TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 01.03.1991, G189/90

VfGH vom 01.03.1991, G189/90

Sammlungsnummer

12648

Leitsatz

Aufhebung des § 302 EO; keine sachliche Rechtfertigung für Ausnahme eines unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds von der Verpflichtung zur Drittschuldneräußerung

Spruch

§ 302 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 118/1914, idF der Kundmachung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 280/1990, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht stellt gemäß Art 140 B-VG den Antrag, § 302 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 118/1914, idF der Kundmachung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 280/1990 (im folgenden: EO), als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G236/89, wurden die Worte "das Ärar oder" in § 302 EO als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt.

Eine Ersatzregelung ist nicht erfolgt.

Seit hat § 302 EO damit folgenden Wortlaut:

"Die Bestimmungen des § 301 finden bei Exekutionsführungen auf Forderungen, welche dem Verpflichteten gegen einen unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds zustehen, keine Anwendung."

3. Das antragstellende Gericht bringt vor, die betreibende Partei des Exekutionsverfahrens habe gegen drei verpflichtete Parteien Drittschuldnerexekutionen beantragt, wobei hinsichtlich der zweitverpflichteten Partei die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Salzburg als Drittschuldner angeführt worden sei. Mit dem beim antragstellenden Gericht angefochtenen Beschluß habe das Erstgericht die Exekutionsanträge bewilligt, jedoch den Antrag der betreibenden Partei, auch der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter als Drittschuldner aufzutragen, sich binnen 14 Tagen zu äußern, unter Hinweis auf § 302 EO abgewiesen. Gegen diesen abweisenden Teil des Beschlusses habe die betreibende Partei Rekurs erhoben und darin angeregt, die Verfassungsmäßigkeit des § 302 EO beim Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen.

Dieser Antrag sei aus folgenden Gründen gerechtfertigt:

"Nach § 302 EO finden die Bestimmungen des § 301 bei Exekutionsführungen auf Forderungen, welche dem Verpflichteten gegen das Ärar oder einem unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds zustehen, keine Anwendung. Danach besteht auch für Sozialversicherungsträger keine Verpflichtung zur Drittschuldneräußerung (SVSlG 4176).

Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen den Gleichheitsgrundsatz, weshalb der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G236/89-6, die Worte 'das Ärar oder' im § 302 der Exekutionsordnung als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Aufhebung tritt jedoch erst mit Ablauf des in Kraft (Kundmachung des Bundeskanzlers vom in BGBl Nr. 280/1990)."

Aus diesem Grunde werde gemäß Art 140 B-VG beantragt, § 302 EO als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Drittschuldner im Anlaßverfahren ist u.a. die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Salzburg. Bei einem Sozialversicherungsträger handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§32 Abs 1 ASVG), die unter § 302 EO fällt (vgl. SVSlg. 4176 und 4179; Heller-Berger-Stix, Kommentar zur Exekutionsordnung, Band III, S. 2178).

Die Präjudizialität des § 302 EO ist daher zu bejahen. Auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor:

Gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz VerfGG hat ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes führt das Fehlen der Darlegung der Bedenken zur Zurückweisung des Antrages, ohne daß ein Auftrag zur Behebung dieses Mangels zu ergehen hat (VfSlg. 4692/1964, 7593/1975, 8641/1979, 11507/1987).

Das antragstellende Gericht begnügt sich im vorliegenden Antrag mit dem bereits wiedergegebenen Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G236/89, mit dem die Worte "das Ärar oder" in § 302 EO unter Fristsetzung (bis zum Ablauf des ) als verfassungswidrig aufgehoben wurden.

Eine bloße Verweisung auf Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes kann dem Erfordernis des § 62 Abs 1 zweiter Satz nur dann genügen, wenn die seinerzeit in Prüfung gezogene (und aufgehobene) und die nunmehr bekämpfte Rechtsvorschrift in den maßgeblichen Bestimmungen und auch in Ansehung des ihnen zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes offenkundig gleich sind und wenn daher die Gründe, die seinerzeit zur Aufhebung der Rechtsvorschrift geführt haben, ohne weiters zur Gänze als Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit (Verfassungsmäßigkeit) der nunmehr bekämpften Rechtsvorschrift übertragen werden können (vgl. VfSlg. 8308/1978 zu dem diesbezüglich gleichlautenden § 57 Abs 1 zweiter Satz VerfGG 1953).

Diese Voraussetzung trifft im gegenständlichen Fall offenkundig zu. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

5.2. Der Antrag ist auch begründet:

Gegen § 302 EO in der ab maßgeblichen Fassung treffen die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken zu, die den Verfassungsgerichtshof veranlaßt haben, mit Erkenntnis vom , G236/89, die damals das Ärar betreffende Ausnahmeregelung von der Verpflichtung zur Drittschuldneräußerung als verfassungswidrig aufzuheben. Es genügt daher, zur Begründung auf dieses Erkenntnis zu verweisen.

6. § 302 EO ist daher als gleichheitswidrig aufzuheben.

Zu einer Fristsetzung sah sich der Verfassungsgerichtshof nicht veranlaßt, weil ein Bedürfnis nach einer Ersatzregelung offenkundig nicht besteht, wie sich aus dem Umstand ergibt, daß aufgrund des Erkenntnisses vom , G236/89, von der Möglichkeit einer Ersatzregelung innerhalb der damals gesetzten Frist kein Gebrauch gemacht wurde.

Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.