VfGH vom 10.06.1999, G235/98

VfGH vom 10.06.1999, G235/98

Sammlungsnummer

15510

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Ausnahme des Bordpersonals von Luftverkehrsunternehmungen vom System des ArbeitszeitG (mit seiner Unterscheidung von Normalarbeitszeit und höher zu entlohnenden Überstunden) angesichts des wesentlichen Unterschieds zu anderen Arbeitsverhältnissen

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen beantragt die Aufhebung der Z 7 des § 1 Abs 2 Arbeitszeitgesetz, BGBl. 461/1969 (im folgenden AZG).

Diese Bestimmung lautet im Zusammenhang (angefochtener Teil hervorgehoben):

"§1 (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten für die Beschäftigung von Arbeitnehmern (Lehrlingen), die das 18. Lebensjahr vollendet haben.

(2) Ausgenommen vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind:

...

7. Arbeitnehmer, die im Rahmen des Bordpersonals von Luftverkehrsunternehmungen tätig sind;

..."

1. Das antragstellende Gericht legt dar, daß in der bei ihm zu 9 Ra 199/98w anhängigen Rechtssache der gemäß § 54 Abs 1 Arbeits- und SozialgerichtsG klagende Betriebsrat mit der Behauptung, es seien mehr als drei Arbeitnehmer betroffen, die Feststellung begehrt, das beklagte Luftverkehrsunternehmen sei verpflichtet, seinen "Piloten und Flugbegleitern für die seit dem über die gesetzliche Normalarbeitszeit hinaus geleistete Arbeit einen Überstundenzuschlag von 50 % pro Stunde zu bezahlen". Bei Erledigung der Berufung wäre daher § 1 Abs 2 Z 7 AZG, der das Bordpersonal von Luftverkehrsunternehmungen vom Anwendungsbereich des Gesetzes und damit von den Regelungen über die Normalarbeitszeit und die Vergütung von Überstunden generell ausnehme, anzuwenden. Gegen diese Ausnahme bestünden aber verfassungsrechtliche Bedenken.

Diese Bedenken führt der Antrag nach Wiedergabe des von der Überstundenvergütung handelnden § 10 AZG sowie der bekämpften Ausnahmebestimmung (lita der einschlägigen Erwägungen) wie folgt aus:

"b) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitsrecht:

Das Berufungsgericht hat Bedenken, daß die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z. 7 AZG gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitsrecht nach den Art 2 Staatsgrundgesetz und 7 Abs 1 B-VG verstößt.

Grundsätzlich bedeutet der auch für den Gesetzgeber geltende Gleichheitsgrundsatz (vgl. VfSlg. 10492), daß an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen geknüpft werden müssen und nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vorgenommen werden dürfen (vgl. VfSlg. 12333 u.a.).

Der Gesetzgeber kann dann auch ein von ihm selbst geschaffenes Ordnungssystem wieder verlassen (vgl. VfSlg. 10405). Dabei spielen, ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung, auch Aspekte der effektiven Handhabbarkeit von Regelungen eine Rolle (vgl. etwa VfSlg. 9524). Im Ergebnis ist von einer Sachlichkeitsprüfung der Ausnahmebestimmung auszugehen (vgl. im Zusammenhang Korinek, Die neue Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Grundrechtsfragen in ihrer arbeitsrechtlichen Dimension, in Tomandl (Herausgeber), Arbeitsrecht in einer sich wandelnden Rechtsordnung, 32). Dabei wird die geprüfte Rechtsvorschrift mit anderen Rechtsvorschriften oder ungeregelten Bereichen in Beziehung gesetzt und geprüft, ob für das Abweichen ein vernünftiger Grund vorliegt (vgl. Korinek, aa0, Seite 43 mwN). Abwägende Wertentscheidungen stehen grundsätzlich dem Gesetzgeber frei, solange er nicht unverhältnismäßig vorgeht.

Gerade im Bereich der Grundrechte scheint ein materielles Verständnis der Verfassung effektiv und der Gleichheitssatz als wesentlicher Bestandteil der "Verfassung der Sozietät" (vgl. Bydlinski Fundamentale Rechtsgrundsätze, 67) sowie die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes dahin interpretierbar zu sein, daß der die Mehrheit repräsentierende einfache Gesetzgeber nicht ohne sachlichen Grund von politischen Wertungsentscheidungen zum Nachteil einzelner Gruppen abweichen darf.

c) Der Regelungstechnische Zusammenhang:

Hier hat nun der Gesetzgeber die rechtspolitische Entscheidung getroffen, eine tägliche, wöchentliche 'Normalarbeitszeit' für Arbeitnehmer festzulegen und für darüber hinausgehende Arbeitszeiten - unabhängig von der Frage ihrer Zulässigkeit - eine Erhöhung des Entgeltes um die Hälfte anzuordnen. Er hat von dieser Entscheidung verschiedene Arbeitnehmergruppen ausgenommen. Da es hier nun nicht um die Frage der 'Aushöhlung' der sachlichen Rechtfertigung des Grundtatbestandes geht, sind diese Ausnahmebestimmungen grundsätzlich getrennt von einander zu prüfen. Allenfalls könnten sich aus anderen Ausnahmebestimmungen relevante Wertungsgesichtspunkte ergeben. Weitgehend bestehen aber für diese anderen Arbeitnehmergruppen ohnehin gesonderte arbeitszeitrechtliche Regelungen (vgl. etwa auch Überstundenzuschlag auch in der neueren Gesetzgebung § 4 Abs 3 Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, BGBl. I 1997/8, zur Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z. 10 AZG; § 4 BäckereiarbeiterInnengesetz 1996, BGBl. 410) oder sie sind von ihrer besonderen Funktion her nicht vergleichbar (etwa die leitenden Angestellten mit maßgeblichen selbstverantwortlichen Führungsaufgaben iSd § 1 Abs 2 Z. 8 AZG oder die Hausbesorger oder Heimarbeiter die keine 'Arbeitszeit' haben - § 1 Abs 2 Z. 5 und 9

AZG).

Entscheidend ist also die Frage, welche unter den Aspekten der Überstundenregelungen maßgeblichen Besonderheiten der hier betroffenen Arbeitnehmergruppe es rechtfertigen könnten, sie von der getroffenen Regelung auszunehmen.

Wesentlich ist es nun klarzustellen, daß der Gesetzgeber des Arbeitszeitgesetzes für die verschiedenen Bereiche dieses Gesetzes durchaus unterschiedliche Anwendungsbestimmungen vorsieht. Dies gilt nun nicht nur für den Abschnitt 6a des AZG für Teilzeitbeschäftigte bzw. die Lage der Normalarbeitszeit, die auch für das Bordpersonal gelten, sondern auch etwa für Sonderbestimmungen hinsichtlich der Lenker von Kraftfahrzeugen oder der Arbeitnehmer im öffentlichen Verkehr (Abschnitte 4 und 5).

So wie etwa bei der Lagerung der Arbeitszeit im Abschnitt 6a, bei der der Gesetzgeber auch die Arbeitnehmer im Rahmen des Bordpersonals von Luftverkehrsunternehmungen einbezogen hat, hätte der Gesetzgeber also auch bei der Überstundenregelung im § 10 AZG und bei Festlegung der Normalarbeitszeit, die er im übrigen im § 19 c AZG auch für das Bordpersonal voraussetzt, eine entsprechende Regelung treffen können. Regelungstechnische Argumente können also gegen differenzierte Ausnahmebestimmungen, die zwar die Anwendbarkeit der Überstundenregelung (Normalarbeitszeit), nicht aber anderer Teile des AZG, bewirken nicht ins Treffen geführt werden. Daher ist es auch nicht maßgeblich, daß die übrigen Bestimmung des Arbeitszeitgesetzes in manchen Bereichen bei ihrer Durchsetzung auf Probleme treffen könnten.

d) Rechtssystematische Einordnung der Überstundenregelung -

IPR:

In diesem Zusammenhang ist weiters festzuhalten, daß die hier in Betracht zu ziehende Regelung über die erhöhte Überstundenvergütung weitgehend rechtssystematisch nicht dem Arbeitnehmerschutzrecht, sondern dem Arbeitsvertragsrecht zugerechnet wird (vgl. Berger in FS Walter Schwarz, Überstunden - ein zweiseitiger Begriff, 21 ff).

Daraus ergibt sich aber auch, daß ein anderer möglicher Rechtfertigungsgrund, und zwar daß typischerweise bei Arbeitnehmern im Rahmen des Bordpersonals von Luftverkehrsunternehmungen die Anwendung der österreichischen arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen als Eingriffsnormen im Ausland nicht im vollen Umfang in Betracht kommen könnte, entkräftet wird. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat klargestellt, daß der arbeitsrechtliche Standard des gewöhnlichen Arbeitsortes weitgehend auch hinsichtlich der Arbeitszeit maßgeblich ist (vgl. Arb. 10.840 - infas 1990 A 131; vgl. differenziert auch Schwimann, Grenzüberschreitender Wechsel des Beschäftigungsortes, WBl. 1994, 217 ff, insbes. 224 mwN). Hinsichtlich der ja zumindest überwiegend als privatrechtlich anzusehenden Regelung von Überstundenzuschlägen kann diese schon vom Ansatz her im Hinblick auf § 44 IPRG nicht strittig sein. Diese Bestimmung ist eindeutig als Bestandteil des Arbeitsvertragsstatutes anzusehen und daher auf von Österreich ins Ausland entsandte Arbeitnehmer anzuwenden.

e.) Aspekte aus dem VfGH Erk. VfSlg. 12997

Auch unter dem Aspekt des vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , VfSlg. 12997, herangezogenen Aspektes einer effektiven Kontrolle ergibt sich also kein wesentlicher Grund für eine abweichende Regelung, da es hier ja nicht um die behördliche Kontrolle durch die Arbeitsinspektorate geht, sondern nur um die völlig freie gerichtliche Geltendmachung der Überstundenzuschläge durch den Arbeitnehmer.

Zu den ferner in diesem Erkenntnis genannten Maßstäben für eine Abweichung, und zwar der Häufigkeit, vom Grad und der Regelbarkeit der nötigen Abweichungen und der Wahrscheinlichkeit des Mißbrauches haben sich keine abweichenden Merkmale gegenüber anderen Arbeitnehmern ergeben. Die gerichtliche Geltendmachung von Überstundenzuschlägen steht den Arbeitnehmern im Bordpersonal genauso frei, wie allen anderen Arbeitnehmern und auch bei ihnen kann sich die Frage des Mißbrauches, wie bei allen anderen Arbeitnehmern, ergeben.

f.) Wesentliche Zielrichtung der getroffenen Überstundenregelungen und ihre Übertragbarkeit auf die von der Ausnahmebestimmung betroffenen Arbeitnehmer:

Maßgeblich scheint also die Frage, welche rechtspolitische Zielsetzung durch die Bestimmung des § 10 AZG verfolgt werden soll.

Diese wird in der Literatur nahezu einhellig dahin beschrieben, daß durch die Zuschlagsregelung der Arbeitgeber von leichtfertigen Überstundenanordnungen durch erhöhte Kostenbelastung abgeschreckt und dem Arbeitnehmer ein finanzieller Ausgleich für die durch die Ausdehnung der Arbeitszeit bewirkte progressive Abnützung seiner Arbeitskraft geboten werden soll (vgl. etwa Klein in FS Strasser, Das Überstundenentgelt, 132).

Dabei werden auch Aspekte der Gewährleistung von Freizeit und des Familienlebens herangezogen (vgl. Jürgen, aao, 31).

Wesentlich ist es festzuhalten, daß von § 10 AZG grundsätzlich - jedenfalls auch - nur in vertraglichen oder kollektivvertraglichen Grundlagen gedeckte und innerhalb der Höchstgrenzen des AZG liegende, zulässigerweise angeordnete, Überstunden erfaßt sind. Es geht also nicht darum, daß hier Überstunden angeordnet werden, deren Ausmaß deshalb verboten wäre, da eine entsprechende Gesundheitsbeeinträchtigung des Arbeitnehmers zu befürchten wäre (dies wäre der öffentlichrechtliche Aspekt des Arbeitnehmerschutzes), sondern, daß innerhalb dieses 'öffentlich-rechtlich begrenzten' Systems eine privatrechtliche Entgeltregelung getroffen wird, die jedenfalls auch den Zweck hat, dem Arbeitnehmer bei zusätzlicher Inanspruchnahme über die gesetzliche Normalarbeitszeit hinaus eine besondere finanzielle Leistung zu verschaffen. Auch soll der Arbeitgeber Anreize erhalten, keine Überstundenanordnungen zu treffen, sondern andere Maßnahmen.

Vergleichbare Zielsetzungen verfolgt offensichtlich § 6 Abs 2 AZG, der ebenfalls unabhängig von der vertraglichen bzw. kollektivvertraglichen Grundlage für die Überstundenanordnung und die Höchstgrenzen nach dem AZG festlegt, daß bei jeder Anordnung von Überstunden auch zu prüfen ist, inwieweit dieser nicht - trotz allfälliger vertraglicher Vereinbarungen - berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers entgegenstellen.

Im Kern soll also im Ausgleich zwischen den Interessen an Familie und Freizeit einerseits mit den beruflichen Erfordernissen andererseits die Normalarbeitszeit durch verschiedene regelungstechnische Mechanismen angestrebt werden.

Inwieweit nun für Arbeitnehmer des Bordpersonals hier andere Gesichtspunkte beachtenswert wären, ist für das Berufungsgericht derzeit nicht erkennbar.

Die von der Beklagten herangezogenen Regelungen für die Betriebsbewilligung, die unter anderem auch maximale Einsatzzeiten und minimale Ruhezeiten enthalten (vgl. im Zusammenhang auch § 131 Luftfahrtgesetz und die Verordnung über die Voraussetzungen für die Erteilung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses - AOCV BGBl. 181/1998) sind schon unabhängig von der Frage, inwieweit sie überhaupt den einzelnen Arbeitnehmern subjektive Rechte verleihen, deshalb ohne Belang, da sie entsprechende Überstundenregelungen, die den genannten Zielsetzungen entsprechen würden, nicht enthalten.

g.) 'Europarechtliche' Aspekte:

Schließlich ist noch einzugehen auf die relevierte Frage der Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EWG des Rates vom .

Zutreffend ist, daß von dieser Richtlinie bestimmte Sektoren, darunter auch die Arbeitnehmer in der Luftfahrt, ausgenommen sind (vgl. Art 1 Abs 3 der Richtlinie). Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, daß die Arbeitszeiten anderer dort ausgenommener Arbeitnehmer, etwa jene im Straßenverkehr, durchaus im Arbeitszeitgesetz geregelt sind (vgl. § 13 ff AZG) und nicht vom Anwendungsbereich ausgenommen wurden (vgl. § 1 Abs 2 AZG). Hinsichtlich der Richtlinie ist jedoch wesentlich, daß es sich bei der Regelung des besonderen Zuschlages für das Überstundenentgelt um eine entgeltrechtliche Regelung handelt. Grundlage für die Erlassung dieser Richtlinie war aber Art 118 a des damals maßgeblichen EG-Vertrages, der sich auf Arbeitnehmerschutzvorschriften bezieht. Damit sollte ein Beitrag zur Förderung der Verbesserung der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer geleistet werden. Die Regelungsbefugnis ist also eng auf gesundheitliche und sicherheitstechnische Aspekte eingeschränkt, sodaß selbst eine Regelung, die auf die Festlegung des Sonntags als arbeitsfreien Tag abzielt, nicht als von der Regelungsbefugnis erfaßt, angesehen wurde (vgl. EuroAS 1996,205 = ARD 4806/35/97). Eine entgeltrechtliche Regelung im Sinne des § 10 AZG hätte also gar nicht von der Richtlinie getroffen werden können, sodaß eine nähere Erörterung der Ausnahmebestimmungen, die gerade unter den hier nicht maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Aspekten sowie den Kontrollbefugnissen der Verwaltungsbehörden erklärbar sein mögen, nicht erforderlich ist.

Abschließend ist festzuhalten, daß allenfalls im Hinblick auf eine höhere Regelungskomplexität zunächst eine Ausnahmebestimmung gerechtfertigt gewesen sein mag, daß diese jedoch im Hinblick auf den bisher vergangenen Zeitablauf nach Ansicht des Berufungsgerichtes als invalidiert zu beurteilen wäre (vgl. VfSlg. 12832, 11667 insbes. 11641 mwN).

Insgesamt erachtet es das Oberlandesgericht Wien daher für geboten, dem hier zuständigen Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, die angefochtene Bestimmung auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen und stellt daher gemäß Art 89 Abs 2 und 3 B-VG und 140 Abs 1 B-VG den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag."

2. Die Bundesregierung hält dem Antrag unter Hinweis auf das Erkenntnis VfSlg. 12997/1992 (betreffend die Ausnahme von Arbeitsverhältnissen zu einer Gebietskörperschaft aus dem AZG) entgegen, Abweichungen im Berufsbild und der Art der Tätigkeit von Arbeitnehmern, deren Berücksichtigung das Verhältnis von Grundsatz und Abweichung der in einem Gesetz enthaltenen Regelung umkehren würde, rechtfertigten die Ausnahme solcher Arbeitsverhältnisse aus dem Geltungsbereich des AZG. Eben das sei aber beim Bordpersonal der Fall (Punkt 4 und 5 ihrer Äußerung):

"4. Der Internationale Luftverkehr ist ein weltumspannender Verkehrsträger über alle Grenzen, Klima- und Zeitzonen hinweg. Die heutzutage gegebene Verkehrsdichte kann nur durch vorgegebene zeitlich exakt aufeinander abgestimmte Arbeitsabläufe bewältigt werden. Aus diesem Grund, aber auch um einen wirtschaftlichen Verkehr bei gleichzeitigem Schutz des Personals vor Überbeanspruchung zu gewährleisten, hat sich ein komplexes System von Arbeitszeitregelungen herausgebildet. Für die Sicherheit der Luftfahrt ist der Einsatz von physisch und psychisch voll einsatzfähigem Personal, welches in der Lage ist, eventuell auftretende Gefahrensituationen rasch und sicher zu bewältigen, von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Grunde wurde ein System entwickelt, welches höchstzulässige Arbeitszeiten in einem zeitlichen Zusammenhang mit vorgegebenen, einzuhaltenden Ruhezeiten festlegt. In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, daß sich der in der Luftfahrt übliche Begriff der Arbeitszeit wesentlich vom Arbeitszeitbegriff des Arbeitszeitgesetzes unterscheidet. Die Arbeitszeit des fliegenden Personals setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Zur Arbeitszeit zählen die Flugzeit (dh. die Zeit während des Fluges sowie die Rollzeiten am Boden), Check in-Zeit (die Zeit, welche für die Flugvorbereitung aufgewendet wird), die Check out-Zeit (diese beinhaltet Tätigkeiten nach der Beendigung eines Fluges, die mit dem Flug in unmittelbarem Zusammenhang stehen, wie etwa vorgegebene Checklisten abzuarbeiten, Flight Log und operational flight plan abzuschließen, Tech Log-Eintragungen sowie weitere administrative Tätigkeiten). Weiters zählen zur Arbeitszeit Simulatorchecks (Übungsflüge auf dem Flugsimulator) und administrative Tätigkeiten. Die sog. Minimum Rest Time zählt als Arbeitszeit, wenn ihr vorgegebener Umfang erheblich unterschritten wird. Die Gesamtarbeitszeit während vorherbestimmter Zeitperioden (24 Stunden, 7 Tage, 30 Tage) ist in den vom Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr für jedes Luftfahrtunternehmen genehmigten Flugbetriebshandbüchern (FOMs) genau definiert und darf keineswegs überschritten werden. Weiters wird dabei berücksichtigt, daß das Verhältnis verschiedener Arbeitszeitelemente untereinander einen bestimmten Wert nicht über- oder unterschreiten darf. Dies bedeutet, vereinfacht ausgedruckt, daß nach Flugzeiten von bestimmter Dauer, welche ihrerseits wieder von verschiedenen Komponenten (Tag-/Nachtzeit) abhängig sind, Ruhezeiten in entsprechendem Ausmaß eingehalten werden müssen. Die Festlegung eines ausgewogenen Systems von Flugzeiten, Ruhezeiten und sonstigen Zeiten dient vor allem dem Schutz des fliegenden Personals und damit auch der Sicherheit des Flugbetriebes.

Dieses in groben Zügen beschriebene System ist auch in nationalen und internationalen Vorschriften festgelegt. Annex 6 zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt, BGBl. Nr. 97/1949, enthält in seinem Punkt .3. folgende Regelung:

'An operator shall formulate rules limiting the flight time and flight duty periods of flight crew members. These rules shall also make provision for adequate rest periods and shall be such as to ensure that fatigue occuring either in a flight or successive flights or accumulated over a period of time due to these and other tasks, does not endanger the safety of a flight. These rules shall be approved by the state of the Operator and included in the operations manual.'

Ergänzend dazu sind im Attachement A zum Annex 6 ausführende Regelungen zu Flugzeiten, Flugdienstzeiten und Ruhezeiten enthalten.

Regelungen in diesem Sinn sind auch in der Verordnung über die Voraussetzungen für die Erteilung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) - AOCV, BGBl. II Nr. 181/1998, enthalten. Gemäß Anhang 2 zu dieser Verordnung sind im Flugbetriebshandbuch (Flight Operators Manual - FOM) die Höchstflugzeiten pro 24 Stunden sowie an 7, 30 und 90 aufeinanderfolgenden Tagen pro Kalenderjahr festzulegen. Ebenso sind Beschränkungen der Beanspruchungszeiten sowie Ruhezeiten festzulegen. Diese festgelegten Höchstzeiten werden von der Luftfahrtbehörde genehmigt, ihre Einhaltung wird laufend überprüft, weshalb auch die vom Verfassungsgerichtshof im genannten Erkenntnis angesprochene effektive Kontrolle gegeben ist. Eine Überschreitung dieser Zeiten hätte den Verlust des AOC und damit auch der Betriebsgenehmigung zur Folge.

Es zeigt sich folglich, daß ein Regelungssystem besteht, das geeignet ist, die Arbeitnehmer vor übermäßiger Inanspruchnahme ihrer Arbeitskraft zu schützen und gleichzeitig auch den Anforderungen, die die Tätigkeit als Bordpersonal erfordert, entspricht.

Vor diesem Hintergrund scheint auch die im Arbeitszeitgesetz vorgesehene Differenzierung zwischen Normalarbeitszeit und Überstundenarbeit für Bordpersonal nicht durchführbar. Dies vor allem deshalb, weil die oben dargestellten Systeme von höchstzulässigen Beanspruchungszeiten ausgehen, die jedoch alle unter der vom AZG festgelegten Normalarbeitszeit liegen und nur in einigen wenigen Fällen an die Normalarbeitszeit heranreichen. Die Feststellung, welche Zeiten innerhalb des vorgegebenen Rahmens als Normalarbeitszeit und welche Zeiten als Überstundenarbeitszeiten zu qualifizieren sind, ist nicht möglich. Sie ist auch praktisch nicht durchführbar, weil die verschiedenen Tätigkeiten innerhalb einer Zeitspanne nicht unterbrochen werden können. Eine gleichmäßige Arbeitsleistung während eines bestimmten Zeitraumes ist bei diesen Tätigkeiten nicht gegeben.

Es zeigt sich folglich, daß die Arbeitsanforderungen an Bordpersonal derart spezifisch auf die Anforderungen des Flugbetriebes 'zugeschnitten' sind, daß eine Regelung im Rahmen des AZG nicht zweckmäßig erscheint, da eine derartige Regelung eine Vielzahl von Ausnahmen und Sonderbestimmungen erfordern würde, um allen operativen Anforderungen (etwa Kurzstrecken-, Langstreckenflüge, Sonderflüge wie Ambulanz- oder Rettungsflüge, Flüge mit bestimmten Flugzeugtypen) gerecht werden zu können. Deshalb hat sich der Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums für das dargestellte Regelungssystem außerhalb des AZG und somit für ein anderes Ordnungssystem entschieden, welches den genannten Anforderungen entspricht.

5. Die unter 4. dargelegten Besonderheiten der Tätigkeit von Bordpersonal finden auch im Gemeinschaftsrecht ihren Niederschlag. Gemäß Art 1 Abs 3 der Richtlinie 93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung findet diese Richtlinie unter anderem auf den Luftverkehr keine Anwendung. In den Begründungserwägungen zu dieser Richtlinie wird zu dieser Ausnahme folgendes angeführt:

'In bestimmten Sektoren, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, kann es aufgrund der besonderen Art der Arbeit erforderlich sein, getrennte Maßnahmen hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung zu treffen.'

Damit geht der Gemeinschaftsgesetzgeber - wie auch der österreichische Gesetzgeber - offensichtlich davon aus, daß die Tätigkeit des fliegenden Personals von Luftfahrtunternehmungen nicht mit der Tätigkeit anderer Arbeitnehmer vergleichbar ist. Im Rahmen der Europäischen Union wird aber ein - demnächst der zuständigen Ratsarbeitsgruppe zuzuleitender - Entwurf für eine Verordnung erarbeitet, der Arbeits- und Ruhezeiten des fliegenden Personals von Luftfahrtunternehmungen regelt. Auch dieser Entwurf geht seinem Inhalt nach von Höchstbeanspruchungszeiten während bestimmter zeitlicher Perioden (pro 24 Stunden, 7 Tage, 30 Tage) aus und verlangt weiters dazu im zeitlichen Zusammenhang ein bestimmtes Maß an Ruheperioden. Er enthält neben einem Standardschema von Limits weitere Sonderregelungen für bestimmte Operationen (etwa Bedarfsflüge, Ambulanzflüge, Kurzstreckenflüge). Mit der Festlegung von Höchstbeanspruchungszeit und Ruhezeiten folgt dieser Entwurf dem international üblichem Schema.

Das in diesem Zusammenhang vom Oberlandesgericht Wien in seinem Beschluß angeführte Argument, die Ausnahme der Luftfahrt von der genannten Richtlinie könne nicht zur sachlichen Rechtfertigung des § 1 Abs 2 Z 7 AZG herangezogen werden, da es sich bei Regelungen über die Abgeltung von Überstunden dogmatisch um Arbeitsvertragsrecht handle, welches der Gemeinschaftsgesetzgeber auf Grundlage des Art 118a EGV nicht hätte regeln können, geht nach Ansicht der Bundesregierung ins Leere.

Da nämlich das AZG auch zum Großteil Arbeitnehmerschutzvorschriften enthält - wie auch die gegenständliche Richtlinie können die Ausnahmen 'der Luftverkehrsunternehmen' selbstverständlich mit denselben, unter Pkt. 4 dargelegten Gründen gerechtfertigt werden.

Im übrigen ist das Argument des Oberlandesgerichtes Wien, der Gemeinschaftsgesetzgeber hätte auf Grundlage des Art 118a EGV keine arbeitsvertragsrechtlichen Vorschriften erlassen können, zwar richtig, gibt aber lediglich Auskunft über die Regelungsabsicht des Normsetzers auf Gemeinschaftsebene. Er wollte mit der genannten Richtlinie Arbeitnehmerschutzvorschriften erlassen, weshalb diese Rechtsgrundlage gewählt wurde. Es steht jedoch außer Zweifel, daß die Gemeinschaft kompetent ist, auch Vorschriften auf dem Gebiet des Arbeitsvertragsrechtes zu erlassen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG). In diesem Fall hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber bloß eine andere Rechtsgrundlage wählen müssen, um auch Vorschriften arbeitsvertragsrechtlicher Natur erlassen zu können."

Die angegriffene Vorschrift möge daher nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden. Für den Fall der Aufhebung wolle aber eine Frist von einem Jahr für das Außerkrafttreten der Vorschrift bestimmt werden.

3. Das im Anlaßverfahren beklagte Luftfahrtunternehmen hat gleichfalls eine Äußerung erstattet, in der es die angegriffene Bestimmung verteidigt. Der im Anlaßverfahren klagende Betriebsrat tritt in seiner Äußerung den Bedenken des antragstellenden Gerichtes bei.

II. Der Antrag ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen was daran zweifeln ließe, daß das antragstellende Gericht die angegriffene Gesetzesbestimmung in dem bei ihm anhängigen Berufungsverfahren anzuwenden hätte. Mit dem Wegfall der Z 7 des § 1 Abs 2 AZG würde nicht nur die in diesem Gesetz enthaltene Bestimmung über den Zuschlag für Überstunden, sondern auch jene über die für den Anfall solcher Überstunden maßgebliche Normalarbeitszeit auf das Bordpersonal von Luftverkehrsunternehmen anwendbar.

Eine Anlaßfallwirkung träte freilich nur für das besondere Feststellungsverfahren ein, das den Antrag ausgelöst hat. Daß sich das Ergebnis dieses Feststellungsverfahrens bei den ordentlichen Gerichten auf die bestehenden Rechtsverhältnisse auch jener Arbeitnehmer nicht auswirkt, die der Feststellungsantrag gegebenenfalls namhaft machen müßte (OGH Arb.

10.735 = SZ 61/63 = ZAS 1990/17) - sodaß kein betroffener Arbeitnehmer mehr in den Genuß dieser Anlaßfallwirkung kommen könnte -, steht der Antragstellung nicht im Wege.

III. Der Antrag ist aber nicht

begründet.

Ob und wieweit der Gesetzgeber besondere Arbeitsverhältnisse von einer allgemeinen Regelung über die Einhaltung einer Normalarbeitszeit und die Vergütung der sie übersteigenden Arbeit ausnehmen darf, hängt in erster Linie davon ab, wieweit die für diese besonderen Arbeitsverhältnisse typischen Erscheinungen von der Regel abweichen. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob der Gesetzgeber für Tätigkeiten unter stark abweichenden Verhältnissen besondere Vorschriften erläßt oder sie aus dem Geltungsbereich der einschlägigen Vorschriften zur Gänze ausnimmt (VfSlg. 12997/1992). Erst wenn sich für eine solche Ausnahme keinerlei plausiblen Gründe finden lassen, überschreitet er die ihm vom Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes gesetzten Schranken.

Daß nun die Tätigkeit des Bordpersonals von Luftverkehrsunternehmen in Hinsicht auf die Arbeitszeit nicht nur von der durchschnittlichen Gestaltung eines Arbeitsverhältnisses in vielfacher Weise abweicht, sondern sich auch von der Dienstleistung im sonstigen öffentlichen Verkehr (für die § 18 AZG besondere Regeln bereitstellt) wesentlich unterscheidet, wird schon daraus deutlich, daß diese Tätigkeit in ihrem wesentlichen Teil nicht vor Erreichen des Zieles beendet oder durch neu beigezogene Arbeitnehmer fortgesetzt werden kann. Dazu kommt, daß die im Flugverkehr bewältigten Entfernungen das Bordpersonal einerseits infolge der Zeitverschiebungen und Klimaveränderungen außergewöhnlichen Belastungen aussetzen, die Sicherheit des Flugverkehrs eine Belastung andrerseits aber auch nur in besonderen Grenzen zuläßt.

Wenn der Gesetzgeber solche Arbeitsverhältnisse aus dem System des Arbeitszeitgesetzes mit seiner grundlegenden Unterscheidung von Normalarbeitszeit und (zulässiger, nur höher zu entlohnender) Überarbeit ausnimmt und den Schutz der Arbeitnehmer den in diesem Bereich vorhandenen, international üblichen und zunehmend auch durch internationale Einflüsse bestimmten Systemen überläßt, die auf andere staatlich kontrollierbare Weise vor übermäßiger Beanspruchung bewahren und die Regelung der Entlohnung den beteiligten Kreisen anheimstellt, ist das nicht unsachlich und überschreitet den gesetzgeberischen Spielraum nicht.

Der Antrag ist daher abzuweisen.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 Satz 1 VerfGG).