VfGH vom 10.06.2010, G238/09
19079
Leitsatz
Gleichheitswidrigkeit des Ausschlusses der Anwendbarkeit der Verwaltungsstrafbestimmung über das Absehen von der Strafe im Artenhandelsgesetz
Spruch
§ 9 Abs 3 des Bundesgesetzes über die Überwachung des Handels mit Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten (Artenhandelsgesetz - ArtHG), BGBl. I Nr. 33/1998, war verfassungswidrig.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark
(im Folgenden: UVS) ist zur Zahl UVS 30.10-65/2008 eine Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom anhängig, mit dem wegen Einfuhr eines "Hartmann Bergzebrafelles" entgegen den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 338/97 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels, ABl. 1997 L 61, S 1, gemäß § 9 Abs 1 Artenhandelsgesetz, BGBl. I Nr. 33/1998 (im Folgenden: ArtHG 1998) in der Fassung BGBl. I Nr. 108/2001, eine Geldstrafe in Höhe von € 725,- verhängt wurde. Die konkrete Strafhöhe wurde dabei im Wege der außerordentlichen Strafmilderung nach § 20 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991 (im Folgenden: VStG), verhängt.
1.2. Aus Anlass des Berufungsverfahrens stellte der UVS am gemäß Art 140 Abs 1 B-VG den Antrag "in § 9 des Bundesgesetzes über die Überwachung des Handels mit Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten (Artenhandelsgesetz - ArtHG) BGBl. I Nr. 33/1998 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2006 den Abs 3 'Die Anwendung des § 21 VStG ist ausgeschlossen.' als verfassungswidrig aufzuheben".
Zur Frage der Präjudizialität führte der antragstellende UVS aus, dass er die Voraussetzungen des § 21 VStG ("Absehen von der Strafe") im vorliegenden Fall für gegeben erachte, da einerseits das Verschulden des Berufungswerbers gering und anderseits der Schutzzweck der übertretenen Norm nicht bedeutend verletzt worden sei: Der Berufungswerber habe in einem Geschäft in Windhoek in Namibia vor seiner Abreise ein Bergzebrafell gekauft, wobei ihm von der Verkäuferin versichert worden sei, dass er bei der Einreise nach Österreich keine Schwierigkeiten haben werde, wenn sie ihm eine Bestätigung mitgebe; die erforderlichen behördlichen Papiere werde sie nachschicken. Im Zeitpunkt der Einfuhr habe der Berufungswerber diese Dokumente daher nicht vorgelegt, er habe sie aber noch am selben Tag per Telefax und in Folge postalisch im Original erhalten.
In der Sache führte der UVS aus, dass basierend auf der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes davon auszugehen sei, dass § 9 Abs 3 ArtHG 1998 dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche:
§9 Abs 1 ArtHG 1998 enthalte hohe Mindeststrafen und unterscheide nicht zwischen Übertretungen, welche zur Erzielung kommerzieller Gewinne begangen würden, und Übertretungen von Urlaubern, die Souvenirs mitnähmen. Der Ausschluss des § 21 VStG durch § 9 Abs 3 ArtHG 1998 bedeute somit im Vergleich zum gerichtlichen Strafrecht - wo § 42 des Strafgesetzbuches als korrelierende Bestimmung angewendet werden könne - eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung. Der in § 9 Abs 3 ArtHG 1998 vorgenommene Ausschluss erscheine mit den Anforderungen an die Sachlichkeit von Regelungen der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu Gerichten zu verhängenden Strafen nicht vereinbar.
2. Der Berufungswerber im Verfahren vor dem UVS er-stattete am eine Äußerung mit dem Begehren, dem Antrag des UVS Folge zu geben sowie den Bund zum Kostenersatz zu verpflichten. Den dargestellten Normbedenken des UVS wurde dabei beigetreten.
3. Die Bundesregierung nahm von einer meritorischen Äußerung ausdrücklich Abstand, wies jedoch in ihrer Mitteilung vom darauf hin, dass "der vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark bezogene § 42 StGB seit - vgl. ArtII des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 93/2007 - nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (vgl. nunmehr § 191 StPO)".
II. Die hier maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1.1. Mit trat das Bundesgesetz über die Überwachung des Handels mit Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten (Artenhandelsgesetz 2009 - ArtHG 2009), BGBl. I Nr. 16/2010, in Kraft. § 15 ArtHG 2009 lautet auszugsweise:
"Inkrafttreten, Außerkrafttreten und Übergangsbestimmungen
§15. (1) Dieses Bundesgesetz tritt am in Kraft. Mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes tritt das ArtHG 1998, BGBl. I Nr. 33/1998, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 29/2006, außer Kraft.
(2) Die §§8 und 9 ArtHG 1998 sind auf strafbare Handlungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen worden sind, weiter anzuwenden.
..."
1.2. § 9 ArtHG 1998 in der zuletzt geltenden Fassung BGBl. I Nr. 108/2001 lautet (der gemäß dem Antrag des UVS aufzuhebende, hier optisch hervorgehobene, Abs 3 war bereits in der Stammfassung aus 1998 enthalten und blieb seitdem unverändert):
"§9. (1) Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer
1. ein Exemplar einer dem Geltungsbereich des Art 3 der Verordnung (EG) Nr. 338/97 unterliegenden Art entgegen diesem Bundesgesetz oder den Art 4, 5, 7 oder 11 der Verordnung (EG) Nr. 338/97 ausführt, wiederausführt, einführt oder durchführt oder
2. durch unrichtige oder unvollständige Angaben eine nach diesem Bundesgesetz oder nach den Art 4, 5, 7, 8, 9, 10 oder 11 der Verordnung (EG) Nr. 338/97 erforderliche Genehmigung oder Bescheinigung erschleicht oder das Vorliegen der Genehmigungsfreiheit vortäuscht oder
3. gegen Art 6 Abs 3, gegen die Art 8 oder 9 der Verordnung (EG) Nr. 338/97 oder gegen § 3 Abs 1, § 5 oder § 7 Abs 2 dieses Bundesgesetzes verstößt oder
4. gegen eine Verordnung gemäß § 2 oder § 6 dieses Bundesgesetzes verstößt oder
5. gegen das Bundesgesetz gemäß § 13 Abs 3 verstößt,
und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe von 730 €
bis zu 7 270 € zu bestrafen. Strafbare Handlungen nach Z 1 oder Z 2 sind mit Geldstrafe von 1 450 € bis 14 530 € zu bestrafen, sofern ein Exemplar einer dem Geltungsbereich des Art 3 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr. 338/97 unterliegenden Art betroffen ist, jedoch mit Geldstrafe von 3 630 € bis 36 340 €, sofern ein Exemplar einer dem Geltungsbereich des Art 3 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr. 338/97 unterliegenden Art betroffen ist.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Die Anwendung des § 21 VStG ist ausgeschlossen.
(4) Eine Verwaltungsübertretung nach den vorstehenden Bestimmungen liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
(5) Die Verfolgungsverjährungsfrist (§31 Abs 2 VStG) beträgt drei Jahre.
(6) Die den Gegenstand der strafbaren Handlung bildenden Exemplare samt den zu ihrer Aufbewahrung, Verwahrung oder Betreuung verwendeten Gegenständen sind für verfallen zu erklären.
(7) Gegenstände die zur Aufbewahrung, Verwahrung oder Betreuung lebender Exemplare verwendet werden, unterliegen nicht dem Verfall, wenn sie für die Aufbewahrung, Verwahrung und Betreuung der Exemplare nicht benötigt werden und ein auffallendes Mißverhältnis zwischen dem Wert der Gegenstände einerseits und dem Grad des Verschuldens sowie der Höhe des verursachten Schadens andererseits besteht."
2. § 21 VStG lautet:
"Absehen von der Strafe
§21. (1) Die Behörde kann ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.
(1a) Die Behörde kann von der Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens absehen, wenn die Verfolgung aussichtslos erscheint oder der hiefür erforderliche Aufwand in einem Missverhältnis zum Grad und zur Bedeutung der in der Verwaltungsübertretung liegenden Verletzung öffentlicher Interessen steht.
(1b) Unter den in Abs 1 genannten Voraussetzungen können die Verwaltungsbehörden von der Erstattung einer Anzeige absehen.
(2) Unter den in Abs 1 angeführten Voraussetzungen können die Organe der öffentlichen Aufsicht von der Verhängung einer Organstrafverfügung oder von der Erstattung einer Anzeige absehen; sie können den Täter in solchen Fällen in geeigneter Weise auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aufmerksam machen."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Auffassung des antragstellenden UVS, § 9 Abs 3 ArtHG 1998 sei bei seiner Entscheidung über das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung anzuwenden, ist jedenfalls denkmöglich (vgl. zur Frage der Präjudizialität etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003). Dass die angefochtene Bestimmung nach Antragstellung außer Kraft getreten ist, steht dem nicht entgegen, ordnet doch § 15 Abs 2 ArtHG 2009 ausdrücklich an, dass § 9 ArtHG 1998 auf strafbare Handlungen, die vor In-Kraft-Treten des ArtHG 2009 begangen wurden, weiter anzuwenden ist.
Der Antrag ist, da diesem auch sonst keine Prozesshindernisse entgegenstehen, daher zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Mit dem Erkenntnis VfSlg. 14.973/1997 hat der Verfassungsgerichtshof die Zahl "20," in § 100 Abs 5 Straßenverkehrsordnung, BGBl. Nr. 159/1960 in der Fassung BGBl. Nr. 518/1994 (in Folge: StVO 1960) und damit den in § 100 Abs 5 StVO 1960 normierten Ausschluss des außerordentlichen Strafmilderungsrechts nach § 20 VStG infolge Unsachlichkeit der dadurch bewirkten Verschärfung der Strafdrohung für Verwaltungsdelikte im Vergleich zu gerichtlich zu ahndenden Delikten als im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz gesehen und als verfassungswidrig aufgehoben. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus:
"Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl aus Art 91 Abs 2 und 3 B-VG als auch wegen des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebots verfassungsrechtliche Grenzen des für die Ahndung von Übertretungen durch Verwaltungsbehörden vom Gesetzgeber anzuordnenden Strafrahmens festgestellt. In ständiger Judikatur (VfSlg. 12151/1989, bekräftigt mit VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990, 12546/1990, 12547/1990, 12920/1991 sowie vor allem VfSlg. 14361/1995 u.a.) hat er die Auffassung vertreten, daß ein vom Gesetzgeber als besonders sozialschädlich bewertetes und demgemäß mit schwerwiegender (Geld )Strafe bedrohtes Verhalten verfassungsrechtlich der Strafgerichtsbarkeit vorbehalten ist. Gleichzeitig betrachtete der Gerichtshof eine das Strafausmaß betreffende gesetzliche Regelung als gleichheitswidrig, die ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion aufweist, weil derartige Strafdrohungen 'mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind' (VfSlg. 12151/1989).
Der im Hinblick auf die geschilderte Judikatur (vgl. auch VfSlg. 8017/1977) notwendige Vergleich der Strafbemessungsvorschriften des Gerichts- mit dem Verwaltungsstrafrecht zeigt, daß dem Gerichtsstrafrecht (vgl. § 41 StGB) ein Ausschluß der 'Außerordentlichen Strafmilderung', soweit diese durch gesetzliche Festlegung einer Untergrenze des Strafrahmens überhaupt in Betracht kommt, ausnahmslos unbekannt ist.
...
Die Regelung des § 100 Abs 5 StVO 1960, derzufolge bei allen mit einer Strafuntergrenze bedrohten, nach der StVO 1960 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen das außerordentliche Milderungsrecht nach § 20 VStG entfällt, bedeutet so eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung für den Bereich der genannten Verwaltungsdelikte im Vergleich zum Gerichtsstrafrecht, die ein extremes Mißverhältnis der jeweiligen Strafdrohungen im Gerichts- und im Verwaltungsstrafrecht entstehen läßt. Dieser Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechts ist also an sich bereits mit den geschilderten Anforderungen an die Sachlichkeit der Regelung der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den von Gerichten zu verhängenden Strafen nicht zu vereinbaren."
2.2. Im Erkenntnis VfSlg. 15.772/2000 hielt der Verfassungsgerichtshof an seiner grundsätzlichen Auffassung fest und folgerte, dass der in § 100 Abs 5 StVO 1960 enthaltene Ausschluss der Anwendbarkeit des § 21 VStG deshalb gleichheitswidrig sei, weil damit ein Absehen von der Strafe bei geringfügigem Verschulden des Beschuldigten und unbedeutenden Folgen der Übertretung nicht möglich sei. Zum selben Ergebnis kam der Verfassungsgerichtshof auch im Erkenntnis VfSlg. 16.184/2001 hinsichtlich des Ausschlusses der Anwendbarkeit des § 21 VStG in § 37 Abs 5 Führerscheingesetz, BGBl. I 1997/120 idF BGBl. I 1998/2, weshalb die Wortfolge "§21 und" als verfassungswidrig aufgehoben wurde.
2.3. § 9 Abs 3 ArtHG 1998 schließt generell die Anwendung des § 21 VStG aus, unabhängig vom Verschulden des Beschuldigten und den Folgen der Übertretung. Dieser Umstand im Zusammenhalt mit den in Abs 1 des § 9 vorgesehenen Mindeststrafen führt - wie gleichermaßen in dem den zitierten Entscheidungen zu Grunde liegenden rechtlichen Rahmen - ebenfalls zu einem unsachlichen Ergebnis, zumal sich der Verwaltungsstraftatbestand mit den gemäß § 8 Abs 1 ArtHG 1998 in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit fallenden Delikten vergleichen lassen muss.
3. Der Absatz 3 des § 9 ArtHG 1998 widerspricht sohin dem Gleichheitsgrundsatz. Da die Bestimmung seit nicht mehr in Geltung steht, hatte sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung zu beschränken, dass die angefochtene Gesetzesstelle verfassungswidrig war.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.
4. Kosten waren nicht zuzusprechen, da das VfGG einen Aufwandersatz für Normprüfungsverfahren, die auf Antrag eines unabhängigen Verwaltungssenates eingeleitet worden sind, nicht vorsieht (vgl. etwa ua. mwN).
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.