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VfGH vom 11.03.2015, G199/2014 ua

VfGH vom 11.03.2015, G199/2014 ua

Leitsatz

Kein Verstoß der Regelung des VwGVG über die Erlassung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte durch Verkündung gegen das Determinierungsgebot; Interpretation als Formvorschrift analog zur Vorgängerbestimmung für die Unabhängigen Verwaltungssenate; Feststellung der Verfassungswidrigkeit der - mittlerweile geänderten - Bestimmung des VfGG über den Beginn der Frist zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde

Spruch

I. § 29 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (VerwaltungsgerichtsverfahrensgesetzVwGVG), BGBl I Nr 33/2013, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

II. 1. § 82 Abs 1 zweiter Satz Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl Nr 85 idF BGBl I Nr 33/2013, war verfassungswidrig.

2. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E163/2014 eine auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde anhängig. Der Beschwerdeführer ist ein bulgarischer Staatsangehöriger, dem 2012 gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Er erhält Leistungen der Mindestsicherung und wegen einer Erkrankung an Schizophrenie Pflegegeld der Stufe 1.

1.1. Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer eine Förderung für Tagesstruktur durch den Fonds Soziales Wien nach dem Chancengleichheitsgesetz Wien. Mit Bescheid vom , FBSR 575229/13, wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an den damals zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat Wien.

1.2. Am fand vor dem nunmehr zuständigen Verwaltungsgericht Wien eine mündliche Verhandlung statt, an deren Ende das Gericht mündlich verkündete, dass die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werde und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

1.3. Sechs Wochen nach der mündlichen Verkündung, am , erhob der Beschwerdeführer eine, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht nur gegen das Ergebnis der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, sondern vor allem dagegen, dass das mündlich verkündete Erkenntnis keinerlei Begründung aufweise und eine schriftliche Ausfertigung noch nicht ergangen sei.

1.4. Am langte ein als "Beschwerdeergänzung" bezeichneter Schriftsatz beim Verfassungsgerichtshof ein, in dem der Beschwerdeführer ausführt, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien am ausgefertigt und dem Beschwerdeführer am zugestellt worden sei. Der Schriftsatz enthält eine Konkretisierung des Vorbringens gegen den Inhalt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien.

2. Bei der Behandlung der gegen das am mündlich verkündete Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 29 VwGVG, BGBl I 33/2013, sowie des zweiten Satzes des § 82 Abs 1 VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Gerichtshof legte die Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss E163/2014 13 wie folgt dar:

"Der Verfassungsgerichtshof hat zur bis zum Ablauf des geltenden Fassung des Art 144 B VG im Geltungsbereich des AVG die Auffassung vertreten, dass ein auf die Erlassung eines Bescheides gerichteter Willensakt der Behörde erst dann Wirksamkeit erlangt, wenn er nach außen gemäß den Regeln des AVG in Erscheinung tritt, wenn er also dem § 62 AVG entsprechend entweder mündlich verkündet oder wenn (nur) eine schriftliche Ausfertigung dieses Bescheides zugestellt wurde (vgl. zB VfSlg 1847/1949, 3020/1956, 7934/1976, 11.725/1988, 13.111/1992, 14.656/1996, 18.356/2008). Dabei war es nicht zwingend erforderlich, dass der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt oder verkündet wurde, doch musste er überhaupt erlassen sein, dh. im Mehrparteienverfahren genügte es, wenn er einer (anderen) Partei zugestellt oder verkündet worden ist (VfSlg 14.026/1995, 14.540/1996). Damit ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein kann, muss es erlassen und damit rechtlich existent geworden sein. § 82 Abs 2 VfGG lässt anscheinend die mündliche Verkündung genügen.

1.1. Für das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B VG vor den Verwaltungsgerichten gelten gemäß § 17 VwGVG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§1 bis 5 und des IV. Teils (§§63 – 73 AVG) nur, soweit in diesem Gesetz (dem VwGVG) nicht anderes bestimmt ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass in § 29 VwGVG der Vorgang der Erlassung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes jedenfalls hinsichtlich der Frage des Zusammenspiels der mündlichen Verkündung und der schriftlichen Ausfertigung abschließend geregelt ist. In Fortführung der bisherigen Rechtsprechung scheint der Verfassungsgerichtshof daher die Frage, ob ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes erlassen ist und damit einen Anfechtungsgegenstand iSd Art 144 B VG darstellen kann, anhand der Bestimmungen des § 29 VwGVG prüfen zu müssen.

1.3. Gemäß § 29 Abs 1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik 'zu verkünden und auszufertigen'. Abs 2 leg.cit. bestimmt, dass eine mündliche Verkündung vorzunehmen ist, wenn eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der Parteien stattgefunden hat, Abs 3 sieht Ausnahmen von der Verpflichtung zur mündlichen Verkündung vor, Abs 4 verpflichtet das Gericht ausnahmslos und nicht erst auf Verlangen der Partei zur Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung.

2. Demgegenüber bestimmt § 62 Abs 1 und 3 AVG ausdrücklich, dass Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden können und dass bei der Bescheidverkündung anwesenden Parteien eine schriftliche Ausfertigung nur über Verlangen zuzustellen ist, woraus sich anscheinend ergibt, dass Bescheide bereits mit der mündlichen Verkündung gegenüber den anwesenden Parteien als erlassen (dh. nach außen in rechtliche Wirksamkeit getreten) gelten können. Abweichend davon scheint § 29 VwGVG weder eine ausdrückliche Bestimmung dahin zu enthalten, dass Erkenntnisse schon mit ihrer mündlichen Verkündung als erlassen gelten, noch dürfte sich diese Rechtsfolge aus dieser Bestimmung schlüssig ableiten lassen. Im Zweifel scheint § 29 VwGVG die Erlassung eines Erkenntnisses daran zu knüpfen, dass alle Bedingungen seiner Erzeugung erfüllt sind, insbesondere also auch, dass die Entscheidung in schriftlicher Form zugestellt wurde.

Aus den Materialien zu § 29 VwGVG können keine eindeutigen Argumente für die Lösung dieser Frage gewonnen werden. Es scheint sich daraus jedenfalls nicht zu ergeben, dass man vom Prinzip abgehen wollte, dass das Erkenntnis schon mit seiner mündlichen Verkündung als erlassen (im oben bezeichneten Sinne) gilt.

2.1. Ein Vergleich mit § 67g AVG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung betreffend die Erlassung von Bescheiden durch die Unabhängigen Verwaltungssenate, der zugleich mit dem Inkrafttreten des § 29 VwGVG mit außer Kraft gesetzt wurde, trägt ebenso wenig zum Verständnis des § 29 VwGVG bei. Zwar scheinen die vormals in § 67g AVG geregelten Voraussetzungen für den Entfall der Verkündung beinahe wortgleich in § 29 Abs 3 VwGVG Eingang gefunden zu haben und auch die verpflichtende Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung scheint von dieser Bestimmung übernommen worden zu sein. In dem hier zu klärenden Punkt, nämlich wann eine Entscheidung als erlassen zu gelten hat, weicht der Wortlaut des § 29 Abs 1 VwGVG aber von jenem des § 67g Abs 1 AVG (neben dem von den unabhängigen Verwaltungssenaten freilich immer auch § 62 Abs 3 AVG anzuwenden gewesen ist) maßgeblich ab.

2.2. § 82 Abs 2 zweiter Satz VfGG, der ebenfalls im Zuge der Einführung einer instanzenförmigen Verwaltungsgerichtsbarkeit novelliert worden ist, dürfte hingegen die bloß mündliche Verkündung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes ohne nachfolgende schriftliche Ausfertigung für möglich oder gar für zulässig halten (obwohl dies § 29 VwGVG anscheinend ausschließt), jedenfalls aber davon ausgehen, dass ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes allein mit seiner mündlichen Verkündung schon wirksam erlassen ist, räumt diese Bestimmung doch anscheinend bereits in diesem Stadium eine Beschwerdemöglichkeit an den Verfassungsgerichtshof ein. Andererseits trifft aber § 82 VfGG anscheinend keine Regelung für den Fall, dass der (allenfalls als Erlassung des Erkenntnisses wirkenden) mündlichen Verkündung der Entscheidung eine schriftliche Ausfertigung nachfolgt. Wurde gegen die mündlich verkündete Entscheidung bereits Beschwerde erhoben, dürfte ungeklärt sein, welche Wirkung der nachfolgenden Zustellung der schriftlichen Ausfertigung zukommt, insbesondere, ob eine bereits erhobene Beschwerde ergänzt oder ob allenfalls die Beschwerde wiederholt, also eine zweite Beschwerde nach Vorliegen der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses eingebracht werden kann. Damit im Zusammenhang scheint insbesondere auch ungeklärt zu sein, ob mit einer nachträglichen schriftlichen Ausfertigung die in § 82 Abs 1 zweiter Satz VfGG anscheinend normierte Prozessvoraussetzung, dass das Erkenntnis 'nur' mündlich verkündet wurde, wegfällt und eine nach mündlicher Verkündung bereits erhobene Beschwerde daher unzulässig wird.

2.3. Dem Verfassungsgerichtshof erscheint es angesichts der unklaren Regelung des § 29 VwGVG und der anscheinend nicht gelungenen Abgleichung dieser Bestimmung mit dem ebenfalls unklaren Wortlaut des § 82 VfGG vorläufig nicht möglich, jenen Zeitpunkt eindeutig zu bestimmen, mit dem das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes nach dem Willen des Gesetzgebers als rechtsverbindlich erlassen zu gelten hat und ab wann es daher Gegenstand einer Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof sein kann.

3. Die Frage, wann das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes in rechtliche Existenz tritt, also als 'erlassen' gilt ist von maßgeblicher Bedeutung sowohl für die Rechtssicherheit, auch für zentrale Fragen des Rechtsschutzes, als auch für die Frage, ob nach mündlicher Verkündung eines Erkenntnisses gegen eine ungebührliche Verzögerung der schriftlichen Erkenntnisausfertigung ein im Sinne der Art 6 und 13 EMRK wirksamer Rechtsschutz in Form des Fristsetzungsantrages gemäß § 38 VwGG eingeräumt ist. Diese Frage ist aber auch für die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art 144 B VG ausschlaggebend.

Das Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B VG verpflichtet den Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008) gerade in Bezug auf die Behörden- und Gerichtszuständigkeit zu einer präzisen, strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden Regelung. Eine Zuständigkeitsfestlegung muss klar und unmissverständlich sein (vgl. etwa die Regelungen über die Erlassung gerichtlicher Urteile in § 416 ZPO). Das gilt auch für eine vergleichbar zentrale Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich der Voraussetzungen für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes. Diesem Anspruch auf eindeutige gesetzliche Determinierung scheint § 29 VwGVG iVm § 82 VfGG nicht gerecht zu werden, da sich anscheinend weder aus diesen noch aus anderen Bestimmungen mit der nötigen Klarheit ermitteln lässt, wann ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes als erlassen gilt, und sich selbst dann, wenn man aus § 82 Abs 1 zweiter Satz VfGG Rückschlüsse auf den Inhalt des § 29 VwGVG ziehen wollte, neue Fragen ergeben, die aus dem Gesetz nicht beantwortet werden können.

4. Die Bestimmungen des § 29 VwGVG und des § 82 Abs 1 zweiter Satz VfGG scheinen daher sowohl für sich, als auch in ihrem Zusammenhang, diesem strengen Prüfungsmaßstab nicht standzuhalten."

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie im Hinblick auf die am vom Nationalrat beschlossene Änderung des § 82 Abs 1 zweiter Satz VfGG von einer inhaltlichen Stellungnahme Abstand nahm und beantragt, für den Fall der Aufhebung eine Frist von einem Jahr zu setzen, da eine Neufassung des § 29 VwGVG gemäß Art 136 Abs 2 B VG die Einbeziehung der Länder erfordere.

5. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei erstattete eine Äußerung, in der sie die Ansicht vertritt, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes mit der mündlichen Verkündung erlassen worden sei und die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht begründet seien.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben).

1. § 29 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (VerwaltungsgerichtsverfahrensgesetzVwGVG), BGBl I 33/2013, lautet:

" Verkündung und Ausfertigung der Erkenntnisse

§29. (1) Die Erkenntnisse sind im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen.

(2) Hat eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden, so hat in der Regel das Verwaltungsgericht das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden.

(3) Die Verkündung des Erkenntnisses entfällt, wenn

1. eine Verhandlung nicht durchgeführt (fortgesetzt) worden ist oder

2. das Erkenntnis nicht sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefasst werden kann

und jedermann die Einsichtnahme in das Erkenntnis gewährleistet ist.

(4) Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ist in den in Art 132 Abs 1 Z 2 B VG genannten Rechtssachen auch dem zuständigen Bundesminister zuzustellen."

2. § 82 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013, lautet:

"K. Bei Beschwerden wegen Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages (Art144 B VG)

§82. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes gemäß Art 144 B VG (Beschwerdefrist) beträgt sechs Wochen. Sie beginnt, wenn das Erkenntnis dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn jedoch das Erkenntnis dem Beschwerdeführer nur mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung.

(2) Ist das Erkenntnis bereits einer anderen Partei zugestellt oder verkündet worden, kann die Beschwerde bereits ab dem Zeitpunkt erhoben werden, in dem der Beschwerdeführer von dem Erkenntnis Kenntnis erlangt hat.

(3) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§64 ZPO), so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen. Der Bescheid ist durch den Verfassungsgerichtshof zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei.

(4) Die Beschwerde hat zu enthalten:

1. die Bezeichnung des angefochtenen Erkenntnisses und des Verwaltungsgerichtes, das es erlassen hat;

2. den Sachverhalt;

3. die Angabe, ob der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, im letzteren Fall auch die Bezeichnung der für rechtswidrig erachteten Rechtsvorschrift;

4. ein bestimmtes Begehren;

5. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.

(5) Der Beschwerde ist eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Erkenntnisses anzuschließen, wenn es dem Beschwerdeführer zugestellt worden ist."

Mit BGBl I 92/2014 wurde § 82 Abs 1 VfGG insofern geändert, als der in Prüfung gezogene zweite Satz durch den folgenden ersetzt wurde: "Sie beginnt mit dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses." In den Materialien finden sich keine Hinweise auf den Grund für diese Änderung.

III. Erwägungen

1. Da keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren als zulässig.

2. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind nur zum Teil begründet:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner bereits im Beschluss vom , E163/2014-13, vorläufig geäußerten Ansicht, dass der zweite Satz des § 82 Abs 1 VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013, in seinem Zusammenwirken mit § 29 VwGVG, BGBl I 33/2013, den strengen, aus dem Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B VG erfließenden Anforderungen, die an die Klarheit und Verständlichkeit von Regelungen anzulegen sind, die Zuständigkeitsfestlegungen oder vergleichbar zentrale Fragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Inhalt haben, nicht entsprochen hat.

Der Gesetzgeber hat mittlerweile mit der Novelle BGBl I 92/2014 jenen zweiten Satz des § 82 Abs 1 VfGG einer neuerlichen Änderung unterzogen, dessen vorangehende Fassung Gegenstand dieses Prüfungsverfahrens ist. Mit dieser Änderung wurde die Sonderregel hinsichtlich des Fristenlaufes von nur mündlich verkündeten Erkenntnissen wieder aus dem Rechtsbestand entfernt. Die Materialien enthalten zwar keinen Hinweis auf die Beweggründe des Gesetzgebers, die um den aufgehobenen Satz des § 82 Abs 1 VfGG bereinigte Rechtslage weist angesichts des Wortlautes des § 29 VwGVG nun aber nicht mehr jene Unklarheit auf, die den Verfassungsgerichtshof zu seinem Prüfungsbeschluss veranlasst hat.

2.2. Der Verwaltungsgerichthof hat mittlerweile mit Erkenntnis vom , Ro 2014/04/0068, mit näherer Begründung entschieden, dass § 29 VwGVG ebenso zu verstehen sei wie die für die Unabhängigen Verwaltungssenate geltende Vorgängerbestimmung des § 67g AVG. Der Verwaltungsgerichtshof hegt keine Zweifel, dass eine ordentliche Revision gegen einen zunächst nur mündlich verkündeten Bescheid zulässig ist.

2.3. Angesichts dessen sieht der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken ob der hinreichenden Determinierung des § 29 VwGVG zerstreut: Liest man nämlich den ersten Satz dieser Bestimmung in dem Sinne, dass damit nicht der Begriff der "Erlassung" einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung umschrieben werden sollte, sondern dass diese Bestimmung – analog zu Art 82 Abs 2 B VG – lediglich eine Formvorschrift darstellt, wonach die Erlassung eines Erkenntnisses sowohl mündlich als auch schriftlich "Im Namen der Republik" vorzunehmen ist, dann liegt die vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Interpretation des § 29 VwGVG analog zum früheren § 67g AVG nahe. Damit sind auch die in Punkt 2.2. des Prüfungsbeschlusses dargelegten Bedenken ausgeräumt.

2.4. Im Ergebnis hat sich daher nur der in Prüfung gezogene Satz in § 82 Abs 1 VfGG idF BGBl I 33/2013 als Sitz der Verfassungswidrigkeit erwiesen.

IV. Ergebnis

1. § 29 VwGVG, BGBl I 33/2013, ist daher nicht wegen Verstoßes gegen das Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B VG als verfassungswidrig aufzuheben. Hingegen war festzustellen, dass § 82 Abs 1 zweiter Satz VfGG idF BGBl I 33/2013 verfassungswidrig war.

2. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches, dass § 82 Abs 1 zweiter Satz VfGG idF BGBl I 33/2013 verfassungswidrig war, erfließt aus Art 140 Abs 5 erster und zweiter Satz iVm Abs 4 B VG und § 64 Abs 2 iVm § 65 Z 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:G199.2014