VfGH vom 11.12.2002, G185/02
Sammlungsnummer
16763
Leitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung im Steiermärkischen Vergabegesetz betreffend die Kontrolle der Auftragsvergabe auch seitens des Landes wegen Widerspruchs zur bundesverfassungsrechtlichen Normierung der Obersten Organe der Vollziehung
Spruch
Die Wortfolge "das Land," in § 12 Abs 1 Z 1 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 - StVergG, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 74, war bis zum Ablauf des verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt aus Anlass eines bei im anhängigen Beschwerdeverfahrens gemäß Art 140 Abs 1 B-VG, die Wortfolge "das Land," im § 12 Abs 1 Z 1 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 - StVergG, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 74, als verfassungswidrig aufzuheben.
a) In seinem Antrag führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass er über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Steiermark vom , ZVKS W11 - 2001/15, zu erkennen habe, mit dem ein Antrag einer "Projektgemeinschaft" auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 107 Steiermärkisches Vergabegesetz als unzulässig zurückgewiesen worden sei.
Ausgehend von den Ausführungen dieses Bescheides, denen zufolge sich "[a]us der öffentlichen Bekanntmachung des Wettbewerbes (§83 StVergG) ergibt ..., dass als Auftraggeber das Land Steiermark, Landesbaudirektion Fachabteilung 4, ... auftritt" und "der Vergabekontrollsenat vom Vorliegen eines öffentlichen Auftraggebers gemäß § 12 Abs 1 Z. 1 StVergG aus[geht], nimmt der Verwaltungsgerichtshof an, dass sich dieser auf die Geltungsbereichsbestimmung des § 12 Abs 1 Z 1 StVergG stützt und er daher bei seiner Überprüfung (auch) diese Bestimmung anzuwenden habe.
b) Gegen die zur Aufhebung beantragte Wortfolge "das Land," in § 12 Abs 1 Z 1 leg.cit. hegt der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis VfSlg. 15.578/1999 (betreffend eine gleichartige Geltungsbereichsbestimmung für Vergaben des Bundes im § 11 Abs 1 Z 1 BVergG 1997) das Bedenken, dass die "Zuständigkeit [des] Vergabekontrollsenates [des Landes Steiermark] zur Kontrolle bzw. Aufhebung von Vergabeakten des Landes wegen verfassungswidriger Kontrolle eines obersten Organes der Vollziehung durch ein in der Bundesverfassung mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan" nicht zulässig sein dürfte.
2. Die vom Verwaltungsgerichtshof zur Aufhebung beantragte Gesetzesstelle steht in folgendem normativen Zusammenhang:
Das StVergG regelt die Vergabe von Liefer-, Bau-, Baukonzessions- und Dienstleistungsaufträgen durch im § 12 aufgezählte öffentliche Auftraggeber, darunter das Land Steiermark. § 12 lautet auszugsweise (die zur Aufhebung beantragte Wortfolge ist hervorgehoben):
"(1) Öffentliche Auftraggeber (im folgenden Auftraggeber genannt) sind
1. das Land, die Gemeinden und die Gemeindeverbände,
2. Einrichtungen des Landes (auf Landesrecht beruhende juristische Personen des öffentlichen Rechts), wie Stiftungen, Fonds und Anstalten sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie zu dem Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, wenn sie zumindest teilrechtsfähig sind und
a) mehrheitlich von Organen des Landes oder eines anderen Rechtsträgers im Sinne der Z. 1 bis 3 oder von Personen verwaltet werden, die hiezu von Organen der genannten Rechtsträger bestellt sind, oder
b) hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht des Landes oder anderer Rechtsträger im Sinne der Z. 1 bis 3 unterliegen oder
c) überwiegend vom Land oder von anderen Rechtsträgern im Sinne der Z. 1 bis 3 finanziert werden,
3. Unternehmungen gemäß Artikel 127 Abs 3 und 127a Abs 3 B-VG, soweit sie zu dem Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und das Land zumindest die relative Mehrheit der in öffentlicher Hand befindlichen Anteile besitzt, sowie
4. Landesgesellschaften und städtische Unternehmungen nach dem Bundesverfassungsgesetz, mit dem die Eigentumsverhältnisse an den Unternehmen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft geregelt werden, BGBl. I Nr. 143/1998, sowie Elektrizitätsversorgungsunternehmen nach dem Steiermärkischen Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz Stmk. ElWOG 1999, LGBl. Nr. 32/2000 in der jeweils geltenden Fassung soweit sie eine Tätigkeit im Sinne des § 86 Abs 2 ausüben."
Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit des im 2. und 3., respektive 4. Teil näher geregelten Vergabeverfahrens beruft § 100 StVergG einen Vergabekontrollsenat, dessen Mitglieder kraft der Verfassungsbestimmung des § 102 Abs 1 StVergG in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden sind. Gemäß § 105 Abs 3 entscheidet er in erster und letzter Instanz. Seine Bescheide unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege; die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ist zulässig.
Der Vergabekontrollsenat ist (über Antrag eines Unternehmers, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des StVergG unterfallenden Vertrages behauptet und dem durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen dort) gemäß § 105 StVergG zuständig,
"(1) [b]is zur Zuschlagserteiung ... zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Gesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen ...
1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie
2. zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der vergebenden Stelle des Auftraggebers.
(2) Nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluß des Vergabeverfahrens ist der Vergabekontrollsenat zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist der Vergabekontrollsenat ferner zuständig, auf Antrag des Auftragebers festzustellen, ob ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte".
3. Die Steiermärkische Landesregierung nahm zufolge ihres Beschlusses vom von der Erstattung einer schriftlichen Äußerung Abstand.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art 140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989).
Da dies nicht der Fall ist und der meritorischen Behandlung des Antrages auch keine sonstigen Prozesshindernisse entgegenstehen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren daher zulässig.
2. Die Bedenken sind auch begründet:
Der Verfassungsgerichtshof hat - worauf der Verwaltungsgerichtshof zu Recht hinweist - mit Erkenntnis VfSlg. 15.578/1999 eine dem StVergG gleichartige Geltungsbereichsbestimmung für Vergaben des Bundes in § 11 Abs 1 Z 1 BVergG 1997 als verfassungswidrig aufgehoben und hiezu im Wesentlichen ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich unzulässig sei, (kollegiale) Verwaltungsbehörden einem obersten Organ der Vollziehung überzuordnen (Verweis auf VfSlg. 8917/1980, 9164/1981, 12.220/1989). Einer solchen Überordnung komme es gleich, wenn eine Verwaltungsbehörde mit der Kompetenz ausgestattet ist, Entscheidungen oberster Organe nachprüfend zu kontrollieren und sie im Fall ihrer Rechtswidrigkeit zu beheben (VfSlg. 13.626/1993). Der Verfassungsgerichtshof hielt in diesem Erkenntnis fest, dass eine Vergabekontrollbehörde bei Wahrnehmung ihrer Kompetenz - schon um den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht werden zu können - nicht bloß außenwirksames privatrechtliches Handeln der obersten Organe im Hinblick auf seine Wirksamkeit und bestimmte Rechtsfolgen zu beurteilen oder eine gesetzlich vorgesehene Genehmigung zu erteilen oder zu versagen habe, sondern die in den einzelnen Schritten des Verfahrens nach außen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen selbst zu beurteilen und gegebenenfalls aufzuheben hätte.
Was der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis hinsichtlich des Bundesvergabeamtes festgestellt hat (vgl. auch ua., für Vergaben des Landes Salzburg), trifft auch auf den Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark zu: In bei ihm anhängigen Nachprüfungsverfahren hat diese Behörde - genauso wie das Bundesvergabeamt hinsichtlich der seiner Kontrolle unterliegenden Vergaben - zu beurteilen, ob das vergebende Organ sich etwa zu Recht für die Durchführung eines nicht offenen Vergabeverfahrens entschieden hat, ob es zulässigerweise produktspezifische Angaben in der Ausschreibung gemacht hat oder ob es mit der Entscheidung, ein Alternativangebot auszuscheiden, rechtmäßig gehandelt hat. Kommt der Vergabekontrollsenat bei seiner Beurteilung zum Ergebnis, das vergebende Organ habe sich in dem Sinn rechtswidrig verhalten, dass es die seine Entscheidung determinierenden Vorschriften des Steiermärkischen Vergabegesetzes verletzt hat, so hat er die Entscheidung des vergebenden Organs, genauer gesagt: jenen Teilakt im Vergabeverfahren, in dem diese Entscheidung zum Ausdruck kommt, aufzuheben.
Auch der Vergabekontrollsenat für das Land Steiermark ist also nicht etwa zur Gewährung oder Versagung einer Genehmigung oder zur Beurteilung der Rechtsfolgen, die mit einem bestimmten Vorgehen der vergebenden Organe verbunden sind, berufen, sondern zur Kontrolle des jeweiligen Aktes selbst, und er hat diesen Akt im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben. Genau das ist aber dann, wenn sich die Aufhebung auf einen Akt eines obersten Organs bezieht, eine verfassungsrechtlich verpönte Kontrolle eines obersten Organs durch ein von (Bundes-)Verfassungs wegen mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan (vgl. VfSlg. 13.626/1993).
An dieser Einschätzung ändert auch nichts, dass gemäß § 105 Abs 3 StVergG gegen Bescheide des Vergabekontrollsenates die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig ist.
Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes erweisen sich daher als zutreffend: Die Wortfolge "das Land," in § 12 Abs 1 Z 1 des Steiermärkischen Landesvergabegesetzes stand - in Anbetracht der (erst) seit geltenden Verfassungsbestimmung des Art 4 des BG BGBl. I 99/2002 - in Widerspruch zur Verfassung.
3. Da gemäß dem im Verfassungsrang stehenden Art 4 Abs 2 des Bundesgesetzes, mit dem die Bundes-Verfassung sowie das Bundesgesetz über die Errichtung einer Bundesbeschaffung Gesellschaft mit beschränkter Haftung geändert und ein Bundesvergabegesetz 2002 erlassen wird, BGBl. I 99/2002, die Verfassungsbestimmung des Art 4 Abs 1 dieses Gesetzes, wonach "[d]ie für die Durchführung der Nachprüfungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden ... gesetzlich auch zur Kontrolle der in Art 19 Abs 1 [B-VG] bezeichneten obersten Organe der Vollziehung, der Gemeinden und der Gemeindeverbände und von Privaten berufen werden [können]", mit in Kraft getreten ist, findet die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Regelung des § 12 Abs 1 Z 1 StVergG daher ab diesem Zeitpunkt (bis zum Ablauf des , das ist der Tag, an dem Art 4 Abs 1 gemäß Abs 2 wieder außer Kraft tritt) ihre Deckung in dieser Bestimmung. (Für die Zeit ab siehe den an diesem Tag in Kraft tretenden Art 14b Abs 6 B-VG.)
Im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren kommt es entscheidend auf die für den Anlassfall maßgebliche Rechtslage vor Inkrafttreten des Art 4 Abs 1 BG BGBl. I 99/2002 an, da der Vergabekontrollsenat vor dem tätig wurde. (Der mit in Kraft getretenen Verfassungsbestimmung des § 126a BVergG 1997 idF BGBl. I 125/2000 kommt im Hinblick auf deren rückwirkende Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G12/00 ua., keine Bedeutung mehr zu.) Der Umstand, dass eine von ihm ausgeübte Kontrolltätigkeit gegenüber der Landesregierung ab (bundes-)verfassungsrechtlich gedeckt ist, kann eine vorher bestandene Verfassungswidrigkeit nicht rückwirkend beseitigen, sondern nur eine Aufhebung der angefochtenen Norm durch den Verfassungsgerichtshof verhindern und bewirken, dass sich dieser mit der Feststellung begnügen muss, dass die angefochtene Wortfolge bis zum Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung des Art 4 Abs 1 BG BGBl. I 99/2002 verfassungswidrig war.
Es war daher auszusprechen, dass die Wortfolge "das Land," in § 12 Abs 1 Z 1 StVergG, LGBl. 74/1998, bis zum Ablauf des verfassungswidrig war.
4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Steiermark zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung im Landesgesetzblatt erfließt aus Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.