VfGH vom 20.06.1998, g22/98

VfGH vom 20.06.1998, g22/98

Sammlungsnummer

15204

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung der gänzlichen Ausnahme eines bestimmten Bereichs gesetzlich geregelter öffentlicher Auftragsvergaben vom vergabespezifischen Rechtsschutz; Bindung des innerstaatlichen Gesetzgebers an verfassungsrechtliche Vorgaben auch im Falle des Bestehens gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in einem bestimmten Regelungsbereich

Spruch

Der zweite Satz des § 7 Abs 2 des Bundesvergabegesetzes, BGBl. Nr. 462/1993, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (im folgenden: BVA) anhängig, mit dem aufgrund eines Nachprüfungsantrages unter anderem festgestellt wurde, daß in einem näher bezeichneten Vergabeverfahren der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz nicht dem Bestbieter erteilt wurde.

In diesem Verfahren ging es um die Vergabe eines Auftrages betreffend die Lieferung und Installation einer Kühlwasserverrohrung durch die Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft mbH, ein öffentliches Unternehmen, dessen Gesellschaftsanteile zu 50 % dem Bund und zu je 25 % dem Land Tirol und der Stadt Innsbruck gehören. Die öffentliche Bekanntmachung dieser Ausschreibung erfolgte im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom (und möglicherweise - genau läßt sich das aus dem Akt nicht rekonstruieren - auch im Boten von Tirol). Diese und eine ihr vorangegangene, formell nicht beendete "beschränkte Ausschreibung" stützten sich - wie sich aus dem Verwaltungsakt und der in den Ausschreibungen verwendeten Terminologie (insbesondere "öffentliche Ausschreibung") ergibt - offenkundig auf die - zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht mehr aktuelle - ÖNORM A 2050 (Ausgabe 1957).

Nachdem der Zuschlag einem anderen Unternehmen erteilt worden war, wandte sich ein nicht zum Zug gekommener Bieter mit einem Nachprüfungsantrag zum einen an das Landesvergabeamt beim Amt der Tiroler Landesregierung und zum anderen an das BVA. Das Tiroler Landesvergabeamt wies den Antrag im Hinblick darauf, daß 50 % der Geschäftsanteile der ausschreibenden Gesellschaft vom Bund gehalten werden (vgl. § 1 Abs 1 litd Tiroler VergabeG, LGBl. 87/1994, und § 6 Abs 1 Z 3 BVergG in der damals maßgeblichen Stammfassung, BGBl. 462/1993) wegen Unzuständigkeit zurück. Das BVA führte ein Verfahren durch und entschied mit Bescheid vom folgendermaßen:

"1. Dem Antrag der ... (im Bescheid namentlich genannten) Gesellschaft m.b.H. & Co. KG vom auf Feststellung, daß in dem gegenständlichen Vergabeverfahren der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen nicht dem Bestbieter erteilt wurde, wird stattgegeben.

2. Der Antrag der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m. b.H., den Antrag der ... (namentlich genannten) Gesellschaft m. b.H. & Co. KG mangels Anwendbarkeit des Bundesvergabegesetzes zurückzuweisen, wird abgewiesen.

3. Der Eventualantrag der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. festzustellen, daß von Seiten der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. im gegenständlichen Vergabeverfahren keine Verletzung des Bundesvergabegesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen begangen wurde, wird abgewiesen.

4. Der Antrag der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. festzustellen, daß der ... (namentlich genannten) Gesellschaft m. b.H. & Co. KG auch bei Einhaltung der Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht erteilt worden wäre, wird abgewiesen."

In der Begründung dieses Bescheides legte das BVA zunächst dar, daß es sich für zuständig hält, über den Antrag meritorisch zu entscheiden: Es liege gemäß § 67 Bundesvergabegesetz (BVergG) in der hier maßgeblichen Stammfassung, BGBl. 462/1993, (alle folgenden Zitate dieses Gesetzes beziehen sich auf diese für die Beurteilung des Falles maßgebliche Fassung des BVergG) ein sogenannter Sektorenauftrag vor, für den die Vorschriften des 4. Hauptstückes des 3. Teils des BVergG gelten; die ausgeschriebenen Leistungen seien Teil eines Bauauftrages, der insgesamt den Schwellenwert für Bauaufträge gemäß § 4 Abs 2 iVm § 3 BVergG übersteige; zwar nehme das BVergG durch den zweiten Satz des § 7 Abs 2 Vergabeverfahren im Sektorenbereich von der Kontrolle durch das BVA aus, doch sei diese Bestimmung infolge ihres Widerspruchs zur Richtlinie 92/13/EWG des Rates (der Europäischen Gemeinschaften) vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. 1992 L 076, S 14, (im folgenden: Rechtsmittel-RL Sektoren), mit deren Umsetzung der Bund seit in Verzug gewesen sei, nicht anzuwenden.

In der Sache ging das BVA davon aus, daß die vergebende Stelle mehrfach gegen Vorschriften des BVergG verstoßen habe. Aufgrund der vorliegenden Fehler könne nachträglich nicht mehr ermittelt werden, wer bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG als Bestbieter hervorgegangen wäre.

2. Bei Behandlung dieser Beschwerde entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 7 Abs 2 BVergG. Der Gerichtshof beschloß daher, diese Bestimmung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Diese Bestimmung steht in folgendem Zusammenhang und hat folgenden, in der Wiedergabe hervorgehobenen Wortlaut:

Das BVergG enthält (im 4. Hauptstück seines 3. Teiles) besondere Regelungen für Auftragsvergaben im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor. Dazu zählt gemäß § 67 Abs 2 Z 2 litb BVergG auch die "Nutzung eines geographisch abgegrenzten Gebietes zum Zwecke der ... Versorgung von Beförderungsunternehmen im Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr mit Flughäfen, Häfen oder anderen Verkehrsendeinrichtungen". Für Auftragsvergaben im Bereich dieser sogenannten geschützten Sektoren ordnete § 7 Abs 2 BVergG folgendes an:

"Im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor findet dieses Bundesgesetz nur Anwendung, soweit sich dies aus dem 4. Hauptstück des 3. Teiles ergibt. Auf Vergaben in diesen Bereichen finden die Bestimmungen des 4. Teiles keine Anwendung."

Der 4. Teil des BVergG enthält Bestimmungen über den Rechtsschutz, unter anderem auch solche über die Zuständigkeiten des BVA.

3.a) Unter Hinweis darauf, daß er die Beschwerde auch unter dem Aspekt des Grundrechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zu prüfen habe, nahm der Verfassungsgerichtshof vorläufig an, daß er den - vom BVA unangewendet gelassenen - § 7 Abs 2 zweiter Satz BVergG anzuwenden hätte: zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVA sei eben diese Bestimmung als Maßstab heranzuziehen, da sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , Rs C-54/96, Dorsch Consult (WBl. 1997, 471), die Zuständigkeit zum gemeinschaftsrechtlich gebotenen Rechtsschutz aus den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ergebe.

Im Einleitungsbeschluß ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß das Verfahren der Vergabe öffentlicher Aufträge auch im Sektorenbereich nach Maßgabe des 4. Hauptstückes des 3. Teiles der Stammfassung des BVergG einer gesetzlichen Regelung unterlag (erster Satz des § 7 Abs 2 leg.cit.), daß aber die Vergabekontrolle, wie sie für sonstige gesetzlich geregelte öffentliche Auftragsvergaben vorgesehen ist, für Auftragsvergaben im Sektorenbereich zufolge des zweiten Satzes des § 7 Abs 2 BVergG ausgeschaltet war. Dies schien dem Verfassungsgerichtshof sowohl mit dem Gleichheitsgrundsatz als auch mit dem Rechtsstaatsgebot unvereinbar zu sein:

"Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig keine sachlichen Gründe dafür zu erkennen, daß die spezifisch vergaberechtlichen Rechtsschutzvorschriften für Auftragsvergaben im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung und im Telekommunikationsbereich - im Gegensatz zu allen anderen gesetzlich geregelten Auftragsvergaben - nicht gelten, sodaß für den sogenannten Sektorenbereich ein den anderen Bereichen entsprechender Rechtsschutz nicht gegeben zu sein scheint. Der Tiroler Landesgesetzgeber hat - im Interesse der Einrichtung eines effizienten Rechtsschutzes im Vergabewesen und der Sicherung der Objektivität von Vergabeentscheidungen sowie in Anpassung an die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts - im allgemeinen die Einrichtung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für erforderlich angesehen. Warum es dann gerechtfertigt sein soll, in einem einzelnen Bereich auf einen derartigen Rechtsschutz zur Gänze und ersatzlos zu verzichten, ist dem Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht einsichtig. Vielmehr scheint dies zu einer sachlich nicht begründbaren Ungleichbehandlung der Teilnehmer am Vergabeverfahren im Sektorenbereich gegenüber Bewerbern und Bietern bei sonstigen öffentlichen Auftragsvergaben zu führen und ihnen einen offenkundig im allgemeinen als notwendig erachteten effektiven Rechtsschutz vorzuenthalten. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich somit vorläufig der Rechtsansicht von Thienel (Das Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz, WBl. 1993, 373, insb. 374 f.) an, der derartige Differenzierungen im Rechtsschutz ebenfalls für verfassungswidrig erachtet."

b) Die Bundesregierung trat den Annahmen über die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens nicht entgegen, wohl aber den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes; sie beantragte, die in Prüfung genommene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Zunächst hielt die Bundesregierung - unter Hinweis auf die Erläuterungen zum Stammgesetz (972 BlgNR 18.GP) fest,

"daß in der Stammfassung des EWR-Abkommens die im Bereich der EG bereits damals erlassenen Richtlinien 92/13/EWG (die sog. Sektorenrechtmittelrichtlinie) und ... 92/50/EWG (die sog. Dienstleistungsrichtlinie) noch nicht inkorporiert waren. Dies geschah erst durch Übernahme der erwähnten Richtlinien in den Rechtsbestand des EWR durch den Beschluß des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 7/94, BGBl. Nr. 566/1994, der gemäß seinem Art 3 am in Kraft trat. Das Stammgesetz beschränkte sich daher auf die Umsetzung des strikten, EWR-rechtlich für Österreich bindenden Mindestbereiches des EWR/EG-Rechts."

Aus diesem Grund werde durch

"§7 Abs 2 2. Satz BVergG in seiner Stammfassung, BGBl. Nr. 462/1993, ... der im BVergG für den 'klassischen Bereich' des öffentlichen Auftragswesens vorgesehene Rechtsschutzmechanismus für den Sektorenbereich ausgeschlossen. Der Grund für diese Differenzierung liegt, wie bereits oben erwähnt, in der Tatsache, daß EWR-rechtlich die Übernahme der Richtlinien 92/13/EWG und 92/50/EWG nicht zwingend geboten war."

Die Bundesregierung wies darauf hin,

"daß auch auf Gemeinschaftsebene durch längere Zeit hindurch ein Rechtsschutzsystem für den Sektorenbereich nicht existierte. Während für den klassischen Bereich bereits die Richtlinie 89/665/EWG seit Dezember 1991 einschlägig vergabespezifische Regelungen vorsah, wurden für den Bereich der Sektoren erst 1992 durch die Richtlinie 92/13/EWG die entsprechenden Regelungen geschaffen, wobei eine Umsetzungsfrist bis vorgesehen war. Auch auf Gemeinschaftsebene bestand daher in diesem Zeitraum ein inhomogenes Rechtsschutzsystem. Während Vergaben nach den klassischen Richtlinien (Bau- und Lieferrichtlinie; ab auch Dienstleistungsrichtlinie) einem vergabespezifischen Rechtsschutzinstrumentarium unterworfen wurden, galt für Sektorenaufträge aufgrund der damals geltenden Richtlinie 90/531/EWG das allgemeine in die Mitgliedstaaten etablierte Rechtsschutzsystem bzw. wurde vom Gemeinschaftsgesetzgeber bewußt in Kauf genommen, daß - falls in einzelnen Mitgliedstaaten ein derartiges System nicht existierte - kein Rechtsschutz im genannten Bereich bestand. Der Grund dafür liegt offenbar nicht zuletzt in den Besonderheiten des Sektorenbereichs begründet.

Nach Ansicht der Bundesregierung verpflichtet die Beschränkung des Regelungsgegenstandes in einer gemeinschaftlichen Bestimmung den nationalen Gesetzgeber nicht, Regelungen, die nicht Regelungsgegenstand der (zwingenden) Gemeinschaftsbestimmung sind, gleichsam flankierend zur Begründung der Sachlichkeit der nationalen Regelung zu erlassen. Der Umstand, daß das Gemeinschaftsrecht nur für einen bestimmten Bereich eine Regelung vorsieht (z.B. im Bereich Landwirtschaft nur betreffend Weizen, nicht jedoch Mais), stellt somit auch eine Rechtfertigung für eine auf diesen Bereich beschränkte innerstaatliche Regelung dar. Nach Ansicht der Bundesregierung stellt die allenfalls gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Beschränkung oder Differenzierung des Regelungsgegenstandes einer zwingenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung jenes objektive Untescheidungsmerkmal dar, welches eine dieser Unterscheidung bzw. Differenzierung folgende innerstaatliche Regelung im Sinne der Judikatur des Gerichtshofes - auch unter Berücksichtigung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des innerstaatlichen Gesetzgebers und der Besonderheiten des Sektorenbereichs - 'sachlich begründet' (vgl. VfSlg. 2088, 2884, 13178)."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Den vorläufigen Annahmen über die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens wurde nicht widersprochen. Sie haben sich vielmehr bestätigt (vgl. auch das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G450/97):

das Verfahren ist zulässig.

2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen. Sie gingen dahin, daß es sachlich nicht zu rechtfertigen und mit dem Rechtsstaatsgebot unvereinbar sei, den Bewerbern und Bietern in einem Teilbereich der gesetzlichen Regelungen unterliegenden Vergabeverfahren einen ansonsten als notwendig erachteten effektiven Rechtsschutz zu versagen.

In seinem schon zitierten Erkenntnis G450/97, in dem eine eine gleichartige Konstellation betreffende Bestimmung des Tiroler Vergabegesetzes Gegenstand der Gesetzesprüfung war, hat der Gerichtshof seine aufhebende Entscheidung folgendermaßen begründet:

"Der Verfassungsgerichtshof hat ... keine Bedenken dagegen, daß der zuständige Gesetzgeber die Kompetenz zur Feststellung, ob der Zuschlag an den Bestbieter erteilt wurde oder nicht, die nach den Vergabegesetzen systematisch gesehen nur ein Element einer schadenersatzrechtlichen Sanktion für das Fehlverhalten öffentlicher Auftraggeber bei der Zuschlagserteilung darstellt, bei den ordentlichen Gerichten beläßt (vgl. § 1 JN). Es bestehen aber auch keine Bedenken dagegen, diese Kompetenz bei anderen Behörden, die als Tribunale im Sinne des Art 6 EMRK und den Erfordernissen der Rechtsmittelrichtlinien entsprechend eingerichtet sind, anzusiedeln. Schließlich ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht verwehrt, diese Kompetenz in Fällen bestimmter Konstellation einer besonderen Behörde (etwa im Bund dem Bundesvergabeamt oder im Land Tirol dem TVA) zuzuweisen und im übrigen in der Zuständigkeit der Gerichte zu belassen. Dies widerstreitet an sich weder dem Rechtsstaatsprinzip noch - soweit die Zuordnung zu den einzelnen Bereichen nach sachlichen Kriterien erfolgt - dem Gleichheitsgrundsatz. Die Systemgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Während somit keine Bedenken dagegen bestehen, daß durch die in Prüfung genommene Bestimmung die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Zuschlags nicht an das TVA übertragen wurde, sondern bei den Gerichten verbleibt, hat sich die Differenzierung hinsichtlich des Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung als sachlich nicht rechtfertigbar erwiesen. Für diesen Bereich sollen die vergabespezifischen Rechtsvorschriften des TirVergG sichern, daß den Bewerbern und Bietern ein den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz gewährt wird, der die in der Lehre konstatierten Defizite bloß gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens (vgl. insb. Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in: Korinek-Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 19 ff., insb. 30 f.) ausgleichen soll. Von diesem vergabespezifischen Rechtsschutz sind durch die in Prüfung stehende Regelung Vergabeverfahren im Bereich der sogenannten geschützten Sektoren ausgenommen; eine sachliche Rechtfertigung hiefür hat weder die Tiroler Landesregierung genannt, noch ist sie im Verfahren sonst hervorgekommen."

Der Gerichtshof bleibt bei seiner Auffassung. Die Ansicht der Bundesregierung, eine vor dem Beitritt Österreichs zur EU im Gemeinschaftsrecht bestandene unterschiedliche Regelung der verschiedenen Bereiche der Auftragsvergabe sei geeignet, das Fehlen eines vergabespezifischen raschen und effizienten Rechtsschutzes in einem Teilbereich der gesetzlich geregelten Auftragsvergabe zu rechtfertigen, trifft nicht zu:

Es ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß der Gesetzgeber bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden bleibt, als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird. Der Gesetzgeber unterliegt also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen (vgl. zB ua., vom , G450/97, und aus der Literatur etwa Öhlinger, Verfassungsrecht3, 1997, 98; Holzinger, Zu den Auswirkungen der österreichischen EU-Mitgliedschaft auf das Rechtsschutzsystem der Bundesverfassung, in: FS Günther Winkler, 1997, 351 ff., hic:

355).

Eine differenzierende Regelung bedarf also der sachlichen Rechtfertigung, um vor den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes Bestand zu haben. Der Umstand, daß für einen bestimmten (Teil-)Regelungsbereich gemeinschaftsrechtliche Vorschriften bestimmter Art bestehen, bewirkt keineswegs, daß der innerstaatliche Gesetzgeber bei Regelung des Regelungsbereichs insgesamt nicht mehr an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden wäre. Vielmehr bleibt er - neben seiner Bindung an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben - auch an die Verfassung gebunden und die Frage der Entsprechung der gesetzlichen Regelungen mit der Verfassung unterliegt auch dann der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, wenn es sich um Ausführungsregelungen zum Gemeinschaftsrecht handelt (vgl. , und vom , G450/97). Die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes oder anderer Elemente des verfassungsrechtlichen Rahmens nicht erlaubten, braucht im gegebenen Zusammenhang nicht erörtert zu werden, da eine solche Situation nicht vorliegt.

Eine sachliche Rechtfertigung für die gänzliche Ausnahme eines bestimmten Bereichs gesetzlich geregelter öffentlicher Auftragsvergaben vom vergabespezifischen Rechtsschutz ist daher nicht erkennbar, sodaß sich die in Prüfung genommene Bestimmung als verfassungswidrig erweist. Im Hinblick darauf, daß sie inzwischen außer Kraft getreten ist, war gemäß Art 140 Abs 4 B-VG auszusprechen, daß die als verfassungswidrig erkannte Bestimmung verfassungswidrig war.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art 140 Abs 5 erster und zweiter Satz B-VG und § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG, der - verfassungskonform interpretiert - das Bundesgesetzblatt I auch zur Kundmachung von Aussprüchen bestimmt, daß Bestimmungen aus Bundesgesetzen verfassungswidrig waren.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden, da die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind.