VfGH vom 26.06.2002, g184/02
Sammlungsnummer
16577
Leitsatz
Gleichheitswidrigkeit von Schwellenwertregelungen mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich
Spruch
1. § 8 des NÖ Vergabegesetzes idF LGBl. 7200-3 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
2. Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Gestützt auf Art 140 Abs 1 B-VG beantragt der Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens, § 8 des NÖ Vergabegesetzes idF LGBl. 7200-3 als verfassungswidrig aufzuheben.
a) Begründend führt er aus, daß er über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich zu erkennen habe, mit dem der Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers auf Nichtigerklärung der im Rahmen eines von einer Gemeinde zur Erlangung von Entwürfen für ein zu errichtendes "Sicherheitszentrum" durchgeführten, als "Gutachterverfahren" bezeichneten Vergabeverfahrens ergangenen Entscheidung der von der ausschreibenden Gemeinde einberufenen Jury, das Projekt eines anderen Mitwerbers zum Siegerprojekt zu bestimmen, zurückgewiesen wurde, weil der in § 8 NÖ Vergabegesetz (NÖ VergG) normierte Schwellenwert nicht erreicht werde.
Bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides, der sich auf § 8 NÖ VergG idF LGBl. 7200-3 zu stützen scheine, habe der Verwaltungsgerichtshof (auch) diese Bestimmung anzuwenden.
b) In der Sache sieht der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die hg. Erkenntnisse VfSlg. 16.027/2000 sowie vom , G43/00, und vom , G10/01, keinen Grund, weshalb der gänzliche Verzicht auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz angesichts des Mangels geeigneter zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen - vielfach keinen Aufschub duldenden - vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen, nicht auch im vorliegenden Fall zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führen sollte.
2. a) Die Niederösterreichischen Landesregierung hat angesichts der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Judikatur von einer inhaltlichen Äußerung abgesehen.
Für den Fall einer allfälligen Aufhebung begehrt sie, für deren Inkrafttreten eine Frist bis zum Ablauf des zu setzen, und begründet dies unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom , G351/01 ua., in dem sich der Verfassungsgerichtshof bei der Ausmessung der dort für das Inkrafttreten der Aufhebung mehrerer bundesvergabegesetzlicher Bestimmungen bestimmten Frist davon leiten ließ, daß "eine Neuordnung des Bundesvergaberechtes in Vorbereitung ist und der Bundesverfassungsgesetzgeber davon ausgeht, daß diese mit in Wirksamkeit treten soll", wie folgt:
"Diese Neuordnung des Bundesvergaberechtes wurde zwischenzeitlich durch den Nationalrat am in Form eines Bundesvergabegesetzes 2002 beschlossen, welches - der Rechtsprechung des VfGH folgend - eine Ausdehnung der gesetzlichen Vergaberegelungen auf den Unterschwellenbereich beinhaltet. Zusätzlich wurde eine Änderung der Bundesverfassung beschlossen, in welcher mit Art 14b B-VG die Kompetenzverteilung in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens neu geregelt wurde (vgl. Artikel 1 des ... Gesetzesentwurf[es] in AB 1118 BlgNR XXI. GP).
In Z. 4 dieser Änderung ... wird bestimmt, dass die Neuordnung der Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens mit in Kraft tritt.
Um den Ländern eine entsprechende Anpassung der Landes(rechtsschutz)gesetze an die neuen Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002 (insbesondere an die dort vorgesehenen gesondert anfechtbaren Entscheidungen) zu ermöglichen, hat der Verfassungsgesetzgeber das Außerkrafttreten der entsprechenden Landesgesetze mit Ablauf des vorgesehen.
Gemäß diesen Intentionen des Bundesverfassungsgesetzgebers sieht es die NÖ Landesregierung als sachgerecht an, gemäß Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG eine Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung bis zum Ablauf des zu setzen. Bis dahin wird durch eine Anpassung der entsprechenden Landes(rechtsschutz)gesetze zusätzlich zur Vereinheitlichung der gesetzlichen Vergaberegelungen für den Ober- und Unterschwellenbereich auch der vergabespezifische Rechtsschutz gewährleistet sein."
b) Der Beschwerdeführer im Anlaßverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist in seiner Äußerung den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes beigetreten und hat überdies begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge den beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid "als Anlaßfall aufheben".
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der Verwaltungsgerichtshof bei Erledigung der bei ihm anhängigen Beschwerde, die Anlaß zur Stellung des vorliegenden Antrages bot, die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Der Antrag ist auch begründet:
a) Das NÖ VergG enthält gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Kontrolle u.a. für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen im Wege eines Wettbewerbs (§21 NÖ VergG iVm § 82 BVergG; §§23 ff. NÖ VergG) durch bestimmte öffentliche Auftraggeber, darunter die Gemeinden (§11 Abs 1 Z 2 NÖ VergG), oberhalb bestimmter Schwellenwerte.
Der unter der Überschrift "Schwellenwerte bei Wettbewerben" stehende, vom Verwaltungsgerichtshof zu Aufhebung beantragte § 8 NÖ VergG idF LGBl. 7200-3 hat folgenden Wortlaut:
"§8. Dieses Gesetz gilt für die Durchführung von Wettbewerben,
1. die im Rahmen eines Verfahrens durchgeführt werden, das zu einem Dienstleistungsauftrag führen soll, dessen geschätzter Auftragswert oder
2. deren Summe der Preisgelder und Zahlungen an Teilnehmer ohne Umsatzsteuer jeweils mindestens 200.000 Euro beträgt."
b) Wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht dartut, hat der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach die Auffassung vertreten, daß es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz auszuschließen (zB VfSlg. 16.027/2000; ; , G10/01, sowie jeweils , G349/01; G350/01; G351-355/01; G363/01; G17/02). Daher steht auch der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene § 8 NÖ VergG idF LGBl. 7200-3, der einen solchen vergabespezifischen Rechtsschutz bei Wettbewerben unterhalb bestimmter Schwellenwerte ausschließt, mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz in Widerspruch. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die erwähnten Erkenntnisse verwiesen.
Da sich sohin die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen haben, war § 8 NÖ VergG idF LGBl. 7200-3 als verfassungswidrig aufzuheben.
3. a) Bei Bestimmung der gemäß Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG gesetzten Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung ließ sich der Verfassungsgerichtshof von den von der Niederösterreichischen Landesregierung vorgetragenen Erwägungen [s. Pkt. I.2.a)] leiten.
b) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.
c) Auf das von der beteiligten Partei gestellte Begehren [s. Pkt. I.2.b)] war nicht einzugehen, weil der Bescheid, der Anlaß für das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren bot und dessen Aufhebung beantragt wird, nicht beim Verfassungsgerichtshof, sondern beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft wurde.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.