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VfGH vom 24.09.2002, g215/02

VfGH vom 24.09.2002, g215/02

Sammlungsnummer

16619

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit weiterer Schwellenwertregelungen im Bundesvergabegesetz sowie in der dazu ergangenen Erstreckungsverordnung 2000 unter Hinweis auf die Vorjudikatur

Spruch

I. Die Wortfolge "2 und" in § 14 Abs 1 Z 2 des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 1997 - BVergG), BGBl. I Nr. 56/1997, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Die Wortfolge "2 und" in § 2 Abs 1 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der für Auftraggeber im Bereich der Bauleistungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten der Anwendungsbereich des 4. Teiles des Bundesvergabegesetzes 1997 erweitert wird - Erstreckungsverordnung 2000, BGBl. II Nr. 35, war gesetzwidrig.

Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zZ B433/02 eine Beschwerde

der Bundesimmobiliengesellschaft mbH gegen einen Bescheid des

Bundesvergabeamtes (BVA) anhängig, mit dem das Ausscheiden eines

Angebotes eines Bewerbers um die "Vergabe der Baumeisterarbeiten für

die Bundesanstalt für Kindergartenpädagogik ... Linz" und die daraus

resultierende Nichtberücksichtigung für das weitere Verfahren gemäß §§113 Abs 2 Z 2 und 117 Abs 1 des Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG) sowie Pkt. 4.3.6 der ÖNORM A 2050 über Antrag dieses Bewerbers für nicht erklärt wurde (Spruchpunkt 1); sein weiteres Begehren, der Bundesimmobiliengesellschaft mbH aufzutragen, ihm den Zuschlag zu erteilen, wurde mit Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides gemäß § 113 Abs 2 Z 2 BVergG ebenso mangels Zuständigkeit des BVA zurückgewiesen wie mit Spruchpunkt 3 der von der beschwerdeführenden Gesellschaft im Nachprüfungsverfahren gestellte Eventualantrag auf Feststellung, dass die mitbeteiligte Partei keine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte, gemäß § 113 Abs 2 und 3 leg.cit.

Zu seiner Zuständigkeit führte das BVA unter anderem aus, dass die beschwerdeführende Gesellschaft öffentlicher Auftraggeber iSd § 11 Abs 1 Z 3 BVergG und gemäß § 1 Abs 2 Z 1 der Erstreckungsverordnung 2000, BGBl. II 35, sei und die ausgeschriebene Leistung als im Rahmen eines Gesamtvorhabens mit einem geschätzten Gesamtauftragswert von S 58.329.625,-- (ohne USt) zu erbringender Bauauftrag iSd § 2 Abs 1 Z 2 BVergG den für die Zuständigkeit des BVA nach § 2 Abs 1 Z 1 der Erstreckungsverordnung 2000 maßgebenden Auftragswert von S 14 Mio (ohne USt) übersteige.

2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "2 und" in § 14 Abs 1 Z 2 des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I 56, sowie hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "2 und" in § 2 Abs 1 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der für Auftraggeber im Bereich der Bauleistungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten der Anwendungsbereich des 4. Teiles des Bundesvergabegesetzes 1997 erweitert wird - Erstreckungsverordnung 2000, BGBl. II 35, entstanden. Er hat daher beschlossen, die Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmungen von Amts wegen zu prüfen.

3. Diese Bestimmungen standen in folgendem normativen Zusammenhang:

a) Das BVergG 1997 enthielt gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Bau- und Baukonzessionsaufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Für die Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte bestimmte § 13 BVergG 1997 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 56 unter anderem:

"(1) Unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte haben die in § 11 Abs 1 Z 1 bis 4 genannten Auftraggeber die Bestimmungen der ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom , Anlage zur Allgemeinen Bundesvergabeverordnung - ABVV, BGBl Nr. 17/1994, bei der Vergabe von Aufträgen anzuwenden, soweit ihr Inhalt nicht gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen Regelungen - abgesehen von den Bestimmungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes - oder den auf Grund des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen widerspricht.

..."

Der unter der Rubrik "Erweiterung des Rechtsschutzbereiches" stehende § 14 BVergG 1997 in der zitierten Fassung bestimmte weiters auszugsweise (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"(1) Die Bundesregierung kann mit Verordnung das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles dieses Bundesgesetzes für in § 11 Abs 1 Z 1 bis 4 genannte Auftraggeber auch unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte für bindend erklären, wenn dies im Interesse des Wettbewerbes, des Rechtsschutzes von Bewerbern oder Bietern und im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise bei der Vergabe von Aufträgen zweckmäßig ist und folgende Auftragswerte nicht unterschritten werden:

1. bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gemäß §§1 und 3 eine Million Schilling ohne Umsatzsteuer,

2. bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß § 2 Abs 1 Z 2 und 3 und Abs 3 sowie § 11 Abs 3 14 Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer,

3. bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß § 2 Abs 1 Z 1 sieben Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer.

(2) ...

(3) Bis zur Erlassung einer Verordnung der Bundesregierung gemäß Abs 1 kann jeder Bundesminister für seinen Wirkungsbereich eine solche Verordnung erlassen."

Das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG 1997 enthielt Regelungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz durch die Bundes-Vergabekontrollkommission und das BVA sowie zivilrechtliche Bestimmungen. Die in den bezogenen Ziffern des § 11 Abs 1 genannten öffentlichen Auftraggeber waren der Bund, bestimmte Einrichtungen des Bundes, bestimmte rechnungshofkontrollpflichtige Unternehmungen sowie die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Das Bundesvergabegesetz 1997 ist mit In-Kraft-Treten des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I 99, mit außer Kraft getreten (s. § 188 Abs 6 Z 3 BVergG 2002).

b) Mit Wirkung ab erließ der (damalige) Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die Erstreckungsverordnung 2000, BGBl. II 35, mit der für Auftraggeber "im Bereich der Bauleistungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten" der Anwendungsbereich des 4. Teiles des Bundesvergabegesetzes 1997 erweitert wurde.

Im Einzelnen bestimmte diese Verordnung Folgendes (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Betroffene Auftraggeber

§1. (1) Das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 1997 - BVergG) werden für öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 11 Abs 1 Z 1 bis 3 BVergG im Bereich der Bauleistungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten auch unterhalb der im § 6 BVergG festgelegten Schwellenwerte für bindend erklärt.

(2) Zu öffentlichen Auftraggebern gemäß Abs 1 zählen insbesondere auch:

1. die Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.,

...

Sachlicher Geltungsbereich

§2. (1) Die Erweiterung des Rechtsschutzbereiches des Bundesvergabegesetzes 1997 gemäß § 1 gilt ausschließlich für Bau- und Baukonzessionsaufträge, bei denen folgende Auftragswerte nicht unterschritten werden:

1. bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß § 2 Abs 1 Z 2 und 3 und Abs 2 sowie § 11 Abs 3 BVergG 14 Mio. Schilling ohne Umsatzsteuer,

2. bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß § 2 Abs 1 Z 1 BVergG 7 Mio. Schilling ohne Umsatzsteuer.

(2) Bauaufträge, insbesondere die von diesen erfaßten Bauwerke, dürfen nicht in der Absicht aufgeteilt werden, sie der Anwendung dieser Verordnung zu entziehen.

Schluß- und Übergangsbestimmungen

§ 3. Diese Verordnung tritt mit in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der für Auftraggeber im Bereich der Bauleistungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten der Anwendungsbereich des 2. und 4. Teiles des Bundesvergabegesetzes erweitert und die ÖNORM A 2050 für verbindlich erklärt wird (Erstreckungsverordnung), BGBl. Nr. 802/1995, außer Kraft."

4. a) In seinem Einleitungsbeschluss vom ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Beschwerde - jedenfalls hinsichtlich des Spruchpunktes 1 - zulässig sei und er bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des BVergG bzw. der Erstreckungsverordnung bei der Beurteilung, ob das BVA seine Zuständigkeit zu Recht angenommen habe, anzuwenden hätte.

b) In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass § 14 Abs 1 Z 2 BVergG betreffend Bauaufträge gemäß § 2 Abs 1 Z 2 BVergG insofern zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führte, als die Bundesregierung bzw. subsidiär der einzelne Bundesminister (für seinen Wirkungsbereich) eine die gesetzlichen Bestimmungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz erstreckende Verordnung nur für (Bau-)Aufträge erlassen konnte, deren Auftragswert bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Weiters führte er aus:

"Daß die Einräumung eines besonderen vergaberechtlichen Rechtsschutzes aber nur für Aufträge vorgesehen wird, die bestimmte Schwellenwerte übersteigen, hat der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom , G110,111/99, vom , G43/00, und insbesondere vom , G10/01, betreffend das Bundesvergabegesetz als dem Gleichheitsgrundsatz widersprechend erkannt. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß der Gesetzgeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich verzichtet und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell ausgeschlossen hat, sei nicht erkennbar.

Der Verfassungsgerichtshof sieht vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen, daß der gänzliche Verzicht auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz angesichts des Mangels geeigneter zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen - vielfach keinen Aufschub duldenden - vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen, zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die drei oben zitierten Erkenntnisse verwiesen."

Weiters vertrat der Verfassungsgerichtshof die Auffassung, dass im Fall, dass sich die gegen die Bestimmung des § 14 Abs 1 Z 2 BVergG dargelegten Bedenken als gerechtfertigt erweisen würden, diese auch die in Prüfung gezogene Bestimmung der Erstreckungsverordnung 2000 betreffen würden.

5. Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung am beschlossen, von der Erstattung einer Äußerung Abstand zu nehmen.

Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit legte die Verordnungsakten vor; eine Äußerung wurde nicht erstattet.

II. Die Normenkontrollverfahren sind zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich auch als begründet erwiesen.

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Beschwerde (zumindest soweit sie Spruchpunkt 1 zum Gegenstand hat) und der Präjudizialität der in Prüfung genommenen Bestimmungen im Anlassverfahren zweifeln ließe (vgl. auch VfGH vom heutigen Tag, G217/02 ua.). Auch sonst sind die Prozessvoraussetzungen gegeben.

2. a) In der Sache bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seiner schon mehrfach vertretenen Auffassung (VfSlg. 16.027/2000; , und , G10/01; vgl. auch VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998), dass es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenwertbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die bezogenen Erkenntnisse verwiesen.

b) Die in Prüfung stehenden Wortfolgen des § 14 Abs 1 Z 2 BVergG 1997 und des § 2 Abs 1 Z 1 der Erstreckungsverordnung 2000 stehen sohin mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch.

Da die einfachgesetzlichen Bestimmungen des BVergG 1997 und somit auch dessen § 14 gemäß § 188 Abs 6 Z 3 BVergG 2002 mit außer Kraft getreten sind [s. auch Pkt. I.3.a)] und durch das Außer-Kraft-Treten der Verordnungsermächtigung in § 14 BVergG 1997 auch die darauf beruhende Erstreckungsverordnung 2000 im Zeitpunkt der Fällung des hg. Erkenntnisses nicht mehr in Kraft steht (vgl. zB VfSlg. 13.552/1992; ), hatte sich der Verfassungsgerichtshof mit einem Ausspruch gemäß Art 140 Abs 4 bzw. Art 139 Abs 4 B-VG zu begnügen.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG. Die Kundmachungsverpflichtung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit stützt sich auf Art 139 Abs 5 zweiter Satz B-VG und § 60 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 2 Z 4 BGBlG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.