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VfGH vom 03.10.2001, g220/01

VfGH vom 03.10.2001, g220/01

Sammlungsnummer

16305

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit einer Bestimmung des Wr Unfallfürsorgegesetzes betreffend den Anspruch auf Versehrtenrente nur im Fall einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 10 Prozent durch die jeweils letzte Schädigung; keine sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von Versicherungsfällen mit insgesamt gleichem Gesamtausmaß des eingetretenen Schadens in Abhängigkeit von der Reihenfolge des Auftretens

Spruch

I. Die Wortfolge "die durch die neuerliche Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Zeitpunkt des Eintrittes der Versehrtheit hinaus mindestens 10 v.H. und" in § 14 Abs 1 des Gesetzes vom über die Unfallfürsorge für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihre Hinterbliebenen und Angehörigen (Unfallfürsorgegesetz 1967 - UFG. 1967), LGBl. Nr. 8/1969 idF LGBl. Nr. 2/1974 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Regelungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Am hatte der Beschwerdeführer zu B2301/00 einen Arbeitsunfall erlitten. Der Magistrat der Stadt Wien sprach dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom auf Grund der aus diesem Unfall resultierenden Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % eine Versehrtenrente in der Höhe von 20 % der Vollrente zu. Diese Versehrtenrente wurde in der Folge auf Antrag des Beschwerdeführers abgelöst.

Am hatte der Beschwerdeführer erneut einen Dienstunfall. Mit Eingabe vom beantragte er die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 %, weil sich die aus dem Dienstunfall vom resultierende Schwäche im linken Kniebereich beträchtlich verschlechtert habe.

Am wies der Magistrat der Stadt Wien, MA 2 - Personalamt, den Antrag auf Erhöhung der abgelösten Versehrtenrente ab. Am stellte der Magistrat der Stadt Wien fest, daß der Beschwerdeführer am einen Dienstunfall erlitten habe, daß ihm aber auf Grund dieses Dienstunfalles keine Versehrtenrente gem. § 6 UFG gebühre.

Die gegen diese Bescheide vom Beschwerdeführer erhobenen Berufungen hat die im Verfahren zu B2301/00 belangte Behörde, der Dienstrechtssenat der Stadt Wien, mit Bescheid vom , DS - 11 und 34/2000, mit näherer Begründung abgewiesen. Der Dienstrechtssenat hat dabei festgehalten, daß der Dienstunfall vom für sich allein betrachtet keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 10 % bewirkt habe und daß die auf Grund des Dienstunfalles vom resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit weiterhin unverändert 20 % betrage.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Wortfolge "die durch die neuerliche Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Zeitpunkt des Eintrittes der Versehrtheit hinaus mindestens 10 v.H. und" in § 14 Abs 1 UFG in der im Spruch genannten Fassung entstanden. Er hat daher am beschlossen, diese Bestimmung amtswegig in Prüfung zu ziehen. Seine Bedenken umschrieb der Verfassungsgerichtshof wie folgt:

"Der Verfassungsgerichtshof hat gegen die im Spruch genannte Wortfolge in § 14 Abs 1 UFG 1967 das Bedenken, daß der Wiener Landesgesetzgeber eine dem Gleichheitsgebot widersprechende Regelung getroffen hat.

Das Gleichheitsgebot des Art 7 Abs 1 B-VG verpflichtet den Gesetzgeber, Gleiches gleich zu behandeln; es ist ihm verwehrt, Differenzierungen zu schaffen, die nicht aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen abgeleitet werden können (z.B. VfSlg. 3754/1960, 3970/1961, 4090/1961 u.v.a.).

§ 14 Abs 1 UFG normiert, daß einem mehrfach durch einen Dienstunfall oder eine Berufskrankheit Geschädigten nur dann eine Versehrtenrente zusteht, wenn die durch die jeweils letzte Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 10 % beträgt. Dies führt allerdings dazu, daß bei zwei Versicherungsfällen, die zu jeweils unterschiedlichen Verletzungsfolgen, in Summe jedoch zu demselben Gesamtausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben, ein Rentenanspruch nur besteht, wenn die Versicherungsfälle in einer bestimmten Reihenfolge aufgetreten sind. Dies scheint dem Verfassungsgerichtshof eine unsachliche Differenzierung zu sein, da eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung nicht erkennbar ist (vgl. zur Verfassungswidrigkeit einer ähnlichen Regelung in § 210 Abs 1 ASVG: E vom , G112/98)."

4. Die Rechtslage stellt sich folgendermaßen dar:

§ 2 des Gesetzes vom über die Unfallfürsorge für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihre Hinterbliebenen und Angehörigen (Unfallfürsorgegesetz 1967 - UFG. 1967), LGBl. Nr. 8/1969 idgF normiert u.a., daß ein Dienstunfall z.B. ein Unfall ist, der sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis ereignet. Gem. § 6 leg. cit. gebührt Versehrten monatlich eine Versehrtenrente, die sich aus der Grundrente, der Zusatzrente und der Kinderzulage zusammensetzt. Die Grundrente gebührt dem Versehrten gem. § 7 UFG 1967 dann, wenn seine Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Dienstunfalles oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Zeitpunkt des Eintrittes der Versehrtheit hinaus um mindestens 20 % vermindert ist; die Bemessung der Grundrente ist in § 8 leg. cit. geregelt. Gem. § 9 leg. cit. ist die Grundrente bei Änderung des Grades der durch den Dienstunfall verursachten Minderung der Erwerbsunfähigkeit auf Antrag oder von Amts wegen zu erhöhen, herabzusetzen oder zu entziehen.

§ 14 UFG 1967 lautet idF LGBl. Nr. 8/1969, LGBl. Nr. 2/1974 und LGBl. Nr. 33/1977 (die aufgehobene Wortfolge ist durch Unterstreichung hervorgehoben):

"§14.(1) Wird der Versehrte als Beamter des Dienststandes neuerlich durch einen Dienstunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt, so gebührt die Versehrtenrente (§6) nach dem Grad der durch alle Dienstunfälle und Berufskrankheiten verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit, wenn die durch die neuerliche Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Zeitpunkt des Eintrittes der Versehrtheit hinaus mindestens 10 v.H. und die gesamte Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 20 v.H. beträgt. § 7 Abs 3 bis 5 ist sinngemäß anzuwenden."

Der letzte Satz wurde mit der Novelle LGBl. Nr. 33/1977 angefügt; diese Novelle hat aber für die aufgehobene Wortfolge keine Bedeutung, sodaß die Fassung spruchgemäß zu bezeichnen war.

5.1. Die Wiener Landesregierung hat eine Äußerung zum Gegenstand erstattet; sie bringt darin vor, daß auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , G112/98, "womit eine vergleichbare Wortfolge des § 210 ASVG wegen Gleichheitswidrigkeit aufgehoben wurde", bereits ein Entwurf zur Dnderung des Unfallfürsorgegesetzes 1967 ausgearbeitet worden sei, in dem der Entfall der in Prüfung gezogenen Wortfolge des § 14 Abs 1 UFG 1967 vorgesehen sei. Diese Änderung werde voraussichtlich im Herbst vom Wiener Landtag beschlossen.

5.2. Auch der Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens hat unter Verzeichnis von Kosten eine Äußerung erstattet.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Zur Zulässigkeit:

Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit des amtswegig eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens zweifeln ließe; das Verfahren ist daher zulässig.

6.2. In der Sache:

Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes die Wortfolge "die durch die neuerliche Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Zeitpunkt des Eintrittes der Versehrtheit hinaus mindestens 10 v.H. und" in § 14 Abs 1 UFG 1967 sei gleichheitswidrig hat sich als zutreffend erwiesen: Die amtswegig in Prüfung gezogene Wortfolge in § 14 Abs 1 UFG normiert, daß einem mehrfach durch einen Dienstunfall oder eine Berufskrankheit Geschädigten nur dann eine Versehrtenrente zusteht, wenn die durch die jeweils letzte Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 10 % beträgt. Dies führt allerdings dazu, daß bei zwei Versicherungsfällen, die zu jeweils unterschiedlichen Verletzungsfolgen, in Summe jedoch zu demselben Gesamtausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben, ein Rentenanspruch nur besteht, wenn die Versicherungsfälle in einer bestimmten Reihenfolge aufgetreten sind. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keine sachliche Rechtfertigung (vgl. zur Verfassungswidrigkeit einer ähnlichen Regelung in § 210 Abs 1 ASVG: E vom , G112/98).

7. Die im Spruch genannte Wortfolge war daher in der im Spruch genannten Fassung als verfassungswidrig aufzuheben.

8. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz

B-VG.

9. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.

10. Der von der im Verfahren zu B2301/00 beschwerdeführenden und im vorliegenden Verfahren mitbeteiligten Partei beantragte Kostenersatz für die Erstattung der Äußerung im Gesetzesprüfungsverfahren war nicht zuzusprechen, weil Kosten für Interventionen im amtswegig eingeleiteten Normprüfungsverfahren im Anlaßverfahren durch den dort zuzusprechenden Pauschalsatz abgegolten werden.

11. Dies konnte gem. § 19 Abs 4 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.