TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 23.09.2010, G218/09

VfGH vom 23.09.2010, G218/09

19159

Leitsatz

Verstoß des im Tiroler Landes-Polizeigesetz normierten generellen Verbotes von Werbung für Bordelle gegen das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung

Spruch

§ 17 Abs 5 litb des Gesetzes vom zur Regelung bestimmter polizeilicher Angelegenheiten (Landes-Polizeigesetz), LGBl. für Tirol Nr. 60, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1754/07 eine

Beschwerde gemäß Art 144 B-VG anhängig, die sich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (im Folgenden: UVS) vom wendet, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom , als unbegründet abgewiesen worden ist.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs 5 litb des Gesetzes vom zur Regelung bestimmter polizeilicher Angelegenheiten (Landes-Polizeigesetz), LGBl. 60, (im Folgenden: Tiroler Landes-Polizeigesetz) entstanden. Der Gerichtshof hat daher mit Beschluss vom , B1754/07-6, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung eingeleitet.

3. Im Prüfungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die vorliegende Beschwerde zulässig sei und dass er bei der Behandlung der Beschwerde § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz, auf den sich die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides gestützt hat, anzuwenden hätte.

In der Sache äußerte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss folgende Bedenken:

"2.1. Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst davon aus, dass gemäß § 17 Abs 5 Tiroler Landes-Polizeigesetz jede Form der Werbung für ein Bordell sowie Hinweise auf dessen Betrieb untersagt sind. Der im vorliegenden Beschwerdefall präjudizielle § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz, der 'jede andere Werbung für das Bordell' verbietet, scheint einen umfassenden Auffangtatbestand für den Einsatz jeglicher - von § 17 Abs 5 Tiroler Landes-Polizeigesetz sonst nicht erfasster - Werbemittel zu bilden.

Dass dies den Intentionen des Landesgesetzgebers zu entsprechen scheint, untermauern die Erläuternden Bemerkungen zu § 17 Tiroler Landes-Polizeigesetz, in denen wörtlich Folgendes ausgeführt wird (vgl. Beilage 3, Bericht und Antrag des Rechts- und Gemeindeausschusses zur Regierungsvorlage [Abschnitt II, S 15]):

'Besonders aus Gründen des Jugendschutzes ist es erforderlich, jegliche Werbung für ein Bordell, aber auch alle unmittelbaren Hinweise auf ein Bordell, die nicht werbenden Charakter haben, zu untersagen (Abs5). Das Anwerben von Besuchern außerhalb eines Bordells ist schon nach der Vorschrift des § 14 Abs 1 litb unstatthaft. Neben dieses Verbot tritt ergänzend das im Abs 5 normierte Verbot, Besucher vom Bordell aus persönlich anzuwerben.'

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz vorläufig das Bedenken, dass die Bestimmung gegen das in Art 10 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verstoßen könnte.

Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR , Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, 390; , Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke 'in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' sein (vgl. VfSlg. 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

2.3. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass dem Landesgesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er es etwa aus Gründen des Jugendschutzes (vgl. in diesem Sinne etwa VfSlg. 13.363/1993) für erforderlich hält, Werbung für Bordelle einzuschränken bzw. bestimmte Arten der Werbung zu verbieten.

Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings im Zusammenhang mit absoluten Werbeverboten in seinem Erkenntnis VfSlg. 13.554/1993 (betreffend die Berufsgruppe der Ärzte) auch dargetan, dass eine Regelung, die jede Art der Werbung untersagt, keine Deckung im Gesetzesvorbehalt des Art 10 Abs 2 EMRK findet (ebenso jüngst , zur Werbung auf Windkraftanlagen).

Der Verfassungsgerichtshof kann vorläufig keine Umstände erkennen, die ein ausnahmsloses Werbeverbot für Bordelle, - das etwa auch das Auflegen von Feuerzeugen mit der Internetadresse des Bordells sowie Werbefoldern und Visitenkarten innerhalb des Bordells umfasst - in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse des Jugendschutzes oder des Schutzes der Gesundheit und der Moral notwendig erscheinen lassen. Ein absolutes und strafbewehrtes Werbeverbot ohne Bedachtnahme auf Ort und Ausgestaltung der Werbung und ohne Rücksicht auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit dürfte zur Erreichung dieser (legitimen) Ziele weder geeignet noch erforderlich sein. Eine verfassungskonforme Interpretation des § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz scheint angesichts des Wortlauts der Bestimmung ausgeschlossen.

Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogene Regelung mit Art 10 EMRK in Widerspruch steht."

4. Die Tiroler Landesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen und für den Fall der Aufhebung des § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz die Festsetzung einer ausreichend bemessenen Frist für das Außerkrafttreten angeregt.

II. Die maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler Landes-Polizeigesetzes, LGBl. 60/1976 idF LGBl. 10/2006, lauten (die in Prüfung gezogene Bestimmung, die seit ihrem In-Kraft-Treten am unverändert in Geltung steht, ist hervorgehoben):

"§17

Betrieb eines Bordells

(1) Die Räume eines Bordells dürfen zur Ausübung der Prostitution nur mietweise und nur an eigenberechtigte Personen überlassen werden, die durch eine höchstens eine Woche zurückliegende amtsärztliche Bestätigung nachzuweisen vermögen, daß sie frei von Geschlechtskrankheiten sind.

(2) Der Inhaber der Bordellbewilligung ist verpflichtet, die im Bordell die Prostitution ausübenden Personen unter Anführung ihres Vor- und Familiennamens, Geburtsdatums, Geburtsortes, Wohnortes und der Höhe des von ihnen zu entrichtenden Mietzinses sowie jede Änderung unverzüglich der Behörde und der zur Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren zuständigen Behörde (§23 Abs 2) schriftlich bekanntzugeben.

(3) Der Inhaber der Bordellbewilligung oder sein verantwortlicher Vertreter (§18 Abs 1) muß während der Betriebszeiten im Bordell anwesend sein. Er hat Personen, die durch ihr Verhalten die Ruhe und Ordnung stören, den Zutritt bzw. den weiteren Aufenthalt zu untersagen.

(4) Der Inhaber der Bordellbewilligung hat den Organen der Behörde und der zur Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren zuständigen Behörde (§23 Abs 2) auf Verlangen jederzeit und unverzüglich Eintritt in das Bordell zu gewähren.

(5) Verboten ist:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
das persönliche Anwerben von Besuchern vom Bordell aus,
b)
jede andere Werbung für das Bordell,
c)
jeder Hinweis auf den Betrieb des Bordells und
d)
jede Kennzeichnung des Gebäudes, die unmittelbar auf dessen Verwendung als Bordell hinweist.

(6) Den Prostituierten ist es verboten, im Bordell Besuche zu anderen Zwecken als zur Ausübung der Prostitution zu empfangen.

(7) Der Inhaber der Bordellbewilligung hat alles ihm zumutbare zu unternehmen, um Übertretungen der Abs 5 und 6 hintanzuhalten.

(8) Minderjährigen ist der Besuch eines Bordells verboten. Der Inhaber der Bordellbewilligung hat bei Zweifeln über die Volljährigkeit eines Besuchers diese auf geeignete Weise, etwa durch Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises, zu überprüfen. Kann der Besucher seine Volljährigkeit nicht nachweisen, so ist ihm der Zutritt zu untersagen.

(9) Die Gemeinde hat, soweit dies zur Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie zur Sicherung hygienisch einwandfreier Zustände erforderlich ist, nähere Vorschriften über den Betrieb von Bordellen, insbesondere über die Betriebszeiten, den Genuß von alkoholischen Getränken und die Einrichtung, Ausstattung und Reinhaltung der Räume, zu erlassen.

...

§19

Strafbestimmung

...

(3) Wer den Bestimmungen des § 17 Abs 1 bis 8 sowie den Bestimmungen einer Verordnung nach § 17 Abs 9 zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 1.450,- Euro oder, bei Vorliegen von besonderen Erschwerungsgründen, mit Arrest bis zu zwei Wochen zu bestrafen."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass die Beschwerde zulässig sei, trifft zu; da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, das die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zerstreut. Der Verfassungsgerichtshof hält daher an seiner Auffassung fest, dass das in § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz normierte generelle Verbot von Werbung für Bordelle im Gesetzesvorbehalt des Abs 2 des Art 10 EMRK keine Deckung findet. Wenngleich es zwar im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers liegt, etwa aus Gründen des Jugendschutzes (vgl. in diesem Sinne etwa VfSlg. 13.363/1993) Werbung für Bordelle einzuschränken oder bestimmte Arten der Werbung zu verbieten (vgl. etwa zur zulässigen Beschränkung von Ankündigungen, die der Anbahnung der Prostitution dienen, VfSlg. 11.860/1988), so dürfen diese Einschränkungen die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht überschreiten.

Der Landesgesetzgeber überschreitet diese Grenze aber dann, wenn er jede Art von Werbung - etwa auch das Auflegen von Feuerzeugen mit der Internetadresse des Bordells sowie Werbefoldern und Visitenkarten selbst in den Räumlichkeiten des Bordells - ohne Bedachtnahme auf Ort und Ausgestaltung der Werbung und ohne Rücksicht auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit untersagt. Dass ein derart weit gehendes - absolutes - Verbot von Werbung zur Erreichung der verfolgten Ziele des Jugendschutzes oder des Schutzes der Gesundheit oder der Moral notwendig ist, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden. Ein Verbot jedweder Werbung ist zur Zielerreichung nicht verhältnismäßig (vgl. zum umfassenden Verbot von Werbung auf Windkraftanlagen VfSlg. 18.652/2008).

Eine verfassungskonforme Interpretation des § 17 Abs 5 litb Tiroler Landes-Polizeigesetz ist angesichts des Wortlautes der Bestimmung ausgeschlossen.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außer-Kraft-Treten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG. Die Setzung einer Frist war erforderlich, um dem Tiroler Landesgesetzgeber eine verfassungskonforme Regelung zu ermöglichen.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit in Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche ergibt sich aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.