VfGH vom 05.10.1988, G197/87

VfGH vom 05.10.1988, G197/87

Sammlungsnummer

11853

Leitsatz

Art140 Abs 1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung der Wortfolge "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege" in § 57 Abs 1 GewO 1973; Legitimation der ASt. Gesellschaften als Träger einschlägiger Gewerbeberechtigungen gegeben; Provokation eines Verwaltungsstrafverfahrens bzw. eines Wettbewerbsprozesses unzumutbar

GewO 1973 § 57 Abs 1; Zulässigkeit der Verfolgung von Zielen des Konsumentenschutzes mit Hilfe gewerberechtlicher Vorschriften;

Unterbindung von Haustürgeschäften und Vertriebsparties bei Kosmetika kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit;

Verbotsregelung des Direktvertriebes wegen der psychologischen Kaufsituation aus Gründen der Gefährdung von Konsumenteninteressen sachlich gerechtfertigt

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Mit zwei beim VfGH am bzw. am eingelangten Schriftsätzen beantragen die J C Vertriebsgesellschaft m.b.H. (dieser Antrag ist zu G197/87 protokolliert) sowie die C B Gesellschaft m.b.H. (dieser Antrag ist zu G148/88 protokolliert) die Aufhebung der Worte "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege," in § 57 Abs 1 GewO 1973 als verfassungswidrig.

Beide Antragsteller bringen vor, sie seien als Träger von einschlägigen Gewerbeberechtigungen zum Handel mit kosmetischen Artikeln befugt und durch die Verfassungswidrigkeit des mit den angefochtenen Worten ausgedrückten Verbotes des Aufsuchens von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen auf Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege unmittelbar und aktuell in ihren Rechten verletzt; auch stehe ihnen kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung an den VfGH heranzutragen. Im einzelnen legen die antragstellenden Gesellschaften sodann dar, daß und weshalb ihrer Auffassung nach die bekämpfte Wortfolge gegen die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit und das Gleichheitsgebot verstoße.

b) Nach Einbringung des Antrags wurde die zu G197/87 antragstellende Gesellschaft (als übertragende Gesellschaft) mit der G Ges.m.b.H. (als übernehmende Gesellschaft) verschmolzen. Die J C Vertriebsges.m.b.H. wurde liquidiert; die Gewerbeberechtigung, auf die sich die Antragstellerin zu G197/87 zur Legitimation ihrer Antragsberechtigung berufen hat, ging auf die übernehmende Gesellschaft über, die das gegenständliche Verfahren beim VfGH fortführt.

2. Die Bundesregierung bestreitet in ihrer Äußerung im Verfahren G197/87, auf die sie auch im Verfahren G148/88 verweist, die Antragslegitimation und beantragt primär die Zurückweisung der Gesetzesprüfungsanträge; ungeachtet dessen befaßt sie sich auch meritorisch mit den Anträgen, wobei sie den Argumenten der antragstellenden Gesellschaften entgegentritt und den Antrag stellt, der VfGH wolle "für den Fall der Bejahung der Individualantragslegitimation aussprechen, daß die Worte 'Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege,' im § 57 Abs 1 der Gewerbeordnung 1973 nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind".

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die GewO 1973 enthält eine Reihe von Gewerbeausübungsvorschriften, die das Sammeln und Entgegennehmen von Bestellungen betreffen. Die Frage, ob Handelsgewerbetreibende Personen aufsuchen dürfen, um Bestellungen auf Waren zu sammeln und entgegenzunehmen, ist dabei differenzierend geregelt, wobei u. a. danach unterschieden wird, welche Personen zum Zweck der Entgegennahme von Bestellungen aufgesucht werden. In § 57 Abs 1 ist das Aufsuchen von Privatpersonen (soweit es sich weder um Land- und Forstwirte noch um Personen handelt, die die bestellten Waren zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit benützen) zum Zweck des Sammelns von Bestellungen in der Weise näher geregelt, daß dies zum Teil absolut verboten ist (Abs1 und 2), im übrigen (Abs3) nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter Einhaltung einer bestimmten Vorgangsweise erlaubt ist. Abs 1 dieser Bestimmung enthält eine Verbotsliste, in der jene Waren aufgezählt sind, für die das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen absolut untersagt ist; Abs 2 enthält eine Verordnungsermächtigung zur Einbeziehung weiterer Waren in die Verbotsliste.

Die antragstellenden Gesellschaften behaupten die Verfassungswidrigkeit der Nennung der "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege" in der Verbotsliste des § 57 Abs 1 GewO 1973. Diese Bestimmung lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Das Aufsuchen von Privatpersonen, das sind andere als die in den §§55 Abs 1 und 56 Abs 1 genannten Personen, zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen auf Waren ist hinsichtlich des Vertriebes von Lebensmitteln, Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege, Giften, zur arzneilichen Verwendung bestimmten Stoffen und Präparaten, Heilbehelfen, Textilien, Uhren, Gold-, Silber- und Platinwaren, Juwelen und Edelsteinen, Waffen und Munition, pyrotechnischen Artikeln, Grabsteinen und Grabdenkmälern und deren Zubehör sowie Kränzen und sonstigem Gräberschmuck innerhalb wie außerhalb der Gemeinde des Standortes verboten."

2. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig. Die antragstellenden Gesellschaften sind als Träger einschlägiger Gewerbeberechtigungen, auf Grund derer sie zum Handel mit kosmetischen Artikeln befugt sind, durch das Verbot, Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen auf Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege aufzusuchen, mit aktueller Wirkung in ihrer Rechtsposition betroffen (vgl. VfSlg. 11558/1987).

Es steht ihnen auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, die Frage, ob die mit den Anträgen angefochtene Wortfolge verfassungsgemäß ist, an den VfGH heranzutragen: Daß es einem Normunterworfenen nicht zumutbar ist, eine verbotene Handlung zu setzen, um im Weg der Bekämpfung eines daraufhin erlassenen Strafbescheides den VfGH mit der Behauptung anrufen zu können, daß die Verbotsnorm verfassungswidrig sei, hat der VfGH in ständiger Judikatur ausgesprochen (vgl. VfSlg. 8396/1978, 9254/1981, 11454/1987). Der Gerichtshof bleibt bei dieser Rechtsprechung. Den antragstellenden Gesellschaften ist die Übertretung des von ihnen bekämpften Verbots unzumutbar, was dazu führt, daß sie nicht nur nicht auf den Weg eines Verwaltungsstrafverfahrens, sondern - entgegen der Ansicht der Bundesregierung - auch nicht auf den eines Wettbewerbsprozesses verwiesen werden können. Denn auch ein solches Verfahren kann wie auch die zu G148/88 antragstellende Gesellschaft richtig erkennt - nur provoziert werden, indem sich das Unternehmen wettbewerbswidrig, d. h. in concreto in einer Weise verhält, die die bekämpfte Bestimmung der GewO 1973 verpönt.

3.a) In den Gesetzesprüfungsanträgen werden zunächst Bedenken unter dem Blickwinkel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit vorgebracht.

Beide Anträge setzen sich - ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des VfGH, daß Beschränkungen der freien Erwerbsausübung nur zulässig sind, wenn diese einerseits im öffentlichen Interesse liegen und andererseits sachlich gerechtfertigt und nicht unverhältnismäßig sind - zunächst mit der Frage auseinander, ob die verfügten Beschränkungen im öffentlichen Interesse liegen und worin dieses öffentliche Interesse zu sehen ist.

In dem zu G197/87 protokollierten Antrag wird dazu ausgeführt:

"Das in § 57 Abs 1) GewO enthaltene absolute Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen für Bestellungen auf bestimmte Waren geht auf die Gewerbeordnungsnovelle 1968 zurück. Die erläuternden Bemerkungen begründen diese Regelung damit, bei den genannten Waren sei eine besondere Täuschungsgefahr des Konsumenten gegeben. Der angestrebte Schutz des Konsumenten betrifft im wesentlichen zwei Aspekte: Einerseits den Schutz vor einer Gefährdung der Person, insbesondere auch in physischer Hinsicht (so ist etwa die Aufnahme von Giften in den Warenkatalog zu verstehen), andererseits den Schutz vor einer - häufig emotional bewirkten - 'Überrumpelung', also einem unter (psychologischem) Zwang geschlossenen Geschäft, das zivilrechtlich nachteilig sein kann (hier ist auf die Aufnahme von Grabsteinen und ähnlichen Artikeln, die wohl in besonderer emotionaler Situation angeschafft würden, hinzuweisen). Andere, gesamtgesellschaftlich oder wirtschaftlich charakterisierte Motive sind für die Verbotsliste des § 57 Abs 1) GewO nicht bekannt."

In dem zu G148/88 protokollierten Antrag wird zur Frage des öffentlichen Interesses ausgeführt:

"Das Ziel, das der Gesetzgeber mit § 57 Abs 1 GewO 1973 verfolgt, ist der Konsumentenschutz. Dieser Schutz könnte einerseits den Schutz der Person des Konsumenten (insb. seiner Gesundheit) betreffen; im Vordergrund steht jedoch offenkundig der Schutz des Konsumenten vor 'Überrumpelung' und 'Irreführung':

a) Dies ergibt sich insb. aus Abs 2 des § 57 GewO 1973:

Danach ist der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ermächtigt, mit V auch weitere Waren zu bezeichnen, hinsichtlich derer das Aufsuchen von Privatpersonen jedenfalls verboten ist, 'wenn es - neben den Fällen des Abs 1 - wegen der besonderen Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung erforderlich ist'. Aus dieser Wortwendung ergibt sich, daß Ziel des Abs 1 die Abwehr der besonderen Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Konsumenten ist. Neben dieser Fallgruppe (die § 57 Abs 2 GewO 1973 den in Abs 1 geregelten Fällen gleichordnet) kennt Abs 2 andere, davon deutlich unterschiedene Fallgruppen; so insb. auch jene, in der 'Gründe der Volksgesundheit oder des Jugendschutzes' eine entsprechende V erfordern (in diesen Fällen ist das Einvernehmen mit dem zuständigen Fachminister herzustellen). Der Gesundheitsschutz scheint demnach nicht Ziel des § 57 Abs 1 GewO 1973 zu sein.

b) Die Gesetzesmaterialien sind - insb. in bezug auf die 'Mittel zur Körper- und Schönheitspflege' - sehr dürftig. Aus der Entstehungsgeschichte und den Materialien ergibt sich folgendes:

aa) Eine mit § 57 Abs 1 GewO 1973 vergleichbare

Regelung enthielt die GewO 1859 erst seit der Nov. RGBl. 1902/49,

und zwar in § 59 Abs 2 Satz 1. Danach war das Aufsuchen von

Bestellungen auf Waren bei Privatpersonen hinsichtlich des

Vertriebs von 'Colonial-, Specerei- und Materialwaren innerhalb wie

außerhalb des Standortes unbedingt verboten'. Hinsichtlich anderer

Waren war das Aufsuchen von Privatpersonen außerhalb des Standortes

'nur in einzelnen Fällen über ausdrückliche, schriftliche, auf

bestimmte Waren lautende, an den Gewerbeinhaber gerichtete

Aufforderung gestattet' (§59 Abs 2 Satz 2 GewO 1859; vgl. § 57 Abs 3

GewO 1973). Nach § 59 Abs 3 GewO 1859 konnte der Handelsminister im

Verordnungsweg das Aufsuchen von Bestellungen auf Waren bei

Privatpersonen auch ohne eine solche Aufforderung zulassen. . . .

bb) Der Warenkatalog des § 59 Abs 2 Satz 1 GewO 1859

(absolutes Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen) wurde in der

Folge ausgeweitet . . .

cc) Mit BGBl. 1968/416 (BG betreffend das Aufsuchen und die Entgegennahme von Bestellungen) erfolgte eine durchgreifende Neuregelung: Die Verbotsliste des § 59 Abs 2 Satz 1 GewO 1859 wurde eingeschränkt . . . Dafür erhielt der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie im neu eingefügten § 59 Abs 3 GewO 1859 die Ermächtigung, in das Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen mit V weitere Waren einzubeziehen (vgl. § 57 Abs 2 GewO 1973). Der bisherige Satz 2 des § 59 Abs 2 GewO 1859 (Aufsuchen von Privatpersonen außerhalb der Gemeinde bei anderen Waren) erfuhr in § 59 Abs 4 GewO 1859 eine Neuregelung. Die bis dahin bestehende Möglichkeit, mit V bestimmte Waren hinsichtlich des Aufsuchens von Privatpersonen zu begünstigen, entfiel ersatzlos. Völlig neu war das - erst durch den Handelsausschuß ohne nähere Begründung eingefügte (AB zur RV 1021 BlgNr 11. GP) - Rücktrittsrecht nach § 59 Abs 7 GewO 1859. Vorbildfunktion übte dabei offenbar das Rücktrittsrecht gemäß § 4 RatenG BGBl. 1961/279 aus (vgl. dazu Krejci, Der Vertragsrücktritt nach § 54 Absatz 3 und § 60 Gewerbeordnung, ÖZW 1976, 97). Der Gesetzgeber verfolgte mit dem im vorliegenden Zusammenhang interessierenden, neu gefaßten § 59 Abs 2 GewO 1859 das Ziel, eine besondere Täuschungsgefahr für den Konsumenten zu verhindern (EB zur RV 551 BlgNr 11. GP, 4 f).

dd) § 57 Abs 1 GewO 1973 hat die Regelung des § 59 Abs 2 GewO 1859 im wesentlichen unverändert übernommen. Begründet wird das absolute Verbot des Aufsuchens von Bestellungen auf bestimmte Waren bei Privatpersonen damit, daß 'bei diesen Waren eine besondere Täuschungsgefahr für den Konsumenten angenommen werden muß' (EB zur RV einer GewO 1972, 395 BlgNr 13. GP, 153). Bemerkenswert ist, daß die Verbotsliste der RV mit jener des § 59 Abs 2 GewO 1859 idF BGBl. 1968/416 identisch war. Erst im Ausschuß wurde diese Liste erheblich erweitert. Im AB (941 BlgNr 13. GP) wird dies lapidar mit 'konsumentenpolitischen Erwägungen' begründet. Unter anderem hat der Handelsausschuß - in der historischen Entwicklung erstmals auch die 'Mittel zur Körper- und Schönheitspflege' in die Verbotsliste aufgenommen. Eine spezielle Begründung dafür findet sich nirgends.

ee) Zusammenfassend ergibt sich: Nach den Gesetzesmaterialien ist Ziel des § 57 Abs 1 GewO 1973 der Schutz des Konsumenten vor Täuschung. Allenfalls denkbar, wenngleich aus den Materialien nicht belegbar, wäre in bezug auf die 'Mittel zur Körper- und Schönheitspflege' auch das Ziel eines Gesundheitsschutzes."

In beiden Anträgen (im Antrag zu B148/88 sogar explizit) wird eingeräumt, daß die konsumentenschutzpolitische Zielsetzung der Regelung zumindest vertretbarerweise als im öffentlichen Interesse liegend angesehen werden kann. Die antragstellenden Gesellschaften bezweifeln jedoch die Adäquanz und sachliche Rechtfertigung der durch die bekämpfte Bestimmung bewirkten Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit:

Die zu G197/87 antragstellende Gesellschaft führt dazu aus:

"Es stellt sich nun die Frage, inwieweit speziell Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege in dem oben aufgezeigten Sinn Relevanz zukommt, also Konsumenten vor einer Benachteiligung durch eine Regelung der Gewerbeordnung (!) zu schützen sind. Ein erster Vergleich mit den beiden beispielshaft genannten Produkten für die beiden Schutzaspekte zeigt, daß Kosmetika jedenfalls als weit 'harmloser' zu gelten haben: Weder ist eine unmittelbare und so schwerwiegende Beeinträchtigung von Leib und Gesundheit wie bei Giften anzunehmen, noch eine so tiefe emotionale Bewegtheit, wie nach dem Tod eines nahestehenden Menschen, die zu nicht wieder gut zumachenden zivilrechtlichen Nachteilen führen könnte.

Tatsächlich ist dem aufgezeigten Schutzzweck durch die spezielle Gesetzgebung nach Inkrafttreten der Gewerbeordnung wesentlich besser entsprochen worden, als dies eine - im Grunde genommen anachronistische und der modernen Technologie überhaupt nicht adäquate - gewerberechtliche Regelung, wie die des § 57 vermocht hätte. An einschlägigen Rechtsnormen sind insbesondere folgende zu nennen:


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-
Das Lebensmittelgesetz 1975;


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die V über die Kennzeichnung verpackter
kosmetischer Mittel (BGBl 1979/443);


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-
die V über die Zulassung von pharmakologisch wirksamen Stoffen für kosmetische Mittel (BGBl 1986/435). . . .

Die zweite Seite des Schutzgedankens betrifft die zivilrechtliche Sphäre des Konsumenten. Bedenkt man, daß Qualitäts- und Kennzeichnungsbestimmungen für Kosmetika generell - also unabhängig von der Vertriebsform - gelten, also bei der Frage nach der Unversehrtheit von Leib und Leben eine Differenzierung nach dem Vertriebsmodell nicht mehr zum Tragen kommt, so ergibt sich, daß nunmehr ganz offensichtlich der Schutzzweck des § 57 Abs 1) nur in diesem zweiten Bereich liegen kann.

Wiederum ist zu sagen, daß mittlerweile dem Schutzgedanken durch die zivilrechtliche Gesetzgebung (sie hat tatsächlich diese Sphäre zu regeln) sehr weitgehend Rechnung getragen wurde. Das 1979 in Kraft getretene Konsumentenschutzgesetz beinhaltet eine umfassende Regelung, die den Rücktritt von 'Haustürgeschäften' - worunter auch das 'Aufsuchen von Privatpersonen' fallen würde - betrifft. Allfällige Sonderregelungen für bestimmte Produkte wären in diesem Bereich vorzunehmen und nicht im Gewerberecht (dabei kann an eine Verlängerung der Fristen für die Rücktrittserklärung gedacht sein, an eine Erleichterung der Formerfordernisse, an eine Vereinfachung der Rückabwicklung und ähnliches mehr).

Es stellt sich die Frage, wie weit der oben erwähnte Schutzzweck - in seinen beiden Erscheinungsformen - im öffentlichen Interesse liegt. Dies ist wohl für den Bereich der Gesundheit des Konsumenten zu bejahen; es ist davon auszugehen, daß ein öffentliches Interesse daran besteht, Erkrankungen, Unfälle und dergleichen durch minderwertige Produkte zu verhindern. Diesem Zweck wird aber vielmehr durch die einschlägige Gesetzgebung (insbesondere über die Beschaffenheit und die Kennzeichnung von Produkten) entsprochen, als durch gewerberechtliche Vorschriften, die bestimmte Gewerbetreibende in ihrer Erwerbsausübung beeinträchtigen und benachteiligen. Was den Schutz des Konsumenten vor 'Überrumpelung' (psychologischer Kaufzwang) anlangt, so ist - wenn überhaupt - ein öffentliches Interesse nur in viel geringerem Ausmaß gegeben. Wirtschaftliche Fehlentscheidungen des einzelnen sollen und können durch Gesetze gar nicht verhindert werden. Inwieweit Fehlentscheidungen auf ein Ungleichgewicht der Vertragspartner zurückgeführt werden können (also etwa bei Rechtsgeschäften zwischen Unternehmern einerseits und Verbrauchern andererseits) besteht bereits eine den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechende gesetzliche Regelung. Sollte man der Ansicht sein, daß eben das öffentliche Interesse weitergehende Bestimmungen verlange, so wäre dies Aufgabe des Zivilrechts, nicht aber der Gewerbeordnung.

Daß die Berechtigung des § 57 praktisch ausschließlich aus dem Gedanken des Konsumentenschutzes (also aus der zweiten Seite des oben geschilderten Schutzzweckes) abgeleitet wird, ist sowohl aus den erläuternden Bemerkungen anläßlich der Einführung dieser gesetzlichen Regelung ersichtlich, als auch aus den aktuellen Stellungnahmen und Beurteilungen im Zusammenhang mit einer Verschärfung des § 57 anläßlich einer bevorstehenden Gewerbeordnungsnovelle. So wurde im Begutachtungsverfahren die beabsichtigte Neuregelung fast durchwegs als 'konsequente Fortentwicklung des im § 57 Abs 1) enthaltenen Konsumentenschutzgedankens' beurteilt. Es ist nochmals zu wiederholen, daß, soweit dieser Schutz Effizienz besitzt, tatsächlich nicht das Verbot des § 57 Abs 1) dafür ausschlaggebend war, sondern - ausschließlich - die lebensmittelrechtliche Gesetzgebung einerseits und die zivilrechtlichen Regelungen, insbesondere das Konsumentenschutzgesetz, andererseits: Das Interesse eines 'überrumpelten' Käufers wird daran liegen, das für ihn nachteilige Geschäft rückgängig zu machen und so den Nachteil aufzuheben. Durch gewerberechtliche Bestimmungen kann eben dies nicht unmittelbar, sondern nur sehr mittelbar (durch die Androhung einer verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilung, die den Unternehmer von bestimmten Geschäften abhalten soll) erreicht werden. Wenn nun feststeht, daß tatsächlich zivilrechtliche Regelungen vielmehr dazu geeignet sind, den - stets herangezogenen - Konsumentenschutzgedanken zu verwirklichen, so muß andererseits festgestellt werden, daß eine öffentlichrechtliche Bestimmung, die - im deklarierten Interesse des Verbrauchers - die Erwerbsausübung des Gewerbetreibenden beeinträchtigt, nicht mehr berechtigt ist.

Dieser engen Sicht des Konsumentenschutzgedankens ist entgegenzuhalten, daß tatsächlich eine erweiterte Bezugsmöglichkeit von Waren - bei entsprechender legistischer Vorkehrung gegen unerwünschte Erscheinungsformen - vielmehr im Interesse der Verbraucher liegt.

Betrachtet man die - im besonderen zivilrechtliche gesetzliche Regelung und bedenkt man, wie weit sie zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles beigetragen hat, muß gesagt werden, daß ein mit Strafe sanktioniertes Verbot, wie die bestehende gewerberechtliche Bestimmung, kein adäquates Mittel zur Erreichung eben dieses vom Gesetzgeber gewollten Zweckes ist. Die bestehende Regelung widerspricht daher auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit."

Der zu G148/88 protokollierte Antrag hält die angefochtene Bestimmung zum Schutz der Konsumenten vor Gesundheitsgefährdung für völlig ungeeignet. Dazu wird im wesentlichen vorgebracht:

"aa) Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Gefährlichkeit von Produkten durch Regelungen des Vertriebs solcher Produkte vorgebeugt werden könnte. Die potentielle Gefährlichkeit von Produkten ist von der Form ihres Vertriebs grundsätzlich völlig unabhängig. Das gilt insb. für Kosmetika (Mittel zur Körper- und Schönheitspflege): Es macht im vorliegenden Zusammenhang keinerlei Unterschied, ob solche Waren in Parfumerien, in Selbstbedienungsläden oder im Direktvertrieb abgesetzt werden.

bb) § 57 Abs 1 GewO 1973 ist völlig ungeeignet, einen bestimmten Qualitätsstandard für Kosmetika zu garantieren oder nur zu fördern. Nur der Ordnung halber sei darauf verwiesen, daß gerade Kosmetika - im Gegensatz zu vielen anderen Produkten meist jahrelang haltbar sind.

cc) Dem Schutz des Konsumenten vor einer allfälligen Gesundheitsgefährdung dienen speziell dafür geschaffene und zur Zielerreichung ungleich besser geeignete Vorschriften. . . . (Hinweis auf die auch im Antrag zu G197/87 genannten Vorschriften). Diese Vorschriften bewirken in ihrer Gesamtheit einen umfassenden Schutz des Konsumenten vor einer allfälligen Gesundheitsgefährdung. So ist nicht nur die Zulassung der pharmakologisch wirksamen Stoffe genau geregelt, sondern ua auch die Aufmachung und textliche Gestaltung (Kennzeichnung) der Produkte, die Aufnahme von Warnhinweisen und die (beschränkte) Zulässigkeit gesundheitsbezogener Angaben. . . .

ee) Das generelle und ausnahmslose Verbot des Direktvertriebs von Kosmetika im Wege des Aufsuchens von Privatpersonen läßt sich auch nicht mit der Behauptung rechtfertigen, die Einhaltung der in Pkt. cc genannten Vorschriften sei hier schwieriger zu überprüfen als zB in Parfumerien. Eine Überprüfung beim erzeugenden, importierenden und/oder vertreibenden Unternehmer (vgl. die Kennzeichnungspflicht nach § 3 Abs 3 Z 1 der V BGBl. 1979/443 idF BGBl. 1983/418) ist jederzeit möglich und bei der im allgemeinen überaus langen Haltbarkeit von Kosmetika auch ausreichend. Darüber hinaus ist selbstverständlich auch eine Überprüfung zB bei den 'Beraterinnen' jederzeit möglich. . . ."

Zur Frage der Adäquanz der Bestimmung im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der Konsumenten vor Täuschung wird ausgeführt:

"Die in den Materialien zur Umschreibung des Gesetzeszwecks verwendete Wortfolge 'Täuschungsgefahr für den Konsumenten' ist unpräzise. In Wahrheit geht es nämlich nicht um die Gefahr einer Täuschung im eigentlichen Sinn, sondern um die Gefahr einer 'Überrumpelung' bzw. um die Ausnützung einer situationsbedingten psychischen Schwäche (vgl. nur beispielsweise Krejci, Der Vertragsrücktritt nach § 54 Absatz 3 und § 60 Gewerbeordnung, ÖZW 1976, 97).

Die angefochtene Regelung ist zwar nicht völlig ungeeignet, das Ziel einer Vermeidung der - vereinfacht gesagt 'Überrumpelungsgefahr' zu erreichen, sie ist jedoch inadäquat und auch sonst sachlich nicht zu rechtfertigen:

aa) § 57 Abs 1 GewO 1973 verfolgt - wie gesagt - das Ziel, die Gefahr einer 'Überrumpelung' bzw. der Ausnützung einer situationsbedingten psychischen Schwäche zu vermeiden. Der Gesetzgeber wählte dabei jedoch einen Weg, der einen sachlich nicht gerechtfertigten, inadäquaten, dh. unverhältnismäßig schweren Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit bewirkt: Er hat eine der Vertriebsmethoden - das Aufsuchen von Privatpersonen zur Gänze und ausnahmslos verboten. Dem Gesetzgeber stehen genügend Alternativen zur Verfügung, um den erstrebten Zweck in einer dem Ziel entsprechenden, gleich wirksamen, aber die Grundrechte weniger einschränkenden Weise zu erreichen. Er hat von diesen Alternativen zum Teil sogar bereits Gebrauch gemacht. Das gilt insb. für die Normierung eines Rücktrittsrechts.

bb) Das Problem, das § 57 Abs 1 GewO 1973 regeln will, besteht darin, daß der Käufer - nach Meinung des Gesetzgebers mitunter erst nachträglich erkennt, daß er an der erstandenen Ware wenig Interesse hat und sie nicht oder nicht in dieser Menge gekauft hätte, wäre sie ihm nicht 'angedient' worden. Das allgemeine Zivilrecht bietet dagegen nur in Sonderfällen Abhilfe (Vertragsanfechtung wegen List, Drohung oder Irrtum). Der Gesetzgeber suchte daher Abhilfe zunächst in rein gewerberechtlichen Vorschriften: Seit der Nov. RGBl. 1902/49 enthielt die GewO 1859 in ihrem § 59 Abs 2 eine dem geltenden § 57 Abs 1 GewO 1973 vergleichbare Regelung. . . . Der Kreis der im Verbotskatalog des § 59 Abs 2 Satz 1 GewO 1859 genannten Waren war dabei im Laufe der Zeit einmal weiter, einmal enger und erreichte seinen größten Umfang mit Inkrafttreten der GewO 1973 (§57 Abs 1). Die verfahrensgegenständlichen 'Mittel zur Körperund Schönheitspflege' fanden erst im Zuge der Ausschußberatungen zur GewO 1973 erstmals Eingang in den Verbotskatalog. . . .

Erst relativ spät, nämlich mit dem BG betreffend das Aufsuchen und die Entgegennahme von Bestellungen BGBl. 1968/416, schuf der Gesetzgeber in § 59 Abs 2 GewO 1859 auch eine zivilrechtliche Abhilfe, und zwar in Form eines einseitigen Rücktrittsrechts. Dieses entsprach der Regelung des § 60 GewO 1973. Schließlich hat der Gesetzgeber mit § 3 KSchG (BGBl. 1979/140) ein vergleichbares, im allgemeinen etwas weiterreichendes Rücktrittsrecht geschaffen (zum Verhältnis zwischen Rücktrittsrecht nach der GewO und nach dem KSchG vgl. zB Schilcher, Das Rücktrittsrecht des Verbrauchers nach § 3 KSchG in Krejci, Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz 271). Dieses Rücktrittsrecht knüpft - anders als jenes gemäß § 60 GewO 1973 nicht mehr an den Verstoß gegen gewerberechtliche Vorschriften an. Damit hat der Gesetzgeber ein adäquates und sachlich gerechtfertigtes Instrumentarium gegen allfällige unerwünschte Nebenerscheinungen beim Aufsuchen von Privatpersonen geschaffen. Dieses Instrumentarium - das Rücktrittsrecht - reicht völlig aus, um dem im öffentlichen Interesse gelegenen Konsumentenschutz gerecht zu werden.

cc) Es liegt auf der Hand, daß das absolute und ausnahmslose Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen in der Mehrzahl der Fälle nicht nur nicht den Wünschen des Unternehmers, sondern auch den Bedürfnissen des Konsumenten nicht entspricht. Das gilt in bezug auf Kosmetika beispielsweise dann, wenn die Kunden (Kundinnen) den Besuch einer Beraterin ausdrücklich wünschen und von sich aus anbahnen. Nach derzeit geltender Rechtslage ist ein Aufsuchen der Kundin auch in diesem Fall unzulässig!

dd) Vom Standpunkt des Konsumentenschutzes - und nur um diesen geht es hier - ist eine scharfe Reaktion des Gesetzgebers auf gewisse Verkaufspraktiken nicht wegen des 'Aufsuchens' des Konsumenten an sich gerechtfertigt, sondern einzig und allein wegen der möglichen unzulässigen 'Überrumpelung'. Das generelle Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen ist kein Fortschritt im Sinne des Konsumentenschutzes; im Gegenteil: Der Gesetzgeber schießt damit weit über das rechtspolitisch angestrebte Ziel hinaus und läuft häufig den Interessen des Konsumenten zuwider.

ee) Führt man sich das zu lösende Problem vor Augen, daß nämlich der Käufer in manchen Fällen erst nachträglich erkennt, er habe wenig Interesse an der erstandenen Ware und hätte sie nicht oder nicht in dieser Menge gekauft, wäre sie ihm nicht 'angedient' worden, so ist das im KSchG vorgesehene (von einem Gewerberechtsverstoß losgelöste) Rücktrittsrecht das einzig adäquate und sachlich gerechtfertigte rechtliche Instrumentarium. Sollte der Gesetzgeber der Ansicht sein, dieses Rücktrittsrecht sei etwa im Hinblick auf Kosmetika nicht hinreichend ausgestaltet, so bliebe es ihm unbenommen, entsprechende Erleichterungen für den Konsumenten zu normieren (Verlängerung der Rücktrittsfrist, Abbau von Formerfordernissen usw.).

ff) Für den Fall, daß in einer bestimmten Branche tatsächlich einmal untragbare Verkaufspraktiken überhand greifen und auch ein entsprechend ausgestaltetes Rücktrittsrecht als nicht ausreichend angesehen werden sollte, so böte die Verordnungsermächtigung des § 57 Abs 2 GewO 1973 immer noch eine hinreichende Handhabe zur Bewältigung der Mißstände. (In dem Ministerialentwurf für eine neue Gewerbeordnung

Zl. 144.803-III-11/66 - Stand Dezember 1966 - war im übrigen vorgesehen, daß das Gesetz selbst keine absolute Verbotsliste mehr enthalten und sich mit der Verordnungsermächtigung begnügen sollte.) Denkbar wären aber auch Ausübungsvorschriften ohne generelles Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen. Eine dreimalige Bestrafung wegen Verstoßes gegen diese Vorschriften würde gemäß § 87 Abs 1 Z 2 lita GewO 1973 zum zwingenden Entzug der Gewerbeberechtigung führen.

gg) Dem bisweilen vorgebrachten Argument, das Aufsuchen von Privatpersonen beeinträchtige die Möglichkeit von Produktvergleichen und der Überprüfbarkeit von Werbeaussagen, ist zunächst entgegenzuhalten, daß dies allein das gänzliche Verbot eines Vertriebszweigs keinesfalls zu rechtfertigen vermag.

Darüber hinaus ist dieses Argument auch unrichtig: Was die Überprüfbarkeit von Werbeaussagen anbelangt, so besteht - bezogen auf Kosmetika - kein wesentlicher Unterschied zwischen Parfumerien,

Selbstbedienungsläden und Direktvertrieb. Im Gegenteil: Beim Direktvertrieb im Weg des Aufsuchens von Privatpersonen wird dem Kunden üblicherweise Informationsmaterial überlassen; die Warenbestellung erfolgt regelmäßig erst Tage oder gar Wochen später. In dieser Zeit ist selbstverständlich auch ein Produktvergleich möglich. Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang auf folgendes hingewiesen:


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In den bekannten Selbstbedienungsketten werden häufig
nur Produkte eines einzigen Herstellers angeboten.


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Es sind durchaus auch Verkaufsveranstaltungen bzw. 'Werbeparties' bei Kunden denkbar, bei denen Produkte mehrerer Hersteller angeboten werden. . . .


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hh) Zusammenfassend bedeutet dies: Die angefochtene Regelung ist zur Erreichung des Ziels der Vermeidung einer möglichen 'Überrumpelungsgefahr' zwar nicht völlig ungeeignet, sie ist jedoch inadäquat und auch sonst sachlich nicht zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat eine Regelung getroffen, die in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung in unverhältnismäßiger Weise eingreift."


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b) Die Bundesregierung tritt dieser Auffassung entgegen. Sie begründet zunächst, daß ein öffentliches Interesse an der in Rede stehenden Regelung besteht und führt dazu insbesondere aus:


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"§57 Abs 1 GewO in seiner geltenden Fassung orientiert sich grundsätzlich an § 59 GewO, RGBl. Nr. 227/1859 i.d.F. des BG BGBl. Nr. 416/1968. Dieses zuletzt genannte BG hielt das vorher in § 59 Abs 2 erster Satz der Gewerbeordnung 1859 enthaltene Verbot des Aufsuchens zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen auf bestimmte Waren bei Privatpersonen nur hinsichtlich des Vertriebes von Lebensmitteln, Textilien, Uhren, Gold-, Silber- und Platinwaren sowie Juwelen und Edelsteinen aufrecht. Zielsetzung dieser Regelung war es, die bei diesen Waren bestehende besondere Täuschungsgefahr für den Konsumenten hintanzuhalten (vgl. 551 Blg.NR. XI. GP, S 4f). Auf dieses Ziel stellen auch die Erläuterungen zu § 57 Abs 1 GewO in der Regierungsvorlage betreffend die GewO 1973, die den Waren-Katalog in § 57 Abs 1 erweitert, ab (395 Blg.NR. XIII. GP). Dieser angestrebte Schutz der Konsumenten betrifft - wie auch die Antragstellerin ausführt - sowohl den Schutz der Person des Konsumenten als auch dessen Schutz vor 'Überrumpelung'.

Wenn auch die Gesetzesmaterialien zur GewO keine ins Detail gehende Begründung für die Einbeziehung von Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege in die 'Verbotsliste' des § 57 Abs 1 Gewerbeordnung 1973 geben, so ist dennoch folgendes festzuhalten:

In der Regierungsvorlage für eine Gewerbeordnung 1972, 395 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP, fanden sich in der Verbotsliste nur jene Waren, die schon auf Grund des § 59 Abs 2 der Gewerbeordnung 1859 i.d.F. des BG BGBl. Nr. 416/1968 von einem derartigen Verbot erfaßt waren. Mittel zur Körper- und Schönheitspflege fanden sich in dieser Aufzählung nicht. Erst im Zuge der parlamentarischen Beratungen über die Regierungsvorlage der Gewerbeordnung 1972 wurde die Verbotsliste des § 57 Abs 1 Gewerbeordnung 1973 auf ihre derzeit geltende Fassung erweitert. Im Bericht des Handelsausschusses, 941 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP, wird dazu ausgeführt, daß die Erweiterung der Liste der Waren, bei denen ein Aufsuchen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen bei Privatpersonen verboten sein soll, konsumentenpolitischen Erwägungen Rechnung trägt; bezüglich einiger in dieser Liste aufscheinender Waren sei darüber hinaus auch ein Verbot des Versandhandels festgelegt worden.

Die Aufnahme der Mittel zur Körper- und Schönheitspflege in den § 57 Abs 1 GewO erfolgte also auch aus konsumentenpolitischen Erwägungen.

Neben anderen zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorschriften soll auch die GewO dem jedenfalls im öffentlichen Interesse gelegenen Ziel eines funktionierenden Wirtschaftslebens dienen; dabei ist die primäre Ausrichtung der GewO das Sichern eines Mindeststandards sowohl der Qualität der Waren und Dienstleistungen als auch der Art der Erwerbsausübung der Gewerbetreibenden. Auch der VfGH hat - in anderem Zusammenhang - im Erkenntnis VfSlg. 9543/1982 ausgesprochen, daß der Schutz der Kunden eine legitime gewerberechtliche Zielsetzung sein kann."

Illustrativ weist die Bundesregierung darauf hin, daß es zum Zeitpunkt der Gesetzwerdung der GewO 1973 im Bereich des Vertriebs von Kosmetika bestimmte tatsächliche Phänomene gegeben habe, auf die der Gesetzgeber reagiert habe:

"Kosmetika wurden schon damals nicht nur über die traditionellen Vertriebswege abgesetzt, sondern man begann, solche Waren mit Methoden des sogenannten Direktvertriebs abzusetzen. Dies geschah nicht in Form des hergebrachten Haustürgeschäfts, sondern mittels kleiner Veranstaltungen im häuslichen Bereich, wobei die Waren vorgestellt wurden, deren Anwendung erklärt wurde usw. (sogenannte Beratungs- und Schönheitspartys). Dadurch, daß sich diese Veranstaltungen meist in einem überschaubaren Umfeld abspielten, also die Teilnehmer einander zum Teil kannten, kam es zu Bestellungen von Waren, die sie wahrscheinlich aus eigener Initiative nicht oder nicht in diesem Umfang oder in dieser Menge gekauft hätten, hätten sie für solche Anschaffungen ein stabiles Geschäft aufsuchen müssen. Mit der Einbeziehung von Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege in das Verbot des § 57 Abs 1 GewO sollte diese sich damals abzeichnende Entwicklung des Vertriebs dieser Mittel mittels des dargestellten 'verfeinerten' Haustürgeschäfts von vornherein eingedämmt werden. Hier kommt somit die Gefahr der Benachteiligung der Bevölkerung im Sinne des § 57 Abs 2 GewO zum Tragen, die die Einbeziehung weiterer Waren rechtfertigte. Es sollte verhindert werden, daß durch Haustürgeschäfte und deren verfeinerte Formen Benachteiligungen insofern entstehen, als Waren gekauft werden, die ansonsten nicht oder nicht in diesem Umfang und nicht ohne vorherigen Preisvergleich gekauft worden wären."

In der Folge legt die Bundesregierung dar, daß die angefochtene Wortfolge geeignet ist, den genannten öffentlichen Interessen zu entsprechen und bringt unter anderem vor:

"Wenn auch das Konsumentenschutzgesetz dem Verbraucher

ein Rücktrittsrecht für das von ihm nicht angebahnte

Haustürgeschäft einräumt, so kann es nach Ansicht der

Bundesregierung nicht gegen das Grundrecht der Erwerbsfreiheit

verstoßen, wenn auch mittels des Gewerberechtes getrachtet wird,

daß es von vornherein in bestimmten Bereichen gar nicht zu

Haustürgeschäften kommt. Die im Konsumentenschutzgesetz

enthaltene Sanktion gegen das unerwünschte Verhalten, nämlich die

Möglichkeit der Annullierung eines Vertrages, kann nur als ultima

ratio, denn als generell dem Haustürgeschäft vorbeugende Maßnahme

gesehen werden. . . .

Für Kosmetika, ebenso etwa für Lebensmittel oder

Textilien, die ebenfalls in § 57 Abs 1 GewO genannt sind,

besteht eine . . . Kennzeichnungspflicht. Der Meinung der

Antragstellerin, damit - und mit der V über die Zulassung von pharmakologisch wirksamen Stoffen - sei bereits die Gefahr der Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung ausreichend gebannt, kann allerdings nicht beigepflichtet werden. Insbesondere übersieht die Antragstellerin, daß es zur Erreichung der genannten Ziele Vorschriften über die Kennzeichnung und Zusammensetzung - bei Kosmetika gleich wie bei Lebensmitteln wirksamer Kontrollmöglichkeiten bedarf. Hinsichtlich der Zusammensetzung ist dies nur möglich, wenn Lebensmitteluntersuchungsorgane durch Stichprobenziehung eine regelmäßige - nicht angekündigte - Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften durchführen können. Der Direktvertrieb derartiger Waren macht eine Kontrolle der Einhaltung dieser Vorschriften geradezu unmöglich, da Lebensmitteluntersuchungsorgane keinerlei Informationen darüber besitzen können, wann, wo und welche Produkte verkauft werden. Eine Qualitätskontrolle, die gerade bei potentiell gesundheitsgefährdenden Waren wie Kosmetika von besonderer Bedeutung ist, wäre daher nicht mehr vollziehbar.

Hinsichtlich der Kennzeichnung ist zunächst darauf zu verweisen, daß auch in diesem Fall die verwaltungsbehördliche Kontrolle beim Direktvertrieb faktisch unmöglich wird. Zusätzlich ergibt sich das Problem, daß der Zweck der Kennzeichnungsvorschriften darin besteht, dem Konsumenten Vergleichsmöglichkeiten zu eröffnen, insbesondere auch die Möglichkeit zu geben, 'in der Eile des modernen Geschäftsverkehrs' Qualitätsvergleiche anzustellen.

Beim 'Direktvertrieb' besteht Grund zur Annahme, daß, etwa anläßlich sogenannter 'Schönheitsparties', keine Gelegenheit zum Qualitätsvergleich besteht.

Die Gefahr einer Irreführung besteht im Bereich der Kosmetika auch darin, daß die im Direktvertrieb vorgebrachten Argumente und Werbeaussagen nur schwer der breiten Öffentlichkeit zugänglich werden und mit Grund anzunehmen ist, daß unüberprüfbare oder wahrheitswidrige Aussagen (z.B. 'ohne Tierversuche', 'biologisch' oder gesundheitsbezogene Angaben) zur Verkaufsförderung verwendet werden können. Ebenso wie im Zusammenhang mit Kennzeichnung und Zusammensetzung ist auch hier die Möglichkeit einer Überprüfung - etwa auch durch nach dem UWG klagslegitimierte Mitbewerber - nicht möglich."

Sodann sucht die Bundesregierung im einzelnen darzulegen, weshalb der durch das LMG, die Kennzeichnungs- und Zulassungsverordnungen und das in der GewO 1973 und im KSchG enthaltene Rücktrittsrecht bewirkte Kosumentenschutz kein umfassender sei und ungeachtet dieser Bestimmungen der gewerberechtliche Konsumentenschutz erforderlich sei, um die Ziele der Regelung zu erreichen. Sie führt dazu unter anderem aus:

"Da kosmetische Mittel nicht wie Verzehrprodukte oder diätetische Lebensmittel vor dem Inverkehrbringen anzumelden sind, ist die Überprüfung dieser Produkte nur durch eine 'nachlaufende' Kontrolle möglich. Auf Grund der beschränkten Untersuchungskapazität der dafür zuständigen Lebensmitteluntersuchungsanstalten werden 'verdächtige' kosmetische Mittel nur sehr selektiv gezogen. Die Proben werden sowohl beim Hersteller, als auch vor allem im Handel gezogen. Dadurch ist gewährleistet, daß auch bei geringer Probenanzahl eine relativ große Wahrscheinlichkeit gegeben ist, daß kosmetische Mittel, die gesundheitsschädlich sind oder sonst den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen nicht entsprechen, beanstandet werden. Da bei Importeuren bzw. Großhändlern kosmetischer Mittel, gemäß dem Revisions- und Probenplan, nur eine Revision pro Jahr vorgeschrieben ist, liegt die Gebarung einer Firma, deren Produkte nicht im Handel zu finden sind, über lange Zeiträume im Dunkeln. Neu eingeführte Produkte könnten nicht sofort beim erstmaligen Inverkehrbringen z.B. einer Überprüfung auf das Verbot gesundheitsbezogener Angaben unterzogen werden.

(Weiters) . . . ist darauf hinzuweisen, daß das Konsumentenschutzgesetz keine umfassende Regelung über das Rücktrittsrecht bei Haustürgeschäften enthält. § 3 des genannten Gesetzes statuiert - unabhängig davon, ob beim Zustandekommen des Geschäfts verwaltungsrechtliche Vorschriften verletzt wurden oder nicht - ein Rücktrittsrecht für den Verbraucher, wenn dieser die Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmer zwecks Abschluß des Vertrages nicht angebahnt hat.

§ 60 GewO legt hingegen fest, daß, wenn ein Geschäft entgegen den Bestimmungen der §§57 oder 59 GewO - also unter Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift zustandekommt, dem durch die Verletzung dieser Vorschrift beschwerten Konsumenten die Möglichkeit eingeräumt wird, diesen Vertrag aufzulösen. Zwar sind viele Fallkonstruktionen denkbar, bei denen ein Rücktrittsrecht sowohl nach § 3 des Konsumentenschutzgesetzes als auch nach § 60 GewO besteht, dennoch ist die Bestimmung keineswegs deckungsgleich, wie auch der , festgehalten hat. Insbesondere besteht das Rücktrittsrecht nach § 60 GewO auch dann, wenn das Geschäft vom Konsumenten angebahnt wurde."

Resümierend meint die Bundesregierung,

"daß das Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen für Mittel zur Körper- und Schönheitspflege durchaus adäquat ist, um - ergänzend zu den Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes und der einschlägigen Verordnungen - den genannten Schutzzweck zu erreichen. Um eine Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen über die Kennzeichnung und Zusammensetzung von Kosmetika überhaupt erst zu ermöglichen, ist es erforderlich und im öffentlichen Interesse geboten, Vertriebsformen nicht zuzulassen, bei denen einerseits die Gefahr besteht, daß sich die Gewerbetreibenden den entsprechenden Kontrollen völlig entziehen können und andererseits die gerade im Bereich der Kosmetika erforderlichen Vergleichsmöglichkeiten insbesondere auch in qualitätsmäßiger Hinsicht, nicht gegeben sind.

. . .

Abschließend darf darauf hingewiesen werden, daß es nach Auffassung der Bundesregierung in dem vom VfGH selbst anerkannten größeren rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Berufsausübungsbeschränkungen liegt, dem genannten Ziel des Schutzes der Konsumenten auch im Bereich der Regelungen über den Vertrieb von Waren Rechnung zu tragen."

c) In einer Replik auf die Äußerung der Bundesregierung setzt sich die G Gesellschaft m.b.H. mit einigen der von der Bundesregierung vorgebrachten Argumenten auseinander. Sie stellt dabei außer Streit, daß die in Rede stehende Bestimmung aus konsumentenpolitischen Erwägungen in die GewO 1973 aufgenommen wurde, bezweifelt aber sowohl, daß ein Käufer etwa bei einer privaten Warenpräsentation psychologisch stärker unter Kaufzwang stehe, als nach Beratung in einem Ladengeschäft, als auch das Argument einer geringeren Überprüfbarkeit von Werbeaussagen im Direktvertrieb, weshalb diese Umstände die Einschränkungen der Erwerbsfreiheit durch die angefochtene Wortfolge nicht sachlich zu rechtfertigen vermögen.

Auch die Erfordernisse einer behördlichen Überprüfung könnten die Regelung nicht rechtfertigen: Es sei darauf hinzuweisen, daß Kosmetikpackungen ohnedies entsprechende Hinweise auf den Vertreiber oder Importeur tragen müßten. Der Möglichkeit von gleichsam "überfallsartigen" Probenziehungen bei verpackten und jahrelang haltbaren Artikeln wie Kosmetika komme praktisch keine Bedeutung zu. Tatsächlich sei die gesamte Produktpalette beim Importeur bzw. vertreibenden Unternehmer für Aufsichtsorgane greifbar und für Probenziehungen bereit.

4. Der VfGH hat zu den sub titulo Erwerbsfreiheit vorgebrachten Bedenken erwogen:

a) Das durch die angefochtene Regelung normierte Verbot, Privatpersonen aufzusuchen, um Bestellungen auf Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege zu sammeln, greift in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsfreiheit ein. Dieses Grundrecht steht unter Gesetzesvorbehalt. Da der Gesetzesvorbehalt aber nicht zu jedweder Einschränkung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit ermächtigt, ist zu prüfen, ob sich die angefochtene Regelung zu Recht auf den Gesetzesvorbehalt in Art 6 StGG zu stützen vermag.

Der VfGH hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß der Gesetzgeber dem Art 6 StGG zufolge ermächtigt ist, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und unter bestimmten Umständen verboten ist, sofern er dabei den Wesensgehalt des Grundrechts nicht verletzt und auch sonst der Verfassung entspricht. Die jüngere Judikatur hat dies dahin ergänzt und präzisiert, daß eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsfreiheit beschränkt, nur zulässig ist, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist. Auch gesetzliche Regelungen, die die Berufsausübung beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich verbürgten Erwerbsausübungsfreiheit zu prüfen und müssen dementsprechend durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein. Das bedeutet, daß Ausübungsregeln bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern (vgl. VfSlg. 11558/1987 mwH).

b) Wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung zutreffend hervorhebt, ist die in Rede stehende Bestimmung während der parlamentarischen Beratungen der Regierungsvorlage der GewO 1973 vornehmlich aus konsumentenpolitischen Erwägungen aufgenommen worden (vgl. 941 BlgNR, 13. GP; vgl. auch Wallner, Weitere Betriebsstätten und Gewerbeausübung außerhalb der Betriebsstätte, in: Rill (Hg), Gewerberecht, 1978, 372, der auf die konsumentenschutzpolitische Zielsetzung der Regelungen über das Aufsuchen und Entgegennehmen von Bestellungen hinweist). Der VfGH bezweifelt nicht, daß es zulässig ist, Ziele des Konsumentenschutzes mit Hilfe von Vorschriften des Gewerberechts zu verfolgen (vgl. VfSlg. 9543/1982 mwH auf Literatur und Judikatur, 10831/1986 sowie Wenger, Der Verbraucherschutz im österreichischen Verwaltungsrecht, JBl. 1970, 230 ff) und daß die Wahrnehmung konsumentenpolitischer Erwägungen bei der gewerberechtlichen Regelung der Ausübung von Handelsgewerben im öffentlichen Interesse liegt. Dies wurde im Verfahren von den antragstellenden Gesellschaften in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH auch ausdrücklich bejaht.

c) Der VfGH kann auch nicht finden, daß der Gesetzgeber durch die Aufnahme der "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege" in den Verbotskatalog des § 57 Abs 1 GewO 1973 mit der Folge, daß das Aufsuchen von Privatpersonen zum Sammeln von Bestellungen auf derartige Waren untersagt ist, den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten und in die Erwerbsausübungsfreiheit unverhältnismäßig eingegriffen hätte.

Den antragstellenden Gesellschaften ist zuzugestehen, daß Gründe des Gesundheitsschutzes die konkrete Regelung nicht zu rechtfertigen vermögen. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß es im Interesse des Konsumentenschutzes gerechtfertigt sein kann, für den Direktvertrieb von Waren und für sog. Haustürgeschäfte besondere Regeln aufzustellen, da sich der Konsument in solchen Situationen in einer anderen Lage befindet, als beim Kauf in herkömmlichen Verkaufsstellen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Konsument beim Direktvertrieb durch das Aufsuchen von Privatpersonen und hier wieder insbesondere im Rahmen sogenannter "Vertriebsparties" unter einen besonderen psychologischen Kaufdruck gerät (vgl. Aicher, Wettbewerbsrechtliche Einführung in das Recht der Werbung, in Aicher (Hg), Das Recht der Werbung, 1984, 260 ff), der eine abwägende Kaufentscheidung ebenso erschwert wie die mit derartigen Vertriebsformen regelmäßig verbundene Erschwerung des Preis- und Qualitätvergleichs für den Kaufinteressenten.

Daß derartige Vertriebsparties gerade im Bereich des Vertriebs von Kosmetika und Schönheitsmitteln als "Kosmetik- oder Schönheitsparties" eine relativ häufige Erscheinung darstellen, ist allgemein bekannt (vgl. auch Mache-Kinscher, Gewerbeordnung5, 1982, 239) und wird auch durch die zivilgerichtliche Judikatur zu diesem Phänomen deutlich (vgl. zB 4 Ob 338,339/76, ÖBl 1976, 158; , ÖBl 1980, 99; , ÖBl 1982, 36). Zu Recht weist die Bundesregierung in ihrer Äußerung auch darauf hin, daß derartige Vertriebsformen auch schon bei Entstehen der GewO 1973 nicht selten waren.

Wenn der Gesetzgeber die Existenz derartiger Erscheinungen zum Anlaß genommen hat, für bestimmte Bereiche, in denen er dies aus sachlichen Erwägungen als unerwünscht ansieht, Haustürgeschäfte und Vertriebsparties von vornherein zu unterbinden, so kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Die Erwerbsausübungsfreiheit gebietet insbesondere nicht, auf eine solche verbietende Regelung im Hinblick auf bestehende Rücktrittsrechte (§60 GewO 1973, § 3 KSchG) zu verzichten, zumal auch in der Literatur die Frage, ob die Möglichkeit des Widerrufs von Haustürgeschäften zur Erreichung der konsumentenpolitischen Zielsetzungen in gleicher Weise geeignet ist wie ein generelles Verbot von Haustürgeschäften, durchaus kontrovers ist (vgl. v. Hippel, Verbraucherschutz2, 1979, 164 f; zur Frage insgesamt:

Schilcher, Das Rücktrittsrecht des Verbrauchers nach § 3 KSchG, in: Krejci (Hg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, 1981, 273 ff). Umso weniger kann unter dem Gesichtspunkt der Erwerbsausübungsfreiheit der Entscheidung des Gesetzgebers entgegengetreten werden, wenn er in den Bereichen, in denen sog. "Vertriebsparties" tatsächlich vorkommen, eine Verbotslösung wählt. Der Gesetzgeber hält sich dabei im Rahmen der ihm bei der Erlassung von die Erwerbsfreiheit beschränkenden Regelungen zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit. Ob er dabei eine zweckmäßige oder den Interessen der Konsumenten bestmöglich entsprechende Regelung getroffen hat (was insb. der zu G148/88 protokollierte Antrag bezweifelt), hat der VfGH nicht zu beurteilen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die angefochtene Bestimmung angesichts ihrer Eignung, den Konsumenten vor psychologischem Kaufzwang und Irreführungsmöglichkeiten im Fall des Direktvertriebs zu bewahren, als taugliche und nicht unverhältnismäßige Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit sachlich gerechtfertigt werden kann. Sie widerspricht daher nicht dem Art 6 StGG.

5.a) Die antragstellenden Gesellschaften behaupten auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil der Verbotskatalog des § 57 Abs 1 GewO 1973 in sich

gleichheitswidrig sei.

Im Antrag zu G197/87 wird ausgeführt, dieser Katalog umfasse weder alle "Prestigeobjekte", deren Kauf weitgehend emotional und weniger rational motiviert sei, noch alle Produkte, für die gleichartige Schutzgedanken gelten:

"§57 Abs 1) nennt in der Verbotsliste unter anderem Lebensmittel und kosmetische Produkte. Nicht genannt werden etwa Verzehrprodukte oder Kinderspielzeug. Auch diese Waren sind betrachtet man den genannten 'Schutzzweck' - durchaus mit den 'Verbotsartikeln' vergleichbar. Ihre rechtliche Erfassung in den einschlägigen Normen (dies gilt insbesondere für Verzehrprodukte) ist weitgehend ident mit der von Kosmetika. Auch daran ist die Unsachlichkeit der in § 57 Abs 1) enthaltenen Differenzierung erkennbar."

Auch die zu G148/88 antragstellende Gesellschaft hält die "Ungleichbehandlung verschiedener Warengruppen" für unsachlich:

"Es ist allgemein bekannt, daß es eine Reihe von Produkten gibt, bei denen Verkaufs- oder Werbeparties veranstaltet und aus diesem Anlaß Privatpersonen 'zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen auf Waren' aufgesucht werden, wobei diese Produkte weder in § 57 Abs 1 GewO 1973 noch in einer auf Grund des § 57 Abs 2 GewO 1973 erlassenen V genannt sind. Als Beispiele seien angeführt:

Staubsauger, Bijouterie, Plastikgeschirr ('Tupperware') und (Stahl)Kochgeschirr.

Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb bei diesen Produkten die besondere Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung auszuschließen ist, während dies bei Kosmetika nicht der Fall sein sollte. Dabei ist zu beachten, daß der durchschnittliche Wert der Bestellung pro Kunde bei Staubsaugern oder bei Stahlkochgeschirr selbstverständlich weit höher liegt als bei Kosmetika (in unserem Unternehmen beträgt der durchschnittliche Bestellwert pro Kunde und Bestellung rund S 300,--; dies dürfte dem Branchendurchschnitt entsprechen)."

Unsachlich sei auch

"die durch § 57 Abs 1 GewO 1973 bewirkte Ungleichbehandlung der verschiedenen Formen des Direktvertriebs von Kosmetika:

Der Direktvertrieb von Kosmetika kann nicht nur im Weg des Aufsuchens von Privatpersonen, sondern auch im Weg des Versandhandels erfolgen. Die entsprechenden - dem § 57 GewO 1973 nachgebildeten - Regelungen enthält § 50 Abs 2 und 3 GewO 1973. In die Verbotsliste für den Versandhandel (§50 Abs 2 GewO 1973) wurden Kosmetika ('Mittel zur Körper- und Schönheitspflege') nicht aufgenommen. Auch eine V nach § 50 Abs 3 GewO 1973 wurde nicht erlassen. Eine solche V über das Verbot des Versandhandels an Letztverbraucher könnte (ähnlich wie eine V nach § 57 Abs 2 GewO 1973) ua dann erlassen werden, wenn es Gründe der Volksgesundheit erfordern, oder wenn es wegen der besonderen Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung erforderlich ist.

Im Hinblick auf das öffentliche Interesse eines Schutzes vor Gesundheitsgefährdung ist es völlig unverständlich, weshalb diese Gefahr beim Aufsuchen von Privatpersonen gegeben, im Versandhandel hingegen nicht gegeben sein sollte. Die Möglichkeit einer Qualitätskontrolle ist im Versandhandel sicherlich nicht mehr gewährleistet als beim Aufsuchen von Privatpersonen. In Wahrheit erfordert das öffentliche Interesse am Schutz vor Gesundheitsgefährdung weder ein Verbot des Versandhandels, noch des Aufsuchens von Privatpersonen.

Auch vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses am Schutz der Konsumenten vor einer allfälligen 'Überrumpelung' erscheint die Ungleichbehandlung unsachlich: Auch im Versandhandel besteht die potentielle Gefahr, daß der Konsument Kosmetika 'angedient' erhält, die in zugesandten Werbeschriften angepriesen werden, wobei häufig zugesandte 'Gratisgeschenke' den Kaufanreiz - in rechtlich zulässiger Weise - erhöhen (vgl. zB Versandhaus-Laienwerbung - ÖBl. 1979, 12; Gladt, Gratisgeschenke im Versandhandel, ÖBl. 1987, 33). Die psychologische Situation auf seiten des Konsumenten beim Versandhandel ist jener beim Aufsuchen im Sinn des § 57 GewO 1973 vergleichbar. Auch im Versandhandel wird der Käufer mitunter erst nachträglich erkennen, daß er wenig Interesse an der erstandenen Ware hat und sie nicht oder nicht in der Menge gekauft hätte, wäre sie ihm nicht 'angedient' worden . . . Dennoch hat der Gesetzgeber für den Versandhandel sogar das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG ausgeschlossen (§3 Abs 3 Z 2 KSchG; vgl. Schilcher in Krejci 310 f).

Die Ungleichbehandlung der beiden Formen des Direktvertriebs von Kosmetika - nämlich absolutes Verbot der einen Form und unbeschränkte Zulässigkeit der anderen - ist vor dem Hintergrund der maßgeblichen öffentlichen Interessen unsachlich."

b) Der Argumentation, der Warenkatalog des § 57 Abs 1 GewO sei in sich unsachlich, hält die Bundesregierung entgegen:

"Der Katalog des § 57 Abs 1 GewO zählt jene Waren auf, hinsichtlich derer bei Inkrafttreten der GewO (bzw. bei der ursprünglichen Aufnahme dieser Bestimmung in die Gewerbeordnung im Jahre 1968) eine besondere Gefahr der Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung als gegeben angenommen wurde. Dies birgt - wie die Antragstellerin richtig erkennt - die Gefahr, daß durch das Inverkehrbringen neuer Produkte oder das Bekanntwerden neuer Gefahren - die sich natürlich nicht nur aus den Waren selbst, sondern auch aus der Form des Vertriebes oder sonstigen Umständen ergeben können - der Katalog den tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr entspricht. Da auch der Gesetzgeber diese Gefahr erkannt hat, hat er in § 57 Abs 2 eine entsprechende Verordnungsermächtigung geschaffen.

(Weiters) . . . meint die Antragstellerin, daß etwa auch Kinderspielzeug und Verzehrprodukte nicht im Katalog des § 57 Abs 1 angeführt werden, wenngleich sie durchaus mit Kosmetika und Lebensmittel vergleichbar sind. Dem ist zum einen entgegenzuhalten, daß sich die konkreten Gefahren des Direktvertriebes, wie schon dargelegt, bei Kosmetika auch in der Praxis gezeigt haben. Die sogenannten Schönheitsparties waren immer wieder Gegenstand von Konsumentenbeschwerden, die auch in zahlreichen zivilgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck kamen ( 4 Ob 338, 339/76; , 4 Ob 393/80). Zum anderen liegt bei Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege einerseits und Kinderspielzeug andererseits nicht tatsächlich Gleiches vor. Im übrigen kann aus der Gleichbehandlung bestimmter Waren in anderen Normkomplexen, wenn ihnen auch ähnliche Zielsetzungen zugrundeliegen, nicht auf ein Gebot der Gleichbehandlung dieser Waren in § 57 Abs 1 GewO geschlossen werden, der auf den Aspekt des Vertriebes abstellt.

Sollte es etwa im Bereich des Kinderspielzeugs zu ähnlichen Beschwerden kommen oder sollten sich in diesem Bereich ähnliche Vertriebsformen etablieren, so hätte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten selbstverständlich von seiner Verordnungsermächtigung nach § 57 Abs 2 GewO Gebrauch zu machen. Eine Einbeziehung von Waren jedoch, bei denen derzeit keine Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung erkennbar ist, wie dies etwa bei Kinderspielzeug der Fall ist, wäre sachlich nicht gerechtfertigt.

Nur der Vollständigkeit halber wird festgehalten, daß die Nichtnennung von Verzehrprodukten in § 57 Abs 1 GewO auch folgenden Grund hat: Der Begriff 'Verzehrprodukt' wurde erst später (1975) in Österreich eingeführt; außerdem unterliegen die Verzehrprodukte - im Gegensatz zu den kosmetischen Mitteln einem Anmeldungsverfahren gemäß § 18 LMG."

In ihrer Äußerung im Verfahren G148/88 meint die Bundesregierung schließlich hinsichtlich des Vergleichs mit dem Versandhandel, daß bei diesem

"doch eine wesentlich geringere Gefährdung des Konsumenten gegeben ist als beim Aufsuchen von Privatpersonen:

Jeder Versandhandel hat allgemein und öffentlich einsehbare und kontrollierbare Kataloge aufliegen, sodaß die Kontrolle der Produkte und letztlich auch deren Auswahl ähnlich wie beim Verkauf in Selbstbedienungsläden gestaltet werden können.

Außerdem dürfte das psychologische Element des 'Kaufzwanges', der beim Aufsuchen von Privatpersonen sicher sehr hoch einzustufen ist, beim Versandhandel weniger ins Gewicht fallen.

. . . Der in § 57 Abs 1 leg.cit. intendierte Schutz vor 'Überrumpelung' ist beim Versandhandel schon deswegen nicht von Bedeutung, weil es beim Versandhandel zur Bestellung von Waren nicht im Wege des Sammelns von Bestellungen durch eine den potentiellen Käufer aufsuchende Person, sondern vielmehr im Wege der Übermittlung einer vom potentiellen Käufer an den Versandhändler gerichteten Bestellung kommt."

6. Der VfGH hält die eben wiedergegebenen Erwägungen der Bundesregierung zur Frage der Sachlichkeit des Verbotskatalogs für geeignet, die Aufnahme der angefochtenen Worte in den Verbotskatalog des § 57 Abs 1 GewO 1973 zu rechtfertigen. Wenn der Gesetzgeber nämlich ein solches Verbot nur in Bereichen statuiert, in denen er mit guten Gründen die Gefährdung von Konsumenteninteressen befürchtet oder in denen sich in der Praxis (vgl. 4 Ob 338, 339/76, ÖBl. 1976, 158) konsumentenpolitisch negativ zu bewertende Erscheinungen beim Direktvertrieb gezeigt haben (wobei es nicht maßgeblich sein kann, ob es bei den antragstellenden Gesellschaften zu Unzulänglichkeiten gekommen ist), und durch eine Verordnungsermächtigung den Verwaltungsorganen die Möglichkeit gibt, beim Auftreten gleichartiger Gefährdungen das Verbot auch auf andere Bereiche zu erstrecken, so kann ihm unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes nicht entgegengetreten werden.

Soweit in den Anträgen schließlich Gleichheitsbedenken gegen die Sonderbehandlung des Direktvertriebs gegenüber dem Vertrieb in herkömmlichen Verkaufsstellen und Selbstbedienungs-Verkaufsstellen und gegenüber dem Vertrieb durch den Versandhandel vorgebracht werden, ist ihnen - unter Hinweis auf die besondere, gerade beim Direktvertrieb durch das Aufsuchen von Privatpersonen gegebene psychologische Kaufsituation - mit eben jenen Argumenten zu erwidern, mit denen die sachliche Rechtfertigung und Adäquanz der bekämpften Regelung in Zusammenhang mit deren Prüfung am Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit dargetan wurde (vgl. oben Pkt. II./4./c).

7. Es erweist sich somit, daß die in den Anträgen vorgebrachten Bedenken nicht geeignet sind, eine Verfassungswidrigkeit der bekämpften Wortfolge darzutun, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.