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VfGH vom 12.12.1998, g198/98

VfGH vom 12.12.1998, g198/98

Sammlungsnummer

15374

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung für die Differenzierung zwischen verschiedenen steuerfreien Einkünften und deren Berücksichtigung bzw Nichtberücksichtigung bei der Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages im Vergleich Wochengeld - Lohnfortzahlung bzw Arbeitseinkommen - Wochengeld

Spruch

Die letzten beiden Sätze des § 33 Abs 4 Z 1 EinkommensteuerG 1988, BGBl. Nr. 400, in der Fassung des Familienbesteuerungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 312, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach § 33 Abs 4 Z 1 EStG 1988 idF BGBl. 1992/312 steht zur Abgeltung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen einem Alleinverdiener ein Absetzbetrag von 5.000 S jährlich zu (Satz 1). Voraussetzung ist, daß der (Ehe)Partner bei mindestens einem Kind Einkünfte von höchstens 60.000 S jährlich, sonst Einkünfte von höchstens 30.000 S jährlich erzielt (Satz 4, Wertgrenzen idF BGBl. 1993/818). Dabei sind mit gewissen Ausnahmen steuerfreie Einkünfte nicht zu berücksichtigen (letzter Satz).

Steuerfrei sind nach § 3 Abs 1 Z 4 EStG 1988 unter anderem das Wochengeld und vergleichbare Bezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung sowie dem Grunde und der Höhe nach gleichartige Zuwendungen aus Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen (lita).

Mit dem beim Verfassungsgerichtshof zu B4921/96 angefochtenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol wird einem Landesbeamten der Alleinverdienerabsetzbetrag unter Hinweis auf den Umstand versagt, die steuerpflichtigen Einkünfte seiner Ehefrau überstiegen 60.000 S. Diese Grenze werde zwar nur durch die Einbeziehung des ihr als Landesbeamtin nach § 12 des Tiroler Mutterschutzgesetzes während der Beschäftigungsverbote wegen einer Schwangerschaft weiter zu gewährenden Entgelts in die maßgeblichen Einkünfte überschritten. Die Leistungen des Dienstgebers seien aber steuerpflichtig und stünden daher dem Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag auch dann entgegen, wenn sie dem gleichen Zweck dienten wie das Wochengeld und bei gleichem Einkommen letztlich zu einem gleichen Nettobezug führten wie der Bezug des steuerfreien und daher der Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages nicht schädlichen Wochengeldes.

II. Aus Anlaß dieser Beschwerde sind Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des vorletzten und letzten Satzes des § 33 Abs 4 Z 1 EStG 1988 entstanden. Diese beiden Sätze knüpfen an die eingangs genannten Voraussetzungen betreffs der Einkünfte des (Ehe)Partners von höchstens 60.000 S bzw. 30.000 S an und umschreiben die der Zuerkennung eines Alleinverdienerabsetzbetrages nicht hinderlichen Einkünfte nach Ausscheiden von solchen für Auslandstätigkeiten (§3 Abs 1 Z 10) und in Entwicklungsländern (§3 Abs 1 Z 11), die hier nicht von Bedeutung sind, wörtlich so:

"Die nach § 3 Abs 1 Z 10 und 11 und auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen steuerfreien Einkünfte sind in diese Grenzen mit einzubeziehen. Andere steuerfreie Einkünfte sind nicht zu berücksichtigen."

Es schien dem Verfassungsgerichtshof, daß diese beiden Sätze, die mit einem seit der Stammfassung unverändert gebliebenem Wortlaut gleichfalls in der Fassung BGBl. Nr. 1992/312 in Geltung stehen, eine untrennbare Einheit bilden und die bloße Beseitigung des im Beschwerdeverfahren offenbar maßgeblichen letzten Satzes den naheliegenden Gegenschluß aus dem vorletzten nicht ausschließen würde.

Die Bedenken gegen diese Vorschriften gehen zunächst dahin, daß sie in Verbindung mit den Bestimmungen über die steuerfreien Einkünfte, insbesondere dem (für sich gesehen unbedenklichen) § 3 Abs 1 Z 4 lita über das netto ausgezahlte Wochengeld, (a) Einkünfte als der Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages nicht schädlich begünstigen, die zwar als Nettobeträge ausgezahlt werden, gleichwohl aber Ersatz für entgehendes Einkommen darstellen, ohne daß ein diese Ausnahme im Vergleich zu sonstigen Erwerbseinkommen oder dessen Ersatz rechtfertigender Grund erkennbar wäre (Vergleich Erwerbseinkommen-Einkommensersatz). Es besteht aber auch das Bedenken, daß sie damit selbst dann, wenn sich ein solcher Grund fände, (b) jenes Entgelt, das der Dienst- oder Arbeitgeber in der gleichen Lage (während des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes) ganz oder teilweise fortzahlt, im Zusammenhang mit dem Alleinverdienerabsetzbetrag ohne erkennbare Rechtfertigung von der Begünstigung ausschließen (Vergleich Wochengeld-Lohnfortzahlung). Der Umstand, daß das Wochengeld anders als die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers durch Beiträge finanziert wird, dürfte jedenfalls angesichts der sonstigen Behandlung beitragsfinanzierten Einkommensersatzes nicht als Rechtfertigung in Betracht kommen.

Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung in der Sache Abstand genommen.

III. Das Gesetzesprüfungsverfahren

ist zulässig und die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind begründet. Die letzten beiden Sätze des § 33 Abs 4 Z 1 EStG sind verfassungswidrig.

1. Es hat sich nichts ergeben, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde oder der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe.

2. Ungeachtet des einkommensteuerrechtlichen Grundsatzes, Einkommensersatz wie Erwerbseinkommen zu besteuern, ist die Ausnahme der Steuerpflicht für das Wochengeld (§3 Abs 1 Z 4 lita EStG) im Hinblick darauf gerechtfertigt, daß es sich nach dem Nettoarbeitsverdienst bemißt (§162 Abs 3 ASVG: "vermindert um die gesetzlichen Abzüge"). Es ist aber kein Grund ersichtlich - und offenbar auch nur die Folge der pauschalen Anknüpfung an die Steuerfreiheit dieser Einkünfte -, daß bei grundsätzlich gleichen Nettoeinkünften des (Ehe)Partners der sonst nicht zustehende Alleinverdienerabsetzbetrag nur deshalb gebührt, weil diese Einkünfte den Ersatz des Arbeitseinkommens während des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes darstellen. Das Verfahren hat eine solche sachliche Rechtfertigung weder im Verhältnis Arbeitseinkommen - Wochengeld noch im Verhältnis Wochengeld - Lohnfortzahlung (durch den Arbeitgeber wie etwa im Bereich des öffentlichen Dienstes) an den Tag gebracht.

Die in Prüfung gezogenen Sätze sind daher wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Aufhebung macht auch sämtliche andere steuerfreien Einkünfte begünstigungsschädlich. Wenngleich die Bundesregierung die Setzung einer Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung im Sinne des Art 140 Abs 5 B-VG nicht begehrt hat, sollte der Gesetzgeber doch Gelegenheit haben, die Nichtberücksichtigung bestimmter steuerfreier Einkünfte in sachlich gerechtfertigten Fällen weiter vorzusehen, ohne daß ein vorübergehend den Alleinverdienerabsetzbetrag ausschließender Zustand eintritt. Der Gerichtshof hält dafür aber eine Frist von sechs Monaten als ausreichend.

Die Verpflichtung zur Kundmachung stützt sich gleichfalls auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausspruch über das Nichtwiederinkrafttreten früherer Vorschriften auf Art 140 Abs 6

B-VG.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VerfGG).