VfGH vom 04.03.1991, g22/90
Sammlungsnummer
12660
Leitsatz
Aufhebung der Regelung über das unterschiedliche Pensionsalter für den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit für Männer und Frauen in Teilen des § 111 BSVG; keine sachliche Rechtfertigung einer bloß nach dem Geschlecht differenzierenden Regelung
Spruch
Die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 111 Abs 3 Z 1 litb und die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 111 Abs 4 Z 1 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes - BSVG, BGBl. Nr. 559/1978, idF der 9. Novelle zum BSVG, BGBl. Nr. 113/1986, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Der Oberste Gerichtshof (Senat 10) beantragte mit Beschluß vom (10 Ob S 359/89), die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 111 Abs 3 Z 1 litb BSVG und die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 111 Abs 4 Z 1 BSVG, BGBl. Nr. 559/1978, idF der 9. Novelle, BGBl. Nr. 113/1986, als verfassungswidrig aufzuheben.
Hiezu bringt der Oberste Gerichtshof vor, mit Bescheid vom habe die Sozialversicherungsanstalt der Bauern einen Antrag auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension unter Berufung auf § 111 BSVG abgewiesen, weil die Antragstellerin die für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestanzahl von Versicherungsmonaten nicht habe vorweisen können. Die dagegen erhobene Klage sei aus demselben Grunde abgewiesen worden. Das Berufungsgericht habe der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge gegeben und die im Rechtsmittel angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht geteilt. Gegen das Berufungsurteil sei von der Klägerin neuerlich die Verfassungswidrigkeit des § 111 BSVG geltend gemacht worden.
Der Oberste Gerichtshof hegt gegen die im anzuwendenden § 111 BSVG vorgesehene unterschiedliche Altersregelung für männliche und weibliche Versicherte verfassungsrechtliche Bedenken wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot.
2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Antrag stellt, die angegriffenen Gesetzesstellen nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Durch das BSVG wird unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit getroffen (§§123 ff. BSVG).
Die Leistungen der Pensionsversicherung sind dabei (auch) an die Leistungsvoraussetzung der Erfüllung einer bestimmten Wartezeit (Mindestanzahl von Versicherungsmonaten) geknüpft. Für die Versicherungsfälle der Erwerbsunfähigkeit genügen gemäß § 111 Abs 3 Z 1 lita BSVG bei einem Stichtag vor der Vollendung des
55. (bei männlichen Versicherten) bzw. 50. (bei weiblichen Versicherten) Lebensjahres 60 Versicherungsmonate (kurze Wartezeit), die gemäß § 111 Abs 4 Z 1 BSVG innerhalb der letzten 120 Kalendermonate liegen müssen. Bei einem späteren Stichtag erhöht sich nach § 111 Abs 3 Z 1 litb BSVG die kurze Wartezeit für jeden weiteren Lebensmonat um einen Versicherungsmonat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten, wobei sich nach § 111 Abs 4 Z 1 BSVG die Rahmenfrist von 120 Kalendermonaten für jeden weiteren Lebensmonat um zwei Kalendermonate bis zum höchsten Ausmaß von 360 Kalendermonaten vor dem Stichtag erhöht. Die unterschiedliche Regelung für männliche und weibliche Versicherte zielt auf die Unterschiedlichkeit des Anfallsalters bei einer normalen Alterspension (§121 BSVG) ab.
§ 111 Abs 3 und 4 BSVG in der vom Obersten Gerichtshof anzuwendenden Fassung der 9. Novelle, BGBl. Nr. 113/1986, hat folgenden Wortlaut (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"(3) Die Wartezeit ist erfüllt, wenn am Stichtag (§104 Abs 2) Versicherungsmonate im Sinne dieses Bundesgesetzes in folgender Mindestzahl vorliegen:
1. für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit sowie aus dem Versicherungsfall des Todes
a) wenn der Stichtag vor Vollendung des 55. Lebensjahres bei männlichen, vor Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, 60 Monate; b) wenn der Stichtag nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, erhöht sich die Wartezeit nach lita je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Monat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten;
2. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall des Alters 180 Versicherungsmonate.
(4) Die gemäß Abs 3 Z 1 und 2 für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestzahl von Versicherungsmonaten muß, unbeschadet der Bestimmungen des § 112,
1. im Falle des Abs 3 Z 1 innerhalb der letzten
120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen; dieser Zeitraum verlängert sich, wenn der Stichtag nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten;
2. im Falle des Abs 3 Z 2 innerhalb der letzten
360 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen."
4. Der anfechtende Oberste Gerichtshof legt zunächst dar, daß er bei der Entscheidung über die an ihn gerichtete Revision unter Bedachtnahme auf ArtII Abs 12 und 13 der 8. BSVG-Novelle die Bestimmung des § 111 Abs 3 Z 1 litb und Abs 4 Z 1 zweiter Halbsatz BSVG anzuwenden habe. Die Verlängerung der Rahmenfrist der zitierten Regelungen, deren Beginn bei männlichen Versicherten erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres, bei weiblichen Versicherten hingegen schon nach Vollendung des 50. Lebensjahres zu rechnen sei, sei eine direkte Folge des unterschiedlichen Anfallsalters der normalen Alterspension, auf die der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte schon nach Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch habe (§121 Abs 1 BSVG).
Während die Verschiedenheit des Anfallsalters die weiblichen Versicherten begünstige, würden diese durch die früher beginnende Erhöhung der Wartezeit gegenüber männlichen Versicherten grundsätzlich benachteiligt, wobei nicht verkannt werden solle, daß die wachsende Wartezeit für beide Geschlechter zehn Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter beginne.
Der Oberste Gerichtshof habe in seinem Beschluß vom , 10 Ob S 71/88, in dem er beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im § 253b Abs 1 ASVG beantragte, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine unterschiedliche Regelung des Lebensalters für den Anspruch auf eine Alterspension für männliche und weibliche Versicherte im wesentlichen wie folgt begründet:
"Gegen eine sich aus der körperlichen Beschaffenheit der Frauen ergebende frühere Arbeitsunfähigkeit spricht vor allem die erheblich höhere durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen gegenüber jener der Männer. Sie betrug im Jahr 1986 für damals geborene Männer 71 Jahre, für Frauen 77.73 Jahre, für damals 55jährige Männer 21.04 Jahre, für Frauen 25.63 Jahre, für damals 60jährige Männer 17.36 Jahre, für Frauen 21.29 Jahre, für damals 65jährige Männer 13.91 Jahre, für Frauen
17.18 Jahre (Demographisches Jahrbuch Österreichs 1986, 156 f; Statistisches Handbuch für die Republik Österreich 1987, 49), was im Zusammenhang mit dem früheren Pensionsalter zu einer wesentlich höheren Pensionsbezugsdauer der Frauen führt (vgl dazu Ivansits aaO 469). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß der Gesetzgeber bei den öffentlich Bediensteten keinen Unterschied im Anfallsalter zwischen Männern und Frauen macht. Zwar handelt es sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und bei der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete (VfSlg 5241/1966; JBl 1988, 442), doch müßte die in den Sozialversicherungsgesetzen angenommene frühere Arbeitsunfähigkeit von Frauen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution wohl auch für Frauen im öffentlichen Dienst gelten, bedenkt man, daß in vielen Fällen pragmatisierte Frauen die gleiche Tätigkeit wie Vertragsbedienstete verrichten, jedoch eine unterschiedliche Pensionsregelung besteht. Andererseits hat der Gesetzgeber im § 255 Abs 4 ASVG bei der (erleichterten) Invaliditätspension Männer und Frauen gleich behandelt. Bei beiden Geschlechtern nimmt hier der Gesetzgeber an, daß ein 55 Jahre alter Versicherter nicht mehr auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann als jene, die er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmoate ausgeübt hat. Dazu kommt, daß die derzeitige gesetzliche Regelung nicht berücksichtigt, welche Tätigkeit eine Frau verrichet hat, sondern alle Frauen gleich behandelt. Es ist sicherlich denkbar, daß in Berufen, die mit größerer körperlicher Anstrengung verbunden sind, Frauen wegen ihrer körperlich schwächeren Konstitution früher arbeitsunfähig werden als Männer und bezüglich solcher Berufe eine unterschiedliche Pensionsregelung sachlich gerechtfertigt wäre. In zahlreichen Berufen, vor allem auf dem Angestelltensektor, spielt jedoch die körperliche Belastung - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle. Ob die bei ein bis zwei Drittel aller Frauen in der Postmenopause auftretenden klimakterischen Beschwerden (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255, 861) für sich allein eine allgemeine Senkung des Pensionsalters von Frauen gegenüber Männern rechtfertigt, kann bezweifelt werden. Gegen die vom Gesetzgeber zur Begründung herangezogenen Argumente bestehen daher jedenfalls wesentliche Bedenken.
Aber auch die von der Lehre zur Begründung herangezogene Doppelbelastung der Frau durch Beruf und Haushalt stellt kein entscheidendes Argument für die unterschiedliche Behandlung dar. Hier berücksichtigt das Gesetz zunächst nicht, daß ein nicht unerheblicher, durchaus ins Gewicht fallender und daher nicht zu vernachlässigender Teil der berufstätigen Frauen alleinstehend ist. Für sie unterscheidet sich die Belastung durch Beruf und Haushalt nicht von jener der alleinstehenden Männer. Wenngleich die in der Revision enthaltene Statistik über den Prozentsatz der kinderlosen Frauen nicht ohne weiteres aussagekräftig ist, weil sie Frauen bereits ab dem 15. Lebensjahr einbezieht, also ab einem Alter, in dem auch Frauen üblicherweise noch nicht verheiratet sind und auch noch keine Kinder haben, kann doch nicht übersehen werden, daß vor allem in der jüngeren Generation die Tendenz, keine familiären Bindungen einzugehen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen zunimmt. Auch von den Frauen der älteren Generation, die jetzt in das Pensionsalter kommen, sind aufgrund des durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Männermangels viele unverheiratet und ohne Nachkommen geblieben. Auch für sie gilt das Argument von der Doppelbelastung daher nicht allgemein. Dazu kommt aber noch die seit der Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe durch das Gesetz BGBl 1975/412 geänderte Rechtslage. Während das seinerzeitige Recht in den §§91 und 92 ABGB aF davon ausging, daß der Mann das Haupt der Familie ist, in dieser Eigenschaft das Hauswesen zu leiten hat und die Frau ihm in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen hat, ist seither die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders der Haushaltsführung und der Erwerbstätigkeit im § 91 ABGB gesetzlich festgelegt. Soweit aber Änderungen im Bereich eines Rechtsgebietes die für ein anderes Rechtsgebiet maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ändern, ist bei Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Regelung dieses anderen Rechtsgebietes auf die so geschaffenen Verhältnisse Bedacht zu nehmen ( RdA 1981, 141). Wenngleich sich sicherlich in der älteren Generation der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe noch nicht in größerem Umfang durchgesetzt hat und bezüglich dieser allenfalls zu berücksichtigen wäre, daß deren jetzt in das Pensionsalter kommende Frauen noch einen Großteil ihres Ehe- und Familienlebens unter der alten Familienrechtslage zugebracht haben, ist gerade in der jüngeren Generation in dieser Richtung sicher ein Umdenken im Gang, was letzten Endes auch mit ein Grund für die Änderung der gesetzlichen Bestimmungen war. Da seit der Änderung der Gesetzeslage immerhin bereits 12 Jahre vergangen sind, kann davon ausgegangen werden, daß sich der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe bereits in einem nicht unerheblichen Ausmaß durchgesetzt hat, so daß die Zahl der nun nicht mehr doppelbelasteten Frauen keine zu vernachlässigende Größe mehr darstellt. Würde der gegenwärtige gesetzliche Zustand unverändert beibehalten, so würde sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter weiter verstärken. Es können jedoch nur solche Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein, die wenigstens in Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden ( RdA 1981, 141), was hier nicht der Fall wäre. Diesen Umstand übersieht auch die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom (EuGRZ 1987, 291 und NJW 1987, 1541), ... (Auch) wird nach Ansicht des erkennenden Senates übersehen, daß die unbestrittenermaßen bestehenden beruflichen Nachteile der Frauen durch Schwangerschaft und Geburt die für die jetzt in das Pensionsalter tretenden Frauen noch nicht durch gesetzliche Maßnahmen ausgeglichen wurden (vgl die Verbesserung der Ersatzzeitenregelung in § 227 Abs 1 Z 3 und 4 ASVG) sowie Kindererziehung und die aus diesen Gründen vielleicht erfolgte Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen nicht dadurch ausgeglichen werden können, daß den Frauen das Recht zur früheren Pensionierung eingeräumt wird. Denn gerade ein früherer Pensionsantritt verstärkt noch die Benachteiligung der Frauen, da sie hiedurch noch weniger anrechenbare Zeiten erlangen und damit die Höhe der Pension noch geringer wird. Von einer bestehende Benachteiligung ausgleichenden Regelung kann daher in diesem Zusammenhang kaum gesprochen werden.
Dagegen, daß der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Regelung des Pensionsanfallsalters die durch die Unterbrechung einer entgeltlichen Tätigkeit durch Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung bei Frauen bestehenden schlechteren Versicherungsverläufe ausgleichen wollte, spricht im übrigen auch die durch die 40. ASVG-Novelle getroffene Neuregelung der Wartezeit für Leistungen aus dem Versicherungsfall der verminderten Arbeitsfähigkeit im § 236 ASVG. Diese beträgt bei männlichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 55. Lebensjahres liegt, bei weiblichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, 60 Monate. Wenn der Stichtag nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei männlichen Versicherten und nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, beträgt die Wartezeit je nach Lebensalter des Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat jeweils ein Monat mehr bis zum Höchstausmaß von
180 Versicherungsmonaten. Diese Bestimmung bedeutet eine Benachteiligung weiblicher Versicherter. Während etwa für einen Mann mit 55 Jahren eine Wartezeit von 60 Monaten für den Anspruch auf eine Pensionsleistung wegen verminderter Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, gelangt eine Frau gleichen Alters nur dann in den Genuß der Leistung, wenn sie 120 Versicherungsmonate aufzuweisen hat.
Schließlich ist auch noch auf die zunehmende, bereits nicht unbeträchtliche Zahl von Frauen mit Teilzeitbeschäftigung zu verweisen, bei denen naturgemäß die Doppelbelastung durch Beruf und Haushaltsführung nicht mehr so schwer ins Gewicht fällt."
Diese Bedenken gegen die unterschiedliche Regelung des Lebensalters für eine Alterspension für männliche und weibliche Versicherte nach dem ASVG träfen auch für die angefochtenen Bestimmungen des BSVG über die an die geschlechtsspezifische Regelung der Alterspension anknüpfenden geschlechtsunterschiedlichen Bestimmungen über den Beginn der Erhöhung der Wartezeit und der Verlängerung der Rahmenfrist der bekämpften Bestimmungen zu.
5. Die Bundesregierung hat die angefochtene Regelung mit im wesentlichen wortgleichen Ausführungen, wie sie sie zur Parallelregelung des ASVG im Verfahren G223/88 ua. vorbrachte (vgl. ua., S 22 ff.), verteidigt.
6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
6.1. Der Antrag ist zulässig. Die angefochtenen Regelungen sind vom Obersten Gerichtshof offenkundig anzuwenden.
6.2. Die Bedenken treffen auch zu:
6.2.1. Mit Erkenntnis vom , G223/88 ua., hat der Verfassungsgerichtshof (auch) die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 236 Abs 1 Z 1 litb ASVG und die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 236 Abs 2 Z 1 ASVG wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufgehoben. In der Begründung zu dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof insbesondere ausgeführt:
"Der Verfassungsgerichtshof geht ... davon aus, daß viele Frauen aufgrund ihrer traditionellen gesellschaftlichen Rolle besonderen Belastungen durch die Haushaltsführung und Obsorge für Kinder ausgesetzt waren und noch ausgesetzt sind. In Übereinstimmung mit den antragstellenden Gerichten ist aber der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, daß auch bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung die Festlegung eines unterschiedlichen Pensionsalters für Frauen und Männer kein geeignetes Mittel ist, um den Unterschieden in der gesellschaftlichen Rolle der Frauen und Männer angemessen Rechnung zu tragen.
Zu Recht wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, daß eine nicht unerhebliche und daher nicht zu vernachlässigende Anzahl berufstätiger Frauen gar nicht der erwähnten Doppelbelastung ausgesetzt sei und daß die derzeitige Regelung auch nicht berücksichtige, in welchem Maße Frauen tatsächlich durch die Haushaltsführung und Kindererziehung besonders belastet sind.
Daß es keinen adäquaten Ausgleich für die bei einer bestimmten Anzahl der Frauen bestehende Doppelbelastung durch Beruf und Familie darstellt, wenn für sozialversicherte Frauen generell ein niedrigeres Pensionsanfallsalter festgesetzt wird als für Männer, zeigt sich besonders deutlich in jenen Fällen, in denen Frauen wegen der Obsorge für Kinder ihre Berufslaufbahn später beginnen oder unterbrechen mußten: Sie haben dadurch gegenüber Männern und Frauen, die ihre Berufslaufbahn unmittelbar nach der Ausbildung begonnen haben und ununterbrochen fortsetzen konnten, in ihrer pensionsrechtlichen Stellung bedeutende Nachteile. Entweder kommen sie überhaupt nicht in den Genuß der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer (Frühpension) oder sie müssen aufgrund der geringeren Versicherungszeiten (Beitragszeiten und Ersatzzeiten) eine niedrigere Pension in Kauf nehmen. ...
...
Was immer der Grund dafür gewesen sein mag, daß der Unterschied im tatsächlichen Pensionszugangsalter zwischen Männern und Frauen weit unter fünf Jahren liegt, das Verfahren hat jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die besondere Belastung durch die Haushaltsführung und Obsorge für Kinder tatsächlich durch das niedrigere Pensionszugangsalter von Frauen abgegolten wird. Das niedrigere Pensionsanfallsalter für Frauen kommt eher jener Gruppe von Frauen zugute, deren Berufslaufbahn nicht durch Haushaltsführung und Obsorge für Kinder unterbrochen war, die also mehr Versicherungszeiten erwerben konnten als jene Frauen, deren Belastung abgegolten werden soll.
Die von der Bundesregierung vorgelegten Statistiken bestätigen, daß die Belastung von Frauen zunimmt, je mehr Kinder zu betreuen sind. Je größer diese Belastung jedoch ist, umso weniger ist eine Frau in der Regel in der Lage, die für einen frühen Pensionsantritt erforderlichen Versicherungszeiten zu erwerben.
Die angefochtenen Bestimmungen begünstigen somit vorwiegend jene Frauen, die der Belastung, die das niedrigere Pensionsalter ausgleichen soll, gar nicht oder wesentlich weniger ausgesetzt waren als Frauen, die infolge Haushaltsführung und Obsorge für Kinder ihre Berufslaufbahn unterbrechen mußten, und deren tatsächliches Pensionsanfallsalter daher in Wahrheit jenem der Männer in der Regel gleichkommt. ...
...
Auch die Behauptung der Bundesregierung, daß bei Frauen früher als bei Männern die Arbeitskraft unter das für den Verbleib im Arbeitsprozeß notwendige Ausmaß sinke, gilt keineswegs allgemein. Der Verfassungsgerichtshof verkennt dabei nicht, daß es noch immer Berufe gibt, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden und die erhöhte körperliche Beanspruchung mit sich bringen. Selbst eine Durchschnittsbetrachtung rechtfertigt aber nicht eine (scheinbare oder wirkliche) Begünstigung aller Frauen in gleicher Weise, also eine rein geschlechtsspezifische Differenzierung, wohl aber würde sie eine nach der Art der Tätigkeit differenzierende Regelung rechtfertigen (vgl. zB ArtVII des Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetzes).
Auch der statistische Vergleich des Pensionszugangsalters bei Männern und Frauen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit stützt die Argumente der Bundesregierung nicht. Er zeigt vielmehr folgendes Bild:
Bei selbständig Erwerbstätigen und Bauern bestand im langjährigen Durchschnitt überhaupt kein Unterschied im Pensionszugangsalter von Männern und Frauen. ...
...
Auch mit anderen Fakten konnte die Bundesregierung nicht belegen, daß die für die berufliche Tätigkeit erforderliche Leistungsfähigkeit generell bei Frauen in einem niedrigeren Lebensalter wegfällt als bei Männern. Die dem Verfassungsgerichtshof von den Parteien vorgelegten und von ihm eingeholten weiteren Unterlagen belegen die Behauptungen der Bundesregierung ebenfalls nicht. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte für deren Zutreffen ergeben.
Die bestehenden Unterschiede im gesetzlich festgelegten Pensionsalter lassen sich daher auch nicht durch biologische Gründe rechtfertigen.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, wenn er bei Änderung der Rechtslage plötzlich und intensiv in erworbene Rechtspositionen eingreift. Dieser aus dem Gleichheitssatz erfließende Vertrauensschutz bedarf dann besonderer Beachtung, wenn Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit ihre Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension eingerichtet haben (vgl. VfSlg. 11288/1987 und 11665/1988). Der Verfassungsgerichtshof hatte daher zu prüfen, ob eine Beseitigung der derzeitigen Regelung nicht zu einem so intensiven Eingriff in erworbene Rechtspositionen führt, daß dadurch eine andere Unsachlichkeit und somit Gleichheitswidrigkeit bewirkt würde.
Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß der Vertrauensschutz zwar eine Beibehaltung der bisherigen Regelung für jene Frauen rechtfertigt, die nahe dem Pensionsalter sind und die daher ihre Lebensführung bereits auf den herannahenden Ruhestand eingerichtet haben. Die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Regelung für alle Frauen, also auch für jene, die dem Pensionsalter fern sind, würde aber für den überwiegenden Teil berufstätiger Frauen ein Vertrauen in die ständige Aufrechterhaltung einer an sich gleichheitswidrigen Regelung schaffen. Der Verfassungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf seine Ausführungen im Erkenntnis VfSlg. 8871/1980 (Witwerpension), die in gleicher Weise auch für den Abbau von Unterschieden im Pensionsalter gelten. In diesem Erkenntnis führte der Verfassungsgerichtshof aus:
'Ein Grund für die zumindest vorläufige Beibehaltung der gegenwärtigen Regelung könnte allerdings im Bestreben gefunden werden, erworbene Anwartschaften unberührt zu lassen und die Hinterbliebenenversorgung zugunsten des Mannes allmählich auszubauen; die erheblichen Kosten der Verwirklichung dieses Zieles und die technischen Schwierigkeiten einer sofortigen Angleichung auf niedrigerem Niveau könnten dann die vorübergehende Hinnahme einer ungleichen Behandlung nahelegen.
Solche Überlegungen führen aber im vorliegenden Fall nicht zum Ergebnis, daß der gegenwärtige Rechtszustand völlig unverändert beibehalten werden darf. ... Es können indessen nur solche Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein, die wenigstens in der Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden.'
Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Überlegungen:
Es fällt in den rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers, unterschiedliche Belastungen von Personen oder Personengruppen im Arbeitsleben bei der Gestaltung des Leistungsrechtes der Pensionsversicherung entsprechend zu berücksichtigen.
Die angefochtenen Regelungen, die allgemein bloß nach dem Geschlecht unterscheiden und Frauen als eine einheitliche Gruppe Männern gegenüberstellen, berücksichtigen in Wahrheit nicht jene Besonderheiten, die zu ihrer Rechtfertigung dienen sollen. Sie kommen vorwiegend jenen Frauen zugute, deren Rollenbild sich von jenem der Männer nicht unterscheidet, während jene Frauen, die durch Haushaltsführung und Obsorge für Angehörige besonders belastet sind, von solchen Regelungen in wesentlich geringerem Maße Gebrauch machen können. Das unterschiedliche Maß der Belastung von Frauen und die tatsächliche körperliche Beanspruchung findet in derart undifferenzierten Regelungen keinen Niederschlag. Solche Regelungen sind daher ungeeignet, den aufgezeigten faktischen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber kann allerdings, ohne gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend Nachteile, die Gruppen von Personen im Arbeitsleben etwa durch erhöhte physische oder psychische Belastung typischerweise erleiden, durch eine entsprechende Gestaltung des Leistungsrechtes und dabei etwa auch durch Festlegung eines niedrigeren Pensionsanfallsalters abgelten.
Den angefochtenen - bloß nach dem Geschlecht differenzierenden - Regelungen fehlt jedoch die sachliche Rechtfertigung. Sie verletzen den Gleichheitsgrundsatz und waren daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf die weiteren Bedenken der antragstellenden Gerichte nicht mehr einzugehen.
Der Gesetzgeber ist jedoch durch den Gleichheitsgrundsatz keineswegs gehalten, sogleich und schematisch für Männer und Frauen das gleiche Pensionsalter festzusetzen. Eine sofortige schematische Gleichsetzung des gesetzlichen Pensionsalters für Männer und Frauen wäre dem Gesetzgeber sogar verwehrt, weil er damit den Schutz des Vertrauens in eine im wesentlichen über Jahrzehnte geltende gesetzliche Differenzierung verletzen würde. Dem Vertrauensschutz kommt aber gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung zu.
Der Gesetzgeber muß bei Schaffung einer alle verfassungsrechtlichen Aspekte berücksichtigenden einfachgesetzlichen Rechtslage den Abbau der Unsachlichkeit der bisherigen Regelung einerseits und den Vertrauensschutz andererseits gegeneinander abwägen. Diese Abwägung fällt in seinen rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum. Er kann für jene Personen, die dem Pensionsalter nahe sind, im Sinne des Vertrauensschutzes auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechtes die bisherigen Unterschiede im Pensionsalter aufrecht erhalten, wenn - und nur wenn - er gleichzeitig Regelungen schafft, die einen allmählichen Abbau der bloß geschlechtspezifischen Unterscheidung bewirken."
6.2.2. Da die hier angefochtenen Bestimmungen des § 111 Abs 3 Z 1 litb BSVG und des § 111 Abs 4 Z 1 BSVG jenen des § 236 Abs 1 Z 1 litb bzw. des § 236 Abs 2 Z 1 ASVG
nachgebildet sind - worauf sowohl der Oberste Gerichtshof in seinem Antrag als auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung hinweisen (so auch schon explizit die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur 8. BSVG-Novelle, 329 BlgNR 16. GP, 10) -, treffen die eben wiedergegebenen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes in gleicher Weise auch für die im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren angefochtenen Regelungen des § 111 Abs 3 Z 1 litb und des § 111 Abs 4 Z 1 BSVG zu, zumal im Bereich der Sozialversicherung der Bauern das tatsächliche Pensionszugangsalter bei Frauen höher liegt als bei männlichen Versicherten. Aus diesem Grunde waren daher auch die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 111 Abs 3 Z 1 litb BSVG und die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" in § 111 Abs 4 Z 1 BSVG wegen Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot der Verfassung aufzuheben.
6.3. Die Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung und der Ausspruch über die Kundmachung stützen sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausspruch, daß frühere Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, auf Art 140 Abs 6 B-VG.
6.4. Diese Entscheidungen konnten gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.