VfGH vom 09.03.1989, g231/88
Sammlungsnummer
12008
Leitsatz
Aufhebung der Worte " zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in § 67 Abs 10 ASVG idF der 41. Novelle wegen Gleichheitswidrigkeit; Haftung des Vertreters für Beitragsschulden auch im Fall der Einbringlichkeit der Forderung beim Vertretenen sachlich nicht gerechtfertigt
Spruch
In § 67 Abs 10 ASVG idF der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, werden die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 28. Feber 1990 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof sind drei Verfahren zur Prüfung zweier im Instanzenzug ergangener Bescheide des Landeshauptmannes von Wien sowie eines Bescheides des Landeshauptmannes von Oberösterreich anhängig, mit denen die jeweiligen Beschwerdeführer als Haftpflichtige zur Zahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen (samt Anhang) herangezogen wurden. Weiters sind zwei Verfahren über Beschwerden der Wiener Gebietskrankenkasse gegen Bescheide des Landeshauptmannes von Wien anhängig, in denen dieser - entgegen den erstinstanzlichen Bescheiden der Gebietskrankenkasse - die Haftpflicht der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren jeweils mitbeteiligten Parteien verneint hat.
In allen Fällen ist strittig, ob die Beschwerdeführer bzw. die mitbeteiligten Parteien als zur Vertretung von juristischen Personen berufene Personen nach § 67 Abs 10 ASVG in der Fassung BGBl. 111/1986 zur Haftung herangezogen werden durften.
2. Aus Anlaß dieser Verfahren stellte der Verwaltungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof mehrere Anträge, die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in § 67 Abs 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 111/1986, aufzuheben. Er führte aus, daß er die genannten Bestimmungen bei der Prüfung der bei ihm angefochtenen Bescheide anzuwenden habe und äußerte in allen Fällen das Bedenken, daß die in diesen Bestimmungen normierten Haftungsregelungen sachlich nicht zu rechtfertigen seien und daher dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitssatz widersprächen.
3. § 67 Abs 10 ASVG in der Fassung BGBl. 111/1986 lautet (die angefochtenen Worte sind hervorgehoben):
"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet werden."
4. Seine Bedenken führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem zu G163/88 protokollierten Antrag (auf den insofern in den übrigen Anträgen verwiesen wird) wie folgt aus:
"Der Verwaltungsgerichtshof hegt aus nachstehenden Gründen gegen die Worte 'zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die' in § 67 Abs 10 ASVG das Bedenken, daß sie - jedenfalls bezogen auf Geschäftsführer einer GmbH - wegen Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot verfassungswidrig sein könnten:
Nach § 67 Abs 10 ASVG haften die Geschäftsführer einer GmbH 'im Rahmen ihrer Vertretungsmacht' neben der durch sie vertretenen GmbH für die von ihr zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden der Geschäftsführer nicht bei Fälligkeit entrichtet werden. Damit wird einerseits eine unmittelbare Haftung (im Sinne eines unmittelbaren Einstehenmüssens für eine fremde Schuld) der im Rahmen ihrer Vertretungsmacht handelnden Geschäftsführer gegenüber dem Gläubiger der Sozialversicherungsbeiträge, d.h. dem zur Geltendmachung der Beiträge berufenen Sozialversicherungsträger, statuiert und andererseits der Haftungseintritt schon an die Nichtentrichtung der Beiträge bei Fälligkeit aus Verschulden der Geschäftsführer bei Vertretung der GmbH in Beitragsangelegenheiten geknüpft.
Diese öffentlich-rechtliche Haftungsregelung stellt eine Privilegierung der Sozialversicherungsträger als Gläubiger einer GmbH gegenüber anderen Gläubigern dar, da sie sowohl über die privatrechtliche Haftung der Geschäftsführer einer GmbH unmittelbar gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, als auch über ihre öffentlich-rechtliche Haftung nach § 9 Abs 1 BAO und den verwandten Bestimmungen im Landesabgabenrecht (vgl. unter anderem § 7 Abs 1 WAO) gegenüber den Abgabengläubigern hinausgeht.
Das GmbHG sieht nur eine eingeschränkte, weil lediglich bei bestimmten rechtswidrigen und schuldhaften Vertretungshandlungen der Geschäftsführer vorgesehene schadenersatzrechtliche Haftung unmittelbar gegenüber Gesellschaftsgläubigern vor (§§56 Abs 3, 64 GmbHG; vgl. Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht, 139 f). Nach der jüngeren Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte können die Gläubiger einer GmbH, die für ihre Forderungen im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine ausreichende Deckung gefunden haben, den oder die Geschäftsführer der Gesellschaft nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB über den Schadenersatz (§§1293 ff) unmittelbar auf Ersatz ihres Schadens in Anspruch nehmen, der ihnen von den genannten organschaftlichen Vertretern durch eine eigene schuldhafte Verletzung eines Gesetzes, das gerade den Schutz der Gesellschaftsgläubiger bezweckt, verursacht wurde (vgl. Doralt, Unbeschränkte Haftungen bei Insolvenz der GmbH, GesRZ 1982, 88 ff, und Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht, 140 ff, jeweils mit ausführlichen Judikaturhinweisen).
Nach § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabenpflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Eine Haftung nach dieser Bestimmung und den verwandten Regelungen im Landesabgabenrecht setzt demnach voraus, daß die rückständigen Abgaben uneinbringlich wurden und dies auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters zurückzuführen ist. Neben dem Eintritt eines objektiven Schadens - Ausfall der gegen den Vertretenen gerichteten Abgabenforderung - und dem Verschulden des Vertreters ist ein Rechtswidrigkeitszusammenhang - die Verletzung von Vertreterpflichten führt zur Uneinbringlichkeit - erforderlich (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 84/13/0246; vgl. auch unter anderem die Erkenntnisse vom , Zl. 85/17/0011, vom , Zl. 86/15/0080, und vom , Zl. 84/17/0224, Slg. Nr. 6012/F, sowie Kopecky, Die Haftung im österreichischen Steuerrecht, 130 ff; Reeger-Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, 52 ff; Schimetschek, die Haftung des Geschäftsführers für Abgabenschulden der Kapitalgesellschaft, FJ 1983, 57 ff; Mathiaschitz, Die Haftung der Geschäftsführer für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, SWK 1987, Nr. 22 AV 7 ff).
Demgegenüber statuiert § 67 Abs 10 ASVG keine Ausfallshaftung; danach genügt es - bezogen auf Geschäftsführer einer GmbH - für die Inanspruchnahme der Geschäftsführer neben der durch sie vertretenen GmbH als Beitragsschuldnerin schon, daß die von ihr zu entrichtenden Beiträge aus Verschulden der Geschäftsführer nicht bei Fälligkeit entrichtet wurden. Ob die ausständigen Beiträge von der GmbH eingebracht werden können oder ob auch nur eine Gefährdung dieser Einbringung besteht, ist für die Inanspruchnahme der Haftung der Geschäftsführer irrelevant. Das Gesetz statuiert die Uneinbringlichkeit der offenen Beiträge bei der Beitragsschuldnerin nicht einmal als Ermessensrichtlinie.
Für ein solches (sowohl von der zivil- als auch der abgabenrechtlichen Haftungsregelung abweichendes) Einstehenmüssen des Geschäftsführers einer GmbH, aus dessen Verschulden Beiträge nicht bei Fälligkeit entrichtet wurden, für eine fremde Schuld unmittelbar gegenüber dem Sozialversicherungsträger schon dann, wenn von der GmbH die Beiträge bei Fälligkeit nicht entrichtet wurden, obwohl sie entrichtet werden könnten, sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine sachlich gerechtfertigten Gründe erkennbar. Zwar ist die Sicherung der Hereinbringung von Sozialversicherungsbeiträgen gewiß ein wichtiges Anliegen, dies allein läßt es aber noch nicht gerechtfertigt erscheinen, eine Haftung der Geschäftsführer schon dann eintreten zu lassen, wenn Beiträge aus ihrem Verschulden nicht bei Fälligkeit entrichtet werden, und damit dem Sozialversicherungsträger neben den bestehenden Mitteln der Beitragssicherung durch unmittelbare Inanspruchnahme der GmbH oder des Geschäftsführers (im ordentlichen Rechtsweg im Falle der obgenannten Schutzgesetzverletzung), aber auch im Rahmen der §§111 bis 114 ASVG, ein weiteres, von einer Ausfallshaftung abgekoppeltes Instrument unmittelbarer Inanspruchnahme des Geschäftsführers an die Hand zu geben. Dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Beitragseinbringung wäre auch durch eine dem (ebenfalls verwandten öffentlichen Interessen dienenden) § 9 Abs 1 BAO nachgebildete Haftungsregelung, die sich noch im Rahmen des grundsätzlichen Haftungssystems bewegt, Genüge getan. Aus welchen Gründen der Gesetzgeber, der nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur 41. ASVG-Novelle (774 Blg NR XVI. GP., 27 f) mit der Neufassung des § 67 Abs 4 ASVG und der Einfügung der Absätze 5 bis 10 des § 67 leg. cit. unter anderem eine Anpassung der Haftungsregelungen des ASVG an die der BAO bezweckte, in § 67 Abs 10 ASVG eine von § 9 Abs 1 BAO abweichende Haftungsregelung vorgesehen hat, ist den Erläuternden Bemerkungen nicht zu entnehmen. Der bloße Unterschied im Sicherungsobjekt (hier Beitrags-, dort Abgabensicherung) läßt jedenfalls die grundlegende Abkehr vom bestehenden Haftungssystem nicht sachlich begründet erscheinen."
5. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung vom die Auffassung, daß ein ausreichender rechtlicher Zusammenhang zwischen der juristischen Person und ihrem Vertreter besteht, durch den eine solidarische Haftung des Vertreters bei einer von ihm verschuldeten Säumnis mit der Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen gerechtfertigt sei. Sie führt dazu im einzelnen aus:
"I.1. Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes laufen zunächst darauf hinaus, daß durch § 9 Abs 1 BAO sowie die entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften und durch § 56 Abs 2 des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung, RGBl. Nr. 58/1906, (im folgenden 'GmbHG') ein Ordnungssystem grundgelegt werde, von dem § 67 Abs 10 ASVG in sachlich nicht gerechtfertigter Weise abweiche.
Dieser Überlegung kann die Bundesregierung entgegenhalten, daß dem Gesetzgeber das Abweichen von einem einmal gewählten Ordnungssystem grundsätzlich nicht verwehrt ist: So vertritt der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur die Auffassung, daß es nicht unzulässig ist, von einem einmal geschaffenen Ordnungssystem wieder abzugehen und einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgerechte Art zu regeln. Das Abgehen von einem Ordnungssystem sei für sich allein noch nicht gleichheitswidrig, die Regelung müsse nur in sich selbst dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen (VfSlg. 8233/1978, 8457/1978, 9138/1981, Erk. vom , B606/83). Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei den vom Verwaltungsgerichtshof zum Vergleich herangezogenen Regelungen um solche auf verschiedenen Rechtsgebieten handelt; nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 4379/1963, 5269/1966, 6854/1972, 8605/1979) ist der Gesetzgeber aber nicht gehalten, Rechtsformen aus einem Rechtsbereich auch in anderen Rechtsbereichen zu übernehmen.
Es kann daher im konkreten Fall dahingestellt bleiben, ob durch die oben genannten Bestimmungen tatsächlich ein auch im vorliegenden Zusammenhang maßgebliches 'Ordnungssystem' begründet wurde; selbst wenn dies nämlich der Fall wäre, könnte die vom Verwaltungsgerichtshof in Zweifel gezogene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung im Lichte der vorzitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nur dann als gleichheitswidrig angesehen werden, wenn sie in sich selbst dem Gleichheitsgebot nicht entspricht.
2. Soweit der Verwaltungsgerichtshof die Gleichheitswidrigkeit darin erblickt, daß infolge § 67 Abs 10 ASVG die Sozialversicherungsträger gegenüber anderen Gläubigern in unsachlicher Weise bevorzugt würden, ist dem folgende Erwägung entgegenzuhalten: Nach den Organisationsgesetzen für juristische Personen des Privatrechts besteht grundsätzlich keine Haftung der Geschäftsführer (Vorstandsmitglieder) für Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Nur unter ganz bestimmten engen Voraussetzungen ist eine Haftung dieser Vertretungsorgane vorgesehen, wenn aus ihrem Verschulden einem Gläubiger ein Schaden entsteht (§56 Abs 3 GmbHG,§ 84 Aktiengesetz 1965, § 33a des Gesetzes über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, RGBl. Nr. 70/1873). In allen diesen Fällen geht es aber nicht um die Sicherung der Einbringlichkeit von Forderungen, sondern - wie es auch der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck bringt - um Schadenersatzansprüche. Zweck dieser Bestimmungen ist es, den dem Gläubiger aus der Illiquität der juristischen Person entstandenen Schaden - den der Vertreter schuldhaft verursacht hat - zu ersetzen, nicht aber die Einbringungen von Forderungen sicherzustellen. § 56 Abs 3 GmbHG normiert somit einen spezifischen Schadenersatzanspruch (vgl. Doralt, Zur schadenersatzrechtlichen Haftung des Geschäftsführers der GmbH, JBl. 1972, S. 127ff, mit weiteren Nachweisen). Diese zivilrechtliche Haftung der Vertreter bezieht sich also nicht auf uneinbringliche Forderungen, sondern auf den einem Gläubiger entstandenen Schaden.
§ 9 Abs 1 BAO - und der dieser Bestimmung nachgebildete § 67 Abs 10 ASVG (774 BlgNR XVI. GP, S. 27) - bezwecken hingegen die Sicherstellung von Forderungen; ausdrücklich heißt es in den Erläuterungen zu § 9 BAO, darin werde eine Ausfallshaftung normiert (228 BlgNR IX. GP). Die Haftung des Vertreters bezieht sich daher auf Forderungen des Gläubigers gegen die Gesellschaft, die aus seinem Verschulden nicht bezahlt wurden, nicht aber auf den dem Gläubiger entstandenen Schaden. § 9 Abs 1 BAO und § 67 Abs 10 ASVG normieren also zum Unterschied von § 56 Abs 3 GmbHG nicht einen Schadenersatzanspruch, sondern eine Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Aus diesem Grund kann § 67 Abs 10 ASVG nicht mit § 56 Abs 3 GmbHG verglichen werden, weil die darin angeordnete Haftung sich nicht auf den dem Gläubiger entstandenen Schaden sondern auf die Forderung, deren Zahlung aussteht, bezieht. Aus diesem Grund kann auch aus dem Umstand, daß
§67 Abs 10 ASVG die Haftung bereits bei Säumigkeit entstehen läßt, keine Gleichheitswidrigkeit abgeleitet werden.
Aus den vorstehenden Überlegungen wird deutlich, daß ein Vergleich des § 67 Abs 10 ASVG - wenn überhaupt - nur mit der Haftungsregel des § 9 Abs 1 BAO möglich ist. Auch diesfalls kann aber aus der Bevorzugung der Sozialversicherungsträger gegenüber der Finanzverwaltung keine Gleichheitswidrigkeit abgeleitet werden:
Zu beachten ist nämlich zunächst, daß es sich bei den Sozialversicherungsbeiträgen nicht um Abgaben im Sinne der Finanzverfassung handelt (vgl. z.B. VfSlg. 10451/1985), sondern um öffentlich-rechtliche Abgaben anderer Art. Schon aus diesem Grund scheint eine Gleichartigkeit des Regelungssystems im Lichte der einleitend genannten Judikatur nicht geboten, weil es sich eben um unterschiedliche Rechtsbereiche handelt. Darüber hinaus kann die Bevorzugung der Sozialversicherungsbeiträge durch ihre Besonderheit gerechtfertigt werden, geht es bei diesen doch - auf Grund des dem ASVG zugrundeliegenden Umlagesystems - darum, die Leistungen an die Versicherten aus den einlangenden Versicherungsbeiträgen abzudecken. Diese Umstände rechtfertigen nach Ansicht der Bundesregierung die rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers, Sozialversicherungsbeiträge gegenüber Abgabenforderungen bevorzugt zu behandeln.
Auch der Verfassungsgerichtshof hat - in Anlehnung an ähnliche Überlegungen - in VfSlg. 5369/1966 die in § 67 Abs 4 ASVG angeordnete Solidarhaftung des Betriebsnachfolgers für ausständige Sozialversicherungsbeiträge des Betriebsvorgängers unter anderem deshalb für sachlich gerechtfertigt erachtet, weil die Sozialversicherungsträger ihre Leistungen an die Versicherten auch dann zu erbringen haben, wenn der Arbeitgeber mit der Bezahlung der Beiträge in Verzug ist.
3. Eine Gleichheitswidrigkeit des § 67 Abs 10 ASVG könnte daher nur dann vorliegen, wenn die Heranziehung der Vertreter zur Haftung für Sozialversicherungsbeiträge an sich unsachlich wäre.
Dies ist nach Ansicht der Bundesregierung jedoch nicht der Fall:
Durch § 67 Abs 10 ASVG wird eine Form von Solidarhaftung der Vertreter einer juristischen Person gemeinsam mit dieser selbst begründet. Der Verfassungsgerichtshof hat die Auffassung vertreten, daß eine gesetzliche Regelung, durch die eine Gesamtschuldnerschaft begründet wird, aus verfassungsrechtlicher Sicht an sich - im Hinblick auf den Gleichheitssatz - nicht bedenklich ist, soferne diese durch einen rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Gemeinschaftsschuldnern gerechtfertigt ist (vgl. VfSlg. 2896/1955, 5369/1966, 8101/1977, 9954/1984, 9973/1984). Zu prüfen ist daher, ob ein entsprechender rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, der die in § 67 Abs 10 ASVG angeordnete Solidarhaftung zu rechtfertigen vermag. Ein solcher Zusammenhang ist nach Ansicht der Bundesregierung aus folgenden Gründen zu bejahen:
a) Die Haftung trifft - nach der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Wendung - nur die zur Vertretung einer juristischen Person berufenen Personen. Damit ist jedenfalls auf einen rechtlichen Zusammenhang - nämlich das Bestehen einer Vertretungsbefugnis - angeknüpft.
b) Die Haftung besteht nur im Rahmen der Vertretungsmacht des jeweiligen Vertreters; auch damit wird an einen rechtlichen Zusammenhang, nämlich den jeweiligen Umfang der Vertretungsmacht angeknüpft.
c) Die Haftung besteht nur bei Verschulden des Vertreters an der Säumnis; wie aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 7758/1976 abgeleitet werden kann, rechtfertigt das Verschulden einer Person am Eintritt eines verpönten Erfolges an sich schon einen Eingriff in ihr Vermögen. Abgesehen davon ist auf die Erkenntnisse VfSlg. 2896/1955 und 5369/1966 hinzuweisen, in denen der Verfassungsgerichtshof - wegen Bestehens eines entsprechenden wirtschaftlichen Zusammenhanges - sogar eine verschuldensunabhängige Solidarhaftung im Hinblick auf den Gleichheitssatz für unbedenklich erachtete. Indem § 67 Abs 10 ASVG auf das Verschulden des Vertreters abstellt, scheint damit jedenfalls eine sachliche Rechtfertigung für seine Haftung zu bestehen.
d) § 67 Abs 10 ASVG ist aber auch nicht deshalb gleichheitswidrig, weil die Haftung bereits bei bloßer Säumigkeit mit Bezahlung der Schuld eintritt: Man muß davon ausgehen, daß es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt, ob er eine Solidarhaftung erst bei Uneinbringlichkeit oder schon bei Säumnis eintreten läßt. Gerade bei den Sozialversicherungsbeiträgen scheint nun - wegen der auch bei Säumigkeit des Arbeitgebers bestehenden Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers (VfSlg. 5369/1966) - ein Abstellen schon auf die Säumigkeit nicht unsachlich. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Erk. VfSlg. 2896/1955, in dem der Verfassungsgerichtshof selbst bei bloßen Abgabenschulden das Entstehen einer - im übrigen verschuldensunabhängigen - Solidarhaftung des Eigentümers eines Gewerbebetriebes bei Säumigkeit des Pächters im Hinblick auf den Gleichheitssatz unbedenklich erachtete."
Abschließend beantragt die Bundesregierung, die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in § 67 Abs 10 ASVG nicht als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um allenfalls erforderliche legistische Vorkehrungen zu ermöglichen.
6. Die mitbeteiligte Partei im verwaltungsgerichtlichen Anlaßverfahren, das zu dem Prüfungsantrag G167/88 geführt hat, hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken des antragstellenden Gerichts beitritt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Anträge erwogen:
1. Zweifel an der Zulässigkeit der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes sind nicht entstanden. Insbesondere ist im Verfahren nichts hervorgekommen, was gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofes sprechen würde, er habe bei Beurteilung der angefochtenen Bescheide jene Wortfolge in § 67 Abs 10 ASVG idF der Novelle BGBl. 111/1986 anzuwenden, die Gegenstand seiner Anträge ist.
2.a) Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs widerspricht die angefochtene Wortfolge zunächst deshalb dem Gleichheitsgrundsatz, weil sie Personen, die zur Vertretung von juristischen Personen berufen sind, unter Voraussetzungen zur Haftung beruft, die nicht mit den Voraussetzungen übereinstimmen, unter denen nach dem GesmbH-Recht und den abgabenrechtlichen Vorschriften entsprechende Haftungen begründet werden. Diesem Vorbringen hat die Bundesregierung zu Recht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs entgegengehalten, daß es sich um Regelungen auf verschiedenen Rechtsgebieten handelt, die in unterschiedlichem Kontext stehen. Es liegt im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, Haftungsregelungen auf derart verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich zu gestalten, sofern die jeweilige Regelung in sich dem Gleichheitsgebot entspricht, die jeweils gewählte Regelung der Haftung gesellschaftsrechtlich Vertretungsbefugter also für sich sachlich gerechtfertigt werden kann.
b) Das in den Anträgen des Verwaltungsgerichtshofs ebenfalls relevierte Bedenken, daß für das durch die angefochtene Bestimmung bewirkte "Einstehenmüssen des Geschäftsführers einer GmbH, aus dessen Verschulden Beiträge nicht bei Fälligkeit entrichtet wurden, für eine fremde Schuld unmittelbar gegenüber dem Sozialversicherungsträger schon dann, wenn von der GmbH die Beiträge bei Fälligkeit nicht entrichtet wurden, obwohl sie entrichtet werden könnten (Hervorhebung nicht im Original)", keine sachlich gerechtfertigten Gründe erkennbar sind, trifft hingegen zu:
Der Verfassungsgerichtshof hat zuletzt in seiner Entscheidung vom , G89/88, mit Hinweisen auf seine frühere Judikatur dargelegt, daß die sachliche Rechtfertigung von Haftungsregelungen der Art, wie sie auch § 67 Abs 10 ASVG normiert, sich einerseits aus dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit öffentlich-rechtlicher Ansprüche (dort: Gebühren, hier: Sozialversicherungsbeiträge) und andererseits aus einem durch eine Rechtsbeziehung begründeten sachlichen Zusammenhang zwischen der Person des Abgabepflichtigen und des Haftungspflichtigen ergibt.
Der Bundesregierung ist Recht zu geben, wenn sie in ihrer Äußerung diesen rechtlichen Zusammenhang als gegeben ansieht. Das nach dem zitierten Erkenntnis zur sachlichen Rechtfertigung der Regelung aber ebenfalls erforderliche Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit der Gebühren fehlt jedoch im vorliegenden Fall: Dem Verwaltungsgerichtshof ist nämlich dahin beizupflichten, daß § 67 Abs 10 ASVG keine Ausfallshaftung im engeren Sinn statuiert; vielmehr genügt es nach dieser Vorschrift für die Inanspruchnahme der zur Vertretung berufenen Personen schon, daß die vom Vertretenen zu entrichtenden Beiträge aus Verschulden der Vertreter nicht bei Fälligkeit entrichtet wurden. Die Frage der Einbringlichkeit beim Vertretenen ist für die Haftungsbegründung nach § 67 Abs 10 ASVG völlig irrelevant. Dafür, die Haftung des Vertreters im vorliegenden Zusammenhang und in dem vorgesehenen umfassenden Umfang auch bei Einbringlichkeit der Forderung beim Vertretenen zu statuieren, fehlt aber - wie sich aus der Vorjudikatur ergibt - eine sachliche Rechtfertigung. Der bloße Hinweis der Bundesregierung auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der auch schon bei bloßer Säumnis und trotz der Einbringlichkeit der Forderung eine Haftungsregelung der in Prüfung stehenden Art einführen könne, vermag eine solche sachliche Rechtfertigung nicht darzutun.
Da somit die angefochtene Haftungsregelung einer sachlichen Rechtfertigung entbehrt, ist sie in sich gleichheitswidrig und verletzt das auch den Gesetzgeber bindende, dem Gleichheitsgrundsatz innewohnende Sachlichkeitsgebot. Es war daher entsprechend dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofs, dessen Bedenken den Prüfungsumfang dieses Verfahrens bestimmen, spruchgemäß zu entscheiden.
3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.
Der Ausspruch, daß frührere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.