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VfGH vom 30.06.2015, G233/2014 ua

VfGH vom 30.06.2015, G233/2014 ua

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung der StPO betr den Rechtsschutz gegen Akte der Kriminalpolizei im strafgerichtlichen Ermittlungsverfahren; Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen abhängig von der angewendeten Rechtsgrundlage; Rechtsgrundlage für einen Einspruch nach der StPO oder eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht für den Rechtsschutzsuchenden nicht eindeutig erkennbar

Spruch

I. Die Wortfolge "Kriminalpolizei oder" in § 106 Abs 1 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl Nr 631, idF BGBl I Nr 195/2013 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit den vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG gestützten Anträgen begehrt das Verwaltungsgericht Wien aus Anlass zweier bei ihm anhängiger Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die Wortfolge "Kriminalpolizei oder" im ersten Satz des § 106 Abs 1 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631, in der Fassung des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013, BGBl I 195, in eventu § 106 Abs 1 Z 2 leg.cit. unter Ausschluss des letzten Wortes "wurde", jedoch einschließlich des vorangehenden Wortes "oder" sowie der Ziffernbezeichnung "1." als verfassungswidrig aufzuheben.

Nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes verstößt die Regelung gegen Art 83 Abs 2 B VG, Art 13 EMRK sowie "hilfsweise" gegen Art 47 GRC, Art 6 EMRK und Art 7 B VG. Im Kern hegt es das Bedenken, dass im Falle polizeilichen Handelns die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Einspruch wegen Rechtsverletzung an die ordentlichen Gerichte gemäß § 106 Abs 1 StPO einerseits und der Maßnahmenbeschwerde an die Verwaltungsgerichte gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG andererseits unklar sei.

II. Rechtslage

1.1. Nach Art 130 Abs 1 Z 2 B VG (idF BGBl I 51/2012) "[erkennen d]ie Verwaltungsgerichte [...] über Beschwerden [...] gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt". Nach Art 131 Abs 1 B VG sind für derartige Maßnahmenbeschwerden grundsätzlich die Landesverwaltungsgerichte zuständig, das Bundesverwaltungsgericht jedoch dann, wenn diese Rechtssachen Angelegenheiten des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, betreffen.

Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 7 Abs 4 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sechs Wochen und beginnt gemäß Z 3 "mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung".

1.2.1. In einer auf die Sicherheitsverwaltung zugeschnittenen Formulierung wiederholt § 88 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl 566/1991, idF BGBl I 161/2013 die bereits in der Bundesverfassung grundgelegte Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte:

"(1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art130 Abs 1 Z 2 B VG)."

Darüber hinaus erkennen die Landesverwaltungsgerichte gemäß § 88 Abs 2 SPG über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise (als durch Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt zu sein.

In Bezug auf die Beschwerdefrist und deren Beginn ordnet § 88 Abs 4 SPG für beide Beschwerdearten an, dass diese sechs Wochen betrage und "mit dem Zeitpunkt [beginnt], in dem der Betroffene Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat, wenn er aber durch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung".

§89 SPG sieht schließlich ein zweistufiges Kontrollverfahren in Bezug auf die Verletzung von gemäß § 31 leg.cit. festgelegten Richtlinien vor ("Richtlinienbeschwerde"): Personen, die behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen sind, sei eine Richtlinie nach § 31 SPG verletzt worden, haben gemäß § 89 Abs 2 leg.cit. Anspruch darauf, dass ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich zur Frage äußert, ob eine Richtlinienverletzung stattgefunden hat. Die Richtlinienbeschwerde ist binnen sechs Wochen alternativ bei der Dienstaufsichtsbehörde oder beim Landesverwaltungsgericht, das diese fristwahrend an die Dienstaufsichtsbehörde weiterzuleiten hat, einzubringen (§89 Abs 1 SPG). Bleibt die Dienstaufsichtsbehörde säumig oder teilt sie mit, dass kein Verstoß gegen die Richtlinie festgestellt werden konnte, kann der Betroffene die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes über die behauptete Verletzung verlangen (§89 Abs 4 SPG).

1.2.2. Zu den sicherheitspolizeilichen Aufgaben zählt der 2. Teil des SPG neben der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht (§19), der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit (§27) und dem besonderen Überwachungsdienst (§27a) die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit (§§20 ff.), welche von § 20 in fünf Teile untergliedert wird. Danach umfasst sie die Gefahrenabwehr (§21), den vorbeugenden Schutz von Rechtsgütern (§§22 f.), die Fahndung (§24), die kriminalpolizeiliche Beratung (§25) und die Streitschlichtung (§26). §§21 und 22 SPG lauten:

"Gefahrenabwehr

§21. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Abwehr allgemeiner Gefahren.

(2) Die Sicherheitsbehörden haben gefährlichen Angriffen unverzüglich ein Ende zu setzen. Hiefür ist dieses Bundesgesetz auch dann maßgeblich, wenn bereits ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist.

(3) Den Sicherheitsbehörden obliegt die erweiterte Gefahrenerforschung; das ist die Beobachtung

1. einer Person, die

a) sich öffentlich oder in schriftlicher oder elektronischer Kommunikation für Gewalt gegen Menschen, Sachen oder die verfassungsmäßigen Einrichtungen ausspricht, oder

b) sich Mittel und Kenntnisse verschafft, die sie in die Lage versetzen, Sachschäden in großem Ausmaß oder die Gefährdung von Menschen herbeizuführen,

und damit zu rechnen ist, dass sie eine mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundene weltanschaulich oder religiös motivierte Gewalt herbeiführt, oder

2. einer Gruppierung, wenn im Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität, insbesondere zu weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt kommt.

Vorbeugender Schutz von Rechtsgütern

§22. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt der besondere Schutz

1. von Menschen, die tatsächlich hilflos sind und sich deshalb nicht selbst ausreichend vor gefährlichen Angriffen zu schützen vermögen;

2. der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit;

3. der Vertreter ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte, der diesen zur Verfügung stehenden amtlichen und privaten Räumlichkeiten sowie des ihnen beigegebenen Personals in dem Umfang, in dem dies jeweils durch völkerrechtliche Verpflichtung vorgesehen ist;

4. von Sachen, die ohne Willen eines Verfügungsberechtigten gewahrsamsfrei wurden und deshalb nicht ausreichend vor gefährlichen Angriffen geschützt sind;

5. von Menschen, die über einen gefährlichen Angriff oder eine kriminelle Verbindung Auskunft erteilen können und deshalb besonders gefährdet sind, sowie von allenfalls gefährdeten Angehörigen dieser Menschen;

6. von Einrichtungen, Anlagen, Systemen oder Teilen davon, die eine wesentliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Funktionsfähigkeit öffentlicher Informations- und Kommunikationstechnologie, die Verhütung oder Bekämpfung von Katastrophen, den öffentlichen Gesundheitsdienst, die öffentliche Versorgung mit Wasser, Energie sowie lebenswichtigen Gütern oder den öffentlichen Verkehr haben (kritische Infrastrukturen).

(1a) [...]

(2) Die Sicherheitsbehörden haben gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorzubeugen, sofern solche Angriffe wahrscheinlich sind.

[...]"

Im Unterschied zur StPO, die in ihren an die Sicherheitsbehörden gerichteten Ermächtigungen zu Verwaltungsakten im Dienste der Strafjustiz das Sicherheitspolizeirecht nicht berücksichtigt, nimmt das SPG auf Berührungen zum Strafprozessrecht Bezug. Die für Aufklärungsmaßnahmen entscheidende Schnittstelle ist in § 22 Abs 3 SPG definiert, welcher wie folgt lautet:

"(3) Nach einem gefährlichen Angriff haben die Sicherheitsbehörden, unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl Nr 631/1975, die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO; die §§53 Abs 1, 53a Abs 2 bis 4 und 6, 57, 58 und 58a bis d, sowie die Bestimmungen über den Erkennungsdienst bleiben jedoch unberührt."

Von § 22 Abs 3 zweiter Satz macht § 21 Abs 2 SPG allerdings insofern eine Ausnahme, als vorgesehen wird, dass die Sicherheitsbehörden gefährlichen Angriffen unverzüglich ein Ende zu setzen haben. Hiefür sind die Bestimmungen des SPG auch dann weiterhin maßgeblich, wenn bereits eine bestimmte Person der strafbaren Handlung verdächtigt wird.

1.2.3. Nach § 30 Abs 1 SPG ist der von der Ausübung von Befugnissen Betroffene – auf sein Verlangen hin – von Anlass und Zweck des Einschreitens zu informieren (Z1) und über die Dienstnummern der einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Kenntnis zu setzen (Z2).

2.1. Demgegenüber sieht § 106 StPO idF BGBl I 195/2013 – neuerlich (zur Entstehungsgeschichte s. unten Pkt. 2.2.), und zwar nunmehr gestützt auf Art 94 Abs 2 B VG, – die Zuständigkeit der ordentlichen (Straf-)Gerichte vor (die jeweils mit dem Hauptantrag angefochtene Gesetzesstelle ist hervorgehoben) und bestimmt § 107 StPO hinsichtlich des Verfahrens:

"4. Abschnitt

Gericht im Ermittlungsverfahren

[...]

"Einspruch wegen Rechtsverletzung

§106. (1) Einspruch an das Gericht steht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil

1. ihr die Ausübung eines Rechtes nach diesem Gesetz verweigert oder 2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde.

Im Fall des Todes der zum Einspruch berechtigten Person kommt dieses Recht den in § 65 Z 1 litb erwähnten Angehörigen zu. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

(2) Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. In einem solchen Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.

(3) Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Sofern er sich gegen eine Maßnahme der Kriminalpolizei richtet, hat die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliegt, und dem Einspruch, soweit er berechtigt ist, zu entsprechen sowie den Einspruchswerber davon zu verständigen, dass und auf welche Weise dies geschehen sei und dass er dennoch das Recht habe, eine Entscheidung des Gerichts zu verlangen, wenn er behauptet, dass seinem Einspruch tatsächlich nicht entsprochen wurde.

(5) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht binnen vier Wochen entspricht oder der Einspruchswerber eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat die Staatsanwaltschaft den Einspruch unverzüglich an das Gericht weiter zu leiten. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei hat das Gericht dem Einspruchswerber zur Äußerung binnen einer festzusetzenden, sieben Tage nicht übersteigenden Frist zuzustellen.

§107. (1) Unzulässige, verspätete und solche Einsprüche, denen die Staatsanwaltschaft entsprochen hat, sind zurückzuweisen. Im Übrigen hat das Gericht in der Sache zu entscheiden. Im Falle, dass Anklage eingebracht wurde, hat über den Einspruch jenes Gericht zu entscheiden, das im Ermittlungsverfahren zuständig gewesen wäre.

(2) Sofern sich die Umstände der behaupteten Rechtsverletzung nur durch unmittelbare Beweisaufnahme klären lassen, kann das Gericht von Amts wegen eine mündliche Verhandlung anberaumen und in dieser über den Einspruch entscheiden. Diese Verhandlung ist nicht öffentlich, doch hat das Gericht jedenfalls dem Einspruchswerber, der Staatsanwaltschaft und, sofern sich der Einspruch gegen sie richtet, der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Teilnahme und Stellungnahme zu geben.

(3) Der Staatsanwaltschaft und dem Einspruchswerber steht Beschwerde zu; diese hat aufschiebende Wirkung. Das Oberlandesgericht kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, es sei denn, dass die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Gericht von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts oder des Obersten Gerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

(4) Im Falle, dass das Gericht dem Einspruch stattgibt, haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei den entsprechenden Rechtszustand mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen."

2.2. § 106 StPO idF des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013, BGBl I 195, hat folgende Entstehungsgeschichte:

2.2.1. Eines der primären Ziele des mit in Kraft getretenen Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 19/2004, war die Schaffung eines einheitlichen Rechtsschutzsystems im strafprozessualen Ermittlungsverfahren, das den ordentlichen Gerichten übertragen werden sollte. Diese sollten zur umfassenden Kontrolle der gesetzmäßigen Führung des Ermittlungsverfahrens berufen werden, um die Feststellung von Rechtsverletzungen mit verfahrensrechtlichen Wirkungen zu ermöglichen (vgl. Pilnacek/Pleischl , Das neue Vorverfahren, 2005, Rz 431; Fabrizy , StPO 10 , 2008, § 106 Rz 1). Während nach der Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz der Rechtsschutz auf das gerichtliche Vorverfahren konzentriert war (nach § 113 StPO [idF vor BGBl I 19/2004] stand "allen" die Möglichkeit der Beschwerde gegen "eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters" offen), bestand gegen Art und Inhalt staatsanwaltschaftlicher Ersuchen und polizeilicher Ermittlungen keine rechtliche Handhabe. Durch das Strafprozessreformgesetz wurde jeder im Ermittlungsverfahren in einem subjektiven Recht unmittelbar betroffenen Person der Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht ermöglicht.

Einspruch an das Gericht gemäß § 106 Abs 1 StPO idF des Strafprozessreformgesetzes stand im Ermittlungsverfahren jeder Person zu, die behauptete, durch (rechtliches oder tatsächliches) Handeln der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei in einem subjektiven Recht verletzt zu sein. Diese Verletzung musste sich entweder unmittelbar aus der StPO selbst (Z1) oder aus einem bei Anordnung oder Durchführung einer Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unterlaufenen Verstoß gegen Bestimmungen der StPO (Z2) ergeben.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Strafprozessreformgesetzes wird dazu ausgeführt (25 BlgNR 22. GP, 91 f.):

"Nach [§106] Abs 1 Z 1 und 2 soll jede (tatsächliche oder rechtliche) Handlung der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft oder eines ihrer Organe, durch welche sich der Einspruchswerber unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet, Anlass für einen Einspruch wegen Rechtsverletzung bieten können. Als subjektive Rechte sind solche zu verstehen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach diesem Bundesgesetz konkret einzuhalten sind (Z2), oder welche dem Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach diesem Bundesgesetz einräumen (Z1; z.B. Akteneinsicht, Beweisantragsrecht oder Recht auf Beiziehung einer Person des Vertrauens). In subjektive Rechte kann daher nicht nur durch Anordnungen oder unmittelbare Ausübung von Zwang selbst, sondern auch durch die Art und Weise der Durchführung rechtswidrig eingegriffen werden, beispielsweise wenn der von einer Hausdurchsuchung betroffenen Person die Anwesenheit oder die Beiziehung von Personen ihres Vertrauens verweigert wird. Die Bestimmung des [§106] Abs 1 Z 1 und 2 soll daher den individuellen Anspruch sichern, dass in subjektive Rechte eingreifende Ermittlungen nur in den Fällen und auf die Weise ausgeübt werden, die der Strafprozessordnung entsprechen. Hingegen soll beispielsweise eine Verletzung der in der Richtlinien-Verordnung (RLV) generell für die Aufgabenerfüllung im Rahmen des Exekutivdienstes vorgeschriebenen Bedingungen für das Einschreiten kriminalpolizeilicher Organe keinen Gegenstand eines zulässigen Einspruchs bilden, mag der Einspruchswerber auch von der Verletzung 'betroffen' sein. Gleichermaßen wäre ein ausschließlich auf Befugnisse nach dem SPG gestütztes Vorgehen der Kriminalpolizei nicht im Wege des Einspruchs bekämpfbar. Auch soweit 'doppelfunktionale' Ermittlungen betroffen sind, hätte das Gericht die Einhaltung der Bedingungen und Förmlichkeiten des SPG nicht zu prüfen; insoweit wäre nach wie vor die Kognitionsbefugnis des UVS nach § 88 SPG gegeben."

Im Falle der Stattgabe des Einspruchs hatten und haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei den entsprechenden Rechtszustand mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen (so der unverändert gebliebene § 107 Abs 4 StPO idF BGBl I 19/2004; vgl. ; , 13 Os 122/08b).

2.2.2. Mit Erkenntnis VfSlg 19.281/2010 hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" in § 106 Abs 1 StPO idF des Strafprozessreformgesetzes wegen Verstoßes gegen Art 94 B VG (idF vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51) auf: Durch diese Bestimmung wurde ein Rechtszug an die ordentlichen Gerichte gegen kriminalpolizeiliches Handeln, das ohne staatsanwaltliche oder gerichtliche Anordnung bzw. Bewilligung erfolgte, und damit gegen Verwaltungsakte eröffnet, was gegen den Trennungsgrundsatz des Art 94 B VG (aF) verstieß.

Als Folge dieser Aufhebung bestand für kriminalpolizeiliche Zwangsakte, die entweder ohne gerichtliche bzw. staatsanwaltschaftliche Anordnung im Dienste der Strafjustiz oder in Überschreitung einer gerichtlichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Anordnung vorgenommen wurden, (wieder) gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B VG (idF vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51) die Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern unter der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes. Anderes galt für kriminalpolizeiliches Handeln auf Grund einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung: Da in diesem Fall ein Akt der Gerichtsbarkeit vorlag, war dagegen weiterhin Einspruch nach § 106 StPO zulässig (RV 2402 BlgNR 24. GP, 10; Pilnacek/Koenig , WK-StPO § 106 Rz 6).

2.2.3. Durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013, BGBl I 195, wurde der einheitliche Rechtsschutz gegen kriminalpolizeiliches und staatsanwaltschaftliches Handeln im Ermittlungsverfahren wieder eingeführt. Gemäß § 106 Abs 1 StPO in der seit geltenden Fassung kann gegen sämtliche Eingriffe der Kriminalpolizei in subjektive Rechte, sei es durch Zwangsmaßnahmen, sei es durch die Verweigerung von Verfahrensrechten nach der StPO, (wieder) Einspruch an die ordentlichen Gerichte erhoben werden. Ein solcher Einspruch erfasst auch Akte der Kriminalpolizei, die nicht nachträglich bewilligt wurden; der Einspruch ist – im Unterschied zur Rechtslage nach dem Strafprozessreformgesetz (der zufolge der an keine Frist gebundene Einspruch [nur] bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens zulässig war) – nunmehr auch nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens (allerdings innerhalb einer sechswöchigen Frist ab Kenntnis der behaupteten Verletzung – § 106 Abs 3 erster Satz StPO) möglich.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013 heißt es (RV 2402 BlgNR 24. GP, 2 f.; vgl. auch ebd. 10 f.):

"Die mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I Nr 51/2012, erfolgte Änderung des Art 94 Abs 2 B VG erlaubt es, die ursprüngliche, mit der Strafprozessreform 2008 eingeführte und durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobene Rechtslage über den Einspruch gegen Handlungen der Kriminalpolizei wieder herzustellen und auszubauen. […]

Die vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, sämtliche Eingriffe der Kriminalpolizei in subjektive Rechte, sei es durch Zwangsmaßnahmen, sei es durch die Verweigerung von Verfahrensrechten nach der StPO im Sinne eines einheitlichen Rechtsschutzes einer Kontrolle der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterziehen, wobei dies auch über das Ende des Ermittlungsverfahrens hinaus möglich sein sollte und auch Akte der Kriminalpolizei betreffen muss, die nicht nachträglich bewilligt worden sind.

Im Sinne eines weiteren Ausbaus des Rechtsschutzes und auch zur Entkräftung der Bedenken, dass der Einspruch bei kriminalpolizeilichem Handeln in Teilbereichen weniger weit reiche, als jener der Maßnahmenbeschwerde zum UVS bzw. künftig zum Verwaltungsgericht, soll nunmehr zum Ersten klargestellt werden, dass das Einspruchsrecht nach § 106 StPO auch nach dem Tod der betroffenen Person besteht und auf seine in § 65 Z 1 litb StPO erwähnten Angehörigen übergeht. Zum Zweiten soll die Einbringung nicht mehr mit dem Ende des Ermittlungsverfahrens befristet sein. Folglich sieht der Vorschlag vor, dass der Einspruch stets binnen sechs Wochen ab dem Zeitpunkt der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht eingebracht werden kann. Im Übrigen soll auch die Prüfung des Rechtsbehelfs durch die Staatsanwaltschaft in angemessener Zeit erfolgen und demgemäß an eine Frist von vier Wochen gebunden werden, nach deren Ablauf jedenfalls das Gericht zu befassen ist. Schließlich wird vorgeschlagen, dass vor Einbringen einer Anklage erhobene Einsprüche nicht mit Anklageerhebung gegenstandslos werden, um auch nicht beschuldigten Betroffenen diese Rechtsmittelmöglichkeit zu gewähren."

2.2.4. Verfassungsrechtliche Grundlage des Einspruches wegen Rechtsverletzung an die ordentlichen Gerichte gemäß § 106 Abs 1 StPO idF des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013, insoweit er auch Akte der Kriminalpolizei ohne staatsanwaltlichen oder gerichtlichen Auftrag oder in Überschreitung eines solchen erfasst, ist der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 erlassene Art 94 Abs 2 B VG. Nach dieser Bestimmung kann durch Bundes- oder Landesgesetz in einzelnen Angelegenheiten anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorgesehen werden.

In den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 wird dazu u.a. ausgeführt (RV 1618 BlgNR 24. GP, 11):

"Der Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Art 94 Abs 2 beschränkt sich nicht auf Bescheide, sondern erfasst auch sonstiges Verhalten der Verwaltungsbehörden in Vollziehung der Gesetze (vgl. den in Z 60 vorgeschlagenen Art 130 Abs 2). Regelungen, wie sie in dem – mit dem Erkenntnis VfSlg 19.281/2010 aufgehobenen – § 106 Abs 1 StPO enthalten waren, wären demnach zulässig."

2.3. Darüber hinaus steht die angefochtene Wendung in § 106 Abs 1 StPO in folgendem rechtlichen Zusammenhang:

2.3.1. Gegenstand der StPO ist "das Verfahren zur Aufklärung von Straftraten, über die Verfolgung verdächtiger Personen und über damit zusammenhängende Entscheidungen" (§1 Abs 1 leg.cit.). Nach § 1 Abs 2 StPO beginnt das Strafverfahren,

"sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (Abs3) nach den Bestimmungen des 2. Teils dieses Bundesgesetzes ermitteln; es ist solange als Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter oder die verdächtige Person zu führen, als nicht eine Person auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben (§48 Abs 1 Z 2), danach wird es als Ermittlungsverfahren gegen diese Person als Beschuldigten geführt. Das Strafverfahren endet durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder durch gerichtliche Entscheidung."

Ein "Anfangsverdacht" liegt gemäß dem mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl I 71, angefügten Abs 3 vor, "wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist".

Gemäß § 6 Abs 2 StPO hat

"[j]ede am Verfahren beteiligte oder von der Ausübung von Zwangsmaßnahmen betroffene Person [...] das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör und auf Information über Anlass und Zweck der sie betreffenden Verfahrenshandlung sowie über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren. [...]"

Dieses in der StPO geregelte Informationsrecht setzt im Unterschied zu § 30 Abs 1 Z 1 SPG (Ausübung von Befugnissen im Rahmen der Sicherheitsverwaltung) kein Verlangen seitens des Betroffenen bzw. Beteiligten voraus (und entspricht insoweit dem – allerdings kein subjektives Recht einräumenden – § 6 Abs 1 Z 2 der Richtlinien-Verordnung). Darüber hinaus bestimmt etwa § 171 Abs 3 StPO, dass einem Beschuldigten im Falle seiner Festnahme sogleich bei oder innerhalb von 24 Stunden nach dieser die Anordnung der Staatsanwaltschaft und deren gerichtliche Bewilligung zuzustellen ist. Erfolgte die Festnahme von der Kriminalpolizei aus eigenem Antrieb (bei Betretung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug), so ist eine schriftliche Begründung durch die Kriminalpolizei (über Tatverdacht und Haftgrund) zuzustellen; ferner ist einem Beschuldigten schriftlich Belehrung über seine Rechte (u.a. über die Einspruchsmöglichkeit nach § 106 StPO) zu erteilen und zu dokumentieren (§172 Abs 4 Z 2 leg.cit.).

Demgegenüber wird etwa für die Mitteilung, aus welchem Anlass eine Identitätsfeststellung erfolgt, nach § 118 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO eine entsprechende Aufforderung seitens des Betroffenen verlangt.

2.3.2. Die im 2., mit "Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Rechtsschutzbeauftragter" überschriebenen Hauptstück stehenden Abschnitte 1 und 2 treffen Regelungen über die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft; sie lauten auszugsweise:

"1. Abschnitt

Kriminalpolizei

Kriminalpolizei

§18. (1) Kriminalpolizei besteht in der Wahrnehmung von Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege (Art10 Abs 1 Z 6 B VG).

(2) Kriminalpolizei obliegt den Sicherheitsbehörden, deren Organisation und örtliche Zuständigkeit sich nach den Vorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung richten.

(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§5 Abs 2 SPG) versehen den kriminalpolizeilichen Exekutivdienst, der in der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten nach den Bestimmungen dieses Gesetzes besteht.

(4) Auf Antrag einer Gemeinde können die Angehörigen ihres Gemeindewachkörpers der Bezirksverwaltungsbehörde mit deren Zustimmung unterstellt werden, um kriminalpolizeilichen Exekutivdienst zu versehen. Die Unterstellung erfolgt mit Verordnung des Landespolizeidirektors nach Anhörung der Oberstaatsanwaltschaft, in deren Sprengel sich die Gemeinde befindet. Die Unterstellung ist durch Verordnung des Landespolizeidirektors

1. auf Antrag der Gemeinde oder

2. auf Antrag der Bezirksverwaltungsbehörde oder der Oberstaatsanwaltschaft, in deren Sprengel sich die Gemeinde befindet, soweit festgestellt wird, dass der Gemeindewachkörper die ihm übertragene Aufgabe nicht erfüllt,

aufzuheben.

2. Abschnitt

Staatsanwaltschaften und ihre Zuständigkeiten

Allgemeines

§19. [...]

Staatsanwaltschaft

§20. (1) Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren; ihr allein steht die Erhebung der öffentlichen Anklage zu. Sie entscheidet, ob gegen eine bestimmte Person Anklage einzubringen, von der Verfolgung zurückzutreten oder das Verfahren einzustellen ist.

[...]."

2.3.3. Das im 2. Teil (6. bis 9. Hauptstück) der StPO geregelte Ermittlungsverfahren ist von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft – soweit möglich – im Einvernehmen zu führen. Der Kriminalpolizei ist eine eigene Ermittlungskompetenz zugewiesen, während der Staatsanwaltschaft (im Streit- und Zweifelsfall) die Leitungsbefugnis zukommt (s. insb. § 101 StPO). Das Gericht übt – von wenigen speziellen Ermittlungsmaßnahmen (wie zB Tatrekonstruktion) abgesehen – nur umfassenden "begleitenden Rechtsschutz in Form der Entscheidung über die Zulässigkeit von Eingriffen in subjektive Rechte und Rechtskontrolle der Ermittlungstätigkeit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft aus (vgl. RV 25 BlgNR 22. GP, 76; Fabrizy , StPO 12 , 2014, Vor § 91).

"6. Hauptstück

Allgemeines

1. Abschnitt

Zweck des Ermittlungsverfahrens

Zweck des Ermittlungsverfahrens

§91. (1) Das Ermittlungsverfahren dient dazu, Sachverhalt und Tatverdacht durch Ermittlungen soweit zu klären, dass die Staatsanwaltschaft über Anklage, Rücktritt von der Verfolgung oder Einstellung des Verfahrens entscheiden kann und im Fall der Anklage eine zügige Durchführung der Hauptverhandlung ermöglicht wird.

(2) Ermittlung ist jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dient. Sie ist nach der in diesem Gesetz vorgesehenen Form entweder als Erkundigung oder als Beweisaufnahme durchzuführen. Die bloße Nutzung von allgemein zugänglichen oder behördeninternen Informationsquellen sowie die Durchführung von Erkundigungen zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht (§1 Abs 3) vorliegt, stellen keine Ermittlung in diesem Sinn dar.

[...]

2. Abschnitt

Zwangsgewalt und Beugemittel, Ordnungsstrafen

Zwangsgewalt und Beugemittel

§93. (1) Die Kriminalpolizei ist nach Maßgabe des § 5 ermächtigt, verhältnismäßigen und angemessenen Zwang anzuwenden, um die ihr gesetzlich eingeräumten Befugnisse durchzusetzen; dies gilt auch für die Durchsetzung einer Anordnung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts. Dabei ist die Kriminalpolizei unter den jeweils vorgesehenen Bedingungen und Förmlichkeiten ermächtigt, auch physische Gewalt gegen Personen und Sachen anzuwenden, soweit dies für die Durchführung von Ermittlungen oder die Aufnahme von Beweisen unerlässlich ist. Eine Anordnung zur Festnahme (§171 Abs 1) berechtigt auch dazu, die Wohnung oder andere durch das Hausrecht geschützte Orte nach der festzunehmenden Person zu durchsuchen, soweit die Festnahme nach dem Inhalt der Anordnung in diesen Räumen vollzogen werden soll.

(2) Verweigert eine Person eine Handlung, zu der sie gesetzlich verpflichtet ist, so kann dieses Verhalten unmittelbar durch Zwang nach Abs 1 oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt werden. Ist dies nicht möglich, so kann die Person, falls sie nicht selbst der Straftat verdächtig oder von der Pflicht zur Aussage gesetzlich befreit ist, durch Beugemittel angehalten werden, ihrer Verpflichtung nachzukommen.

[...]

(5) Die Ausübung unmittelbaren Zwangs ist anzudrohen und anzukündigen, wenn die davon betroffene Person anwesend ist. Hievon darf nur abgesehen werden, wenn der Erfolg der Ermittlung oder der Beweisaufnahme dadurch gefährdet wäre. Für den Waffengebrauch gelten die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969.

[...]

7. Hauptstück

Aufgaben und Befugnisse der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts

1. Abschnitt

Allgemeines

Allgemeines

§98. (1) Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben das Ermittlungsverfahren nach Maßgabe dieses Gesetzes soweit wie möglich im Einvernehmen zu führen. Kann ein solches nicht erzielt werden, so hat die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Anordnungen zu erteilen, die von der Kriminalpolizei zu befolgen sind (§99 Abs 1).

(2) Das Gericht wird im Ermittlungsverfahren auf Antrag, von Amts wegen gemäß den §§104 und 105 Abs 2 oder auf Grund eines Einspruchs tätig.

2. Abschnitt

Kriminalpolizei im Ermittlungsverfahren

Ermittlungen

§99. (1) Die Kriminalpolizei ermittelt von Amts wegen oder auf Grund einer Anzeige; Anordnungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts (§105 Abs 2) hat sie zu befolgen.

(2) Ist für eine Ermittlungsmaßnahme eine Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich, so kann die Kriminalpolizei diese Befugnis bei Gefahr im Verzug ohne diese Anordnung ausüben. In diesem Fall hat die Kriminalpolizei unverzüglich um Genehmigung anzufragen (§100 Abs 2 Z 2); wird diese nicht erteilt, so hat die Kriminalpolizei die Ermittlungshandlung sogleich zu beenden und den ursprünglichen Zustand soweit wie möglich wieder herzustellen.

(3) Erfordert die Anordnung jedoch eine gerichtliche Bewilligung, so ist die Ermittlungsmaßnahme bei Gefahr im Verzug ohne diese Bewilligung nur dann zulässig, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.

[...]."

§100 Abs 1 StPO verpflichtet die Kriminalpolizei, ihre Ermittlungen aktenmäßig festzuhalten, sodass Anlass, Zweck und Ergebnis ihrer Tätigkeit im Verfahren nachvollzogen und überprüft werden können (vgl. Pilnacek/Pleischl , Das neue Vorverfahren, 2005, Rz 407). Ein Eingriff in subjektive Rechte und die Ausübung von Zwang müssen aktenmäßig begründet werden, um eine nachprüfende Kontrolle zu ermöglichen (vgl. RV 25 BlgNR 22. GP, 85).

"3. Abschnitt

Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren

Aufgaben

§101. (1) Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet über dessen Fortgang und Beendigung. Gegen ihren erklärten Willen darf ein Ermittlungsverfahren weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.

[...]

Anordnungen und Genehmigungen

§102. (1) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anordnungen und Genehmigungen an die Kriminalpolizei gemäß deren Zuständigkeit zu richten. Die Anordnung von Zwangsmaßnahmen hat sie zu begründen und schriftlich auszufertigen. In dringenden Fällen können aber auch solche Anordnungen und Genehmigungen vorläufig mündlich übermittelt werden. Anstelle einer schriftlichen Ausfertigung ist auch die Bekanntmachung auf elektronischem Weg oder sonst unter Verwendung automationsunterstützter Datenverarbeitung zulässig.

[...]

Ermittlungen

§103. (1) Soweit dieses Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt, obliegt es der Kriminalpolizei, die Anordnungen der Staatsanwaltschaft durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft kann sich an allen Ermittlungen der Kriminalpolizei beteiligen und dem Leiter der kriminalpolizeilichen Amtshandlung einzelne Aufträge erteilen, soweit dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, insbesondere wegen der Bedeutung der Ermittlungen für die Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens, zweckmäßig ist.

(2) Die Staatsanwaltschaft kann auch selbst Ermittlungen (§91 Abs 2) durchführen oder durch einen Sachverständigen durchführen lassen."

2.3.4. Im Einzelnen sind die Befugnisse, die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zur Erfüllung ihrer prozessualen Aufgaben, mithin zur Aufklärung und Verfolgung (gerichtlich) strafbarer Handlungen zur Verfügung stehen, im 8. Hauptstück geregelt. "Von sich aus", also ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung, kann die Kriminalpolizei unter anderem folgende Ermittlungsmaßnahmen vornehmen: Sicherstellung (§110 Abs 3 StPO), Identitätsfeststellung (§118 Abs 2 StPO), Durchsuchung von Personen nach § 117 Z 3 lita (§120 Abs 2) StPO, Durchsuchung eines nicht allgemein zugänglichen Grundstückes, Raumes, Fahrzeuges oder Behältnisses nach § 117 Z 2 lita (§120 Abs 2) StPO, Abnahme eines Mundhöhlenabstrichs (§123 Abs 3 StPO), optische und akustische Überwachung von Personen (§136 Abs 1 Z 1 StPO), Augenschein (§149 Abs 2 StPO), Vernehmungen (§153 StPO) oder Sachenfahndung (§169 Abs 2 StPO).

Dabei zeigt sich, dass sich das Einschreiten der Organe der Sicherheitsbehörde etwa bei folgenden Befugnissen auch auf das SPG stützen könnte: Sicherstellung von Sachen und Gegenständen (§42 SPG), Durchsuchung von Personen (§40 SPG), Durchsuchung von Grundstücken und Räumen (§39 SPG), Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Behandlung (§§64 ff. SPG).

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.1. Dem zu G233/2014 protokollierten Antrag liegt eine Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG zugrunde, die sich gegen die Vorführung des Beschwerdeführers am zu einer Wiener Polizeiinspektion richtet. Dieser Akt war ursprünglich ausdrücklich als gesonderter Beschwerdepunkt in einer gegen die Verhängung eines Betretungsverbotes nach § 38a SPG erhobenen Beschwerde angeführt worden. Nach dem Vorbringen des antragstellenden Verwaltungsgerichts deutete nichts darauf hin, "dass es sich dabei – anders als beim gleichzeitig verhängten Betretungsverbot – um eine kriminalpolizeiliche Maßnahme handeln könnte". Vielmehr habe die Sachverhaltsdarstellung den Eindruck vermittelt, die "Eskortierung" zur Einvernahme hätte ausschließlich mit der Entscheidung über das Betretungsverbot (allenfalls auch dessen sofortiger Verhängung) zu tun gehabt.

Auch aus der Gegenschrift der belangten Landespolizeidirektion Wien und dem von ihr vorgelegten Verwaltungsakt sei – so das antragstellende Gericht weiter –

"die kriminalpolizeiliche Motivation bzw. Grundlage nicht hervor[gegangen]. Die diesbezügliche Sachverhaltsdarstellung im 'Amtsvermerk' vom auf S. 29 des polizeilichen Verwaltungsaktes [...] lautet: '... trafen Herrn N. an und brachten ihn in die hs. PI zur Einvernahme und Aussprache des Betretungsverbotes'. In der Gegenschrift wird der Befehls- und Zwangscharakter der erfolgten Vorführung überhaupt bestritten."

Erst in der über die Beschwerde anberaumten öffentlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien habe der als Zeuge einvernommene Polizeibeamte ausgesagt, dass ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden konnte.

Die Vorführung als gemeinsam mit dem Betretungsverbot angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sei nach der rechtlichen Einschätzung des Verwaltungsgerichtes Wien somit auf Grundlage der StPO, jedoch ohne richterlichen Befehl oder staatsanwaltliche Anordnung, sondern von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus eigener Macht erfolgt. Im Sinne des § 106 Abs 1 StPO handle es sich daher, sofern die polizeiliche Anordnung des Mitkommens nach ihrem tatsächlichen Gehalt und ihren Begleitumständen überhaupt als "Befehl" zu qualifizieren sei – wovon das antragstellende Verwaltungsgericht Wien ausgehe (diese Frage wäre Gegenstand einer durch das zuständige ordentliche Gericht vorzunehmenden Würdigung) –, um eine von der Kriminalpolizei erteilte Anordnung.

1.2. Der zu G5/2015 protokollierte Antrag wird aus Anlass einer Maßnahmenbeschwerde gestellt, die sich gegen eine Aufforderung zur Ausweisleistung sowie die anschließende Festnahme und Gewaltanwendung durch Zivilbeamte der Landespolizeidirektion Wien am richtet. Dazu bringt das antragstellende Verwaltungsgericht Wien vor:

"Die Gewaltanwendung sei [laut Beschwerde] insofern exzessiv gewesen, als einer der Polizisten dem Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) seinen Arm von hinten sehr fest um den Hals gelegt habe, sodass der Bf keine Luft bekommen habe und in Todesangst geraten sei, und dieser Griff nicht nur während der Handfesselung, sondern auch noch danach aufrecht erhalten worden sei. Dies habe zu mehrtägigen starken Schmerzen im Halsbereich geführt. Für die anfängliche Identitätsfeststellung sei dem Bf auf seine Nachfrage kein Grund genannt worden, auch haben sich die Zivilbeamten trotz Aufforderung nicht ausgewiesen. Stattdessen seien sie wie beschrieben mit Gewaltanwendung und Festnahme gegen ihn vorgegangen. Die Festnahme sei – wie der Bf erst nachträglich erfahren habe – mit Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung an einem Beamten begründet worden.

Die belangte Behörde hält in ihrer Gegenschrift vom fest, 'dass eine Identitätsfeststellung des Beschwerdeführers [...] zunächst gar nicht erfolgte, da er diese Maßnahme durch seine Tätlichkeit verhinderte'. Die nach seiner Festnahme erfolgte Identitätsfeststellung habe ausschließlich auf den Vorschriften der StPO beruht. Vor der Festnahme des Bf sei 'weder eine Identitätsfeststellung erfolgt, noch irgendein Zwangs- oder auch nur Befehlsakt in Bezug auf eine (durchaus beabsichtigte) Identitätsfeststellung ' [Hervorhebung im Original].

Dieser Einlassung zuwider hatte der Meldungsleger des Anlassberichts des LKA Wien/Ermittlungsdienst – EB 10 vom (aus dem unter einem [...] vorgelegten Verwaltungsakt), auf welchen in der Gegenschrift verwiesen wird, jedoch ausdrücklich festgehalten (S. 2, 2. Absatz 1. Halbsatz): 'Herr [es folgt der Name des Beschwerdeführers] wurde von mir zur Ausweisleistung aufgefordert'. Offenbar im Hinblick auf diese, die Amtshandlung gegen den Bf einleitende Aufforderung wird in der Gegenschrift nicht die gänzliche Zurückweisung, sondern die teilweise Zurück- und teilweise Abweisung der Beschwerde beantragt."

Als Grund für die Identitätsfeststellung sei dem Anlassbericht nur zu entnehmen, dass der Supermarkt "im Zuge europaweiter kriminalpolizeilicher Kontrollen zur Erkennung nigerianischer Opfer von Menschenhandel" kontrolliert worden sei. Aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes lasse sich kein konkreter Verdacht in Richtung Menschenhandel gegen den Beschwerdeführer ableiten, ebenso wenig gegen den Besitzer des betreffenden Supermarktes oder eine der dort tätigen Personen (mit denen der Beschwerdeführer allenfalls hätte verwechselt werden können). Es sei daher nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zur Auffassung gelange, es habe sich bei der Maßnahme um einen kriminalpolizeilichen Akt gehandelt. In ihrer nachfolgenden "Äußerung und Antragstellung" vom beantrage die Landespolizeidirektion Wien allerdings, "die Beschwerde vollinhaltlich als unzulässig zurückzuweisen", nachdem sie ihre Gegenschrift vom dahingehend korrigiert habe, dass die Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde bei Amtshandlungen wie der vorliegenden nicht statthaft sei, sondern ein Einspruch gemäß § 106 StPO in Betracht komme.

1.3. Zur Frage der Präjudizialität führt das Verwaltungsgericht Wien in beiden Anträgen unter Hinweis auf VfSlg 19.281/2010 aus, dass die angefochtene Bestimmung – wenn auch negativ – die Zuständigkeit der Vewaltungsgerichte normiere und daher präjudiziell sei.

Was den Anfechtungsumfang anlangt, habe das antragstellende Gericht im Sinne der Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 19.281/2010 sein Hauptbegehren auf die Wortfolge "Kriminalpolizei oder" beschränkt. Der Grund, aus welchem der seinerzeit vom Verfassungsgerichtshof verworfene Antrag (auf Aufhebung des § 106 Abs 1 Z 2 StPO) – nunmehr in eventu – neuerlich gestellt werde, liege darin, dass auf diese Weise eine in der nachfolgenden Diskussion (vgl. Pilnacek , VfGH durchlöchert Rechtsschutz im Strafprozess, Die Presse, Rechtspanorama vom ; Reindl-Krauskopf , UVS oder Strafjustiz: Wer kontrolliert die Kriminalpolizei?, JBl. 2011, 345 ff.) in Ansehung von Beschuldigtenrechten postulierte Lücke im Rechtsschutz nicht entstehe, gleichzeitig aber verfassungskonform interpretiert werden könnte, dass

"aufgrund des Wegfalls der Z 2 [...] auch gegen Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen der Staatsanwälte eine Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 offen [stehe]. Art 94 B VG wäre dadurch nicht verletzt, da es sich bei den Verwaltungsgerichten sowohl formell als auch materiell um Organe der Gerichtsbarkeit handelt, während die Staatsanwälte seit gemäß Art 90a B VG (ausschließlich) formell Organe der Gerichtsbarkeit sind.

Weil aber Staatsanwälte materiell immer noch zur Verwaltung zählen – fehlen ihnen doch gänzlich die für die richterliche Eigenschaft kennzeichnenden Unterscheidungsmerkmale der Unabhängigkeit und der Weisungsfreiheit –, sind auch die von ihnen (ohne richterliche Bewilligung iSd StPO) vorgenommenen Akte – materiell gesehen – verwaltungsbehördlicher Natur (vgl. Heißl/Lehner , Staatsanwälte in der Verfassung, ZfV 2009, 191 ff.). Der Begriff der 'verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt' ist nach Auffassung des antragstellenden Gerichts materiellrechtlich zu verstehen, sodass eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Ausübung (unmittelbarer) staatsanwaltschaftlicher Befehls- und Zwangsgewalt – fiele § 106 Abs 1 Z 2 wie beantragt weg – verfassungsrechtlich argumentierbar wäre. Der mit dem Eventualantrag bewirkte Eingriff in die gesetzgeberischen Intentionen wäre daher – anders als zur Zeit des vorangegangenen, für VfSlg 19.281/2010 maßgeblichen Antrags – geringer als der durch den Primärantrag bewirkte."

1.4. Seine Bedenken legt das Verwaltungsgericht Wien wie folgt dar (Zitate aus dem zu G233/2014 protokollierten Antrag):

1.4.1. Zum Ersten verstoße die durch das Strafprozessreformgesetz geschaffene, nach ihrer Aufhebung mit VfSlg 19.281/2010 (wegen Verstoßes gegen Art 94 B VG aF) durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 im Wesentlichen wiederhergestellte Zuständigkeitsverteilung gegen Art 83 Abs 2 B VG, demzufolge der Gesetzgeber die Behörden- und Gerichtszuständigkeit nach objektiven Kriterien exakt, klar und eindeutig festlegen muss (vgl. VfSlg 3156/1957, 8349/1978, 9937/1984, 10.211/1984, 11.288/1987, 12.788/1991, 13.029/1992, 13.816/1994):

"3.1.1. In dem durch die Strafprozessreform 2004 neu geregelten Vorverfahren sollte mit den §§106 f. StPO ein einheitliches Einspruchsrecht geschaffen werden, welches die Zuständigkeit für die in jeder Phase dieses Verfahrens eingewendeten Rechtsverletzungen beim Gericht konzentriert, und somit auch zur Vereinfachung beiträgt (vgl. dazu die EB zu § 106 in der RV, 25 BIgNR XXII. GP, den einleitenden Absatz des AB, 406 BIgNR XXII. GP, den Einleitungsbeschluss des BMJ, JMZ578.017/10-II.3/2001, und den Diskussionsentwurf JMZ578.017/2-II.3/1998); die Wiederherstellung der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Worte durch das im Zuge der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle beschlossene Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 verfolgt die gleiche Zielsetzung. Dass dieses Ziel nicht erreicht worden ist, und dass die Unübersichtlichkeit der Zuständigkeitsabgrenzung im Gegenteil sogar zugenommen hat, hat bereits Ennöckl nachgewiesen (Der Rechtsschutz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen nach Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, JBI. 2008, 409 ff.). Eine saubere Trennung – hier kriminalpolizeiliche, da sicherheitspolizeiliche Maßnahmen – ist demnach schon wegen der zahlreichen Amtshandlungen eigenen Doppelfunktionalität nicht möglich, welche zu einer parallelen Zuständigkeit beider Gerichte führt.

3.1.2. Im gegenwärtigen Anlassfall schien die Aufforderung zum Mitkommen zunächst ausschließlich mit dem erwogenen Betretungsverbot in Zusammenhang zu stehen, erwies sich aber in der mündlichen Verhandlung als – auch oder ausschließlich – kriminalpolizeilich motiviert. Eine Doppelfunktionalität könnte hier grundsätzlich vorliegen, wobei die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (im Folgenden: AuvBZ) zu ihrer Rechtfertigung nur einer gesetzlichen Grundlage bedürfte, welche entweder im Sicherheitspolizei- oder im Strafverfahrensrecht vorzufinden sein kann. (Im Anlassfall könnte nur die kriminalpolizeiliche Funktionalität der Amtshandlung diese überhaupt rechtfertigen, zumal eine Vernehmung im Zusammenhang mit § 38a SPG mangels gesetzlicher Grundlage nicht unter Anwendung oder Androhung von Zwang durchgesetzt werden darf. Es sind jedoch Konstellationen denkbar, in denen eine AuvBZ unter sicherheitspolizeilichen ebenso wie unter kriminalpolizeilichen Gesichtspunkten rechtfertigbar ist: so kann das Sicherstellen von gefährlichen Gegenständen aller Arten zur Abwehr gefährlicher Angriffe, oder auch zur Beweissicherung dienen.)

Jedes angerufene Gericht – ordentliches oder Verwaltungsgericht – darf aber die Amtshandlung nur im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, weshalb eines der beiden sachlich in Betracht kommenden Gerichte allein uU nicht einmal zu einer abschließenden Beurteilung der (doppelfunktionalen) Amtshandlung gelangen kann.

3.1.3. Von besonderer Bedeutung ist aber, dass diese Zuständigkeitsverteilung für den Rechtsschutzsuchenden nicht nur aus rechtlichen, sondern darüber hinaus aus faktischen Gründen kaum nachvollziehbar und zum Teil auch nicht vorhersehbar ist. Wenn Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei (§5 Abs 2 Z 1 SPG) in subjektive Rechte eingreifen, so kann die Rechtmäßigkeitsüberprüfung – von außen vorerst ununterscheidbar – in die Zuständigkeit der ordentlichen oder in die der Verwaltungsgerichte fallen. Auf welche Rechtsgrundlage sich die einschreitenden Organe stützen, ist für den Betroffenen idR nicht erkennbar. Ein Betroffener kann die gegen ihn gerichtete Polizeiaktion uU gar nicht zuordnen, ohne aufwendige Recherchen anzustellen.

Der Verfassungsgerichtshof nimmt (so Mayer, B VG 4 , Anm. II.2. zu Art 83 mit Judikaturnachweisen) in stRsp an, dass Art 83 Abs 2 B VG auch den Gesetzgeber bindet; der Gesetzgeber muss die Behördenzuständigkeit nach objektiven Kriterien, exakt, klar und eindeutig festlegen. Die Judikatur spricht davon, dass die Regelung der Behördenzuständigkeit präzise zu sein hat und 'strengen Prüfungsmaßstäben' standhalten muss. Die Zuständigkeit darf nicht von Umständen abhängen, die vom Rechtsunterworfenen nicht vorhersehbar sind und eine willkürliche Änderung der Zuständigkeit ermöglichen.

Bedenken im Hinblick auf Art 83 Abs 2 B VG ergeben sich – wie am Anlassfall deutlich ersichtlich – dann, wenn eine AuvBZ sicherheits- und kriminalpolizeiliche Züge aufweist, oder wenn die Zuordnung einer AuvBZ zur Sicherheitspolizei oder zur Kriminalpolizei für den Rechtsschutzsuchenden von vornherein nicht feststellbar ist. Der Rechtsschutzsuchende wählt dann auf eigenes Risiko – wie der Bf im Anlassfall – zwischen den Rechtsmitteln des Einspruchs beim ordentlichen, und der Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Stellt sich etwa erst im Beweisverfahren heraus, dass seine Einschätzung falsch war, so ist die Frist für die Erhebung des gesetzlich tatsächlich vorgegebenen Rechtsmittels regelmäßig abgelaufen. Der Betroffene ist somit gezwungen, alle beiden Rechtsmittel zu ergreifen, will er sich nicht dem Risiko des Rechtsschutzverlusts aussetzen.

Im vorliegenden Anlassfall war beim ersten Hinweis auf den kriminalpolizeilichen Charakter der Amtshandlung, in der Verhandlung vom , die Einspruchsfrist des § 106 Abs 3 StPO schon längst verstrichen.

3.1.4. Ebenso bedenklich ist der Umstand, dass es ein Zeuge – noch dazu typischer[w]eise ein Organwalter der belangten Behörde – durch seine Aussage in der Hand hätte, die Zuständigkeit des einen oder des anderen Gerichts zu bewirken, und damit die eigentlich von Verfassungs wegen für den Rechtsschutzsuchenden geforderte klare und eindeutige Zuständigkeit des Rechtsschutzgerichts willkürlich zu ändern. Hätte der Zeuge im Anlassfall angegeben, die beschwerdegegenständliche 'Eskortierung' sei im Interesse der Entscheidung über das Betretungsverbot erfolgt, so wäre das antragstellende Gericht zuständig gewesen (dass die Amtshandlung – sofern sie als AuvBZ zu beurteilen ist – diesfalls rechtswidrig wäre, ist für die Frage der Zuständigkeit irrelevant). Hingegen legt die tatsächlich getätigte Zeugenaussage eine kriminalpolizeiliche AuvBZ nahe, und damit die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Freilich unterliegt diese Aussage zunächst noch der richterlichen Beweiswürdigung, bevor die Zuständigkeitsfrage beantwortet werden kann; dadurch wird jedoch die Bedenklichkeit des Umstandes, dass eine Zeugenaussage je nach ihrem Inhalt die (Un-)Zuständigkeit eines Gerichts nach sich ziehen könnte, nicht relativiert.

3.1.5. Auch die häufig vorkommende Verzahnung sicherheits- und kriminalpolizeilicher AuvBZ wirft ähnliche Probleme auf: Reagiert ein von einer Identitätsfeststellung gemäß § 35 SPG Betroffener auf die Aufforderung tätlich, und wird er daraufhin festgenommen sowie im Zuge der Festnahme einer Identitätsfeststellung unterzogen, so folgt auf eine begonnene sicherheitspolizeiliche AuvBZ eine kriminalpolizeiliche, und auf diese folgt als 'Modalität' der kriminalpolizeilichen Festnahme – aber wohl zugleich als Fortführung der ursprünglich begonnenen sicherheitspolizeilichen AuvBZ– die (neuerliche und diesmal vollendete) Identitätsfeststellung.

3.1.6. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die erwähnten Unklarheiten und Zuständigkeitsprobleme nicht ausschließlich zwischen Kriminalpolizei und Sicherheitspolizei, sondern – obzwar weniger häufig – auch zwischen Kriminalpolizei und anderen Verwaltungsmaterien auftreten. So ist derzeit beim Verwaltungsgericht Wien (GZ: VGW-102/069/25096/2014) eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Abnahme einer Kennzeichentafel anhängig, welche sowohl kraftfahrrechtlich (nämlich wegen der Annahme, dass das KFZ nicht versichert sei) als auch kriminalpolizeilich (kriminaltechnische Untersuchung wegen Verdachts auf Urkundenfälschung) indiziert sein könnte. Der Fall wäre nur dann im gesetzlichen Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte abschließend zu erledigen, wenn sich herausstellen sollte (!), dass die Annahme der Nichtversicherung vertretbar, und die Abnahme schon deshalb rechtens war (für die Rechtfertigung der Amtshandlung genügt ja einer der beiden Gründe). Im umgekehrten Falle könnte die Amtshandlung hingegen nicht für rechtswidrig erklärt werden; schließlich wäre ja auch eine Rechtfertigung aus kriminalpolizeilicher Sicht denkbar. Diese wäre aber von dem in Strafsachen zuständigen Gericht zu prüfen (gewesen); da ein Einspruch gemäß § 106 StPO wegen Fristablaufs aber nicht mehr erhoben werden kann, wäre eine abschließende Beurteilung der AuvBZ nicht möglich. Das Verwaltungsgericht müsste also definitiv offen lassen, ob die Amtshandlung rechtswidrig war oder nicht (und sich etwa auf die Feststellung beschränken, dass sie jedenfalls kraftfahrrechtlich nicht zu rechtfertigen ist).

Auch ein Aufwandersatz könnte nicht zugesprochen werden, zumal 'die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt' iSd § 35 Abs 2 VwGVG zwar ggf. nach den geprüften Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen wäre, aber mangels Zuständigkeit für die – ebenfalls in Betracht kommenden – kriminalpolizeilichen Aspekte eben nicht für rechtswidrig erklärt werden kann, und kein Fall des § 35 Abs 3 VwGVG vorliegt.

3.1.7. Im Übrigen ist die vom Gesetzgeber der Strafprozessreform intendierte Aufhebung der Doppelgleisigkeit der Untersuchung ein und desselben Beschwerdegegenstandes durch mehrere Gerichte oder Behörden nicht einmal bei unzweifelhaft kriminalpolizeilichen Amtshandlungen erreicht worden, zumal auch in diesem Fall Richtlinienbeschwerden gemäß § 89 SPG bei den Verwaltungsgerichten eingebracht werden können und von diesen zu entscheiden sind.

3.1.8. Dazu kommt weiters der eingeschränkte, lediglich auf 'dieses Gesetz' gerichtete Prüfmaßstab der StPO, der dazu führt, dass etwa ein Waffengebrauch entgegen der Intention der Strafprozessreform (vgl. dazu die oben in Punkt 3.1.1. angeführten Materialien) selbst bei kriminalpolizeilichem Einschreiten nicht im gerichtlichen Einspruchsverfahren überprüft werden kann, sondern wiederum nur im Beschwerdeverfahren vor einem Verwaltungsgericht, sodass sogar innerhalb ein und derselben Funktionalität eine Zuständigkeitszersplitterung gesetzlich vorgegeben ist.

3.1.9. Der Wortlaut des § 106 Abs 1 Z 2 StPO erfasst eindeutig jede Person, die in einem subjektiven Recht verletzt zu sein behauptet, weil eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde, also auch am Strafverfahren völlig unbeteiligte Personen (wie zB den Beschwerdeführer des Anlassfalles zu VfSlg 19.281/2010, welcher aufgrund seiner Hautfarbe und des gewählten Verkehrsmittels Opfer einer Verwechslung mit der einer Straftat verdächtigten Person geworden war, oder den Mitbewohner einer durchsuchten Wohnung).

Gegenüber letzteren tritt die oben in Punkt 3.1.3. dargelegte Problematik – Nichtnachvollziehbarkeit der Zuständigkeitsverteilung – in besonderer Schärfe hervor: Solchen Betroffenen fehlt für eine Zuordnung vorerst einmal jeglicher Anknüpfungspunkt; sie sind damit auf Auskünfte der einschreitenden Organe, der Bundespolizeibehörden oder der Staatsanwaltschaft angewiesen. Konnte der Betroffene aufgrund der Rechtslage vor dem sowie zwischen dem und dem auch ohne genauere Zuordnung der eingeschrittenen Exekutivorgane zu einer bestimmten Behörde jedenfalls vor den UVS der Länder Beschwerde erheben, wenn ihm die Kenntnis nicht zuzumuten war, so hat er nach geltendem Recht nun sogar – auf eigenes Rechtsschutzrisiko – eine funktionelle Zuordnung der Amtshandlung vorzunehmen, um den nunmehr zulässigen Rechtsbehelf eruieren zu können. Ob die gegen ihn gerichteten Zwangsmaßnahmen kriminalpolizeilich oder sicherheitspolizeilich (allenfalls auch: doppelfunktional) motiviert sind, mag selbst für in ein Strafverfahren verwickelte oder bei einer gerichtlich strafbaren Handlung betretene Personen nicht immer gleich feststellbar sein; für einen Zufallsbetroffenen ist es im Regelfall unmöglich.

Dazu kommt weiter, dass sich ein irrtümlich beamtshandelter, weder beschuldigter noch sonst verdächtiger Betroffener nach seiner erfolgreichen Recherche über den Hintergrund der gegen ihn gerichteten Aktion, welche eine kriminalpolizeiliche Maßnahme ergibt, vor Erhebung eines Einspruchs auch Kenntnis über das bezughabende Strafverfahren (gegen den tatsächlich Verdächtigen bzw Beschuldigten) und Einblick in den Akt – der ihn im Übrigen in keiner Weise betrifft – verschaffen müsste (worauf er nicht einmal einen durchsetzbaren Rechtsanspruch hat). Anderenfalls wüsste er nicht einmal, bei welchem Gericht der Einspruch zu erheben ist.

Auch diese faktischen Hindernisse, welche einer einfachen Feststellung der Zuständigkeit ohne Inanspruchnahme von Auskunftsrechten entgegenstehen und zur rechtlich unklaren Abgrenzung hinzukommen, sind geeignet, gegen § 106 Abs 1 StPO Bedenken im Hinblick auf Art 83 Abs 2 B VG zu begründen.

Außerdem erscheinen sie dem antragstellenden Gericht mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art 13 EMRK nicht vereinbar. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits aus dem der österreichischen Bundesverfassung zu Grunde liegenden rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitet, dass Rechtsschutzeinrichtungen ein Mindestmaß an faktischer Effizienz aufweisen müssen. Dieses Mindestmaß scheint dem Verwaltungsgericht Wien alleine schon durch die erwähnten Hindernisse unterschritten zu werden."

1.4.2. Unter "hilfsweiser Heranziehung der Art 47 GRC und 6 EMRK sowie des Sachlichkeitsgebots (Art2 StGG bzw. Art 7 B VG)" bringt das Verwaltungsgericht Wien vor:

"3.2.1. § 107 StPO, welcher das Verfahren über einen Einspruch gemäß § 106 Abs 1 regelt, sieht in seinem Abs 2 zwingend die Nichtöffentlichkeit mündlicher Verhandlungen vor; stattdessen ist lediglich die Parteiöffentlichkeit vorgesehen. Dagegen lautet Art 47 Abs 2 erster Satz der Europäischen Grundrechtecharta: 'Jede Person hat das Recht, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.' Der Rsp. des Verfassungsgerichtshofes zufolge handelt es sich dabei um ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht (vgl. VfSlg 19.632/2012).

Inhaltlich entspricht diese Bestimmung dem Art 6 Abs 1 EMRK, jedoch ohne dessen Einschränkung auf zivil- und strafrechtliche Angelegenheiten. Sie gilt vielmehr für alle Arten von Rechtsstreitigkeiten. Die auf Grundlage der EMRK entwickelten Verfahrensgrundsätze sind daher nach Art 47 Abs 2 GRC auch auf verwaltungsrechtliche Verfahren anzuwenden (so N. Raschauer/Sander/Schlögl in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC-Kommentar [2014], Art 47 Rz 39, 58). Beim Verfahren über AuvBZ handelt es sich in jedem Falle um ein administrativrechtliches Verfahren, unabhängig davon, dass die Zuständigkeit kraft der verfassungsgesetzlichen Ermächtigung des Art 94 Abs 2 B VG durch einfaches Bundesgesetz auf die ordentlichen Gerichte übertragen werden kann.

Die angefochtene Gesetzesbestimmung, mit der die Zuständigkeit der Strafgerichte – mit der Verdrängung der allgemeinen Zuständigkeitsregelung des Art 130 Abs 1 Z 2 B VG als Konsequenz – ausgeführt wird, zieht jedoch nicht ein gleichwertiges, mit allen von Verfassungs wegen vorgesehenen Rechten ausgestattetes Verfahren nach sich, zumal eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten nach dem VwGVG die Regel, vor den Strafgerichten aber ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Auch unter diesem Gesichtspunkt bestehen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 106 Abs 1 StPO. Alternativ wären Zweifel anzumelden, ob sich das Einspruchsverfahren gemäß §§106 f. StPO unter diesen – ungleichen – Voraussetzungen überhaupt zu Recht auf die verfassungsgesetzliche Ermächtigung des Art 94 Abs 2 B VG stützen kann, und ob dadurch überhaupt eine Verdrängung des (an sich subsidiären) Maßnahmenbeschwerdeverfahrens gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG stattfindet. Solche Zweifel sind geeignet, die unter Punkt 3.1. angeführten Unwägbarkeiten in der Frage des gesetzlichen Richters (Art83 Abs 2 B VG) noch zu verstärken.

3.2.2. Darüber hinaus zeigt ein Vergleich beider Verfahren eine unsachliche Differenzierung, macht es doch für den Betroffenen keinen Unterschied, ob die Verletzung seiner Rechte mit kriminal- oder sicherheitspolizeilicher Motivation erfolgt. Während seine Sache im einen Fall öffentlich zu verhandeln ist, und er gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung noch den Verfassungs- und den Verwaltungsgerichtshof anrufen kann, endet der Rechtszug im anderen Fall – ohne öffentliche Verhandlung – bei einem der vier Oberlandesgerichte. Dies ist umso gravierender, als die geltend gemachten Rechtsverletzungen in aller Regel Grund- und Menschenrechte des Einschreiters betreffen.

Mag diese Ungleichbehandlung für einen Beschuldigten im Strafverfahren allenfalls noch damit argumentierbar sein, dass die Maßnahme im größeren Zusammenhang dieses Verfahrens (ggf. mit Hauptverhandlung und Urteilsverkündung) zu sehen sei, so versagt dieses Argument bei dem – bereits oben in Punkt 3.1.8 ausführlich behandelten Zufallsbetroffenen.

Das antragstellende Gericht geht daher davon aus, dass der Gleichheitssatz verletzt wird, wenn der gleiche AuvBZ je nach Funktionalität der Amtshandlung unter öffentlicher Anhörung von Zeugen verhandelt wird oder falls überhaupt – nur mit Polizei, Staatsanwalt und Betroffenem. Insbesondere bei Amtshandlungen gegen Unbeteiligte (wie bei der Festnahme im Anlassfall zu VfSlg 19.281/2010), ist es nicht zu rechtfertigen, dass ein polizeiliches Einschreiten verminderten Rechtsschutz nach sich zieht, wenn es im Dienste der Strafjustiz erfolgt."

Auch hieraus sei die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung entweder unmittelbar abzuleiten (sowie jene des – allerdings nicht präjudiziellen – § 107 StPO) oder deshalb, weil die unsachliche Differenzierung (bei verfassungskonformer Interpretation) Zweifel an der Verdrängung der allgemeinen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, über Maßnahmenbeschwerden zu erkennen, begründet, wodurch sich die gegen die Klarheit und Eindeutigkeit der Zuständigkeitsregelung iSd Art 83 Abs 2 B VG vorgebrachten Bedenken verstärken würden.

2. Die Bundesregierung erstattete im Verfahren zu G233/2014 eine Äußerung, auf die sie im Verfahren zu G5/2015 verwies. Auf das Wesentlichste zusammengefasst geht die Bundesregierung davon aus, dass die Festlegung der Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über einen Einspruch wegen Rechtsverletzung für sich genommen und auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu den Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde den Anforderungen des Art 83 Abs 2 B VG an eine klare und eindeutige Festlegung von Zuständigkeiten entspreche und damit auch die behauptete Verletzung des Art 13 EMRK ins Leere gehe.

Sie begründet dies folgendermaßen:

"[...] Die jeweilige Zuständigkeit ergibt sich [...] eindeutig nach der Rechtsgrundlage, auf Grund derer die betreffende Verfahrenshandlung gesetzt wird.

1.3.1. Dabei ist von Bedeutung, dass das Strafprozessrecht als das Recht der Aufklärung und Aburteilung von Straftaten, und das Sicherheitspolizeirecht als das Recht der Verhinderung künftiger Taten und der Abwehr drohender Schäden verstanden wird. In diesem Sinne sieht § 22 Abs 3 SPG vor, dass die Sicherheitsbehörden nach einem gefährlichen Angriff – unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozeßordnung 1975 – die maßgeblichen Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären haben, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald aber ein bestimmter Mensch (unabhängig davon, ob die Person den Behörden namentlich bekannt ist, vgl. § 1 Abs 2 StPO) der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975.

1.3.2.Wird daher die Kriminalpolizei auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft (allenfalls des Gerichtes) tätig, so steht der betroffenen Person, wenn sie behauptet, in ihren subjektiven Rechten verletzt worden zu sein, ausschließlich ein Einspruch gemäß § 106 StPO an die ordentlichen Gerichte zu. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.281/2010 zum insoweit gleichlautenden § 106 Abs 1 StPO in der Fassung des Strafprozessreformgesetzes ausgeführt hat, eröffnet diese Bestimmung

'in Bezug auf polizeiliches Handeln bei (behaupteter) Verletzung der Bestimmungen der StPO den Rechtszug an das Gericht; im Dienste der Strafjustiz (also zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat) durchgeführte Akte der Kriminalpolizei sind demnach von Anfang an - ab der ersten Ermittlung gegen eine bekannte oder unbekannte Person bzw. mit der Ausübung von Zwang gegen eine verdächtige Person bei Gefahr im Verzug mithin auch schon vor einer allfälligen Anordnung der Staatsanwaltschaft bzw. Bewilligung des Gerichts – nach § 106 Abs 1 StPO im Wege der Staatsanwaltschaft (vor dem Hintergrund ihrer potentiellen Leitungsbefugnis – § 101 StPO) mittels Einspruchs gerichtlich überprüfbar.' (vgl. Pkt. 2.4. dieses Erkenntnisses).

Gemäß § 106 Abs 1 StPO sind demnach nicht nur ohne bzw. vor einer allfälligen Anordnung der Staatsanwaltschaft bzw. Bewilligung des Gerichtes von der Kriminalpolizei gesetzte Akte im Dienste der Strafjustiz bekämpfbar (vgl. auch RV 2402 BlgNR XXIV. GP 2), sondern auch kriminalpolizeiliches Handeln ohne oder in Überschreitung einer staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Anordnung (vgl. wiederum VfSlg 19.281/2010, Pkt. 2.5.1.). Ist in solchen Fällen aber eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben, scheidet insoweit eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde aus. Die Bundesregierung geht nämlich davon aus, dass es sich bei der Maßnahmenbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG – ebenso wie bei der vergleichbaren Beschwerde an die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B VG in der Fassung vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (vgl. VfSlg 19.281/2010) – um einen bloß subsidiären Rechtsbehelf handelt.

Ausschlaggebend für die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten ist somit ausschließlich die in Anspruch genommene Rechtsgrundlage polizeilichen Handelns. Im Unterschied zur Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz kommt es für die Zuständigkeitsabgrenzung auf die Rechtsnatur der bekämpften Amtshandlung als Gerichtsakt oder Verwaltungsakt nicht mehr an.

Selbst wenn 'doppelfunktionale' Ermittlungshandlungen vorliegen (dh. solche, die sich auf die Strafprozeßordnung 1975 und auf eine sicherheitspolizeiliche Rechtsgrundlagen stützen könnten), ist das ordentliche Gericht ausschließlich zur Prüfung der Einhaltung der für das Strafverfahren geltenden Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 zuständig, nicht jedoch für die Prüfung der Einhaltung der Bedingungen und Förmlichkeiten des Sicherheitspolizeigesetzes (wie etwa der gemäß § 31 SPG erlassenen Richtlinien für das Einschreiten; vgl. RV 25 BlgNR XXII. GP, 142 [dieses Zitat bezieht sich ersichtlich auf die auf der website des Parlaments abrufbare pdf-Version der Regierungsvorlage; in der in den Beilagen zu den Stenographischen Protokollen wiedergegebenen gedruckten Ausgabe der RV Seite 92]). Sollten dennoch Unklarheiten der Zuordnung bestehen, so ist der Ansicht von Funk/Öhlinger beizutreten, die im Hinblick auf den Verfahrenszweck im Zweifel eine ausschließliche Zurechnung von Maßnahmen im Rahmen 'doppelfunktionaler' Ermittlungen zum strafprozessualen Ermittlungsverfahren sehen ( Funk/Öhlinger , Strafprozessreform und Verfassungsrecht, [2002] 72 ff [80 f]). Diese Ansicht steht auch mit dem Charakter des Ermittlungsverfahrens, das durch das Strafprozessreformgesetz als einheitliches justizielles Verfahren konzipiert wurde, im Einklang.

1.3.3. Auch vor dem Strafprozessreformgesetz bestand nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gegen polizeiliche Handlungen im Dienste der Strafjustiz kein einheitlicher Rechtszug. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Rechtslage im Erkenntnis VfSlg 19.281/2010 wie folgt zusammengefasst (vgl. auch die Darstellung der Rechtslage bei Helm , Die Maßnahmenbeschwerde – materieller Teil, in: Eisenberger/Ennöckl/Helm , Die Maßnahmenbeschwerde [2006] 214 ff):

'[...] Gegen polizeiliche Maßnahmen im Rahmen des strafprozessualen Vorverfahrens war vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 19/2004, mit kein einheitliches Rechtsmittel vorgesehen: Handlungen des Untersuchungsrichters (im Rahmen von Vorerhebungen bzw. der Voruntersuchung) waren gemäß § 113 StPO aF bei der Ratskammer bekämpfbar, 'aus eigener Macht' gesetzte polizeiliche Akte im Dienste der Strafjustiz (auf Grund der Generalermächtigung des § 24 StPO aF) hingegen – ebenso wie (eindeutiges) Überschreiten eines gerichtlichen Befehls ('Exzess' vgl. zB VfSlg 17.046/2003, 12.072/1989; ) – (seit der B VG-Novelle 1988) beim UVS, und zwar, soweit Befehls- und/oder Zwangsgewalt ausgeübt wurde, gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B VG iVm § 67a AVG, im Übrigen (seit Geltung des SPG 1991) gemäß § 88 Abs 2 SPG.

Auch schon vor Inkrafttreten der B VG-Novelle 1988, BGBl 685, (mit ) wurde nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im Ermittlungsstadium einer gerichtlichen Straftat danach unterschieden, ob einer von der Sicherheitsbehörde vorgenommenen (Zwangs-)Maßnahme eine richterliche Anordnung zugrunde lag oder nicht: Zwangsweises polizeiliches Handeln auf Grund (und in den Grenzen) eines richterlichen Befehls wurde funktionell der Gerichtsbarkeit zugerechnet, im Dienste der Strafjustiz ohne gerichtliche Anordnung vorgenommene Zwangsmaßnahmen (iSd §§24, 88 StPO aF) – ebenso wie eindeutiges Überschreiten einer gerichtlichen Ermächtigung – als faktische Amtshandlung gewertet und gemäß Art 144 Abs 1 zweiter Satz B VG idF der Novelle BGBl 302/1975 der Überprüfbarkeit durch den Verfassungsgerichtshof unterworfen (vgl. zB VfSlg 10.975/1986 mwN, 8826/1980).'

Der Verfassungsgerichtshof hat diese Rechtslage – unter dem hier verfahren[s]gegenständlichen Gesichtspunkt des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter – nie beanstandet. Gegenüber dieser Rechtslage bringt das einheitliche Rechtsschutzsystem nach dem Strafprozessreformgesetz bzw. nach dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 zusätzliche Klarheit hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten. So ist jede (tatsächliche oder rechtliche) Handlung der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft oder eines ihrer Organe, durch welche sich der Einspruchswerber unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet, gemäß § 106 StPO bei den ordentlichen Gerichten bekämpfbar. Ob eine solche Handlung ohne bzw. vor einer allfälligen Anordnung der Staatsanwaltschaft bzw. Bewilligung des Gerichtes gesetzt wurde oder ob der Ermächtigungsrahmen überschritten wurde, ist für die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte unerheblich (vgl. oben Pkt. II.1.3.2.). Ein Betroffener muss daher insbesondere nicht mehr beurteilen, ob eine (staatsanwaltliche oder gerichtliche) Ermächtigung überschritten wurde."

Entgegen den Behauptungen des antragstellenden Verwaltungsgerichtes sei die jeweils in Anspruch genommene Rechtsgrundlage eines polizeilichen Handelns für den Betroffenen auch feststellbar:

"Jede von der Ausübung von Zwangsmaßnahmen nach der Strafprozeßordnung 1975 betroffene Person hat das Recht auf Information über Anlass und Zweck der sie betreffenden Verfahrenshandlung sowie über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren (§6 Abs 2 und § 171 Abs 3 StPO; vgl. auch § 121 Abs 1 und § 122 Abs 3 StPO). Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Kriminalpolizei zu gewährleisten. Schreiten die Sicherheitsbehörden bzw. die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von sich aus ein (sei es auf Grundlage der Strafprozeßordung 1975 oder nach dem Sicherheitspolizeigesetz), so müssen sie Anlass und Grund des Einschreitens entsprechend dokumentieren (§100 Abs 1 StPO bzw. § 10 Richtlinien-Verordnung – RLV, BGBl Nr 266/1993). Ebenso ist bei der Ausübung von Befugnissen im Rahmen der Sicherheitsverwaltung der Betroffene auf sein Verlangen von Anlass und Zweck des Einschreitens sowie über seine Rechte zu informieren (vgl. § 30 Abs 1 SPG und § 6 Abs 1 RLV).

Die von einer Verfahrenshandlung Betroffenen haben daher einen gesetzlich gewährleisteten Anspruch auf Information und Rechtsbelehrung. Es muss diesen erkennbar gemacht werden, auf Grund welcher Bestimmungen das Einschreiten erfolgte und welche Rechte ihnen im Verfahren zukommen. Dies gilt etwa auch für eine Vorführung gemäß § 153 Abs 3 StPO, wie sie dem Anlassfall zu Grunde liegt.

Für den Betroffenen ist daher erkennbar bzw. in zumutbarer Weise eruierbar, ob er Rechtsschutz gegen polizeiliches Handeln durch einen Einspruch an die ordentlichen Gerichte oder durch eine Maßnahmenbeschwerde bei den Verwaltungsgerichten suchen kann."

Zum Vorbringen des Verwaltungsgerichtes Wien, dass der Einspruch wegen Rechtsverletzung infolge der unklaren Zuständigkeitsabgrenzung nicht ein Mindestmaß an faktischer Effizienz aufweise und daher gegen Art 13 EMRK verstoße, weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über einen Einspruch wegen Rechtsverletzung – wie zuvor sub titulo Art 83 Abs 2 B VG dargetan – klar und eindeutig festgelegt sei. Dieses Bedenken gehe daher von vornherein ins Leere. Ergänzend weist die Bundesregierung auf Folgendes hin:

"Ein Einspruch gemäß § 106 StPO hat lediglich die Antragslegitimation, das inkriminierte polizeiliche Handeln (zB die Anordnung einer Sicherstellung durch die Staatsanwaltschaft oder die Durchführung dieser durch die Kriminalpolizei) sowie die Rechtsverletzung zumindest schlüssig zu behaupten; ein konkretes Anführen allenfalls missachteter Gesetzesstellen wird im Regelfall nicht verlangt ( Pilnacek/Koenig , WK-StPO § 106 Rz. 24).

Das mit einem Einspruch nach § 106 StPO angerufene Gericht hat die Befugnis, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfahrenshandlung bzw. eine Ermessensübung im Sinne des Gesetzes umfassend zu prüfen. Wird einem Einspruch nach § 106 StPO vom Gericht stattgegeben, haben Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§107 Abs 4 StPO)."

Zu den Bedenken im Hinblick auf Art 47 GRC, Art 6 EMRK sowie den Gleichheitsgrundsatz (Art2 StGG bzw. Art 7 B VG) führt die Bundesregierung aus:

"3.1. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien sieht die angefochtene Bestimmung nicht ein – dem Verfahren vor den Verwaltungsgerichten – gleichwertiges, mit allen von der Verfassung geforderten Rechten ausgestattetes Verfahren vor, da eine öffentliche mündliche Verhandlung im Maßnahmenbeschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten die Regel, im gerichtlichen Einspruchsverfahren aber ausgeschlossen sei.

3.1.1. Das Verwaltungsgericht Wien spezifiziert nicht, im Hinblick auf welche verfassungsgesetzlichen Bestimmungen diese Bedenken bestehen. Der Vollständigkeit halber weist die Bundesregierung jedoch darauf hin, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gemäß ihrem Art 51 Abs 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung, dh. im Anwendungsbereich des Unionsrechts gilt (VfSlg 19.492/2011), der hier allerdings nicht eröffnet ist.

Überdies richten sich diese Bedenken des Verwaltungsgerichts Wien nicht gegen den angefochtenen § 106 Abs 1 StPO, sondern gegen bestimmte Modalitäten des Einspruchsverfahrens, die in § 107 Abs 2 StPO geregelt sind. Diese Bestimmung wurde vom Verwaltungsgericht Wien jedoch nicht angefochten. Sie wäre – wie das Verwaltungsgericht Wien selbst einräumt (S 13 des Antrages) – im Anlassverfahren auch nicht präjudiziell."

Ungeachtet dessen weist die Bundesregierung auf Folgendes hin:

"Nach § 107 Abs 2 StPO kann das Gericht von Amts wegen eine nicht öffentliche, mündliche Verhandlung anberaumen, sofern sich die Umstände der behaupteten Rechtsverletzung nur durch unmittelbare Beweisaufnahme klären lassen. Das Gericht hat dabei dem Einspruchswerber, der Staatsanwaltschaft und, sofern sich der Einspruch gegen sie richtet, der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Teilnahme und Stellungnahme zu geben. Es besteht somit die Möglichkeit, Beweis in einer mündlichen Verhandlung aufzunehmen, einen unmittelbaren Eindruck von dieser Beweisaufnahme zu gewinnen und aufgrund eines kontradiktorischen Vorbringens der Beteiligten über die mögliche Verletzung von subjektiven Rechten abzusprechen. Dadurch ist sichergestellt, dass das gerichtliche Einspruchsverfahren gegenüber dem Maßnahmenbeschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf Art 6 Abs 1 EMRK keine geringeren Rechtschutzgarantien aufweist (vgl. auch RV 25 BlgNR XXII. GP, 145 [= 94 der gedruckten Ausgabe der Stenographischen Protokolle]).

Im gerichtlichen Einspruchsverfahren besteht zudem ein zweigliedriger Instanzenzug, sodass auch insoweit im Vergleich zum Maßnahmenbeschwerdeverfahren kein Rechtsschutzdefizit erkennbar ist. Zwar kann das Oberlandesgericht die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (§107 Abs 3 StPO). Die Oberlandesgerichte erarbeiten jedoch durch eine intensive Rechtsprechungstätigkeit wertvolle Richtlinien für die Erstgerichte. Daneben ermöglicht die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§23 StPO) umfassenden Rechtschutz. Denn selbst wenn ein Oberlandesgericht die Behandlung einer Beschwerde aus dem Grunde des § 107 Abs 3 StPO (gesetzeskonform) ablehnen sollte, kann der Einspruchswerber an die Generalprokuratur zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des bekämpften Gerichtsbeschlusses im Ermittlungsverfahren herantreten. Dies ist auch dann möglich, wenn eine Beschwerde gegen die Einspruchsentscheidung nicht erhoben wurde.

[...]

Auch nach Ausschöpfung des durch § 107 Abs 3 erster Satz StPO eröffneten Instanzenzuges kann der Betroffene gerichtlich geltend machen, dass die Anerkennung und ein allfälliger Ausgleich einer der Kriminalpolizei zuzurechnenden Grundrechtsverletzung unterblieben seien. Dafür steht ihm, wenn eine Verletzung des Art 5 EMRK behauptet wird, die Grundrechtsbeschwerde (§1 Abs 1 des Grundrechtsbeschwerde-Gesetzes), im Übrigen der Erneuerungsantrag offen, der auch ohne vorherige Anrufung des EGMR gestellt werden kann (). [...]"

3.1.3. Die Bundesregierung geht daher zusammenfassend davon aus, dass der Einspruch wegen Rechtsverletzung an die ordentlichen Gerichte im Vergleich zur Maßnahmenbeschwerde bei den Verwaltungsgerichten einen zumindest gleichwertigen Rechtsschutz gewährleistet.

3.2. Im Hinblick auf die 'ungleichen Voraussetzungen' – womit offenbar die Unterschiede im Verfahren des Einspruchs wegen Rechtsverletzung und des Maßnahmenbeschwerdeverfahrens gemeint sind – bezweifelt das Verwaltungsgericht Wien 'alternativ', dass sich § 106 Abs 1 StPO 'zu Recht' auf Art 94 Abs 2 B VG stützen könne.

3.2.1. Gemäß Art 94 Abs 2 B VG kann durch Bundes- oder Landesgesetz in einzelnen Angelegenheiten anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorgesehen werden.

Es ist nicht erkennbar, warum § 106 Abs 1 StPO gegen Art 94 Abs 2 B VG verstoßen sollte. Diese Bestimmung ermöglicht es der einfachen Gesetzgebung, anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht einen Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorzusehen, wobei sich diese Ermächtigung auf alle denkbaren Beschwerdegegenstände des Art 130 Abs 1 und 2 B VG bezieht ( Faber , Verwaltungsgerichtsbarkeit [2013], Art 94 Abs 2 B VG, Rz 9). Art 94 Abs 2 B VG enthält hingegen keine Vorgaben für das Verfahrensrecht der ordentlichen Gerichte in solchen Angelegenheiten. Im Übrigen ergibt sich aus den oben (Pkt. I.3.4.) wiedergegebenen Gesetzesmaterialien, dass durch Art 94 Abs 2 B VG gerade eine verfassungsgesetzliche Grundlage für den Einspruch wegen Rechtsverletzung durch kriminalpolizeiliches Handeln, insoweit es als Verwaltungshandeln zu qualifizieren ist, geschaffen werden sollte (RV 1618 BlgNR XXIV. GP 11; Faber , aaO, Art 94 Abs 2 B VG, Rz 1).

3.2.2. Die Bundesregierung gibt zudem bekannt, dass das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 mit Zustimmung der Länder kundgemacht wurde (vgl. Art 94 Abs 2 zweiter Satz B VG).

3.3. Schließlich behauptet das Verwaltungsgericht Wien eine Verletzung des Gleichheitssatzes wegen der unterschiedlichen Rechtslage in Bezug auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die unterschiedlichen Rechtszüge.

Zur Rechtslage in Bezug auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren gemäß § 106 Abs 1 StPO und den Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Gerichtes siehe oben Pkt. II.3.1.2. Vor diesem Hintergrund erscheint das Bedenken unbegründet.

Im Übrigen weist die Bundesregierung darauf hin, dass es der Gesetzgebung nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich freisteht, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssystem zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen (zuletzt etwa VfSlg 19.831/2013 mwN). Ein Vergleich der beiden Verfahrenssysteme – hier das Verfahren bei einem Einspruch wegen Rechtsverletzung, dort das Maßnahmenbeschwerdeverfahren – scheidet daher von vornherein aus."

Die Landespolizeidirektion Wien als vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde verzichtete auf die Erstattung einer Äußerung. Auch die Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht Wien haben von der ihnen gebotenen Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B VG bzw. des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der beiden Anträge sprechen könnte (vgl. auch VfSlg 19.281/2010); auch die Bundesregierung bestreitet das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen nicht.

Was den Anfechtungs- bzw. allfälligen Aufhebungsumfang anbelangt, so bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seiner in VfSlg 19.281/2010 vorgenommenen Einschätzung, dass angesichts der Anlassfälle, in denen es nach dem Antragsvorbringen – heute wie seinerzeit – lediglich um ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft und/oder Bewilligung des Gerichtes seitens der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zumindest auch im Dienste der Strafjustiz durchgeführte Zwangsmaßnahmen geht, der geringstmögliche Eingriff in der Aufhebung der Worte "Kriminalpolizei oder" bestünde. Damit ist der jeweilige Hauptantrag zulässig.

2. In der Sache

Die Anträge, die Wortfolge "Kriminalpolizei oder" in § 106 Abs 1 erster (Halb-)Satz StPO idF BGBl I 195/2013 als verfassungswidrig aufzuheben, sind auch in der Sache berechtigt:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Das Verwaltungsgericht Wien behauptet im Kern, dass im Falle polizeilicher Befehle oder Zwangsmaßnahmen die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Einspruch wegen Rechtsverletzung an die ordentlichen Gerichte gemäß § 106 Abs 1 StPO einerseits und der Maßnahmenbeschwerde an die Verwaltungsgerichte gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG andererseits vor allem bei Vorliegen sogenannter "doppelfunktionaler" Akte unklar sei; darin wird ein Verstoß gegen das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B VG, aber auch gegen Art 13 EMRK erblickt, weil die Beschwerde bzw. der Einspruch zufolge der aufgezeigten Hindernisse nicht mehr ein Mindestmaß an faktischer Effizienz aufwiesen.

2.3. Gemäß Art 83 Abs 2 B VG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Diese Verfassungsnorm bindet nicht nur die Vollziehung, sondern auch die Gesetzgebung. Das bedeutet, wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, dass die sachliche Zuständigkeit einer Behörde im Gesetz selbst festgelegt sein muss (VfSlg 2909/1955, 3156/1957, 6675/1972). Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B VG verpflichtet den Gesetzgeber zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (vgl. zB VfSlg 9937/1984, 10.311/1984, 12.788/1991, 13.029/1992, 13.816/1994, 14.843/1997, 15.094/1998, 15.106/1998, 16.794/2003; zuletzt ua.).

Nach der bis zum Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 19/2004, am bzw. zwischen dem (Inkrafttreten der Kundmachung der Aufhebung der Wortfolge "oder Kriminalpolizei" in § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 19/2004 durch den Verfassungsgerichtshof im BGBl I 1/2011) bis zur Neufassung des § 106 StPO durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013, BGBl I 195, mit Wirksamkeit geltenden Rechtslage war die zur Überprüfung eines verwaltungsbehördlichen Zwangs- und Befehlsaktes zuständige Rechtsschutzinstanz für den Betroffenen insoweit eindeutig erkennbar, als grundsätzlich die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zur Entscheidung berufen waren. Nur dann, wenn die Sicherheitsorgane auf Grund eines richterlichen Befehls oder (ab 2008) auf Grund einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung tätig wurden und sich das Verhalten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Rahmen der richterlichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermächtigung bewegte, lag ein funktionell der Gerichtsbarkeit zuzurechnender Akt vor, der bei den ordentlichen Gerichten zu bekämpfen war.

Seit Inkrafttreten des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013 und der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, mit besteht für die von einer Maßnahme des (ordentlichen) Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei Betroffenen gemäß § 106 Abs 1 StPO (wieder – wie zwischen 2008 und Anfang 2011) die Möglichkeit der Erhebung eines (nunmehr gemäß § 106 Abs 3 leg.cit. binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht einzubringenden) Einspruchs, den der Staatsanwalt zu prüfen und diesem allenfalls binnen vier Wochen zu entsprechen (§106 Abs 5) oder über den (nach den in § 107 leg.cit. genannten Voraussetzungen) das (ordentliche) Gericht zu entscheiden hat; die – u.a. an die Stelle der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern getretenen – Verwaltungsgerichte sind (nunmehr) gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG dazu berufen, über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu erkennen. Von deren Zuständigkeit sind jedoch u.a. Rechtssachen ausgenommen, die in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallen (Art130 Abs 5 B VG).

Der Verfassungsgerichtshof geht mit der Bundesregierung zunächst davon aus, dass es sich bei der Maßnahmenbeschwerde nach Art 130 Abs 1 Z 2 B VG – ebenso wie bei der vergleichbaren Beschwerde an die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B VG idF vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (vgl. dazu VfSlg 16.815/2003) – um einen Rechtsbehelf handelt, der nur dann zum Tragen kommt, wenn Rechtsschutz nicht durch sonstige Rechtsmittel erlangt werden kann.

Nach der neuen Rechtslage richtet sich der Rechtsschutz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen nicht mehr danach, ob eine gerichtliche Ermächtigung oder staatsanwaltschaftliche Anordnung vorliegt oder nicht, sondern nach der Rechtsgrundlage, auf Grund derer die Sicherheitsbehörde bzw. die Organe der öffentlichen Sicherheit eingeschritten sind. Eine solche, auf die herangezogene Rechtsgrundlage abstellende Zuständigkeitsabgrenzung begegnete dann keinen Bedenken, wenn es dem von der Ausübung verwaltungspolizeilicher Befehls- oder Zwangsgewalt Betroffenen objektiv möglich wäre zu erkennen, ob die Sicherheitsbehörden bzw. deren Exekutivorgane strafprozessuale oder sicherheits- bzw. verwaltungspolizeiliche Befugnisse ausüben, maW: ob sich diese in concreto – bei objektiver Betrachtungsweise – rechtens auf die StPO oder aber auf andere gesetzliche Bestimmungen stützen (bzw. – bei subjektiver Betrachtungsweise – zumindest stützen zu können glauben). Dies ist aber – wie auch die Anlassfälle zeigen – in Ermangelung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Fällen nicht sichergestellt. Diese Rechtsgrundlage ist – wie das antragstellende Verwaltungsgericht zu Recht hervorhebt – für den von einer Amtshandlung Betroffenen oftmals (insbesondere im Bereich "doppelfunktionaler" Ermittlungshandlungen) nicht oder jedenfalls nicht eindeutig erkennbar.

In derartigen Konstellationen wird eine zweifelsfreie Abgrenzung bzw. eindeutige Benennung der für die Maßnahme relevanten Rechtsgrundlage bereits vom einschreitenden Organ mit Anspruch auf Richtigkeit kaum verlangt werden können; umso weniger ist für den Betroffenen das (Er-)Kennen der angewendeten Rechtsgrundlage und damit die richtige Zuordnung der für die Bekämpfung der Maßnahme sachlich zuständigen Rechtsschutzeinrichtung klar ableitbar. Diese Unklarheit wurzelt insofern im Gesetz, als sich für den Betroffenen die Zuständigkeit der Rechtsschutzinstanz im Besonderen bei "doppelfunktionalen" Zwangsakten weder aus der StPO noch aus dem SPG (bzw. den sonst in Betracht kommenden Vorschriften) mit der notwendigen Deutlichkeit folgern lässt. Dies hat zur Konsequenz, dass der sich in seinen Rechten durch eine derartige polizeiliche Zwangsmaßnahme für beschwert Erachtete im Zweifel beide Rechtsmittel – Einspruch nach § 106 StPO und Beschwerde an das Verwaltungsgericht – ergreifen muss, um seines Rechtsschutzes nicht verlustig zu gehen; denn die jeweils – sowohl nach dem VwGVG und dem SPG (§7 Abs 4 zweiter Satz VwGVG iVm § 88 Abs 4 SPG) als auch nach der StPO (§106 Abs 3 StPO) – statuierte Rechtsmittelfrist von sechs Wochen wird bei Inanspruchnahme nur einer der beiden Rechtsschutzeinrichtungen im Fall einer zurückweisenden (wegen Annahme der Zuständigkeit der anderen Instanz) oder abweisenden Entscheidung (weil zumindest die behauptete Rechtsverletzung nicht festgestellt werden konnte) regelmäßig bereits abgelaufen sein. Das bedeutet, dass der Rechtsschutzsuchende einseitig mit den Folgen der ihn betreffenden Entscheidung (einschließlich der Kostenfolgen) belastet wird.

Dadurch, dass der Gesetzgeber die Behördenzuständigkeit zur Gewährung von Rechtsschutz gegen Akte polizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt davon abhängig macht, auf welche Rechtsgrundlage der Akt gestützt wurde bzw. richtigerweise zu stützen wäre, stellt er den Rechtsschutzsuchenden nach dem zuvor Gesagten angesichts der verfassungsrechtlich verpönten Unklarheit der Zuständigkeitsregelungen vor eine nahezu unlösbare – und auch mit der geforderten Effektivität des Rechtsschutzes unvereinbare – Aufgabe: Wird von diesem doch verlangt, ohne genaue Kenntnis der näheren Umstände innerhalb der Rechtsmittelfrist das zu leisten, was üblicherweise erst am Ende eines umfassenden behördlichen Ermittlungsverfahrens, oft erst nach einer höchstgerichtlichen Entscheidung, feststeht, nämlich, einen behördlichen Zwangsakt rechtlich richtig einzuordnen. Unterstellt er den Akt der falschen Rechtsgrundlage und ruft deshalb die falsche Rechtsschutzbehörde an, trägt er das volle Risiko, den gesamten Rechtsschutz zu verlieren, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung der angerufenen Behörde, allenfalls auch nach jener der letzten Instanz, die Beschreitung des Rechtswegs vor der anderen Rechtsschutzbehörde in der Regel wegen Ablaufs der Anfechtungsfrist ausgeschlossen sein wird.

Es reicht auch nicht, dass der Betroffene berechtigt ist, von der Behörde Auskunft über die Rechtsgrundlage des Aktes zu verlangen: Diese Information kann falsch sein, zu spät erfolgen oder die Grundlage im Einzelfall für die Behörde selbst unklar sein, was jeweils zu Lasten des Rechtsschutzwerbers ausschlägt.

2. An der dargestellten Verfassungswidrigkeit der Regelung der Behördenzuständigkeit vermag daher weder das dem von Zwangsmaßnahmen Betroffenen sowohl durch die StPO (§6 Abs 2) als auch durch das SPG (§30 Abs 1) eingeräumte Recht, Anlass und Zweck des ihm gegenüber erfolgten Einschreitens zu erfahren (Informationsanspruch), etwas zu ändern noch die grundsätzliche Pflicht zur Ankündigung bzw. Androhung einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme (§93 Abs 5 StPO), zumal bei mehreren in Betracht kommenden Rechtsschutzinstanzen die Abgrenzung durch den Gesetzgeber so zu erfolgen hat, dass sich die Zuständigkeit im konkreten Fall ohne weiteres nach objektiven Kriterien schon aus dem Gesetz selbst ergibt (vgl. VfSlg 6675/1972, 8349/1978, 9937/1984, 10.311/1984).

Der Rechtsschutzsuchende läuft regelmäßig Gefahr, sein Begehren bei der unzuständigen Behörde anhängig zu machen. Dieser Umstand verstößt gegen das durch Art 83 Abs 2 (iVm Art 18) B VG gewährleistete Recht, weil es dem Rechtsschutzsuchenden objektiv verunmöglicht wird, die korrekte Abgrenzung zwischen zwei aus seiner Sicht konkurrierenden Rechtschutzzuständigkeiten vorzunehmen.

V. Ergebnis

1. Die Worte "Kriminalpolizei oder" in § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 195/2013 sind wegen Verstoßes gegen Art 83 Abs 2 (iVm Art 18) B VG als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren in den Anträgen dargelegten Bedenken.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B VG.

Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:G233.2014