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VfGH vom 05.12.1997, g23/97

VfGH vom 05.12.1997, g23/97

Sammlungsnummer

15036

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der unterschiedlichen Belastung von Rohölen und Erdölprodukten bei der Erdölsonderabgabe; Erdölsonderabgabe keine Umsatzbesteuerung iSd gemeinschaftsrechtlichen Mehrwertsteuerrichtlinie; daher Präjudizialität angesichts der einer Anwendung des ErdölsonderabgabeG nicht kraft Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts entgegenstehenden Richtlinie gegeben

Spruch

Die Wortfolge ", 2. bei Erdölprodukten 6 vH der Bemessungsgrundlage" in § 4 des Bundesgesetzes vom , mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird, BGBl. Nr. 554, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 681/1994, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Gemäß § 1 Abs 1 des Bundesgesetzes vom , mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird, BGBl. Nr. 554, in der Fassung BGBl. Nr. 681/1994, (im folgenden: SEG), unterliegen folgende Vorgänge der Sonderabgabe von Erdöl:

"1. Die Gewinnung von Rohölen (Abs2 ) im Inland (§1 Abs 2 des Umsatzsteuergesetzes 1994),

2. die Einfuhr (§1 Abs 1 Z 3 des Umsatzsteuergesetzes 1994) von Rohölen und Erdölprodukten (Abs3),

3. die Erzeugung von Erdölprodukten im Inland aus anderen Stoffen als Rohölen,

4. der innergemeinschaftliche Erwerb im Sinne des Anhangs zu § 29 Abs 8 des Umsatzsteuergesetzes 1994 von Rohölen oder Erdölprodukten, soweit er der Umsatzsteuer unterliegt."

Gemäß § 4 SEG beträgt die Sonderabgabe für jeden abgabepflichtigen Vorgang

"1. bei Rohölen 2,4 vH der Bemessungsgrundlage,

2. bei Erdölprodukten 6 vH der Bemessungsgrundlage".

2. Art 33 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:

einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, 77/388/EWG, idF Richtlinie des Rates vom zur Ergänzung des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen, 91/680/EWG, (im folgenden: 6. MWSt-RL) hat folgenden Wortlaut:

"(1) Unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen, insbesondere der geltenden Gemeinschaftsbestimmungen über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, hindern die Bestimmungen dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, Abgaben auf Spiele und Wetten, Verbrauchssteuern, Grunderwerbssteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübergang verbunden sind.

(2) Wird in dieser Richtlinie auf verbrauchssteuerpflichtige Waren Bezug genommen, so handelt es sich um folgende in den geltenden Gemeinschaftsbestimmungen definierte Waren:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
Mineralöle,
-
Alkohol und alkoholische Getränke,
-
Tabakwaren."

3. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B2955/95, B3553/95, B570/96 und B1741/96 Beschwerden gemäß Art 144 B-VG gegen Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland anhängig, mit denen Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaften auf Festsetzung der Sonderabgabe von Erdöl für den Zeitraum Jänner bis April 1995 mit

S 0,- bzw. auf Rückerstattung der für diese Zeiträume entrichteten Sonderabgabe von Erdöl abgewiesen wurden. Die beschwerdeführenden Gesellschaften erachten sich durch die angefochtenen Bescheide in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums durch die Anwendung eines - aus denselben Gründen, die den Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 13777/1994 veranlaßt haben, eine bestimmte Wortfolge in § 4 SEG idF vor BGBl. 681/1994 aufzuheben - für verfassungswidrig erachteten Gesetzes, nämlich des § 4 SEG, der eine unterschiedliche und gleichheitswidrige Abgabenbelastung von Rohölen und Erdölprodukten vorsehe, verletzt. Die beschwerdeführenden Gesellschaften bringen überdies vor, daß die Sonderabgabe von Erdöl als "umsatzsteuerähnliche Abgabe" nicht mit Art 33 der 6. MWSt-RL vereinbar sei und dieser Umstand, da die Richtlinie unmittelbare Wirkung entfalte, unter dem Blickwinkel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unverletzlichkeit des Eigentums dem Eigentumseingriff mittels gesetzlosen Bescheides gleichzuhalten sei.

4. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß vom , B2955/95 ua., davon aus, daß die Beschwerden zulässig seien und daß er bei seiner Entscheidung darüber - ebenso wie die belangte Behörde bei Erlassung der angefochtenen Bescheide - § 4 Z 2 SEG anzuwenden habe. Er nahm dabei vorläufig an, daß die Präjudizialität dieser Bestimmung unabhängig von der Frage, ob die belangte Behörde zu Recht § 4 Z 2 SEG herangezogen habe, oder ob gegebenenfalls unmittelbar anwendbare gemeinschaftsrechtliche Normen heranzuziehen gewesen wären, im verfassungsgerichtlichen Verfahren schon deswegen gegeben sei, weil die belangte Behörde diese Norm als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide jedenfalls tatsächlich herangezogen habe und der Verfassungsgerichtshof bei seiner Überprüfung der angefochtenen Bescheide auch festzustellen habe, ob die genannte Bestimmung rechtens angewendet wurde. Im Hinblick auf die Novelle zum SEG, BGBl. 681/1994, ging der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß auf Grund der mangelnden Identität der präjudiziellen Norm die Rechtskraft des Erkenntnisses VfSlg. 13777/1994 einem neuerlichen Gesetzesprüfungsverfahren nicht entgegenstehe. Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, daß § 4 Z 2 SEG aus denselben Gründen, die ihn in seinem Erkenntnis VfSlg. 13777/1994 zur Aufhebung einer bestimmten Wortfolge in § 4 SEG idF vor BGBl. 681/1994 veranlaßt haben, dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz widerspreche, und ging dabei davon aus, daß der durch BGBl. 681/1994 eingeführte neue Steuersatz von 6 vH bloß durch die Umstellung der Maßeinheit bei Erdölprodukten von Gewicht auf Volumen veranlaßt worden sei.

5. Die Bundesregierung beschloß, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung zu den gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen § 4 Z 2 SEG im Hinblick auf das Erkenntnis VfSlg. 13777/1994 Abstand zu nehmen. Sie vertrat jedoch die Auffassung, daß die Sonderabgabe von Erdöl keine "umsatzsteuerähnliche Abgabe" sei und das SEG daher nicht gegen Art 33 der 6. MWSt-RL verstoße. Keines der Wesensmerkmale einer "Steuer mit Umsatzsteuercharakter", die nach der Rechtsprechung des EuGH (, Slg. 1985, 3764, Rousseau Wilmot/Organic, und Slg. 1991 I-1394, Giant, Gemeente Overijse) kumulativ vorliegen müßten, treffe auf die Sonderabgabe von Erdöl zu, was im einzelnen begründet wird.

6. Die beschwerdeführende Gesellschaft des Anlaßverfahrens zu B2955/95 führte in ihrer Stellungnahme zur Äußerung der Bundesregierung aus, daß es "(i)m Hinblick auf Präjudizialitätsüberlegungen" "für die Aufhebung der Gesetzesbestimmung als verfassungswidrig nicht erforderlich (ist), im Wege einer Vorwegabfrage an den EuGH zu klären, ob die innerstaatliche Regelung mit Europarecht vereinbar ist", zumal "eine allfällige Unvereinbarkeit ... nicht zu einer Derogation der innerstaatlichen Bestimmung", sondern nur zu ihrer - auf die Dauer der Geltung der Richtlinie und im Zweifel auch nur auf den Bereich der Mitgliedstaaten der EU beschränkten - "Unanwendbarkeit" führte.

Ungeachtet ihrer Ausführungen zur Präjudizialität vertritt die beschwerdeführende Gesellschaft im Anlaßverfahren zu B2955/95 - entgegen der Bundesregierung - die Auffassung, daß die Sonderabgabe von Erdöl neben der Umsatzsteuer mit der

6. MWSt-RL nicht vereinbar sei.

Wie bei der Umsatzsteuer sei Abgabenschuldner der Unternehmer, beim innergemeinschaftlichen Erwerb der Erwerber.

§2 Abs 3 Satz 2 SEG (, der die Abgabenschuld bei innergemeinschaftlichem Erwerb gem. § 1 Abs 1 Z 4 SEG regelt,) bestimme mit nicht zu überbietender Deutlichkeit, daß "(d)ie Abgabenschuld ... zugleich mit der durch den innergemeinschaftlichen Erwerb bewirkten Abgabenschuld bei der Umsatzsteuer (entsteht)". Gemäß § 7 leg.cit. sei die Sonderabgabe in den Fällen des § 1 Abs 1 Z 1, 3 und 4 "von dem Finanzamt, das für die Erhebung der Umsatzsteuer des Unternehmers zuständig ist," zu erheben, und in den Fällen des § 1 Abs 1 Z 2 von den Zollämtern, was wiederum dem Umsatzsteuerrecht und zwar dem § 26 Abs 3 UStG 1994 (Sonderregelung hinsichtlich der Einfuhr-USt) entspreche.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Prüfungsbeschluß vom Verfassungsgerichtshof selbst aufgeworfene Frage der möglicherweise im Hinblick darauf fehlenden Präjudizialität des § 4 SEG, daß der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts (hier: des Art 33 der 6. MWSt-RL) der auf das SEG gestützten Sonderabgabepflicht für Erdöl entgegenstünde, ist nach Auffassung des Gerichtshofs zu verneinen. Auf Grund der gesicherten Judikatur des EuGH (, Rs 295/84, Slg. 1985, 3764 - Rousseau Wilmot/Organic - ; , Rs 73/85, Slg. 1986, 2226 - Kerrutt/Finanzamt Mönchengladbach-Mitte - ; , Rs 252/86, Slg. 1988, 1367 - Bergandi/Directeur general des impots - ; , Rs 93 und 94/88, Slg. 1989, 2700 - Wisselink ua./Staatssecretaris van Financien - ; , Rs C-109/90, Slg. 1991 I-1394 - Giant/Gemeente Overijse - ; , Rs C-200/90, Slg. 1992 I-2240 - Dansk Denkavit ua./Skatteministeriet - ; , Rs C-347/90, Slg. 1992 I-2965 - Bozzi - ;

, Rs C-208/91, Slg. 1992 I-6727 - Beaulande - ;

, Rs C-130/96, I-1 - Fazenda Publica -) besteht für einen plausiblen Zweifel kein Raum, und es ist daher offenkundig, daß die Sonderabgabe von Erdöl keine Umsatzbesteuerung im Sinne der genannten Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt: Die Erdölsonderabgabe hat - abgesehen von dem aus Gründen der fiskalischen Gleichbehandlung erfaßten Import von Rohölen und Erdölprodukten - die Gewinnung von Rohölen und die Erzeugung von Erdölprodukten zum Gegenstand, knüpft sohin nicht an die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen an (vgl. , Slg. 1988, 1367 - Bergandi -). Sie ist weiters keine "allgemeine" Steuer, da sie auf Erdöl und Erdölprodukte beschränkt ist und daher nur bestimmte Gruppen von Erzeugnissen belastet (vgl. 93 und 94/88, Slg. 1989, 2700 - Wisselink, , Rs C-208/91, Slg. 1992 I-6727 - Beaulande - , , Rs C-130/96, I-1 - Fazenda Publica -). Die Sonderabgabe von Erdöl wird ferner nur im Zeitpunkt der Gewinnung von Rohölen bzw. der Erzeugung von Erdölprodukten, nicht jedoch - wie eine Mehrwertsteuer - auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben ( 93 und 94/88, Slg. 1989, 2700 - Wisselink, , Rs C-347/90, Slg. 1992 I-2965 - Bozzi -).

Der Verfassungsgerichtshof geht sohin davon aus, daß die gemeinschaftsrechtliche Mehrwertsteuerrichtlinie der Anwendung des § 4 Z 2 SEG durch den Gerichtshof in den bei ihm anhängigen Bescheidprüfungsverfahren, die Anlaß zur Einleitung des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens boten, nicht kraft Anwendungsvorrangs entgegensteht. § 4 Z 2 SEG ist sohin präjudiziell im Sinne des Art 140 Abs 1 B-VG.

Auch die Rechtskraft des Erkenntnisses VfSlg. 13777/1994 steht einem neuerlichen Gesetzesprüfungsverfahren im Sinne der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 11646/1988, 14301/1995 ua.) nicht entgegen, weil die präjudizielle Norm des § 4 Z 2 SEG mit der mit Erkenntnis VfSlg. 13777/1994 aufgehobenen Wortfolge des SEG, BGBl. Nr. 554/1980 idF Nr. 557/1985, Nr. 312/1987 und Nr. 29/1991, nicht identisch im Rechtssinne ist.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.Daran ändert auch der durch ArtXXXV Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, mit befristete zeitliche Anwendungsbereich des SEG nichts.

2. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, was die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes in der Sache zerstreut hätte. Der durch die Novelle zum SEG, BGBl. 681/1994, angeordnete neue Steuersatz von 6 vH (abweichend vom aufgehobenen Steuersatz von 8 vH) wurde lediglich durch die Umstellung der Maßeinheit bei Erdölprodukten von Gewicht auf Volumen veranlaßt (so ausdrücklich 1816 BlgNR 18. GP). Die Steuerbelastung bei Erdölprodukten ist im Effekt für die Abgabepflichtigen hingegen annähernd gleich geblieben.

Angesichts der sachlich (in Anbetracht des Zieles einer gleichmäßigen Abgabenbelastung) nicht begründbaren Differenzierung der Abgabenbelastung von Rohölen einerseits und Erdölprodukten andererseits in § 4 SEG widerspricht die nunmehr mit 6 vH festgelegte Abgabenbelastung bei Erdölprodukten entsprechend dem tatsächlichen Ausbeutesatz dem Ziel einer gleichmäßigen Belastung von Erdöl und Erdölprodukten (vgl. VfSlg. 13777/1994). Die Wortfolge des § 4 SEG idF BGBl. 681/1994 ", 2. bei Erdölprodukten 6 vH der Bemessungsgrundlage" ist sohin wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz als verfassungwidrig aufzuheben, wiewohl der Gesetzgeber selbst den Anwendungsbereich des SEG in ArtXXXV Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, mit befristet hat (vgl. ständige Rechtsprechung des VfGH zu Abgabengesetzen mit beschränktem zeitlichen Anwendungsbereich: VfSlg. 8709/1979, 12930/1991, 13153/1992, 13881/1994, 14278/1995).

3. Um die möglicherweise - für den zeitlichen Anwendungsbereich des SEG bis zum - erwünschte gleiche Abgabenbelastung von Erdölprodukten mit Erdöl durch entsprechende legistische Vorkehrungen zu ermöglichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung den Ablauf des bestimmt.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.