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VfGH vom 24.06.1993, g191/92

VfGH vom 24.06.1993, g191/92

Sammlungsnummer

13476

Leitsatz

Keine schrankenlose Ermächtigung des Bundesverfassungsgesetzgebers an den einfachen Bundesgesetzgeber zur Erlassung näherer Bestimmungen zur Amtshaftung; kein Widerspruch der durch die Wertgrenzen-Nov zusätzlich begründeten Haftung zur ungeteilten Hand desjenigen Rechtsträgers, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder bestellt wurde, zum verfassungsrechtlichen Prinzip der Amtshaftung jenes Rechtsträgers, für den das Organ handelte; zusätzliche Haftung ausschließlich im Interesse des Geschädigten

Spruch

Den Anträgen wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Obersten Gerichtshof sind infolge Revision bzw. Rekurs Amtshaftungsklagen anhängig, im Zuge deren der Oberste Gerichtshof seiner Auffassung zufolge die - die Passivlegitimation der beklagten (zweitbeklagten) Parteien begründende - Bestimmung des § 1 Abs 3 Amtshaftungsgesetz (AHG), BGBl. 20/1949 idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 (WGN 1989), BGBl. 343/1989, anzuwenden hat.

Aus Anlaß dieser Verfahren hat der Erste Senat des Obersten Gerichtshofes mit Beschlüssen vom , Z 1 Ob 16/92 (hg. protokolliert zu G191/92), und vom , Z 1 Ob 46/91 (hg. protokolliert zu G274/92), gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof die Anträge gestellt, § 1 Abs 3 AHG idF der WGN 1989 als verfassungswidrig aufzuheben.

§ 1 AHG idF vor der WGN 1989 lautet:

"(1) Der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung - im folgenden Rechtsträger genannt - haften nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht. Der Schaden ist nur in Geld zu ersetzen.

(2) Organe im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle physischen Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze (Gerichtsbarkeit oder Verwaltung) handeln, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt sind, ob sie gewählte, ernannte oder sonstwie bestellte Organe sind und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist."

Durch ArtXXII Z 1 der WGN 1989 wurde an § 1 AHG folgender Abs 3 angefügt:

"(3) Mit dem im Abs 1 genannten Rechtsträger haftet zur ungeteilten Hand auch derjenige, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist. Hat dieser Rechtsträger auf Grund dieser Haftung Zahlungen geleistet, so hat er an den im Abs 1 genannten Rechtsträger einen Anspruch auf Rückersatz."

2. Der Oberste Gerichtshof hat in beiden Gesetzesprüfungsanträgen dargelegt, daß er die jeweils bekämpften Gesetzesstellen in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, daß die eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrages bildende Präjudizialität der bekämpften Gesetzesstellen demnach gegeben sei.

In dem zu G191/92 protokollierten Verfahren sei die Passivlegitimation der beklagten Partei "bei Anwendung des § 1 Abs 3 AHG jedenfalls zu bejahen". "Bliebe dagegen § 1 Abs 3 AHG im vorliegenden Rechtsstreit außer Betracht, wäre der Revision der klagenden Partei schon deshalb ein Erfolg zu versagen, weil das Ersatzbegehren ... schon an der dann mangelnden Passivlegitimation der beklagten Stadt scheitern müßte. Die Bestimmung des § 1 Abs 3 AHG ist deshalb bei der Entscheidung über die Revision 'anzuwenden' (Art89 Abs 2 B-VG), also für diese Entscheidung präjudiziell".

Auch in dem zu G274/92 protokollierten Verfahren sei § 1 Abs 3 AHG anzuwenden: "Der Rekurs der zweitbeklagten Partei erwiese sich sohin nur dann als nicht berechtigt, wenn die Passivlegitimation auf den mit ArtXXII Z 1 WGN 1989 dem § 1 AHG angeführten (richtig: angefügten) Abs 3 gestützt werden kann". "Ohne Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 AHG wäre das Klagebegehren, soweit es sich gegen die zweitbeklagte Partei richtet, schon auf der Grundlage der Klagsbehauptungen abzuweisen."

Zur Darlegung seiner Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung hat der Oberste Gerichtshof folgendes vorgebracht:

Nach der Rechtsansicht des Justizausschusses (991 BlgNR 17. GP, 15), auf den die Bestimmung des § 1 Abs 3 AHG idF der WGN 1989 zurückgeht, umfasse Art 23 Abs 1 B-VG als bundesverfassungsrechtliche Grundlage der Amtshaftung "sowohl einen funktionellen als auch einen organisatorischen Organbegriff". Da es für den Geschädigten wiederholt schwierig sei, "denjenigen Rechtsträger zu erkennen, für den das Organ im Zeitpunkt seiner schädigenden Handlung gerade tätig war", solle zur Verbesserung des Rechtsschutzes eine Mithaftung desjenigen Rechtsträgers vorgesehen werden, dem das Organ organisatorisch zugehöre.

Insofern hegt der Oberste Gerichtshof das Bedenken, ob diese Erweiterung der Amtshaftung "rechtlich einwandfrei auf die verfassungsgesetzliche Grundlage der Amtshaftung, also auf Art 23 Abs 1 B-VG, zurückgeführt werden kann". Die Haftung der Rechtsträger für rechtswidriges und schuldhaftes hoheitliches Organverhalten wurzle nämlich nicht im Kompetenztatbestand "Zivilrechtswesen" gemäß Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG, sondern beruhe auf dem besonderen verfassungsrechtlichen Befehl des Art 23 B-VG. Die Auffassung des Justizausschusses, Art 23 B-VG umfasse auch einen organisatorischen Organbegriff, sei in den Materialien nicht näher begründet.

Art 23 Abs 1 B-VG und § 1 Abs 1 AHG ordneten "mit übereinstimmendem Wortlaut" die Haftung des Rechtsträgers derart an, daß er für die als seine Organe handelnden Personen einzustehen habe. Nach der Stammfassung des Art 23 Abs 1 B-VG (BGBl. 1/1920) hätten hingegen "der Bund, die Länder und die Gemeinden noch für die Rechtsverletzungen der von ihnen 'bestellten' Personen zu haften" gehabt. Durch die B-VG-Novelle BGBl. 268/1925 sei der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmung dahin geändert worden, daß die Rechtsträger nun für die "als ihre Organe handelnden" Personen zu haften haben. Daß damit auf die funktionelle Stellung des Handelnden abgestellt werden sollte, ergebe sich auch aus den Materialien (327 BlgNR 2. GP, 515 BlgNR 5. GP). Es sei "nahezu einhellige Lehre und Rechtsprechung ..., daß es bei der Klärung der Frage, welcher Rechtsträger nach dem Amtshaftungsgesetz belangt werden kann, sowohl nach Art 23 Abs 1 B-VG als auch nach § 1 Abs 1 AHG nicht darauf ankommt, wessen Organ in organisatorischer Hinsicht jene Person, deren Verhalten mit der Amtshaftungsklage beanstandet wird, ist, sondern in wessen Namen und für wen - also funktionell - sie bei diesem Verhalten tätig war ('Funktionstheorie')".

Die Ausdehnung der Amtshaftung auf im B-VG nicht damit belastete Rechtsträger durch einfaches Gesetz sei nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes verfassungsrechtlich bedenklich, weil die schadenersatzrechtliche Haftung des Rechtsträgers für das Verhalten seiner Organe im Hoheitsbereich "erst durch die Verfassungsnorm des Art 23 B-VG ermöglicht wird, und die durch Art 23 Abs 4 B-VG dem einfachen Bundesgesetzgeber erteilte Ermächtigung zur Erlassung der näheren Bestimmungen nicht schrankenlos ist, dieser vielmehr alle durch die Bundesverfassung dem Gesetzgeber auferlegten verfassungsrechtlichen Beschränkungen beachten muß (VfSlg. 8202/1977)".

Der Mangel der verfassungsrechtlichen Grundlage des § 1 Abs 3 AHG werde auch durch die Einräumung eines Anspruchs des belangten Rechtsträgers auf Rückersatz von auf Grund dieser Haftung geleisteten Zahlungen gegen den in § 1 Abs 1 AHG genannten Rechtsträger gemäß § 1 Abs 3 zweiter Satz AHG nicht beseitigt. Auf diesem Wege könne weder die rechtlich unbedenkliche Übereinstimmung der einfachgesetzlichen Bestimmung mit deren verfassungsrechtlicher Grundlage hergestellt werden, noch wiege das mit allen Risken der Rechtsverfolgung behaftete Regreßrecht die Vorteile aus der mangelnden Passivlegitimation auf.

3. Die Bundesregierung beantragte in ihrer Äußerung, der Verfassungsgerichtshof wolle die angefochtene Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufheben.

Die der angefochtenen Bestimmung zugrundeliegende Rechtsauffassung des Justizausschusses, Art 23 B-VG umfasse sowohl einen funktionellen als auch einen organisatorischen Organbegriff, "ließe sich allenfalls auf die Überlegung stützen, daß im Wortlaut des Art 23 B-VG eine Beschränkung auf die funktionelle Zuordnung nicht eindeutig zum Ausdruck kommt". Somit "ließe sich die angefochtene Bestimmung als eine nähere Ausgestaltung (im Sinne des Art 23 Abs 4 B-VG) der bundesverfassungsgesetzlich grundgelegten Haftung deuten, indem festgelegt wird, welcher Rechtsträger endgültig zur Schadenstragung verpflichtet ist".

Im übrigen scheint nach Ansicht der Bundesregierung auch die Auffassung vertretbar zu sein, "die Haftung des organisatorischen Rechtsträgers im Sinne der angefochtenen Bestimmung bilde gewissermaßen nur eine Vorstufe der Verwirklichung der grundsätzlichen Haftungsregel. Der organisatorische Rechtsträger kann nach der angefochtenen Regelung sämtliche Haftungsrisiken auf den funktionellen Rechtsträger, soweit er von diesem verschieden ist, abwälzen, selbst wenn die weisungsbefugten Organe des funktionellen Rechtsträgers das rechtswidrige Verhalten des Organs nicht abwenden konnten".

Nach Meinung der Bundesregierung wollte der Bundesgesetzgeber mit der angefochtenen Bestimmung "offenbar dem Umstand Rechnung tragen, daß eine Beantwortung der Frage, in welchem Vollzugsbereich ein mit Aufgaben aus Vollzugsbereichen verschiedener Rechtsträger betrautes Organ im einzelnen Fall tätig geworden ist, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann und daß teilweise selbst das Gerichtsverfahren keine abschließende Klärung dieser Frage ermöglicht. Es widerspricht dem Grundgedanken des Art 23 B-VG, das Risiko dieser gerichtlichen Klärung ausschließlich dem Geschädigten aufzubürden. Die vom Bundesgesetzgeber vorgenommene Schaffung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs und die damit verbundene notwendige Durchsetzung des Anspruchs vor den Gerichten bringt unter Umständen ein unvertretbares Kostenrisiko für den Geschädigten mit sich, wenn dieser irrtümlich den organisatorischen Rechtsträger in Anspruch nimmt. Es ist aber im Sinn des Grundgedankens des Art 23 B-VG, den einzelnen vor Schäden durch die staatliche Hoheitsgewalt zu schützen."

4. Die klagende Partei des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof zu Z 1 Ob 46/91 beantragt in ihrer, in dem zu G274/92 protokollierten Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abgegebenen Äußerung, § 1 Abs 3 AHG idF der WGN 1989 nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Ein Antrag des Obersten Gerichtshofes im Sinne des Art 89 Abs 2 und des Art 140 Abs 1 B-VG auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit hat zur Voraussetzung, daß der Oberste Gerichtshof die Gesetzesstelle, deren Aufhebung er beantragt, in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 10066/1984, 10640/1985, 11576/1987, G280,281/91 ua.) darf ein Antrag eines (zur Antragstellung befugten) Gerichtes mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das angefochtene Gesetz vom antragstellenden Gericht im Anlaßfall anzuwenden ist.

In beiden, beim Obersten Gerichtshof zu Z 1 Ob 16/92 und zu Z 1 Ob 46/91 anhängigen Amtshaftungsfällen ergibt sich die Passivlegitimation des oder zumindest eines beklagten Rechtsträgers als Partei aus § 1 Abs 3 AHG. Es ist daher offenkundig, daß der Oberste Gerichtshof in beiden Verfahren § 1 Abs 3 AHG anzuwenden hat. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge des Obersten Gerichtshofes zulässig.

2. Die vom Obersten Gerichtshof in der Sache geäußerten Bedenken treffen hingegen nicht zu.

a. Nach Art 23 Abs 1 B-VG haften der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und die sonstigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts für den Schaden, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben.

Art23 Abs 4 B-VG lautet: "Die näheren Bestimmungen zu den Absätzen 1 bis 3 werden durch Bundesgesetz getroffen." Der Gesetzgeber hat sohin das in Art 23 Abs 1 bis 3 B-VG vorgesehene Amtshaftungsrecht näher auszuführen.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 8202/1977

erkannte, ist die "durch Art 23 Abs 4 B-VG dem einfachen

Bundesgesetzgeber erteilte Ermächtigung zur Erlassung der näheren

Bestimmungen ... nicht schrankenlos. Vielmehr muß der diese

Bestimmung vollziehende einfache Bundesgesetzgeber ... alle durch

die Bundesverfassung dem Gesetzgeber auferlegten

verfassungsrechtlichen Beschränkungen beachten". In jenem

Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof auch klargestellt, daß

"die Regelung der Amtshaftung ... auch nicht vom

Kompetenztatbestand 'Zivilrechtswesen' (Art10 Abs 1 Z. 6 B-VG) erfaßt (wird). Vielmehr fällt diese besondere Art des Schadenersatzrechtes unter die Sonderkompetenz des Art 23 Abs 4 B-VG, die also neben jener des Art 10 Abs 1 Z. 6 B-VG steht."

b. Angesichts der Entstehungsgeschichte des Art 23 Abs 1 B-VG, welche die Bundesregierung in ihrer Äußerung eingehend wiedergibt, kann kein Zweifel daran bestehen, daß Art 23 Abs 1 B-VG die Haftung jenes Rechtsträgers für rechtswidrig schuldhaftes Verhalten der als seine Organe in Vollziehung der Gesetze handelnden Personen verfassungsrechtlich verbindlich anordnet, in dessen Vollzugsbereich die Organe tätig waren, gleichgültig, ob die als Organe handelnden Personen auch von jenem Rechtsträger zum Organ bestellt wurden oder nicht. Anders als in der Stammfassung des B-VG, BGBl. 1/1920, wonach gemäß Art 23 Abs 1 B-VG der Bund, die Länder oder die Gemeinden "für die Rechtsverletzungen der von ihnen bestellten Personen" hafteten, trifft die Haftung für das Verhalten der "als ihre Organe handelnden Personen" im Sinne des Art 23 Abs 1 B-VG in der geltenden Fassung den Rechtsträger, dem jenes Verhalten kraft funktioneller Zuständigkeit von Rechts wegen zuzuordnen ist, sodaß für die Haftung maßgeblich ist, in wessen Vollzugsbereich jene Organe fungierten, nicht aber, welchem Rechtsträger sie organisationsrechtlich zugehören (vgl. in diesem Sinn auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu Art 23 Abs 1 B-VG idF der B-VG-Novelle BGBl. 268/1925, 327 BlgNR 2. GP).

Daran kann auch der - in dieser Hinsicht mißverständliche - Ausschußbericht (515 BlgNR 5. GP, 2) zu § 1 Abs 1 AHG nichts ändern, demzufolge das "Organ einer Gemeinde oder einer Kammer, das in Vollziehung des diesen Körperschaften übertragenen Wirkungsbereiches tätig ist, ... als Organ der Gemeinde, beziehungsweise der Kammer" handelt. Auch nach jenem Ausschußbericht wird nämlich für die Haftung des Rechtsträgers ausdrücklich "auf die funktionelle Stellung des Handelnden zum Rechtsträger abgestellt", mag diese funktionelle Stellung bei den im übertragenen Wirkungsbereich handelnden Organen von Selbstverwaltungsträgern auch vom Ausschuß falsch gesehen worden sein. (Anders als Rebhahn, JBl 1993, 327, in seiner Kritik des Beschlusses des Obersten Gerichtshofes Z 1 Ob 16/92 meint, wurde die Haftung der - von ihm sogenannten - "Bestellungskörperschaft" von der Regelung des Art 23 Abs 1 B-VG daher jedenfalls nicht "angestrebt", ganz abgesehen davon, daß der Ausschußbericht zum Entwurf des AHG, also eines einfachen Gesetzes, nicht hingegen zu Art 23 Abs 1 B-VG erstattet wurde.)

Der Verfassungsgerichtshof geht sohin schon auf Grund der Entstehungsgeschichte des Art 23 Abs 1 B-VG davon aus, daß eine gesetzliche Regelung, welche eine Amtshaftung eines Rechtsträgers für die in seinem Vollzugsbereich von welchem Organ auch immer gesetzten rechtswidrig schuldhaften Verhaltensweisen ausschließt, dem Art 23 Abs 1 B-VG widersprechen würde und daher verfassungswidrig wäre. Die im Bericht des Justizausschusses zu ArtXXII Z 1 WGN 1989 (991 BlgNR 17. GP, 15) begründungslos vertretene Rechtsansicht, "daß der Art 23 Abs 1 bis 3 B-VG sowohl einen funktionellen als auch einen organisatorischen Organbegriff umfaßt", vermag daher nicht zu überzeugen. Der Verfassungsgerichtshof folgt vielmehr insoweit den Überlegungen des Obersten Gerichtshofes.

c. Mit der durch § 1 Abs 3 AHG idF der WGN 1989 neben der Haftung des Rechtsträgers, dessen Vollzugsbereich im Sinne des Art 23 Abs 1 B-VG sowie des § 1 Abs 1 AHG betroffen ist, zusätzlich begründeten Haftung "zur ungeteilten Hand" desjenigen Rechtsträgers, "als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist", wird gleichwohl Art 23 Abs 1 B-VG nicht verletzt. Die Begründung einer zusätzlichen, zur Haftung des funktionell zuständigen Rechtsträgers hinzutretenden solidarischen Haftung des Rechtsträgers, dem das den Amtshaftungsanspruch auslösende Organ organisationsrechtlich zugehört, verbessert nämlich nur die Rechtsstellung des Gläubigers, also des Geschädigten im Amtshaftungsverfahren. Über die endgültige Verpflichtung zur Tragung des Ersatzanspruchs nach dem AHG besagt die in dessen § 1 Abs 3 Satz 1 angeordnete solidarische Haftung des Rechtsträgers, als dessen Organ die handelnde Person bestellt worden ist, nichts. Dafür sind vielmehr die Regelungen des § 1 Abs 3 zweiter Satz in Verbindung mit § 10 Abs 1 AHG heranzuziehen. Diesen Vorschriften zufolge hat der Rechtsträger, der für die Organbestellung verantwortlich ist, einen Anspruch auf Rückersatz gegenüber dem funktionell zuständigen Rechtsträger, wenn er auf Grund seiner Solidarhaftung Zahlung geleistet hat, einen Rückersatzanspruch, der im Wege der Streitverkündung gemäß § 10 Abs 1 AHG vorbereitet wird.

Daraus läßt sich - ungeachtet der Verjährung des Ersatzanspruchs gemäß § 6 Abs 2 AHG - ableiten, daß der Gesetzgeber mit der Haftung zur ungeteilten Hand desjenigen Rechtsträgers, als dessen Organ die den Amtshaftungsanspruch verursachende Person bestellt wurde, ausschließlich dem Interesse des Geschädigten Rechnung trug, für den es schwierig sein mag, den funktionell zuständigen Rechtsträger zu erkennen, und daß der Gesetzgeber mit diesem Regreßrecht im Rahmen des Amtshaftungsrechtes gleichwohl das - im Verhältnis der Gebietskörperschaften für die Wahrung ihrer Zuständigkeiten sowie der daraus fließenden Kostentragungspflichten untereinander bedeutsame - verfassungsrechtliche Gebot des Art 23 Abs 1 B-VG hinlänglich berücksichtigte: Gemäß Art 23 Abs 1 B-VG hat letztlich der Rechtsträger den Schaden zu tragen, zu dessen Vollzugsbereich das Verhalten eines Organs von Rechts wegen zählt, also der Rechtsträger, der jenes Verhalten im Wege der Weisung zu beeinflussen vermag und der deshalb auch dafür und den daraus entstehenden Schaden einzustehen hat.

Die "Risken der Rechtsverfolgung", mit denen nach Meinung des Obersten Gerichtshofes das Regreßrecht an sich behaftet ist, lassen die gegenüber dem Geschädigten begründete solidarische Haftung des "Organisationsrechtsträgers" neben dem - letztlich zur Schadensabgeltung verfassungsrechtlich verpflichteten - "Funktionsrechtsträger" noch keineswegs als verfassungswidrig erscheinen (, zumal diesen Risken zumindest teilweise auch durch das Gebot zur Streitverkündung gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AHG begegnet wird). Anders als der Oberste Gerichtshof meint, kann in verfassungskonformer Interpretation die Rückersatzpflicht gemäß § 1 Abs 3 zweiter Satz AHG dahin verstanden werden, daß sie auch die Prozeßkosten umfaßt, zu deren Tragung der nur organisatorisch zuständige Rechtsträger verhalten wurde (so schon Schragel, Ergänzungsheft 1990 zum Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, 7). Wenn schließlich der Oberste Gerichtshof meint, daß durch § 1 Abs 3 AHG "nun gerade dem Rechtsträger jene Beweislast ... aufgebürdet (wird), die den Justizausschuß zur Einführung dieser Bestimmung veranlaßte", kann auch darin keine Verfassungswidrigkeit liegen: Daß das Amtshaftungsrecht Beweislast- und sonstige Prozeßrisiken vom Geschädigten in größtmöglichem Ausmaß auf die öffentliche Hand in Gestalt der in Art 23 Abs 1 B-VG genannten Körperschaften überträgt, verstößt nicht nur nicht gegen die Bundesverfassung, sondern entspricht gerade der mit Art 23 B-VG verfolgten Absicht des Verfassungsgesetzgebers, den aus rechtswidrigem Verhalten im Bereich der Hoheitsverwaltung herrührenden Schaden dem Bürger umfassend auszugleichen.

Da der Verfassungsgerichtshof sohin die vom Obersten Gerichtshof gegen § 1 Abs 3 AHG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt, waren die auf die Aufhebung dieser Gesetzesbestimmung gerichteten Anträge des Obersten Gerichtshofes abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Fundstelle(n):
ZAAAE-26203