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VfGH vom 12.12.1992, g200/92

VfGH vom 12.12.1992, g200/92

Sammlungsnummer

13300

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des AsylG über die als Freiheitsentziehung zu wertende Verpflichtung eines Asylwerbers zum Aufenthalt in der Überprüfungsstation des Flüchtlingslagers Traiskirchen; keine Rechtfertigung dieser der bloßen Sachverhaltsfeststellung dienenden Maßnahme durch einen der im PersFrSchG und in der EMRK angeführten Gründe

Spruch

§ 6 des Bundesgesetzes vom , BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zlen. B1416/91, B1417/91, B152/92, B450/92, B457-464/92 und B628/92 Verfahren über Beschwerden anhängig, denen folgende Sachverhalte zugrundeliegen:

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um Staatsangehörige von Ghana, Guinea, Mali, Nigeria, Pakistan und der Türkei. Sie brachten in der Zeit zwischen und bei der Bezirkshauptmannschaft Baden Anträge ein, sie als Flüchtlinge nach dem Bundesgesetz vom , BGBl. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF der Novellen BGBl. 796/1974 und 190/1990, (im folgenden kurz: AsylG 1968), anzuerkennen.

Während des Laufes der über diese Anträge anhängigen Verfahren wurden die Beschwerdeführer zwischen 10. und von Organen des Gendarmeriepostens Traiskirchen festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Baden, Außenstelle Traiskirchen, übergeben. Diese Behörde verpflichtete die Beschwerdeführer bescheidmäßig - gestützt auf § 6 Abs 1 AsylG 1968 - bis zum Abschluß der über ihre Asylansuchen eingeleiteten Feststellungsverfahren, längstens jedoch für die Dauer von zwei Monaten, zum Aufenthalt in dem als Überprüfungsstation eingerichteten Teil des Flüchtlingslagers Traiskirchen. Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß § 64 Abs 2 AVG iVm § 6 Abs 2 AsylG 1968

ausgeschlossen.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gab mit den zwischen und datierten Bescheiden den dagegen von den Beschwerdeführern eingebrachten Berufungen keine Folge und bestätigte die erstinstanzlichen Bescheide.

Gegen diese Berufungsbescheide wenden sich die eingangs erwähnten, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen jeweils die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2. Bei Erlassung der angefochtenen Bescheide stand noch nicht das Asylgesetz 1991, BGBl. 8/1992, in Geltung, sondern das AsylG 1968. (Das AsylG 1991 trat mit in Kraft; gleichzeitig trat das AsylG 1968 außer Kraft - § 27 AsylG 1991).

Das AsylG 1968 regelte die Anerkennung von Fremden als Flüchtlinge iS der Genfer Flüchtlingskonvention.

Die §§1 und 2 AsylG 1968 lauteten:

"§1. Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ein Fremder, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Artikels 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, in diesem Bundesgesetz kurz als 'Konvention' bezeichnet, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Artikel 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt.

§2. (1) Die Feststellung, ob die nach § 1 maßgebenden Voraussetzungen gegeben sind, ist vom Landeshauptmann (gemäß ArtII AsylG 1968 von der Sicherheitsdirektion) zu treffen, wenn der Fremde Asylgewährung mit der Behauptung beantragt, daß auf ihn die Voraussetzungen des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 1 der Konvention zutreffen, oder daß er in seinem Heimatstaat oder - sofern er staatenlos ist - in dem Staat, in dessen Bereich er zuletzt seinen ordentlichen Wohnsitz gehabt hat, aus einem der im Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Konvention angeführten Gründe Verfolgungen befürchten müsse.

(2) Der Antrag auf Asylgewährung ist vom Asylwerber bei der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde bei dieser, schriftlich, telegraphisch oder mündlich zu stellen."

Dem § 5 Abs 1 AsylG 1968 zufolge war der Asylwerber bis zum rechtskräftigen Abschluß des Feststellungsverfahrens (§2) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt, wenn er den Asylantrag innerhalb einer bestimmten Frist gestellt hatte (und nicht Umstände vorlagen, wonach ihm gemäß § 5 Abs 3 AsylG 1968 die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nicht zukam).

§ 6 AsylG 1968 (der durch die Novellen nicht geändert wurde) lautete:

"§6. (1) Wenn es für die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes notwendig erscheint, kann der Asylwerber im Sinne des Artikels 31 Abs 2 der Konvention bis zum Abschluß des Feststellungsverfahrens, längstens jedoch für die Dauer von zwei Monaten, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, zum Aufenthalt in dem als Überprüfungsstation einzurichtenden Teil des Flüchtlingslagers Traiskirchen verpflichtet und den zum Zwecke der Überstellung dorthin erforderlichen Bewegungsbeschränkungen unterworfen werden.

(2) Einer Berufung gegen einen solchen Bescheid kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Über die Berufung entscheidet der Landeshauptmann (gemäß ArtII AsylG 1968 die Sicherheitsdirektion), gegen dessen Entscheidung keine weitere Berufung zulässig ist."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß aller oben (I.1.) erwähnten Beschwerden beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 6 AsylG 1968 einzuleiten.

Er ging hiebei vorläufig davon aus, daß diese bundesgesetzliche Bestimmung in allen Beschwerdeverfahren zur Gänze präjudiziell sei und äußerte ob der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift zweierlei Bedenken: Zum ersten scheine die in dieser Gesetzesbestimmung vorgesehene freiheitsentziehende Maßnahme durch keinen der in Art 2 Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG), BGBl. 684, und in Art 5 Abs 1 EMRK angeführten Gründe gerechtfertigt werden zu können; zum zweiten scheine das AsylG 1968 - in Widerspruch zu Art 6 Abs 1 PersFrG - kein Haftprüfungsverfahren vorzusehen.

4. Die Bundesregierung erstattete in den Gesetzesprüfungsverfahren Äußerungen.

Sie beantragt auszusprechen, daß § 6 des AsylG 1968 nicht verfassungswidrig war und bringt zur Verteidigung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung vor:

"1. Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Asylgesetzes 1968 ist ersichtlich, daß es Zweck der in Prüfung gezogenen Bestimmung war, Einflüsse von außen fernzuhalten, die die Glaubwürdigkeit der Parteiangaben des Asylwerbers beeinträchtigen könnten. Darüberhinaus liege die Unterbringung im Lager vielfach auch im eigenen Interesse des Asylwerbers, der ansonsten unterkunfts- und subsistenzlos wäre. Weiters wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage folgendes ausgeführt:

'Eine Einweisung in die Überprüfungsstation des Flüchtlingslagers Traiskirchen wird nicht in allen Fällen erforderlich sein; von ihr wird insbesondere dann Abstand genommen werden können, wenn der Asylwerber legal eingereist ist, im Bundesgebiet privat Unterkunft gefunden hat und sein Lebensunterhalt gesichert scheint, sodaß die Gefahr einer Beeinflussung von außen verringert wird. Die Einweisung in den als Überprüfungsstation einzurichtenden Teil des Flüchtlingslagers Traiskirchen wird sich also auf jene Fälle beschränken können, in denen der Asylwerber, wenn er nicht als Flüchtling anerkannt wird, mit der Erlassung fremdenpolizeirechtlicher Maßnahmen zu rechnen hätte. Hieraus ergibt sich, daß § 6 Abs 1 dieses Gesetzes auch nicht im Widerspruch mit Art 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958, steht, ist doch gemäß litf dieser Bestimmung der Menschenrechtskonvention ein vorläufiger Freiheitsentzug gegen eine Person möglich, die von einem gegen sie schwebenden Ausweisungsverfahren betroffen ist.'

Im Lichte dieser Erläuterungen erscheint es vertretbar, das Asylverfahren nach dem Asylgesetz 1968 als Teil eines 'Ausweisungsverfahrens' im Sinne des Art 5 litf EMRK und des Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrG anzusehen. Hiebei kann auch in Betracht gezogen werden, daß vor Erlassung des Asylgesetzes 1968 die Entscheidung, ob ein Fremder als Flüchtling im Sinne des Art 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anzusehen war, im Rahmen eines fremdenpolizeilichen Verfahrens als Vorfragenentscheidung getroffen wurde (vgl. hiezu Ermacora, Asylwerber und gesetzlicher Richter, JBl 1965, 601 ff). Im Rahmen eines solchen fremdenpolizeilichen Verfahrens konnte aber jedenfalls auch ein Aufenthaltsverbot - und damit auch die Schubhaft - verhängt werden.

2. Weiters ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber im Zuge der Erlassung des Bundesgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988 (im folgenden als PersFrG bezeichnet) davon ausgegangen ist, daß die im § 6 Abs 1 Asylgesetz 1968 vorgesehenen freiheitsentziehenden Maßnahmen der Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung dienen sollen und damit in Art 2 Abs 1 Z 4 PersFrG (und damit auch in Art 5 Abs 1 litb EMRK) ihre verfassungsgesetzliche Deckung gefunden haben. Die Regierungsvorlage (134 BlgNR 17. GP) läßt in den Erläuterungen zu Art 2 Abs 1 Z 4 PersFrG erkennen, daß diese Bestimmung insbesondere der Ermöglichung der Durchsetzung von Mitwirkungspflichten von Parteien in Verfahren dient. Als Beispiele für solche Mitwirkungsverpflichtungen werden in den zitierten Erläuterungen folgende Fälle angeführt: die 'Erzwingung einer Zeugenaussage, einer gesetzlich vorgesehenen Untersuchung, die Fälle zivilrechtlicher Beugehaft oder die zwangsweise Vorführung von Parteien'.

In diese Kategorie läßt sich im Sinn der weiteren Ausführungen in diesen Erläuterungen auch § 6 Abs 1 des Asylgesetzes 1968 einordnen, der die Sicherung der (von außen unbeeinflußten) Mitwirkung des Asylwerbers im Ermittlungsverfahren bezweckt hat. Eine solche Mitwirkungspflicht ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß der (unbeeinflußten) Aussage des Asylwerbers für das Ermittlungsverfahren werden (gemeint wohl: wegen) der regelmäßig bestehenden Schwierigkeit, andere Beweismittel zu beschaffen, besondere Bedeutung zukommt und daß das Asylverfahren dem Interesse des Asylwerbers dient.

Allerdings war diese Mitwirkungspflicht des Asylwerbers in § 6 Abs 1 Asylgesetz 1968 nicht explizit ausgesprochen, sondern nur mittelbar in der Ermächtigung der Behörde enthalten, zur Sicherung dieser Mitwirkung freiheitsentziehende Maßnahmen anzuordnen. Daß § 6 Abs 1 leg.cit. eine solche Mitwirkungsverpflichtung im Auge hat, läßt sich aus den Erläuterungen zu Art 2 Abs 1 Z 4 der Regierungsvorlage zum PersFrG ableiten, die folgendes ausführen:

'Eine Verpflichtung im Sinne dieser Entwurfsbestimmung liegt auch dann vor, wenn sie vom Gesetz so umschrieben ist, daß sie als Ermächtigung der Behörde erscheint, aber unwirksam wäre, enthielte sie nicht auch mittelbar eine Pflicht anderer Personen (vgl. z.B. § 6 Abs 1 Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968).'

3. Zu dem in Pkt. III.4.b. des Einleitungsbeschlusses enthaltenen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle sei deswegen verfassungswidrig, weil darin kein Haftprüfungsverfahren gemäß Art 6 Abs 1 PersFrG vorgesehen sei, wird folgendes zu bedenken gegeben: Es erscheint deutbar - so wie der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich in seinem Bescheid vom - die auf der Grundlage der in Prüfung gezogenen Rechtsvorschrift gesetzten Maßnahmen der Festnahme, der Überstellung in die Überprüfungsstation Traiskirchen und der Anhaltung darin als Akte der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren, die gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG mit Beschwerde beim unabhängigen Verwaltungssenat bekämpft werden konnten. Dabei muß eingeräumt werden, daß eine solche Auffassung zwar die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur vergleichbaren Bestimmung des § 5 FrPG gegen sich hatte, wonach Festnahme und Anhaltung in Schubhaft aufgrund eines vollstreckbaren Schubhaftbescheides keine Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt bilden, im Sinne der Gewährleistung einer verfassungskonformen Vollziehung wäre sie aber zumindest vertretbar gewesen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Alle Beschwerden, die Anlaß zur Einleitung dieser Gesetzesprüfungsverfahren boten, sind zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei hätte er den § 6 AsylG 1968, der die angefochtenen Bescheide vornehmlich trägt, anzuwenden.

Diese bundesgesetzliche Bestimmung ist präjudiziell, und zwar zur Gänze. Der Abs 2 würde im Fall der Aufhebung des Abs 1 völlig sinn- und inhaltsleer, weil er überhaupt keinen Anwendungsbereich mehr hätte.

Die Gesetzesprüfungsverfahren sind also zulässig.

2.a) Durch Verfügungen gemäß dem - mit Ablauf des außer Kraft getretenen (s.o. I.2.) - § 6 AsylG 1968 wurde dem Betroffenen die persönliche Freiheit iS des (am in Kraft getretenen) Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG), BGBl. 684, und iS des Art 5 EMRK entzogen. Die Verpflichtung, sich in der Überprüfungsstation des Flüchtlingslagers Traiskirchen aufzuhalten, war nämlich intentional primär auf eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Betroffenen gerichtet (vgl. hiezu zB VfSlg. 8327/1978, 8815/1980, 9983/1984, 10420/1985, 11656/1988, 12056/1989).

b) Zu klären ist somit, ob die in § 6 AsylG 1968 vorgesehene freiheitsentziehende Maßnahme durch einen der in Art 2 Abs 1 PersFrG und Art 5 Abs 1 EMRK angeführten Gründe gerechtfertigt werden kann.

aa) Gemäß Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrG sowie gemäß dem dieser Verfassungsnorm inhaltlich gleichen Art 5 Abs 1 litf EMRK darf die persönliche Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, "wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern". Der Ausdruck "Ausweisung" in Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrG umfaßt vom Wortsinn her alle fremdenpolizeilichen Maßnahmen, die darauf abzielen, daß der Fremde das Land verlasse (vgl. Art 5 Abs 1 litf EMRK, Art 3 Abs 1, Art 4 des 4. ZPEMRK, Art 1 des

7. ZPEMRK; s. auch ua. Zlen., S 13).

Dem § 6 Abs 1 erster Halbsatz des AsylG 1968 zufolge darf nun aber die (freiheitsentziehende) Verpflichtung zum Aufenthalt in der Überprüfungsstation ausschließlich zum Zweck der Feststellung des (für die Entscheidung über seinen Asylantrag) maßgebenden Sachverhaltes ausgesprochen werden, also nicht etwa dazu, um die Außerlandschaffung des Fremden für den Fall zu sichern, daß sein Asylantrag abgewiesen werden sollte.

Der Wortlaut des § 6 Abs 1 AsylG 1968 ist klar und eindeutig. Deshalb ist auch der Hinweis der Bundesregierung (s.o. I.4.) auf die Erläuterungen zu der das AsylG 1968 betreffenden Regierungsvorlage (544 BlgNR 11. GP, S 7) nicht zielführend. Der Umstand, daß in den Erläuterungen zu einer Regierungsvorlage eine bestimmte Rechtsmeinung vertreten wird (der dann der einfache Gesetzgeber offenkundig gefolgt ist), vermag die Verfassungsmäßigkeit der betreffenden Gesetzesbestimmung nicht darzutun.

Entgegen der Meinung der Bundesregierung ist es ausgeschlossen, das Asylverfahren nach dem AsylG 1968 als Teil eines "Ausweisungsverfahrens" iS des Art 5 Abs 1 litf EMRK und des Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrG anzusehen. Die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des AsylG 1968 ist hiebei unerheblich. Während der Geltung dieses Gesetzes aber war es nach dessen System gar nicht erlaubt, gegen einen Asylwerber ein Ausweisungsverfahren in Gang zu setzen (vgl. § 5 AsylG 1968 - s.o. I.2.). Selbst wenn es damals dennoch - ungeachtet des § 5 AsylG 1968 - zulässig gewesen sein sollte, einen Asylwerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954, (FrPG), in Schubhaft zu nehmen, so wäre diese Maßnahme durch die zuletzt zitierten Verfassungsnormen nur dann gedeckt gewesen, wenn eine solche Maßnahme notwendig gewesen wäre, um die Ausweisung zu sichern; der im § 6 Abs 1 AsylG 1968 normierte Zweck der Aufenthaltsverpflichtung (Sicherung der Mitwirkung des Asylwerbers an der Feststellung des für die Entscheidung über seinen Asylantrag maßgebenden Sachverhaltes) steht mit der Sicherung einer allfälligen Ausweisung außer jedem Zusammenhang.

§ 6 Abs 1 AsylG 1968 ist sohin mit Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrG und mit Art 5 Abs 1 litf EMRK nicht in Einklang zu bringen.

bb) Auch der Versuch der Bundesregierung darzutun, daß § 6 Abs 1 AsylG 1968 durch Art 2 Abs 1 Z 4 PersFrG und Art 5 Abs 1 litb EMRK gedeckt und damit verfassungskonform sei, scheitert.

Nach diesen Verfassungsvorschriften darf die persönliche Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise u. a. entzogen werden, um die "Erfüllung einer durch Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung" zu erzwingen.

Die Erläuterungen der Regierungsvorlage zum PersFrG (134 BlgNR 17. GP, S 6) besagen zu Art 2 Abs 1 Z 4:

"Dieser Tatbestand entspricht dem Art 5 Abs 1 litb EMRK im vollen Umfang. Die Aufzählung aller denkbaren Fälle, die unter diesen Tatbestand subsumierbar sind, hat sich als untunlich erwiesen. Beispielsweise werden Maßnahmen zur Erzwingung einer Zeugenaussage, einer gesetzlich vorgesehenen Untersuchung, die Fälle zivilrechtlicher Beugehaft oder die zwangsweise Vorführung von Parteien damit erfaßt (vgl. etwa § 460 Z 1 ZPO, §§34 und 35 AVG, § 5 VVG, §§19 Abs 1 und 237 Abs 2 AußStrG, §§48 Abs 3, 354 Abs 1, 355 Abs 1, 386 Abs 1 EO,§ 101 Abs 1 KO). Eine Verpflichtung im Sinne dieser Entwurfsbestimmung liegt auch dann vor, wenn sie vom Gesetz so umschrieben ist, daß sie als Ermächtigung der Behörde erscheint, aber unwirksam wäre, enthielte sie nicht auch mittelbar eine Pflicht anderer Personen (vgl. zB § 6 Abs 1 Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968)."

Die in den vorhin erwähnten Verfassungsnormen für die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme statuierte Voraussetzung ist, daß das Gesetz eine bestimmte Verpflichtung normiert. Schon im Hinblick darauf, daß die Mißachtung dieser Verpflichtung zu einer Haft führen kann, muß eine solche Verpflichtung im Gesetz selbst klar und deutlich zum Ausdruck kommen. Entgegen dem hier maßgebenden Teil der zitierten Erläuterungen zu der das PersFrG betreffenden Regierungsvorlage kann nun dem § 6 AsylG 1968 keineswegs eine Verpflichtung des Asylwerbers entnommen werden, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, mag eine solche Pflicht auch zweckmäßig sein.

Da die in Art 2 Abs 1 Z 4 PersFrG und Art 5 Abs 1 litb EMRK normierte Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung somit nicht erfüllt ist, kann die Anhaltung nach § 6 AsylG 1968 nicht mit diesen Verfassungsvorschriften gerechtfertigt werden.

cc) Da diese Anhaltung auch durch keinen anderen in den wiederholt erwähnten Verfassungsnormen enthaltenen Vorbehalt gedeckt ist, erweist sich § 6 AsylG 1968 als verfassungswidrig.

c) Bei diesem Ergebnis war auf das weitere, im Einleitungsbeschluß geäußerte Bedenken, das Gesetz sehe kein Haftprüfungsverfahren vor, nicht einzugehen.

d) Im Hinblick darauf, daß § 6 AsylG 1968 mit Ablauf des außer Kraft getreten ist (s.o. I.2.), war diese Bestimmung nicht aufzuheben, sondern gemäß Art 140 Abs 4 B-VG auszusprechen, daß sie verfassungswidrig war.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung dieses Ausspruches gründet sich auf Art 140 Abs 5 B-VG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.