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VfGH vom 09.06.2008, g191/07

VfGH vom 09.06.2008, g191/07

Sammlungsnummer

18432

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Asylerstreckungsantrags einer mit einem russischen Asylwerber kirchlich verheirateten russischen Staatsangehörigen infolge Beurteilung der Gültigkeit der im Ausland geschlossenen Ehe ausschließlich nach österreichischem Recht; Außerachtlassung von Bestimmungen des IPR-Gesetzes hinsichtlich des maßgeblichen Personalstatuts; Genfer Flüchtlingskonvention mangels zuerkannter Flüchtlingseigenschaft nicht anwendbar

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.160,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist russische Staatsangehörige.

Sie reiste am nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom als offensichtlich unbegründet ab (Spruchteil I) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation für zulässig. Der Unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) wies die Berufung gegen den Bescheid des BAA ab. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab.

2. Am stellte die Beschwerdeführerin einen Asylerstreckungsantrag bezogen auf den Asylwerber A. V., der ebenfalls russischer Staatsangehöriger und mit dem sie kirchlich verheiratet sei. Am brachte sie in Österreich ein Kind zur Welt, dessen Vater nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin A. V. sei.

Mit Bescheid vom wies das BAA den Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 Abs 2 AsylG 1997 zurück, da die Beschwerdeführerin mit A. V. nach österreichischem Recht nicht verheiratet sei. Das Recht des Heimatstaates sei unbeachtlich, da die Beziehungen der Beschwerdeführerin zum Heimatstaat "aus schwerwiegenden Gründen" abgebrochen seien. Bereits mit Bescheid vom hatte das BAA festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Asylwerberin in dieses Land zulässig sei.

3. Die gegen den Bescheid des BAA erhobene Berufung blieb erfolglos. Da der Asylerstreckungsantrag bereits am gestellt wurde, beurteilte der UBAS im angefochtenen Bescheid die Zulässigkeit des Asylerstreckungsantrags nach dem AsylG 1997, dessen § 10 Abs 2 vorsieht, dass Asylerstreckungsanträge nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und unverheiratete minderjährige Kinder zulässig sind. Der UBAS untersuchte daher, ob A. V. Ehegatte der Beschwerdeführerin iSd § 10 Abs 2 AsylG 1997 ist. Auf die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem Kind, über dessen Asylstatus in einem getrennten Verfahren entschieden werden sollte, ging der UBAS nicht ein.

Der UBAS beurteilte die Frage, ob die im Ausland erfolgte kirchliche Trauung als gültige Ehe anzusehen sei, auf Grund des § 9 Abs 3 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht, BGBl. 304/1978 (im Folgenden: IPRG), ausschließlich nach österreichischem Recht. Ferner verwies er auf Art 12 Abs 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK). Der UBAS meint, dass diese Sonderregelungen vorsehen, dass für die genannte Personengruppe (Flüchtlinge iSd GFK) nicht das Recht des Heimatstaates, sondern das Recht des Wohnsitzlandes, subsidiär das Gesetz des Aufenthaltslandes (im konkreten Fall also ausschließlich österreichisches Eheschließungsrecht), maßgeblich sei. Gemäß § 15 Abs 1 EheG sei eine Ehe daher nur dann gültig, wenn die Eheschließung vor einem österreichischen Standesbeamten stattfänden. Gemäß § 17 Abs 1 EheG werde die Ehe dadurch geschlossen, dass die Verlobten vor dem Standesbeamten und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklärten, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Die belangte Behörde führt abschließend aus:

"Vor dem Hintergrund der im EheG zur Eheschließung normierten Bestimmungen und dem Umstand, dass die Berufungswerberin nicht spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise ins Bundesgebiet mit ihrem Lebensgefährten eine standesamtliche Ehe nach österreichischem Recht geschlossen hat (iSd § 10 Abs 2 AsylG 1997), liegen die Voraussetzungen für die Stellung eines Asylerstreckungsantrages im Fall der Berufungswerberin nicht vor, weil es am Erfordernis des in § 10 Abs 2 AsylG angeführten Ehegattenbegriffs mangelte."

Das BAA habe daher den Asylerstreckungsantrag zu Recht zurückgewiesen, weshalb die Berufung gegen den Bescheid des BAA abzuweisen gewesen sei.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Beschwerdeführerin die Verletzung des Grundrechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend macht. Sie werde durch die getrennte Behandlung ihres Asylerstreckungsantrages und jenes ihres Kindes mit möglicherweise unterschiedlichem Ausgang oder jedenfalls zeitlich unterschiedlichen Ausweisungen von ihrem Kind getrennt. Die Beschränkung des Kreises der nahen Angehörigen in § 10 AsylG 1997 widerspreche dem weiten Familienbegriff des Art 8 EMRK, weshalb diese Bestimmung auch verfassungswidrig sei. Auch lebe sie seit in Österreich, habe hier ein Kind geboren und sei integriert. Der angefochtene Bescheid sei daher aufzuheben.

Ferner stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, bestimmte Wortfolgen in § 10 Abs 1 und Abs 2 AsylG 1997 als verfassungswidrig aufzuheben.

II. 1. Dem angefochtenen Bescheid liegt folgende Rechtslage zu Grunde:

Das AsylG 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002, sieht vor, dass Personen Asylerstreckungsanträge stellen können, wenn bestimmte nahe Angehörige selbst einen Asylantrag gestellt haben. Die entsprechende Bestimmung, nämlich § 10, lautete samt Überschrift:

"Asylerstreckungsantrag

§10. (1) Fremde begehren mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen auf Grund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyl.

(2) Asylerstreckungsanträge können frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. Sie sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; für Ehegatten überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den Asylantrag eingebracht hat."

Der UBAS hatte daher als Vorfrage zu beurteilen, ob zwischen der Beschwerdeführerin und dem Asylwerber A. V. eine gültige Ehe besteht.

Für die Beurteilung der Formgültigkeit einer Ehe ist zunächst § 16 IPRG maßgebend. Diese Bestimmung lautet:

"§16. (1) Die Form einer Eheschließung im Inland ist nach den inländischen Formvorschriften zu beurteilen.

(2) Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung."

Was das Personalstatut einer natürlichen Person ist, regelt hingegen § 9 IPRG. Diese Bestimmung lautet:

"§9. (1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem eine Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht.

(2) Ist die Person staatenlos oder kann ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden, so ist ihr Personalstatut das Recht des Staates, in dem sie den gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(3)Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zur ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§5) ist unbeachtlich."

Art 12 GFK befasst sich ebenfalls mit der personenrechtlichen Stellung eines Flüchtlings. Diese Bestimmung lautet:

"Artikel 12 ...

1. Die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings wird vom Gesetz seines Wohnsitzlandes oder, wenn er keinen Wohnsitz hat, vom Gesetz seiner Aufenthaltslandes bestimmt.

2. Rechte, die von einem Flüchtling vorher erworben wurden und die auf der personenrechtlichen Stellung beruhen, insbesondere solche Rechte, die sich aus einer Verehelichung ergeben, sollen von den vertragschließenden Staaten anerkannt werden, vorausgesetzt, daß die nach der Gesetzgebung des betreffenden Staates allfällig vorgesehenen Formalitäten erfüllt worden sind. Voraussetzung ist weiters, daß es sich bei diesen Rechten um solche handelt, die von der Gesetzgebung des betreffenden Landes auch anerkannt werden würden, wenn die in Frage stehende Person nicht Flüchtling wäre."

2. Der UBAS beurteilte die Gültigkeit der Ehe allein nach den Formvorschriften des österreichischen EheG. Er übersieht zunächst, dass diese nur für im Inland geschlossene Ehen gelten (§16 Abs 1 IPRG). Dass er ausschließlich auf österreichisches Eherecht abzustellen hat, leitet er dann aus dem Personalstatut der betroffenen Personen ab. Dieses sei österreichisches Recht, weil dies das Personalstatut von Personen sei, die nach Österreich geflüchtet seien.

3. Die belangte Behörde erwähnt § 16 Abs 2 IPRG, der die Form der im Ausland geschlossenen Ehen regelt, nicht einmal. Diese Bestimmung verweist auf das Personalstatut, jedoch ist jenes maßgebend, das im Zeitpunkt des Aktes bestand, der als Eheschließung zur Beurteilung ansteht. Es kommt also nicht darauf an, wie das Personalstatut zu einem späteren Zeitpunkt zu beurteilen ist. Andernfalls käme man zu dem abstrusen Ergebnis, dass eine einmal gültig geschlossene Ehe nachträglich durch Änderung der Staatsbürgerschaft, des Wohnsitzes oder des Aufenthaltsortes ungültig würde. Auch dies verkennt die belangte Behörde.

Da sie sich mit § 16 Abs 2 IPRG nicht befasst hat, lässt sie auch den dort geregelten "favor matrimonii" außer Acht, wonach eine Eheschließung nicht nur gültig ist, wenn sie den Formvorschriften des Personalstatuts entspricht, sondern auch wenn die Formvorschriften am Ort der Eheschließung eingehalten wurden (vgl. Verschraegen in Rummel, ABGB3, 2. Band, 104 f.).

Die Sonderbestimmungen für Flüchtlinge sollen der Festigung ihrer Rechtsstellung im Aufnahmestaat dienen und machen nicht eine einmal gültig geschlossene Ehe ungültig. Spätere Änderungen des Formstatuts sind unbeachtlich (Verschraegen, aaO).

Die Anwendung dieser Sonderbestimmungen (§9 Abs 3 IPRG und Art 12 Abs 1 GFK) ist aber auch aus anderen Gründen verfehlt:

§ 9 Abs 3 IPRG ist auf Personen, die iSd GFK als Flüchtlinge anerkannt sind, nicht anzuwenden. Sie haben kein Personalstatut iSd

§9 Abs 3 IPRG, sondern ihre personenrechtliche Stellung richtet sich nach Art 12 GFK (vgl. Schwimann, Internationales Privatrecht3, 31 f.).

Art 12 GFK regelt die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings. Der UBAS wendet diese Bestimmung aber auf eine Person an, der keine Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde und auf die Art 12 GFK schon deshalb nicht anwendbar ist. Selbst wenn Art 12 GFK anwendbar wäre, lässt der UBAS den zweiten Absatz dieser Bestimmung unerwähnt, der ausdrücklich vorsieht, dass bereits früher erworbene Rechte, insbesondere solche, die sich aus einer (früheren) Verehelichung ergeben, aufrecht bleiben.

Die Rechtsansicht des UBAS, dass bei Asylwerbern gemäß § 9 Abs 3 IPRG und Art 12 Abs 1 GFK die Eheschließung nur dann gültig sei, wenn sie nach den Formvorschriften des österreichischen Ehegesetzes binnen eines Jahres nach der Einreise erfolge und die Rechtslage zum Zeitpunkt der Eheschließung im Ausland unbeachtlich sei, würde zu dem Ergebnis führen, dass jeder Asylwerber, der um Asylerstreckung ansucht, nochmals vor dem österreichischen Standesbeamten die Ehe schließen müsste.

4. Wie bereits aufgezeigt, hat der UBAS die Rechtslage grob verkannt. Er hat auf Grund dieser Verkennung der Rechtslage jede Untersuchung und Feststellung jener Elemente unterlassen, die für die Zulässigkeit des Asylerstreckungsantrages maßgebend gewesen wären.

Durch die Bestätigung der Zurückweisung des Asylerstreckungsantrages durch das BAA hat er somit eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner früheren Rechtsprechung dargetan hat (vgl. VfSlg. 15.372/1998 und 17.213/2004) ist das Unterlassen der Ermittlungen und Feststellungen über jene Kriterien, nach denen die Zulässigkeit eines Antrags zu beurteilen gewesen wäre, eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Der Bescheid war daher schon deshalb aufzuheben.

5. Auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin zur behaupteten Verletzung des Art 8 EMRK war nicht mehr einzugehen, da der angefochtene Bescheid keine Ausweisung verfügt.

III. Der Antrag ist nicht zulässig:

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art 140 Abs 1 (letzter Satz) B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art 140 Abs 1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

Die Beschwerdeführerin hat hier nicht nur die Möglichkeit, einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erlangen, sondern ein derartiger Bescheid wurde ihr gegenüber erlassen und unter einem bekämpft. Es stand der Beschwerdeführerin also offen, die behauptete Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung im Verfahren gemäß Art 144 B-VG zu relevieren. Ein zumutbarer Umweg ist also gegeben.

Der Antrag war daher zurückzuweisen.

IV. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. Im Kostenbetrag sind € 360,-- an Umsatzsteuer enthalten.