VfGH vom 20.06.2011, g2/11

VfGH vom 20.06.2011, g2/11

Sammlungsnummer

19420

Leitsatz

Widerspruch des generellen Ausschlusses der Öffentlichkeit bei der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten der Ziviltechniker gegen die Verfahrensgarantien der EMRK

Spruch

I. § 71 Abs 5 zweiter Satz des Bundesgesetzes über die Kammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten (Ziviltechnikerkammergesetz 1993 - ZTKG), BGBl. Nr. 157/1994, idF der Novelle BGBl. I Nr. 164/2005 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu der Zahl B2002/08 eine Beschwerde gemäß Art 144 B-VG anhängig, der im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundeskammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten (im Folgenden: Berufungskommission) vom wurde der Beschwerdeführer - nach Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am selben Tag - schuldig erkannt, durch sein Verhalten ein näher bezeichnetes Disziplinarvergehen begangen zu haben. Mit dem Bescheid wurde als Disziplinarstrafe ein schriftlicher Verweis erteilt und dem Beschwerdeführer der Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens aufgetragen.

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die eingangs genannte, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 6 und 7 EMRK sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht wird. Überdies wird - ohne dies näher darzulegen - die Anwendung verfassungswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

2. Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 71 Abs 5 zweiter Satz ZTKG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof leitete daraufhin mit Beschluss vom gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der genannten Bestimmung ein.

3. Die Bundesregierung hat am beschlossen, dass von der Erstattung einer "meritorischen Äußerung Abstand genommen wird".

II. Rechtslage

1. Die §§56, 58 und 71 des Bundesgesetzes über die Kammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten (Ziviltechnikerkammergesetz 1993 - ZTKG), BGBl. 157/1994 idF BGBl. I 123/2008, lauten in der hier maßgeblichen Fassung (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben) wie folgt:

"Disziplinarstrafen

§56. (1) Disziplinarstrafen sind:

1. der schriftliche Verweis;

2. Geldstrafen bis zur Höhe von 18 150 €;

3. Entzug des aktiven und passiven Wahlrechtes für Kammerwahlen bis zur Dauer von fünf Jahren;

4. der Verlust der Befugnis.

(2) Die Disziplinarstrafe gemäß Abs 1 Z 3 kann neben den Disziplinarstrafen gemäß Abs 1 Z 2 ausgesprochen werden.

(3) Bei Bestimmung der Disziplinarstrafe ist im einzelnen Fall auf die Schwere des Disziplinarvergehens und die daraus entstandenen Folgen sowie auf den Grad des Verschuldens und das bisherige Verhalten des Ziviltechnikers Rücksicht zu nehmen. Es ist ferner Bedacht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Ziviltechniker von der Begehung weiterer Disziplinarvergehen abzuhalten. Ferner sind Milderungs- und Erschwernisgründe und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ziviltechnikers zu berücksichtigen.

Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten

§58. (1) Über Berufungen gegen Entscheidungen eines Disziplinarausschusses erkennt in zweiter und letzter Instanz die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten.

(2) Die Berufungskommission besteht aus einem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, die beide Richter des Aktivstandes sein müssen, und aus zwölf Beisitzern. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter sind vom Vorstand der Bundeskammer zu bestellen. Die Beisitzer sind vom Kammertag aus den Reihen der aktiv wahlberechtigten Mitglieder der Länderkammern, die ihre Befugnis ausüben, zu wählen. Sie dürfen nicht gleichzeitig Mitglieder eines Disziplinarausschusses sein.

(3) Die Berufungskommission verhandelt und entscheidet in fünfgliedrigen Senaten unter dem Vorsitz des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters. Die vier weiteren Mitglieder jedes Senates sind vom Vorsitzenden für die Dauer der Funktionsperiode in fortlaufender alphabetischer Reihenfolge aus der Liste der Beisitzer in der Weise zu bestimmen, daß mindestens zwei Mitglieder des Senates der Befugnisgruppe (Architekten, Ingenieurkonsulenten) des Beschuldigten angehören.

(4) Die fünfgliedrigen Senate fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab.

(5) Die Mitglieder der Berufungskommission sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Erkenntnisse der Berufungskommission unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege.

Berufung

§71. (1) Gegen Erkenntnisse des Disziplinarausschusses können der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt wegen des Ausspruches über Schuld und Strafe sowie der Entscheidung über den Kostenersatz Berufung erheben.

(2) Die Berufung hat einen begründeten Antrag zu enthalten und ist binnen zwei Wochen beim Vorsitzenden des Disziplinarausschusses schriftlich oder telegraphisch einzubringen. Die rechtzeitig eingebrachte Berufung hat aufschiebende Wirkung.

(3) Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses hat die Berufung zurückzuweisen, wenn sie verspätet oder unzulässig ist.

(4) Ist kein Grund zur Zurückweisung gegeben, so hat der Vorsitzende des Disziplinarausschusses die Berufung unter Beischluß der Akten der Berufungskommission vorzulegen, die in der Sache selbst zu entscheiden hat.

(5) Eine mündliche Verhandlung ist nur durchzuführen, wenn sie die Berufungskommission zur Klarstellung des Sachverhaltes für erforderlich hält oder wenn sie in der Berufung beantragt wurde. Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich. Der Beschuldigte kann jedoch verlangen, dass drei Kammermitgliedern seines Vertrauens der Zutritt zur Verhandlung gestattet wird.

(6) Die Berufungskommission ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener des Disziplinarausschusses zu setzen und das angefochtene Erkenntnis nach jeder Richtung abzuändern. Ist nur vom Beschuldigten Berufung erhoben, so kann die Berufungskommission keine strengere Strafe verhängen, als in dem angefochtenen Erkenntnis ausgesprochen worden ist."

2. § 71 Abs 5 ZTKG wurde mit BGBl. I 164/2005 geändert und ist seit in Kraft. Bis zu dieser Novelle lautete § 71 Abs 5 ZTKG wie folgt:

"Berufung

§71. (1) - (4) …

(5) Eine mündliche Verhandlung ist nur durchzuführen, wenn sie die Berufungskommission zur Klarstellung des Sachverhaltes für erforderlich hält oder wenn sie in der Berufung beantragt wurde.

(6) ..."

III. Erwägungen

1.1. Zu den formellen Voraussetzungen des Gesetzesprüfungsverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig Folgendes angenommen:

"Im Sinne des Art 140 Abs 1 erster Satz B-VG sind bei einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof jene Bestimmungen präjudiziell, die von der belangten Behörde angewendet wurden oder zu deren Anwendung die belangte Behörde verpflichtet war (vgl. zB VfSlg. 16.452/2002). § 71 ZTKG enthält Regelungen über das Berufungsverfahren und normiert in Abs 5 leg.cit. die Voraussetzungen, wann eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat. § 71 Abs 5 zweiter Satz ZTKG sieht für den Fall, dass eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, ausdrücklich vor, dass diese nicht öffentlich ist. Da die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt hat, wäre die Berufungskommission - auch wenn sie im Anlassfall eine öffentliche Verhandlung durchführte - verpflichtet gewesen, diese Bestimmung anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof geht demnach vorläufig davon aus, dass der in Prüfung gezogene Satz präjudiziell iSd Art 140 Abs 1 B-VG ist."

1.2. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde B2002/08 und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung sprechen würden. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

2. In der Sache äußerte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss folgende Bedenken:

"In der Sache hegt der Verfassungsgerichtshof hinsichtlich § 71 Abs 5 zweiter Satz ZTKG das Bedenken, dass der generelle Ausschluss der Öffentlichkeit bei der mündlichen Berufungsverhandlung gegen Art 6 EMRK verstößt.

... Gemäß Art 6 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf,

'daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.'

Das Urteil muss öffentlich verkündet werden,

'jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.'

Österreich ratifizierte Art 6 EMRK - gemäß dem (damaligen) Art 64 EMRK (nunmehr Art 57 EMRK idF des 11. ZP-EMRK) - unter dem Vorbehalt,

'... daß ... die Bestimmungen des Artikels 6 der Konvention

mit der Maßgabe angewendet werden, daß die in Artikel 90 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 festgelegten Grundsätze über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beeinträchtigt werden ...'.

... Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

qualifizierte in seinem Urteil im Fall Eisenstecken (EGMR , Appl. 29.477/95, Z 21 ff. = ÖJZ 2001/7) diesen österreichischen Vorbehalt zu Art 6 EMRK ausdrücklich als ungültig. Der Verfassungsgerichtshof ist dem EGMR in seiner nunmehrigen Qualifikation des österreichischen Vorbehalts gefolgt (s. die mit dem hg. Erkenntnis VfSlg. 16.402/2001 beginnende ständige Judikatur). Dies gilt auch für das Verfahren vor der Berufungskommission gemäß § 58 ZTKG (VfSlg. 17.373/2004).

Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK hat zur Folge, dass in Verwaltungsverfahren, in denen über 'strafrechtliche Anklagen' abgesprochen wird, eine (volks-)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist.

Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden,

soweit Art 6 EMRK dies zulässt (vgl. EGMR , Fall Diennet,

Appl. 18.160/91, Z 20 und 30 ff. = ÖJZ 1996/4; EGMR , Fall

Osinger, Appl. 54.645/00, Z 36 und 47 ff. = ÖJZ 2006/6; EGMR

, Fall Moser, Appl. 12.643/02, Z 49 und 95 ff. = ÖJZ

2007/10).

... Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes

(vgl. zB VfSlg. 11.506/1987, 11.569/1987, 15.543/1999) sind bestimmte schwere Disziplinarstrafen, als Strafen im Sinne des Art 6 EMRK zu qualifizieren, wobei es nicht darauf ankommt, welche Sanktionen im konkreten Disziplinarverfahren verhängt wurden, sondern darauf, welche Rechtsfolgen das Gesetz kennt. Derartige Strafen müssen somit von einer Behörde verhängt werden, die den Kriterien des Art 6 Abs 1 EMRK Rechnung trägt.

Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (vgl. zB VfSlg. 14.485/1996, 15.081/1998 mwH, 17.710/2005), dass die Berufungskommission jenen Anforderungen, die nach Art 6 Abs 1 EMRK an ein unabhängiges und unparteiisches Gericht gestellt sind, grundsätzlich entspricht.

… Der Verfassungsgerichtshof hat - vor dem Hintergrund des § 71 Abs 5 ZTKG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I 164/2005 - die Auffassung vertreten, dass die Berufungskommission nach Maßgabe des Art 6 Abs 1 EMRK - auch angesichts der dort gebotenen Abwägung - (volks-)öffentlich zu verhandeln hat (vgl. VfSlg. 17.373/2004 - Pkt. II.2.3.3. sowie 17.710/2005). § 71 Abs 5 ZTKG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I 164/2005 war einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, weil der damalige Wortlaut eine (volks-)öffentliche mündliche Verhandlung nicht ausgeschlossen hat.

... Dem § 71 Abs 5 ZTKG wurde mit der Novelle BGBl. I 164/2005

ein zweiter und dritter Satz angefügt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des zweiten Satzes, wonach die mündliche Verhandlung nicht öffentlich ist, scheint sich nunmehr zu ergeben, dass die Abhaltung einer (volks-)öffentlichen mündlichen Verhandlung ohne Ausnahmen ausgeschlossen wird; auch die entsprechenden Erläuterungen zur RV 1169, BlgNR 22. GP, 47, dürften diese Auffassung bestätigen. Die Änderung des § 71 Abs 5 ZTKG wird wie folgt begründet:

'§71 Abs 5 ZTKG sieht vor, dass eine mündliche Verhandlung über eine Berufung gegen ein Erkenntnis des Disziplinarausschusses nur dann stattfindet, wenn die Berufungskommission eine solche zur Klarstellung des Sachverhalts für erforderlich hält oder wenn sie in der Berufung beantragt wurde. Bereits bisher sind diese (allfälligen) Berufungsverhandlungen - ebenso wie die mündliche Verhandlung vor den Senaten des Disziplinarausschusses (§67 Abs 2 ZTKG) im Disziplinarverfahren erster Instanz - nicht öffentlich. Dies soll mit der Ergänzung des § 71 Abs 5 klargestellt werden. So wie auch in der ersten Instanz soll der Beschuldigte aber verlangen können, dass der Zutritt zur Verhandlung drei Kammermitgliedern seines Vertrauens gestattet wird.'

An dieser Auffassung dürfte auch das Recht des Beschuldigten gemäß § 71 Abs 5 dritter Satz ZTKG, 'drei Kammermitglieder seines Vertrauens' der mündlichen Berufungsverhandlung beizuziehen, nichts ändern, weil diese Vertrauenspersonen die (Volks-)Öffentlichkeit nicht ersetzen können. Die Vertrauenspersonen werden vom Beschuldigten namhaft gemacht und können unabhängig davon, ob eine (volks-)öffentliche Verhandlung stattfindet oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, beigezogen werden (vgl. VfSlg. 16.704/2002 auch zu § 67e Abs 3 AVG, der Ähnliches vorsieht, obwohl die Verhandlungen grundsätzlich (volks-)öffentlich sind).

... Der Verfassungsgerichtshof kann vorerst auch keine Gründe

finden, die einen generellen Ausschluss der Öffentlichkeit bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor der Berufungskommission rechtfertigen, zumal es sich bei Disziplinarberufungsverfahren nach dem ZTKG nicht generell um derart außergewöhnliche Verfahren handeln dürfte, bei denen der Ausschluss der Öffentlichkeit ausnahmslos geboten wäre.

... Der Verfassungsgerichtshof hegt daher das Bedenken, dass

§71 Abs 5 zweiter Satz ZTKG eine (volks-)öffentliche mündliche Verhandlung generell ausschließt und damit Art 6 Abs 1 zweiter Satz EMRK widerspricht. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass in dem der Beschwerde zu Grunde liegenden Disziplinarverfahren von der Berufungskommission eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt wurde.'

3. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken treffen zu; im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was diese zerstreuen könnte.

Der Verfassungsgerichtshof hält an der in seiner bisherigen Rechtsprechung (VfSlg. 17.373/2004 - Pkt. II.2.3.3. sowie 17.710/2005) vertretenen Auffassung fest, dass die Berufungskommission nach dem Ziviltechnikerkammergesetz 1993 nach Maßgabe des Art 6 Abs 1 EMRK - auch angesichts der dort gebotenen Abwägung - (volks-)öffentlich zu verhandeln hat.

Der Wortlaut des mit der Novelle des Ziviltechnikerkammergesetzes 1993, BGBl. I 164/2005 angefügten zweiten Satzes des § 71 Abs 5 ZTKG schließt jedoch - im Gegensatz zum Wortlaut dieser Bestimmung vor dieser Novelle (vgl. VfSlg. 17.373/2004) - die Abhaltung einer (volks-)öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vor der Berufungskommission generell aus (vgl. auch die Erläuterung zur RV 1169 BlgNR 22. GP, 47) und lässt ein Abstellen auf die Umstände des Einzelfalles nach Maßgabe des Art 6 Abs 1 zweiter Satz EMRK nicht zu. Daran ändert auch das Recht des Beschuldigten nichts, "drei Kammermitglieder seines Vertrauens" der Berufungsverhandlung beizuziehen, weil diese die erforderliche (Volks-)Öffentlichkeit nicht ersetzen können. Es sind im Verfahren auch keine Gründe hervorgekommen, die einen generellen Ausschluss der Öffentlichkeit bei der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskommission rechtfertigen können.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner im Prüfungsbeschluss ausgesprochenen Auffassung, dass ein derartiger genereller Ausschluss der Möglichkeit, eine (volks-)öffentliche mündliche Berufungsverhandlung abzuhalten, Art 6 Abs 1 EMRK widerspricht.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. § 71 Abs 5 zweiter Satz ZTKG ist wegen Verstoßes gegen Art 6 Abs 1 zweiter Satz EMRK als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.