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VfGH vom 13.03.2003, g218/02

VfGH vom 13.03.2003, g218/02

Sammlungsnummer

16848

Leitsatz

Keine verfassungsgesetzliche Grundlage der bloß einfachgesetzlichen Ermächtigung zur Berichtigung auch materieller Fehler bei der Kundmachung eines Gesetzes im Rahmen einer Druckfehlerberichtigung durch den Bundeskanzler; Verstoß gegen das Gebot der vollständigen Publikation eines Gesetzesbeschlusses im Bundesgesetzblatt; keine verfassungskonforme Auslegung im Wege der Versteinerung des Druckfehlerbegriffs oder einer systematischen Interpretation möglich; Widerspruch auch zum Rechtsstaatsprinzip; Gesetzwidrigkeit der Druckfehlerberichtigung hinsichtlich der Ambulanzgebühr im Hinblick auf die bereinigte Rechtslage nach Aufhebung der gesetzlichen Ermächtigung und Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Teils der gesetzlichen Regelung der Ambulanzgebühr wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung

Spruch

§ 135a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung des Art 1 Z 2 des Bundesgesetzes, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden, BGBl. I Nr. 35/2001, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. § 135a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001, lautete wie folgt:

"Behandlungsbeitrag - Ambulanz

§135a. (1) Für jede Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung nach diesem Abschnitt

1. in Krankenanstalten, die über Landsfonds finanziert werden,

2. in bettenführenden Vertragskrankenanstalten,

3. in bettenführenden eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge-(Gesunden-)Untersuchung handelt,

ist pro Ambulanzbesuch ein Behandlungsbeitrag zu zahlen. Liegt ein entsprechender Überweisungsschein vor, so beträgt der Behandlungsbeitrag 150 S, sonst 250 S. Der Behandlungsbeitrag darf pro Versicherten (Angehörigen) 1 000 S im Kalenderjahr nicht übersteigen. Der Behandlungsbeitrag ist jeweils für ein Quartal im Nachhinein, erstmalig spätestens am , einzuheben.

(2) Der Behandlungsbeitrag darf nicht eingehoben werden

1. für Kinder nach § 123 Abs 2 Z 2 bis 6 und Abs 4 sowie Kinder nach § 260 ohne anderes Einkommen,

2. wenn in medizinischen Notfällen, wegen Lebensgefahr oder aus anderen Gründen unmittelbar eine stationäre Aufnahme erfolgt,

3. in Fällen, in denen ein Auftrag eines Sozialversicherungsträgers oder eines Gerichts im Zusammenhang mit einem Verfahren über Leistungssachen zur Einweisung in eine Ambulanz zwecks Befundung und Begutachtung (§22 Abs 3 zweiter Halbsatz KAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 5/2001) vorliegt,

4. für Personen, die auf Grund der Richtlinien nach § 31 Abs 5 Z 16 von der Rezeptgebühr befreit sind,

5. für Personen, die Leistungen infolge einer Schwangerschaft im Rahmen des Mutter-Kind-Passes oder Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft in Anspruch nehmen,

6. für Personen, die Teile des Körpers nach § 120 Abs 2 oder Blut(plasma) spenden,

7. bei Behandlung für Dialyse oder bei Strahlen- oder Chemotherapie in Ambulanzen,

8. wenn der (die) Versicherte (Angehörige) im Zusammenhang mit ein und demselben Behandlungsfall an Ambulanzen anderer Fachrichtungen weiterüberwiesen wird.

Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist oder sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist.

(3) Die Einhebung des Behandlungsbeitrages erfolgt durch die zuständigen Krankenversicherungsträger, denen auch die Feststellung jener Fälle obliegt, in denen nach Abs 2 kein Behandlungsbeitrag eingehoben werden darf. Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten.

(4) Die mit der Einhebung des Behandlungsbeitrages verbundenen Verwaltungskosten der Krankenversicherungsträger dürfen je Kalenderjahr mit nicht mehr als 6,5% der Summe der in diesem Kalenderjahr vorgeschriebenen Behandlungsbeiträge verrechnet werden und sind bei der Rückführung des Verwaltungs- und Verrechnungsaufwandes nach § 588 Abs 14 außer Acht zu lassen."

1.2. Im Rahmen des Sozialversicherungs-Währungsumstellungs-Begleitgesetzes - SV-WUBG, BGBl. I Nr. 67/2001, wurden die in § 135a ASVG enthaltenen Schilling-Beträge durch die entsprechenden Euro-Beträge ersetzt. Diese Änderung steht seit dem in Kraft (§594 Abs 1 ASVG).

1.3. Mit Z 9 der Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt, BGBl. I Nr. 114/2002, ausgegeben am , wurde ein der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 anhaftender Fehler berichtigt:

Die zunächst kundgemachte Version des § 135a Abs 3 ASVG hatte nämlich - in ihrem zweiten Satz - die Wortfolge "vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien (§31 Abs 5 Z 16b) bei Vorliegen einer besonderen" nicht enthalten. Mit der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 wurde der zweite Satz des § 135a Abs 3 ASVG in seiner dem Beschluß des Nationalrates vom entsprechenden Fassung zur Gänze neu kundgemacht; er lautet somit wie folgt:

"(3) ... Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien (§31 Abs 5 Z 16b) bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten."

1.4. Mit der Z 24 des Bundesgesetzes, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (60. Novelle zum ASVG), BGBl. I Nr. 140/2002, ausgegeben am , wurde der letzte Satz des § 135a Abs 2 ASVG neu gefaßt und lautet somit wie folgt:

"Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch

a) durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist, sofern der (die) Versicherte nach § 91 StGB rechtskräftig verurteilt wurde, oder

b) sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist."

Diese Änderung steht seit dem in Kraft (vgl. § 600 Abs 1 Z 1 ASVG).

2. Mit Art 6 Z 3a-3c des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 155/2002, ausgegeben am , wurden die Abs 2 und 3 des § 135a ASVG in mehreren Punkten abgeändert. § 135a ASVG hat seitdem folgende Fassung (alle Änderungen sind hervorgehoben):

"Behandlungsbeitrag - Ambulanz

§135a. (1) Für jede Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung nach diesem Abschnitt

1. in Krankenanstalten, die über Landsfonds finanziert werden,

2. in bettenführenden Vertragskrankenanstalten,

3. in bettenführenden eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge-(Gesunden-)Untersuchung handelt,

ist pro Ambulanzbesuch ein Behandlungsbeitrag zu zahlen. Liegt ein entsprechender Überweisungsschein vor, so beträgt der Behandlungsbeitrag 10,90 €, sonst 18,17 €. Der Behandlungsbeitrag darf pro Versicherten (Angehörigen) 72,67 € im Kalenderjahr nicht übersteigen. Der Behandlungsbeitrag ist jeweils für ein Quartal im Nachhinein, erstmalig spätestens am , einzuheben.

(2) Der Behandlungsbeitrag darf nicht eingehoben werden

1. für Kinder nach § 123 Abs 2 Z 2 bis 6 und Abs 4 sowie Kinder nach § 260 ohne anderes Einkommen,

2. wenn in medizinischen Notfällen, wegen Lebensgefahr oder aus anderen Gründen eine stationäre Aufnahme erfolgt oder wenn in diesem Zusammenhang eine anderweitige medizinische Versorgung im extramuralen Bereich nicht in Betracht kommt,

3. in Fällen, in denen ein Auftrag eines Sozialversicherungsträgers oder eines Gerichts im Zusammenhang mit einem Verfahren über Leistungssachen zur Einweisung in eine Ambulanz zwecks Befundung und Begutachtung (§22 Abs 3 zweiter Halbsatz KAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 5/2001) vorliegt,

4. für Personen, die auf Grund der Richtlinien nach § 31 Abs 5 Z 16 von der Rezeptgebühr befreit sind,

5. für Personen, die Leistungen infolge einer Schwangerschaft im Rahmen des Mutter-Kind-Passes oder Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft in Anspruch nehmen,

6. für Personen, die Teile des Körpers nach § 120 Abs 2 oder Blut(plasma) spenden,

7. bei Behandlung für Dialyse oder bei Strahlen- oder Chemotherapie in Ambulanzen,

8. wenn der (die) Versicherte (Angehörige) im Zusammenhang mit ein und demselben Behandlungsfall an Ambulanzen anderer Fachrichtungen weiterüberwiesen wird,

9. wenn Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden erforderlich sind, die außerhalb einer Krankenanstalt in angemessener Entfernung dem Patienten nicht in geeigneter Weise oder nur unzureichend zur Verfügung stehen.

Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch

a) durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist, sofern der (die) Versicherte nach § 91 StGB rechtskräftig verurteilt wurde, oder

b) sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist.

(3) Die Einhebung des Behandlungsbeitrages erfolgt durch die zuständigen Krankenversicherungsträger, denen auch die Feststellung jener Fälle obliegt, in denen nach Abs 2 kein Behandlungsbeitrag eingehoben werden darf. Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien (§31 Abs 5 Z 16b) bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten. Darüber hinaus kann der Versicherungsträger auf Antrag des (der) Versicherten in besonders berücksichtigungswürdigen Einzelfällen, insbesondere bei Behandlung vergleichbar (Abs2 Z 7) schwerwiegender und therapieintensiver Krankheiten sowie in Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, von der Einhebung des Behandlungsbeitrages auf bestimmte Zeit absehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückerstatten.

(4) Die mit der Einhebung des Behandlungsbeitrages verbundenen Verwaltungskosten der Krankenversicherungsträger dürfen je Kalenderjahr mit nicht mehr als 6,5% der Summe der in diesem Kalenderjahr vorgeschriebenen Behandlungsbeiträge verrechnet werden und sind bei der Rückführung des Verwaltungs- und Verrechnungsaufwandes nach § 588 Abs 14 außer Acht zu lassen."

Mit dem eingangs bezeichneten Bundesgesetz wurden dem ASVG auch folgende "Schlussbestimmungen" angefügt, die - auszugsweise - wie folgt lauten:

"Schlussbestimmungen zum Bundesgesetz BGBl. I Nr. 155/2002

§603. (1) ...

(2) § 135a Abs 2 und 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 155/2002 tritt mit in Kraft und ist auf alle anhängigen Fälle, weiters über Antrag des Versicherten auch auf Fälle, in denen der Behandlungsbeitrag-Ambulanz bereits entrichtet wurde, sowie auf Rückerstattungsanträge nach § 135a Abs 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 155/2002 anzuwenden."

II. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B9/02, B224/02, B225/02 und B614/02 Beschwerden gemäß Art 144 Abs 1 B-VG gegen Bescheide anhängig, mit denen den beschwerdeführenden Parteien für die Inanspruchnahme einer Krankenhausambulanz im Jahr 2001 ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz vorgeschrieben worden ist. Aus Anlaß dieser Verfahren hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 135a ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 einzuleiten.

Bedenken waren beim Verfassungsgerichtshof dahin entstanden, daß ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz nicht nur in den einem Lenkungseffekt zur Vermeidung nicht erforderlicher Ambulanzbesuche zugänglichen Fällen einzuheben gewesen sei, sondern auch dann, wenn die betreffende medizinische Versorgung nicht (oder nicht in zumutbarer Erreichbarkeit für die Patienten) auch bei einem niedergelassenen Arzt verfügbar wäre, der Patient somit darauf angewiesen sei, eine Krankenhaus-Ambulanz in Anspruch zu nehmen. Insoweit schienen dem Verfassungsgerichtshof für die Inanspruchnahme von Ambulanzen bettenführender Krankenanstalten hinsichtlich ihrer Funktion, eine flächendeckende medizinische Versorgung zu gewährleisten, die bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.787/2000 dargelegten Erwägungen zu gelten, woran der Gerichtshof das Bedenken knüpfte, daß eine sachliche Rechtfertigung für eine Erschwerung der Inanspruchnahme einer medizinischen Versorgungsleistung durch die Einhebung eines speziellen Kostenbeitrages im Sinne des erwähnten Vorerkenntnisses nicht zu finden sein dürfte. Die Ausnahmebestimmungen des § 135a Abs 2 ASVG in der in den Anlaßfällen anscheinend anzuwendenden Fassung schienen dem Gerichtshof den Gesichtspunkt der notwendigen Inanspruchnahme einer Krankenhausambulanz (also zB die Fälle des § 26 Z 3 KAKuG) überhaupt nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus hegte der Gerichtshof Bedenken ob der Sachlichkeit der Abgrenzung einzelner Ausnahmen vom Behandlungsbeitrag-Ambulanz in § 135a Abs 2 ASVG.

1.2. Die Bundesregierung hat in diesem - zu G218-221/02 geführten - Gesetzesprüfungsverfahren eine schriftliche Äußerung zum Gegenstand erstattet, worin sie die Verfassungsmäßigkeit des § 135a ASVG verteidigt.

2.1. Am beschloß der Verfassungsgerichtshof, die Gesetzmäßigkeit der Z 9 der Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt, BGBl. I Nr. 114/2002, sowie die Verfassungsmäßigkeit des dieser Kundmachung anscheinend zugrunde liegenden § 2a Abs 2 des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1996 (BGBlG), BGBl. Nr. 660/1996 idF des Art 1 Z 4 des Budgetbegleitgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 47/2001, von Amts wegen zu prüfen.

Diese Normenprüfungsverfahren sind zu G368-371/02, V81-84/02 geführt worden.

2.2. Am selben Tag beschloß der Verfassungsgerichtshof in den oben erwähnten Anlaßfällen, die Verfassungsmäßigkeit des § 135a ASVG unter dem Gesichtspunkt des - weiteren - Bedenkens zu prüfen, daß die am kundgemachte Fassung des § 135a ASVG nicht mit dem entsprechenden, vom Bundespräsidenten beurkundeten Beschluß des Nationalrates vom übereinstimmen und somit in verfassungswidriger Weise kundgemacht worden sein dürfte. In diesem Beschluß stellte der Verfassungsgerichtshof klar, daß dieses weitere Bedenken lediglich dann begründet wäre, wenn die Z 9 der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 als gesetzwidrig aufgehoben werden würde.

Das Gesetzesprüfungsverfahren über dieses - weitere - Bedenken ist zu G364-367/02 geführt worden.

2.3. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G368-371/02, V81-84/02, hat der Verfassungsgerichtshof § 2a Abs 2 BGBlG als verfassungswidrig sowie die Z 9 der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 als gesetzwidrig aufgehoben.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat die zu G218-221/02 sowie zu G364-367/02 geführten Gesetzesprüfungsverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 463 Abs 1 iVm § 404 Abs 2 ZPO (§35 Abs 1 VfGG) zu gemeinsamer Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:

A. Zur Zulässigkeit:

Es hat sich nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren spräche.

B. In der Sache:

1. Das zu V81-84/02 protokollierte Verordnungsprüfungsverfahren betreffend die Druckfehlerberichtigung zu § 135a Abs 3 ASVG hat zur Aufhebung der Z 9 der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 geführt. Damit hat sich das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der ordnungsgemäßen Kundmachung des § 135a ASVG als zutreffend erwiesen.

Der unter BGBl. I Nr. 35/2001 kundgemachte Wortlaut des § 135a ASVG stimmt nämlich mit dem - vom Bundespräsidenten beurkundeten - Original des Gesetzesbeschlusses des Nationalrates vom nicht überein. Es liegt somit ein Verstoß gegen das - sich aus Art 49 Abs 1 B-VG ergebende - Gebot der vollständigen Publikation der Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates im Bundesgesetzblatt vor.

2. In den Fällen eines durch Auslassungen bewirkten Publikationsmangels hat der Verfassungsgerichtshof "die den nicht kundgemachten Satzteil gleichsam negativ umfassenden gesetzlichen Bestimmungen zur Gänze" (dh. die Norm, soweit sie von der Auslassung betroffen ist) als verfassungswidrig aufgehoben (vgl. VfSlg. 15.579/1999, S 113, sowie VfSlg. 16.152/2001, S 698).

2.1. Im hier vorliegenden Fall trifft dies im Ergebnis auf § 135a ASVG insgesamt zu:

Der in erster Linie vom Kundmachungsmangel betroffene Abs 3 zweiter Satz dieser Gesetzesstelle legt fest, in welchen Fällen die Krankenversicherungsträger von der Einhebung des Behandlungsbeitrags-Ambulanz zwingend Abstand zu nehmen haben; diese Norm steht daher (ähnlich den in § 135a Abs 2 ASVG geregelten Fällen) zur gesetzlichen Anordnung des § 135a Abs 1 ASVG, unter welchen Voraussetzungen ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz einzuheben ist, in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Die Regel des § 135a Abs 1 ASVG umschreibt gemeinsam mit Abs 2 und dem zweiten Satz des Abs 3 die Fälle, in denen ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz einzuheben ist. Der nicht kundgemachte Satzteil des § 135a Abs 3 zweiter Satz ASVG wird von all diesen - den Anwendungsbereich des Behandlungsbeitrags-Ambulanz regelnden - Bestimmungen gleichsam negativ umfaßt, ds. § 135a Abs 1 und 2 sowie Abs 3 zweiter Satz ASVG.

2.2. Mit diesen Bestimmungen stehen aber die danach verbleibenden Bestimmungen des § 135a ASVG, nämlich Abs 3 erster Satz und Abs 4, in einem untrennbaren Zusammenhang, sodaß die festgestellte Verfassungswidrigkeit im Ergebnis § 135a ASVG zur Gänze betrifft.

2.3. Hinzugefügt sei, daß ein Anwendungsfall des die Aufhebung des ganzen Gesetzes vorsehenden Art 140 Abs 3 B-VG nicht vorliegt, weil der festgestellte Publikationsmangel nur die bezogene Gesetzesstelle, nicht aber das gesamte in BGBl. I Nr. 35/2001 kundgemachte Gesetz erfaßt (vgl. zu einem vergleichbaren Fall VfSlg. 15.579/1999).

2.4. Bei diesem Ergebnis - sowie angesichts des Umstands, daß § 135a ASVG in seiner in Prüfung gezogenen Fassung nicht mehr in Geltung steht (s. unten Pkt. 3) - hat sich ein Eingehen auf die übrigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erübrigt.

3. Da das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 155/2002 die Bestimmung des § 135a ASVG in ihrer in Prüfung genommenen Fassung in wesentlichen Punkten geändert hat, hatte es gemäß Art 140 Abs 4 B-VG bei der Feststellung zu bleiben, daß § 135a ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 verfassungswidrig war.

4. Der Verfassungsgerichtshof hatte in seinem Beschluß vom in Aussicht gestellt, die Anlaßfallwirkung eines allfälligen aufhebenden Erkenntnisses in Anwendung des Art 140 Abs 7 zweiter Satz, zweiter Halbsatz, B-VG zu erstrecken und auszusprechen, daß § 135a ASVG in allen bei Beginn der Beratungen im Gesetzesprüfungsverfahren zu G218-221/02 bei einem Krankenversicherungsträger oder bei einem Landeshauptmann anhängigen Verfahren zur Festsetzung eines Behandlungsbeitrags-Ambulanz nicht mehr anzuwenden sei.

Da § 135a ASVG mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 155/2002 - in der Absicht, den im hg. Beschluß vom dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes Rechnung zu tragen (s. auch ) - insbesondere im Bereich der Ausnahmetatbestände abgeändert worden ist und die neue Fassung gemäß § 603 Abs 2 ASVG auch bereits anhängige Verfahren erfaßt, erweist sich ein derartiger Ausspruch nunmehr als entbehrlich.

5. Die Kundmachungspflicht des Bundeskanzlers ergibt sich aus Art 140 Abs 5 erster und zweiter Satz B-VG sowie § 65 iVm § 64 Abs 2 VfGG.

6. Dies konnte - hinsichtlich des Gesetzesprüfungsverfahrens zu G364-367/02 - ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).