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VfGH vom 11.10.1993, g212/91

VfGH vom 11.10.1993, g212/91

Sammlungsnummer

13568

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bezeichnung der Festsetzung von Entschädigungen im Zusammenhang mit der Erlassung von Flächenwidmungsplänen als Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde durch die fehlende Ausnahme dieser Angelegenheit aus einer Generalklausel betreffend die Zuordnung der im Nö ROG 1976 geregelten Aufgaben zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde; Festsetzung solcher Entschädigungen keine Angelegenheit der örtlichen Raumplanung; Erstreckung des Verwerfungsumfangs auf die gesamte Generalklausel

Spruch

§ 26 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000-0, war bis zum Ablauf des verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt gemäß Art 140 Abs 1 B-VG festzustellen, daß § 26 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000-0 (im folgenden: NÖ ROG 1976), in der Fassung vor dem Inkrafttreten der 2. Novelle, LGBl. 8000-4, verfassungswidrig war.

Anlaß für diesen Antrag ist die beim Verwaltungsgerichtshof unter Zl. 90/05/0241 anhängige Beschwerde, der nach dem Vorbringen des Verwaltungsgerichtshofes folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Der Bürgermeister der Marktgemeinde Bisamberg gab dem Antrag der beschwerdeführenden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auf Ersatz eines "Aufschließungsbeitrages" gemäß § 24 Abs 2 des NÖ ROG 1976 im wesentlichen mit der Begründung keine Folge, daß die Bebaubarkeit des Grundstückes der beschwerdeführenden Parteien durch dessen Umwidmung von Bauland in Grünland "im Hinblick auf das baubehördlich bewilligte Einfamilienhaus weder ausschließlich noch erheblich verringert" worden sei.

Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung der beschwerdeführenden Parteien gab der Gemeinderat mit Bescheid vom keine Folge. Ihre gegen den Bescheid des Gemeinderates erhobene Vorstellung wies die NÖ Landesregierung mit dem in der Folge beim Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid ab.

2. § 24 NÖ ROG 1976 und die mit dieser Vorschrift in einem - hier relevanten - inhaltlichen Zusammenhang stehende Bestimmung des § 26 dieses Gesetzes (in ihrer vor dem Inkrafttreten der 2. Novelle, LGBl. 8000-4, in Geltung gestandenen Stammfassung LGBl. 8000-0) hatten folgenden Wortlaut:

"§24

Ersatz von Aufwendungen

(1) Wenn die Gemeinde die Bebaubarkeit einer Grundfläche, die im örtlichen Raumordnungsprogramm als Bauland gewidmet ist und auch nicht von einem Bauverbot betroffen ist, durch Änderung der Widmungs- und Nutzungsart ausschließt oder erheblich verringert, ist sie verpflichtet, dem Grundeigentümer jene Aufwendungen zu ersetzen, die er im Hinblick auf die bisherige Widmungs- oder Nutzungsart tatsächlich getätigt hat.

(2) Der Ersatz der Aufwendungen ist vom Grundeigentümer bei der Gemeinde zu beantragen. Kommt eine gütliche Einigung innerhalb von sechs Monaten nicht zustande, hat die Gemeinde mit Bescheid über die Höhe des Ersatzes zu entscheiden.

§26

Eigener Wirkungsbereich der Gemeinden

Die Gemeinden haben ihre in diesem Gesetz geregelten Aufgaben mit Ausnahme der Auskunftspflicht gemäß § 2 Abs 2 und § 4 Abs 2 im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen."

3. Der Verwaltungsgerichtshof legt seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung wie folgt dar:

"Gegenstand des auf Verwaltungsebene durchgeführten Verfahrens war ein Antrag der Beschwerdeführer auf Ersatz von Aufwendungen im Sinne des § 24 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976

(ROG). ...

Kraft dieser gesetzlichen Bestimmungen (es handelt sich um die oben unter I.2. wiedergegebenen) steht fest, daß die Gemeinde über einen Entschädigungsanspruch nach § 24 ROG entsprechend der Vorschrift des § 26 ROG im eigenen Wirkungsbereich zu entscheiden hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind zur Entscheidung über Enteignungen und Entschädigungen die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich nicht zuständig (vgl. etwa VfSlg. 5409, 5807, 6088, 6146, 8227 u. a.). Dieser Auffassung des Verfassungsgerichtshofes hat der niederösterreichische Landesgesetzgeber erst in seiner Novelle LGBl. 8000-4 Rechnung getragen, indem im § 26 ROG nach dem Zitat "§4 Abs 2" die Wortgruppe "und der Entscheidung über Entschädigungsansprüche nach § 24 Abs 2" eingefügt wurde (Ziffer 4 der genannten Novelle). § 26 ROG lautet demnach nunmehr wie folgt:

"Die Gemeinden haben ihre in diesem Gesetz geregelten Aufgaben mit Ausnahme der Auskunftspflicht gemäß § 2 Abs 2 und § 4 Abs 2 und der Entscheidung über Entschädigungsansprüche nach § 24 Abs 2 im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen."

Damit dürfte es sich erübrigen, weitere Argumente vorzutragen, die dartun, daß die Entscheidung über im § 24 Abs 2 ROG angeführte Entschädigungsansprüche nicht dem eigenen Wirkungsbereich zugewiesen hätte werden dürfen. Die im § 26 ROG in der hier maßgebenden Fassung dennoch vorgenommene Zuweisung dieser Materie in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ist daher verfassungswidrig.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß § 26 ROG für die vom Verwaltungsgerichtshof zu treffende Entscheidung über die ihm ... vorliegende Beschwerde präjudiziell ist und daß diese Gesetzesstelle in ihrer Fassung vor dem Inkrafttreten der Novelle LGBl. 8000-4 verfassungswidrig war."

4. Die NÖ Landesregierung hat beschlossen, zu dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes keine Äußerung abzugeben.

II. 1. Es spricht nichts gegen die Denkmöglichkeit der Annahme des Verwaltungsgerichtshofes, daß er die angefochtene Bestimmung als eine der Rechtsgrundlagen des bei ihm angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheides anzuwenden hätte (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 10296/1984, 790; 12592/1990, 669 f.).

Aus der mit dieser Bestimmung vorgenommenen Umschreibung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde ergibt sich nämlich, daß dieser Bescheid in einer dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugewiesenen Angelegenheit ergangen ist (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 6549/1971).

Da der Verwaltungsgerichtshof diesen (Vorstellungs-)Bescheid an Hand der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des Gemeinderates (vom ) zu prüfen hat (vgl. zB ), kommt es auf die in jenem Zeitpunkt in Geltung gestandene Fassung der angefochtenen Gesetzesbestimmung an. Dies war die Stammfassung dieser Bestimmung (LGBl. 8000-0), die bis zum Inkrafttreten der 2. Novelle, LGBl. 8000-4, - es war dies gemäß Art 22 Abs 5 der NÖ Landesverfassung 1979, LGBl. 0001-4, nach Ablauf des - gegolten hatte.

Da somit die Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesbestimmung als gegeben anzunehmen ist und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2. Der Antrag ist auch begründet.

a) § 24 Abs 1 NÖ ROG 1976 verpflichtet die Gemeinde, dem Eigentümer einer als Bauland gewidmeten und nicht von einem Bauverbot betroffenen Grundfläche die von ihm im Hinblick auf die Bebaubarkeit dieser Grundfläche gemäß der bisherigen Widmungs- oder Nutzungsart getätigten Aufwendungen dann zu ersetzen, wenn durch eine Änderung der Widmungs- und Nutzungsart dieser Grundfläche ihre Bebaubarkeit ausgeschlossen oder erheblich verringert wird. § 24 Abs 2 NÖ ROG 1976 überträgt der Gemeinde die Aufgabe, unter bestimmten Voraussetzungen über die Höhe des dem Grundeigentümer nach § 24 Abs 1 NÖ ROG 1976 gebührenden Ersatzes zu entscheiden.

b) Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 6088/1969 (zum Salzburger Raumordnungsgesetz 1959) ausgesprochen, daß es sich bei der Festsetzung einer Entschädigung für Eigentumsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Erlassung (bzw. Änderung) eines Flächenwidmungsplanes grundsätzlich - sofern nicht besondere Umstände vorliegen - um eine Angelegenheit handelt, die weder nach Art 118 Abs 3 Z 9 B-VG (örtliche Raumplanung) noch nach der allgemeinen Klausel des Art 118 Abs 2 erster Satz B-VG in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt.

An dieser Rechtsansicht hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 8901/1980 (zu § 34 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974) ausdrücklich festgehalten.

c) Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsansicht weiterhin fest. Die in den zitierten Erkenntnissen angestellten Überlegungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu, da keinerlei Umstände erkennbar sind, die - abweichend von dem in den Vorerkenntnissen ausgesprochenen Grundsatz - die Gemeinde geeignet erscheinen ließen, die Vollziehung des § 24 Abs 2 NÖ ROG 1976 im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen.

Es handelt sich somit bei der der Gemeinde durch § 24 Abs 2 übertragenen Aufgabe nicht um eine solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde.

d) Gleichwohl ist diese Aufgabe in § 26 NÖ ROG 1976 (in der hier maßgeblichen, bis zum Ablauf des in Geltung gestandenen (Stamm-)Fassung) als eine Aufgabe des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde bezeichnet, da sie nicht ausdrücklich von der generellen Zuweisung der im NÖ ROG 1976 geregelten Aufgaben der Gemeinde zum eigenen Wirkungsbereich ausgenommen ist.

e) Nach Art 118 Abs 2 erster Satz B-VG umfaßt der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde (neben den im Art 116 Abs 2 B-VG angeführten) alle Angelegenheiten, "die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden."

Dazu bestimmt Art 118 Abs 2 zweiter Satz B-VG, daß die Gesetze derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des eigenen Wirkungsbereiches zu bezeichnen haben.

Die gesetzestechnische Art der Bezeichnung ist, wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 6944/1972 ausgesprochen hat, dem Gesetzgeber freigestellt. Er kann beispielsweise - wenn mehrere Angelegenheiten in einem Gesetz zu bezeichnen sind - die Bezeichnung in Zusammenhang mit der jeweiligen Regelung oder auch zusammenfassend an anderer Stelle vornehmen. Wird eine Bezeichnung in verfassungswidriger Weise vorgenommen, so liegt die Verfassungswidrigkeit in der Bezeichnung; der verfassungswidrige Zustand kann vom Verfassungsgerichtshof durch die Aufhebung dieser Bezeichnung beseitigt werden (VfSlg. 6944/1972, 1293; vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch VfSlg. 9811/1983).

f) Durch die angefochtene gesetzliche Bestimmung wurde, wie ausgeführt, unter anderem eine nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallende Angelegenheit als eine solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde bezeichnet. Insoweit steht die angefochtene Bestimmung in Widerspruch zu Art 118 Abs 2 zweiter Satz

B-VG.

g) Der Landesgesetzgeber hat die insoweit bestehende Verfassungswidrigkeit erst durch die mit der 2. Novelle, LGBl. 8000-4, vorgenommene Neufassung des § 26 NÖ ROG 1976 beseitigt, wonach § 26 durch die Einfügung der Wortgruppe "und der Entscheidung über Entschädigungsansprüche nach § 24 Abs 2" folgende Fassung erhielt:

"§26

Eigener Wirkungsbereich der Gemeinden

Die Gemeinden haben ihre in diesem Gesetz geregelten Aufgaben mit Ausnahme der Auskunftspflicht gemäß § 2 Abs 2 und § 4 Abs 2 und der Entscheidung über Entschädigungsansprüche nach § 24 Abs 2 im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen."

h) Da die vom Verwaltungsgerichtshof (ausschließlich) gerügte Verfassungswidrigkeit des § 26 NÖ ROG 1976 mit dem Inkrafttreten der 2. Novelle zum NÖ ROG 1976 weggefallen ist, hatte der Verfassungsgerichtshof iS des Art 140 Abs 4 B-VG auszusprechen, daß § 26 NÖ ROG 1976 bis zu diesem Zeitpunkt (Ablauf des ; s. dazu oben unter II.1.) verfassungswidrig war.

Diese Feststellung hatte sich, da sich die Verfassungswidrigkeit des § 26 NÖ ROG 1976 aus der Nichtaufnahme einer Bestimmung ergab, die eine nicht in den eigenen Wirkungsbereich fallende Angelegenheit ausdrücklich aus der Bezeichnung der zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörigen Angelegenheiten ausnahm, auf § 26 NÖ ROG 1976 in seinem gesamten Umfang zu erstrecken.

Mit Rücksicht auf die Bindung an das Vorbringen im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 11569/1987, 11576/1987) hatte der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob § 26 NÖ ROG 1976 auch noch aus anderen Gründen verfassungswidrig war.

3. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der getroffenen Feststellung gründet sich auf Art. 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.