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VfGH vom 07.03.1989, g186/88

VfGH vom 07.03.1989, g186/88

Sammlungsnummer

12003

Leitsatz

Regelungen des Pachtzinses zählen zum Kernbereich des Zivilrechts; nachprüfende Kontrolle der Entscheidungen von Verwaltungsbehörden durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht ausreichend iS des Art 6 Abs 1 MRK; § 5 Abs 3 sowie des § 5 Abs 4 KleingartenG verfassungswidrig

Spruch

1. § 5 Abs 3 sowie § 5 Abs 4 des Bundesgesetzes vom , BGBl. Nr. 6/1959, über die Regelung des Kleingartenwesens (Kleingartengesetz), in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 78/1987, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

2. § 5 Abs 4 des Bundesgesetzes vom , BGBl. Nr. 6/1959, über die Regelung des Kleingartenwesens (Kleingartengesetz), in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 78/1987, war verfassungswidrig.

3. Die Aufhebung des § 5 Abs 3 zweiter Satz Kleingartengesetz tritt mit Ablauf des in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Kleingartengesetz regelt den Abschluß und den Inhalt von (General)Pachtverträgen über Grundstücke zum Zwecke ihrer Weiterverpachtung als Kleingärten. Über den Pachtzins bei Generalpachtverträgen ordnet das Kleingartengesetz folgendes an:

"§5

(1) Als Pachtzins darf höchstens ein nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Lage und der Bodenbeschaffenheit des Grundstückes (Grundstücksteiles), angemessener Betrag vereinbart werden.

(2) Eine Änderung des Pachtzinses während der Vertragsdauer ist zulässig, wenn sich die für die Bemessung maßgeblich gewesenen Umstände wesentlich geändert haben; hiebei bleibt eine Werterhöhung des Grundstückes (Grundstücksteiles) infolge der Tätigkeit oder von Aufwendungen des General-, Unter- oder Einzelpächters außer Betracht.

(3) Besteht Streit über die Angemessenheit des vereinbarten Pachtzinses (Abs1) oder kommt eine Vereinbarung über die Änderung des Pachtzinses (Abs2) nicht zustande, so entscheidet auf Antrag eines Vertragsteiles die Bezirksverwaltungsbehörde über die Höhe des Pachtzinses. Eine Entscheidung über die Änderung des Pachtzinses ist nur für die Zeit nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres zulässig und nur wirksam, wenn sie spätestens drei Monate vor Ablauf des Kalenderjahres beantragt wird.

(4) Über Berufungen gegen die Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde (Abs3) entscheidet für den Bereich des Landes Wien das Bundesministerium für soziale Verwaltung (Art109 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929), für den Bereich der übrigen Bundesländer der Landeshauptmann in zweiter und letzter Instanz.

(5) Der Anspruch auf Rückforderung von Leistungen, die das nach den Abs 1 oder 2 zulässige Ausmaß des Pachtzinses übersteigen, verjährt in jedem Fall innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Zeitpunkt der Leistung. Die Verjährung ist gehemmt, solange ein Verfahren zur Festsetzung der Höhe des Pachtzinses anhängig ist. Auf den Rückforderungsanspruch kann im voraus nicht verzichtet werden."

1. Der Verwaltungsgerichtshof hat unter der Zl. A56/88 aus Anlaß einer bei ihm anhängigen Beschwerde gegen einen aufgrund einer Berufung ergangenen letztinstanzlichen Bescheid, mit dem gemäß § 5 Abs 1 bis 4 des Kleingartengesetzes ein Pachtzins behördlich festgesetzt wurde, beantragt, die Abs 3 und 4 des § 5 des Kleingartengesetzes als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu auszusprechen, daß § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes verfassungswidrig war. Zur Begründung seines Antrages führt der Verwaltungsgerichtshof aus:

"Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gehen zunächst dahin, daß die im Beschwerdefall anzuwendenden Bestimmungen des Kleingartengesetzes im Widerspruch zum Art 6 MRK stehen, weil hier auch in letzter Instanz zu Entscheidungen über die Höhe des Pachtzinses (bei Generalpachtverträgen) eine weisungsgebundene Verwaltungsbehörde berufen ist. Nach Art 6 Abs 1 MRK hat jedermann Anspruch darauf, daß über seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht entschieden wird. Wie der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom , Zl. G129/87, u.a., ausgesprochen hat, verlangt Art 6 Abs 1 MRK, daß über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ein Tribunal selbst entscheidet. Die Bedeutung dieser Garantie hat zur Folge, daß ein den Organisationsgarantien des Art 6 MRK entsprechendes Tribunal das Verfahren nach den Garantien desselben Artikels durchzuführen hat, was jedenfalls für einen Kernbereich der 'civil rights' gelten muß. In dem Erkenntnis vom vertrat der Verfassungsgerichtshof die Auffassung, daß die Entscheidung über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden ihrer rechtlichen Natur nach zur traditionellen Ziviljustiz gehört und daher die Organisationsgarantien des Art 6 MRK beachtet werden müssen. Ausdrücklich führte der Verfassungsgerichtshof hiebei aus, daß die besonderen Ziele und Folgen eines Zivilverfahrens es wohl möglich machen, der Entscheidung durch das Tribunal ein Verfahren vor einer weisungsgebundenen Verwaltungsbehörde vorzuschalten, es also ausreicht, wenn das letztlich maßgebende Tribunal auf Grund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen die Sachentscheidung fällt. Für diese Aufgabe sei aber der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet seiner weitgehenden Entscheidungsbefugnis nicht eingerichtet, sodaß für die Entscheidung über Angelegenheiten des Kernbereichs der civil rights die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht ausreiche.

Der Verwaltungsgerichtshof neigt nun der Auffassung zu, daß Entscheidungen über einen Pachtzins, wie sie § 5 des Kleingartengesetzes vorsieht, in gleicher Weise wie der Ersatz von Jagd- und Wildschäden ihrer rechtlichen Natur nach zur traditionellen Ziviljustiz gehören und daher im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes jenem Kernbereich der civil rights zuzuzählen sind, für den die Organisationsgarantien des Art 6 MRK Geltung haben. Da die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht ausreichend ist, scheint die im Beschwerdefall anzuwendende Zuständigkeitsregelung des § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes der Verfassungsnorm des Art 6 MRK zu widersprechen.

Wäre man allerdings der Auffassung, es handle sich um eine preisrechtliche Bestimmung und nicht um eine der Ziviljustiz zugehörige Regelung, so könnte eine Verfassungswidrigkeit darin erblickt werden, daß auf der Grundlage der Kompetenzartikel des Bundes-Verfassungsgesetzes in Verbindung mit der Verfassungsbestimmung des ArtI des Preisgesetzes in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 265/1984 durch § 5 Abs 3 und 4 des Kleingartengesetzes ein Eingriff in die Gesetzgebungshoheit der Länder nach Art 15 Abs 1 B-VG erfolgte.

Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Bedenken wegen Widerspruches des § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes zu Art 6 MRK mußten auch die untrennbar damit zusammenhängenden Bestimmungen des § 5 Abs 3 des Kleingartengesetzes zum Gegenstand der Antragstelleung an den Verfassungsgerichtshof gemacht werden, weil die bloße Aufhebung des § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes zur Folge hätte, daß über eine Berufung gegen die Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde der Landeshauptmann in zweiter und letzter Instanz zu entscheiden hätte, also neuerlich eine nicht als Tribunal eingerichtete Behörde."

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes äußert der Verwaltungsgerichtshof ferner mit Rücksicht auf Art 109 B-VG in der Fassung der B-VG-Novelle 1974, BGBl. 444, weil danach der Instanzenzug vom Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde an den Bürgermeister als Landeshauptmann einzurichten sei und damit die durch § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes begründete Entscheidungsbefugnis eines Bundesministers über Berufungen gegen Entscheidungen der Bezirksverwaltungsbehörde im Bereich des Landes Wien in Widerspruch stünde. Durch diese Sonderbehandlung Wiens gegenüber den anderen Ländern wird nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes auch der den Bundesgesetzgeber verpflichtende Gleichheitssatz verletzt.

Zu seinem Eventualantrag führt der Verwaltungsgerichtshof aus:

"Da im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides als Berufungsbehörde noch das Bundesministerium (der Bundesminister) für Bauten und Technik zur Entscheidung über die Berufung zuständig war, nunmehr nach der Novelle zum Bundesministeriengesetz BGBl. Nr. 87/1987, jedoch das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten Berufungsbehörde ist, war hilfsweise auch der Antrag zu stellen, festzustellen, daß § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung verfassungswidrig war."

2. Die Bundesregierung hat beschlossen, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen und gleichzeitig den Antrag gestellt, im Fall der Aufhebung für das Außerkrafttreten gemäß Art 140 Abs 5 B-VG eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, "um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen".

II. Der Antrag auf Gesetzesprüfung ist zulässig.

Es ist offenkundig, daß der Verwaltungsgerichtshof in dem bei ihm anhängigen Verfahren § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes über die Entscheidungsbefugnis des Bundesministers anzuwenden hätte und daß damit § 5 Abs 3 des Kleingartengesetzes in einem untrennbaren Zusammenhang steht, weil dort der Gegenstand der Entscheidung des Bundesministers des näheren umschrieben wird.

Anzuwenden ist vom Verwaltungsgerichtshof aber nicht nur § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes in seiner Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, weil sich daraus die zum Zeitpunkt der Erlassung des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides dafür zuständige Behörde ergibt; vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof § 5 Abs 4 Kleingartengesetz auch in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, anzuwenden, weil sich aus der durch dieses Gesetz neu geregelten Vorschrift des litC. Z. 24. des Teiles 2 der Anlage zum § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986 in Verbindung mit ArtVII Abs 1 jenes Gesetzes ergibt, daß der Verwaltungsgerichtshof das bei ihm anhängige Verfahren mit dem nunmehr für den Vollzug des § 5 Abs 4 Kleingartengesetz zuständigen Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten durchzuführen hat.

III. Die Bedenken gegen § 5 Abs 3 erster Satz und § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes sind begründet. Diese Vorschriften verstoßen gegen das Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht (Tribunal) gehört zu werden, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.

1. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß ein "Streit über die Angemessenheit des vereinbarten Pachtzinses" oder "über die Änderung des Pachtzinses" "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK zum Gegenstand hat.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in VfSlg. 2820/1955 angenommen, daß gesetzliche Regelungen, welche "die Möglichkeit wesentlicher Änderungen von bestehenden Pachtverträgen" betreffen, zum Zivilrecht zählen. Begründend führte er im genannten Erkenntnis aus:

"Die Pachtverträge sind in der geltenden Rechtsordnung des Bundes grundlegend im 25. Hauptstück des ABGB geregelt, woraus mit Ausschluß jeden Zweifels hervorgeht, daß ihre Regelung eine Angelegenheit des Zivilrechtswesens ist; ..."

Die Vereinbarung der Höhe des Pachtzinses, die wesentlicher Bestandteil eines zivilrechtlichen Vertrages ist, muß jedenfalls insoweit, als dadurch das Rechtsverhältnis zwischen Verpächter und Pächter festgelegt oder geändert wird, als zivilrechtliche Frage qualifiziert werden. Aus § 1 ABGB läßt sich ableiten, daß jene Rechtsverhältnisse und -ansprüche dem Privatrecht zuzuzählen sind, die "zwischen den Einwohnern des Staates, also den natürlichen und juristischen Personen als Rechtssubjekten" bestehen (Bydlinski in Rummel, ABGB, RZ 5 zu § 1). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in VfSlg. 9580/1982 ausgesprochen (und in seinem Erkenntnis vom , G1/88 u.a. wiederholt), daß jene Rechtsbeziehungen Gegenstand des Privatrechts sind, bei denen es im Sinne des § 1 ABGB "um das Verhältnis zwischen den Beteiligten selbst geht". Klassische Aufgabe des Privatrechts ist es, so hat er formuliert, die gegenüber den Mitbürgern bestehenden Rechtspositionen zu umschreiben. Auch wenn aus besonderen Gründen ein öffentliches Interesse an einem bestimmten Rechtszustand besteht, macht eine von diesem Interesse bestimmte Regelung des Verhältnisses zwischen den Rechtsgenossen dieses noch nicht zu einer Materie des öffentlichen Rechts. Auch dann bleibt eine Regelung der Beziehungen der Bürger "unter sich" ihrer Struktur nach Zivilrecht. Die Höhe eines Pachtzinses bildet eine derartige Regelung der Beziehungen von Bürgern "unter sich", nämlich eine Regelung der Leistungspflicht des Pächters gegenüber dem Verpächter. Eine vom Gesetz vorgesehene behördliche Änderung der Höhe des Pachtzinses gestaltet und suppliert somit ein Element der Rechtsbeziehungen von Bürgern "unter sich", das sonst den Gegenstand zivilrechtlicher Verträge bildet.

Daß Pachtzinsregelungen zur traditionellen Ziviljustiz und damit zum Zivilrecht in seinem Kernbereich zählen, beweist auch die Geschichte der in Prüfung gezogenen Vorschriften. Die Vorläufer dieser Gesetzesbestimmung, nämlich die Verordnung über die Pachtzinse für Schrebergärten vom , RGBl. 118 (§6), ebenso wie die Vollzugsanweisung betreffend die Pachtverträge über Schrebergärten vom , StGBl. 85 (§7) und die Verordnung vom , betreffend die Pachtverhältnisse über Schrebergärten, BGBl. 124 (§5) ordneten übereinstimmend die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes im Verfahren außer Streitsachen für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Erhöhung des Pachtzinses oder über die Angemessenheit seiner erstmaligen Festsetzung an.

Erst die Verordnung über die Einführung des Kleinsiedlungs- und Kleingartenrechts im Lande Österreich vom , GBlÖ 375/1939, ersetzte die genannten österreichischen Rechtsvorschriften durch die - reichsdeutsche - Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung vom , d RGBl. I 1371, die dann in novellierter Form kraft § 2 R-ÜG 1945 in die österreichische Rechtsordnung übernommen wurde und ihrerseits durch das derzeit geltende Kleingartengesetz ersetzt wurde. Die angeführte deutsche Rechtsvorschrift beseitigte die ursprüngliche Zuständigkeit der Gerichte zur Festsetzung und Korrektur der Pachtzinse und führte statt dessen entsprechende verwaltungsbehördliche Befugnisse ein (gemäß den §§4 und 5 der Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung, wobei im übrigen kraft § 1 Z 2 lita der Verordnung GBlÖ 375/1939 sogar die Beschwerde an den Bundesgerichtshof dagegen ausgeschlossen wurde).

Es zeigt sich sohin, daß die österreichische Rechtsordnung schon vor 1939 vom zivilrechtlichen Charakter von Pachtzinsregelungen bei den als Schrebergärten bezeichneten Kleingärten ausgegangen ist. Derartige Regelungen zählen daher zum traditionellen Kernbereich des Zivilrechts.

2. Art 6 Abs 1 MRK verlangt (wie der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen G129/87 u.a. v. - NÖ. Jagdgesetz - , G211, 212/87 v. - Bgld. Jagdgesetz - und G1/88 u.a. v. - Enteignungsentschädigung - , näherhin dargetan hat), daß über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ein Tribunal selbst entscheidet. Dieses letztlich in der Zivilrechtssache maßgebliche Tribunal muß aufgrund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen seine Sachentscheidung fällen. Die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts reicht für die Entscheidung über Angelegenheiten des Kernbereichs der "civil rights" im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK, sohin auch für die Entscheidung über Anträge auf Änderung des Pachtzinses gemäß § 5 Kleingartengesetz, nicht aus.

Da weder der Bundesminister für soziale Verwaltung, noch der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, noch der Landeshauptmann von Wien (der über die Berufung gegen die Entscheidung des Magistrates Wien als Bezirksverwaltungsbehörde im Falle der Beseitigung der Zuständigkeit des Bundesministers zu entscheiden hat) mit den Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gemäß Art 6 Abs 1 MRK ausgestattete Gerichte (Tribunale) sind, geschweige denn, daß die erstinstanzliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde den verfassungsrechtlichen Ansprüchen nach Art 6 Abs 1 MRK genügt, sind entsprechend dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes § 5 Abs 3 sowie § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, als verfassungswidrig aufzuheben. Ferner ist festzustellen, daß § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, verfassungswidrig war.

IV. Im Hinblick auf die Art des Verfassungsverstoßes sieht sich der Gerichtshof nicht veranlaßt, für das Inkrafttreten der Aufhebung des § 5 Abs 3 erster Satz und des § 5 Abs 4 Kleingartengesetz eine Frist zu setzen. Auch legistische Vorkehrungen, von denen die Bundesregierung in ihrem Antrag spricht, erscheinen diesbezüglich nicht unbedingt erforderlich, weil nach Aufhebung der im Spruch angeführten Gesetzesbestimmungen über die Angemessenheit des vereinbarten Pachtzinses oder über die Änderung des Pachtzinses in durchaus konventionskonformer Weise die dann kraft § 1 JN zuständigen ordentlichen Gerichte entscheiden können. Hingegen hält es der Verfassungsgerichtshof nicht für ausgeschlossen, daß die Beseitigung der Antragsfrist in § 5 Abs 3 zweiter Satz Kleingartengesetz vom Gesetzgeber zum Anlaß für eine Neuregelung genommen wird. Der Gerichtshof hat daher insoweit von der Ermächtigung des Art 140 Abs 5 B-VG Gebrauch gemacht und für das Außerkrafttreten des § 5 Abs 3 zweiter Satz Kleingartengesetz eine Frist bestimmt.

Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung und über die Feststellung, daß § 5 Abs 4 des Kleingartengesetzes in seiner Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. 78/1987, verfassungswidrig war, stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausschluß des Wirksamwerdens früherer Vorschriften auf Art 140 Abs 6 B-VG.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG 1953 abgesehen werden.