmehr hat die Bestellung der Mitglieder "spätestens drei Monate nach der Wahl des Kammervorstandes" von diesem zu erfolgen; "mit der Bestellung endet die Funktionsdauer der bisherigen Mitglieder".

Bei - gebotener - verfassungskonformer Auslegung kann aber diese Bestimmung (im Zusammenhalt mit § 3 Abs 7 WT-DO - s. die vorstehende sublit. aa) nur so verstanden werden, daß sie eine der fünfjährigen Funktionsdauer des Vorstandes (§10 Abs 1 letzter Satz des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes) entsprechende (gleich lange) Funktionsperiode vorsieht, die vom Kammervorstand nicht verkürzt werden darf.

b) Der VfGH äußerte im Einleitungsbeschluß das weitere Bedenken, daß die Unabhängigkeit der Mitglieder des Berufungssenates durch ein besonders ausgeprägtes Aufsichtsrecht des Bundesministers in Frage gestellt sei. Dieses Bedenken hat sich als zutreffend erwiesen:

§ 2 Abs 2 letzter Satz WT-DO erlaubt dem zuständigen Bundesminister, zu den Sitzungen des Berufungssenates einen Vertreter zu entsenden.

Der Bundesminister ist dem § 5 Abs 4 WT-DO zufolge ermächtigt, von ihm als rechtswidrig bezeichnete "Beschlüsse und Verfügungen, soweit sie nur das Verfahren betreffen, aufzuheben". Jedenfalls sind darunter nicht bloß - wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung meint - (unwesentliche) Verfahrensanordnungen zu verstehen, sondern zumindest auch verfahrensrechtliche Bescheide, deren Aufhebung für die Rechtsposition des beschuldigten Kammerangehörigen von erheblicher Bedeutung sein kann.

Diese Bestimmungen bewirken in ihrem Zusammenhalt eine Gefährdung der Unabhängigkeit der Senatsmitglieder. Wenngleich der Vertreter des Bundesministers weder ein Stimmrecht noch das formelle Recht hat, beratend tätig zu werden, kann doch seine Anwesenheit bei Sitzungen des Berufungssenates dessen Mitglieder unter Druck setzen, zumal der Vertreter des Bundesministers durch das Anfechtungsrecht in der Lage ist, seine Meinung rechtlich durchzusetzen. Damit ist dem Bundesminister ermöglicht, den Gang des Verfahrens maßgebend zu beeinflussen, und gerade das ist es, was ausschließt, eine Behörde als "unabhängig" zu bezeichnen.

Um diese Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, reicht es hin, den letzten Satz im § 2 Abs 2 und den ganzen § 5 Abs 4 WT-DO aufzuheben.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, stützt sich auf Art 140 Abs 6

B-VG.

Der VfGH sah davon ab, für das Inkrafttreten der Aufhebung gemäß Art 140 Abs 5 B-VG eine Frist zu setzen, weil auch nach der Aufhebung - ohne daß eine Ersatzregelung getroffen wird - das Gesetz vollziehbar bleibt.

4. Die übrigen in Prüfung gezogenen Bestimmungen waren im Hinblick auf das zu II.B.2.a Gesagte nicht als verfassungswidrig aufzuheben.